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Potenzieren
Das Potenzieren ist der wesentlichste Arbeitsschritt bei der Herstellung homöopathischer Arzneimittel. Um die Giftigkeit mancher Ausgangsstoffe abzuschwächen, begann bereits Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, die verwendeten Wirkstoffe stark zu verdünnen. Dieses Verdünnen erfolgt beim Potenzieren schrittweise, wobei das Präparat bei jedem Schritt nach genauen Vorschriften verrieben oder verschüttelt wird. In der Vorstellung der Homöopathie dient dieses dem eigentlichen Erwecken und der Verstärkung der Heilkraft.[1] Das Schütteln beim Herstellungsprozess soll es also ermöglichen, dass bestimmte von der Ausgangssubstanz abhängige Wirkeigenschaften in den fertigen Globuli noch enthalten sind, auch wenn letztlich so stark verdünnt wurde, dass die Ausgangssubstanz selbst nicht mehr enthalten ist.
Diese Vorstellungen stehen im Widerspruch zum gesicherten Wissen der heutigen Physik.[2]
Inhaltsverzeichnis
- 1 Definition im Organon und metaphysischer Hintergrund
- 2 Das Verfahren der Potenzierung
- 3 Übersicht über die Potenzreihen
- 4 Das Potenzieren aus naturwissenschaftlicher Sicht
- 4.1 Kernaussagen unvereinbar mit physikalischen Erkenntnissen
- 4.2 Keine Reinstoffe und Einzelmittel möglich
- 4.3 Nicht einmal immer Moleküle in der Urtinktur
- 4.4 Ab der C12/D24 nur noch Verschütteln von Lösungsmittel
- 4.5 Auch bei langer Potenzierung kein Anstieg der Schüttelschläge
- 4.6 Zusammenfassung
Definition im Organon und metaphysischer Hintergrund
Hahnemann beschreibt seine Vorstellungen vom Potenzieren im Organon der Heilkunde in §269:[3]
Die homöopathische Heilkunst entwickelt zu ihrem besondern Behufe die innern, geistartigen Arzneikräfte der rohen Substanzen, mittels einer ihr eigenthümlichen, bis zu meiner Zeit unversuchten Behandlung(…). Diese merkwürdige Veränderung in den Eigenschaften der Natur-Körper, durch mechanische Einwirkung auf ihre kleinsten Theile, durch Reiben und Schütteln (während sie mittels Zwischentritts einer indifferenten Substanz, trockner oder flüssiger Art, von einander getrennt sind) entwickelt die latenten, vorher unmerklich, wie schlafend (...) in ihnen verborgen gewesenen, dynamischen (...) Kräfte, welche vorzugsweise auf das Lebensprinzip, auf das Befinden des thierischen Lebens Einfluß haben. Man nennt daher diese Bearbeitung derselben Dynamisiren, Potenziren (Arzneikraft-Entwickelung) und die Produkte davon, Dynamisationen oder Potenzen in verschiednen Graden.
Hahnemanns Vorgang des Potenzierens geht also von der Annahme aus, dass es in den verwendeten Substanzen verborgene Kräfte gibt, die man durch Verschütteln oder Verreiben frei setzen kann. Er vergleicht dies im selben Paragraphen mit der Magnetisierung eines Stabes durch Reiben:
Nur erst wenn wir diesen Stahl-Stab dynamisiren, ihn mit einer stumpfen Feile stark nach Einer Richtung hin reiben, wird er zum wahren, thätigen, kräftigen Magnete, kann Eisen und Stahl an sich ziehen und selbst einem andern Stahl-Stabe, durch bloße Berührung, ja selbst sogar in einiger Entfernung gehalten, magnetische Kraft mittheilen, in desto höherem Grade je mehr man ihn so gerieben hatte, und ebenso entwickelt Reiben der Arznei-Substanz und Schütteln ihrer Auflösung (Dynamisation, Potenzirung) die medicinischen, in ihr verborgen liegenden Kräfte und enthüllt sie mehr und mehr, oder vergeistiget vielmehr die Materie selbst, wenn man so sagen darf.
Mit dem Ausdruck „geistartige Kräfte“ meint Hahnemann also nichts Übernatürliches, Geheimnisvolles oder Okkultes, er vermutet vielmehr eine natürliche Eigenschaft der Substanzen, die er der Magnetkraft des Stabmagneten gleich durch seine Verarbeitungsweise aktiviert und freisetzt, also dynamisiert.
Vor dem Hintergrund des Wissens der Zeit um das Jahr 1800 betrachtet, als die Physik gerade erst begann, Wirkungen unsichtbarer Kräfte wie Magnetismus oder Schwerkraft erfolgreich zu beschreiben, sind Hahnemanns Überlegungen nicht unplausibel. Dennoch entstammt die Vorstellung, dass Stoffe, Gegenstände oder Substanzen eine Art inneres Wesen besitzen, das auch unabhängig von ihnen weiter existiert und wirkt, nicht den frühen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Zeit, sondern ist an ältere Vorstellungen wie den Animismus oder den Vitalismus angelehnt.
Der Animismus von Georg Ernst Stahl (1659-1734) versteht den Körper als beseelten Organismus und die Krankheit entsprechend als das Ergebnis einer fehlgeleiteten Seele. Hahnemanns Vorstellung der verstimmten Lebenskraft zählt also zu den Konzepten, die um 1800 in Medizin und Biologie eine Rolle spielten und die versuchten, Krankheiten durch das Wirken nicht-stofflich-materieller Kräfte zu erklären.[4]
Entsprechend dieser Vorstellung der Krankheitsursache ist auch Hahnemanns Methode der Dynamisierung zu verstehen: Um der nicht-materiellen Krankheitsursache zu begegnen, wird die Arznei entmaterialisiert. Da die verstimmte Lebenskraft, ein weiterer zentraler Begriff in Hahnemanns Lehre, selbst eine nicht materielle Ursache der Krankheit ist, kann auf sie in diesem metaphysischen Bild gar nicht anders eingewirkt werden als mit einer nichtmateriellen, sondern geistartig dynamisierten Arznei.
Das Verfahren der Potenzierung
In §270 des Organons[5] beschreibt Hahnemann im Detail eine sehr aufwändige Prozedur, wie genau die Arzneistoffe zu verreiben, zu verdünnen und zu verschütteln sind, damit die von ihm angenommenen Kräfte zur Entfaltung kommen.
Alle flüssigen Ausgangsstoffe oder solche, die sich in Wasser oder Alkohol lösen, werden zu einer Urtinktur verarbeitet, die dann der Ausgangsstoff für die Potenzierung ist. Pflanzen werden hierfür zum Beispiel gereinigt, zerkleinert und zu einem alkoholischen Auszug weiterverarbeitet, indem man alles mit Ethanol mischt und für mehrere Tage ziehen lässt.
Alle unlöslichen Stoffe werden in den ersten Verarbeitungsschritten aufwändig verrieben. Man spricht dann nicht von einer Urtinktur, sondern von einer Verreibung oder Trituration. Der Ausgangsstoff wird je Potenzierungsschritt hierfür in einem Mörser mit Milchzucker verrieben, oft bis zur dritten oder vierten Potenz. Die Triturationen können dann in Ethanollösungen weiter potenziert oder zu Q-Potenzen weiterverarbeitet werden.
Der Arzneiträger Milchzucker wird dreigeteilt. Das erste Drittel wird zunächst kurze Zeit alleine in einem Porzellanmörser verrieben, dann wird der Arzneigrundstoff hinzugefügt und beides wird sechs Minuten lang verrieben. Daraufhin wird vier Minuten mit einem Porzellanspatel geschabt und abermals sechs Minuten verrieben, wiederum vier Minuten lang abgeschabt, dann kommt das zweite Drittel Milchzucker hinzu und es wird wieder verrieben und geschabt. Insgesamt dauert das gesamte Procedere eine Stunde.[1]
Für die weitere Potenzierung wird die Urtinktur oder die Trituration mit einem Lösungsmittel (destilliertes Wasser oder Ethanol oder auch ein Gemisch aus beidem) schrittweise verdünnt. Wird in jedem Schritt im Verhältnis 1:10 verdünnt, so erhält man die D-Potenzen; wird im Verhältnis 1:100 potenziert, so erhält man die C-Potenzen. Für die Q- oder LM-Potenzen wird in jedem Arbeitsgang im Verhältnis 1:50 000 verdünnt. Bei jedem Potenzierungsschritt werden starke Schüttelstöße mit der Hand gegen einen harten, aber elastischen Körper, etwa auf ein mit Leder eingebundenes Buch ausgeführt.
Obwohl mit jedem Potenzierungsschritt die Wirkstoffmenge exponentiell abnimmt und ab relativ niedrigen Potenzen (Verdünnungen) nichts mehr vom Wirkstoff im Präparat enthalten ist (ab der D24 bzw. der C12), geht die Homöopathie davon aus, dass diese Vorgehensweise die eigentliche Wirkung der Arznei erst entfaltet und mit jedem Schritt verstärkt. Die Zahl in Bezeichnungen wie „C12“ gibt die Anzahl der entsprechenden Verdünnungsschritte an.
Das Herstellungsverfahren nach Hahnemann ist prinzipiell auch Grundlage der entsprechenden Abschnitte des Homöopathischen Arzneibuches (HAB), nach dem in Deutschland produzierte Homöopathika hergestellt werden müssen. Im Detail unterscheiden sich die Anweisungen aber, zum Beispiel in der vorgeschriebenen Anzahl der Schläge pro Potenzierungsschritt, die Hahnemann auf 100 festlegt, die aber im HAB auf mindestens 10 reduziert sind.[6] Auch das Mischungsverhältnis bei jedem Potenzierungsschritt unterscheidet sich. Während Hahnemann gem. §270 des Organon stets einen Tropfen der Lösung mit 100 Tropfen Weingeist verdünnt, wird heute 1(Gewichts-)Teil mit 99 Teilen aufgegossen und weiterverarbeitet.[7]
Übersicht über die Potenzreihen
Die Homöopathie unterscheidet je nach dem beim Potenzieren verwendeten Verdünnungsverhältnis die folgenden Potenzen:
C-Potenzen
Der Begriff C-Potenzen leitet sich von centesimalis (mittellateinisch, zu lateinisch centum hundert) ab.
Bei jedem Schritt der stufenweisen Verdünnung wird hier im Verhältnis 1:100 verdünnt.
Die C-Potenzen gehen direkt auf Hahnemann zurück.
⇒ Siehe auch Hauptartikel C-Potenzen
D-Potenzen
Der Begriff D-Potenzen leitet sich von decimalis (mittellateinisch, zu lateinisch decem zehn) ab.
Bei jedem Schritt der stufenweisen Verdünnung wird hier im Verhältnis 1:10 verdünnt.
Die D-Potenzen gehen auf Constantin Hering zurück.
⇒ Siehe auch Hauptartikel D-Potenzen.
LM/Q-Potenzen
Begriff Q-Potenzen bedeutet Quinquagiesmillesimalpotenzen oder auch Quinquagintamillesimalpotenzen.
Bei jedem Schritt der stufenweisen Verdünnung wird hier im Verhältnis 1:50 000 (quinquagies millesimus = fünfzigmal der Tausendste) verdünnt.
Die Schreibweise „LM“ für 50 000 beruht auf einem Missverständnis des Homöopathen Adolf Vögeli, hat sich aber dennoch gehalten.[B 1] Beide Bezeichnungen stehen prinzipiell für dasselbe Herstellungsverfahren, wobei die Bezeichung der Q-Potenzen enger an die Bezeichnung der C- und D-Potenzen angelehnt ist. Mitunter wird die Bezeichnung LM-Potenzen auch speziell dann verwendet, wenn die C3 aus alkoholischen Auszügen der Grundsubstanz hergestellt wurde und nicht aus einer Verreibung.[8]
Ausgangspunkt für diese Potenzen ist die C3 Verreibung. Laut Hahnemann wird 1 Gran der C3-Verreibung in 500 Tropfen einer Wasser-/Ethanolmischung gelöst. 1 Tropfen dieser Lösung wird mit 100 Tropfen Ethanol 100 mal durch Aufschlagen geschüttelt. Mit der geschüttelten Lösung werden Globuli befeuchtet. Diese Globuli entsprechen der Q1.
Hahnemann hat die Q-Potenzen gegen Ende seines Lebens entwickelt.
⇒ Siehe auch Hauptartikel Q-Potenzen.
Einglas- und Mehrglasmethode
Hahnemann legt für die Herstellung der Arzneien fest, dass in jedem Potenzierungsschritt ein neues, sauberes Glas zu verwenden ist. Von der geschüttelten Lösung wird also bei jedem Schritt ein Teil abgenommen und in ein neues, sauberes Glas gefüllt, mit 99 Teilen Wasser-/Ethanolgemisch aufgegossen und erneut per Hand verschüttelt. Das Herstellungsverfahren wird deshalb auch als Mehrglasmethode oder Mehrglasmethode nach Hahnemann bezeichnet.
Der russische Großgrundbesitzer Semjon Nikolajewitsch Korsakow (1788-1853)[B 2] versuchte das materialaufwändige Verfahren zu vereinfachen und entwickelte 1831 die Einglasmethode. Bei dieser wird nach jedem Potenzierungsschritt das Glas so weit geleert, dass gerade der eine Teil der Lösung, der für den nächsten gebraucht wird, darin verbleibt. Anschließend wird mit neuem Lösungsmittel aufgefüllt und erneut verschüttelt.[9]
Mit der Einglasmethode lässt sich nicht nur Material (Glasfläschchen) sparen, das Verfahren spart auch Zeit - nicht zuletzt deshalb, weil es sich maschinell umsetzen lässt. Mit Potenziermaschinen werden zum Teil extrem hohe Potenzen bis zur CK 1 000 000 (siehe „Übersicht: Ausländische Potenzbezeichungen“ weiter unten) hergestellt.
Im HAB ist die Einglasmethode nach Korsakow nicht enthalten. Entsprechend werden nach HAB hergestellte homöopathische Präparate immer mit der Mehrglasmethode nach Hahnemann hergestellt und auch von Hand verschüttelt.
Aus naturwissenschaftlicher Sicht bewirkt die Adhäsion - die Neigung einer Substanz, sich an Oberflächen anzuhaften - einen unterschiedlich schnellen realen Konzentrationsabfall des Wirkstoffes im Laufe der Potenzierungsschritte, je nachdem, ob man mit der Einglas- oder Mehrglasmethode potenziert. Einige homöopathische Wirksubstanzen haben eine starke Adhäsion - und neigen entsprechend dazu, sich an den Gefäßwänden anzusetzen.
Das bedeutet, dass mit der Einglasmethode die Verdünnung tatsächlich kleiner, die Wirkstoffkonzentration also größer ist als dies rein rechnerisch der Fall wäre. Bei der Mehrglasmethode sinkt die Konzentration des Wirkstoffes im Vergleich dazu schneller ab, so dass eine C6 real eine geringere Wirkstoffkonzentration besitzt als eine K6.
Da die Adhäsion auch von der jeweiligen Oberfläche abhängt, führen diese physikalischen Effekte letztlich dazu, dass schon bei relativ niedrigen Potenzen nicht mehr wirklich gesagt werden kann, wie groß die Konzentration der Wirkstoffmoleküle genau ist, weil die schrittweise Verdünnung stark von der Adhäsion gestört wird. Die wahre Konzentration in den homöopathischen Arzneien ist daher de facto unkalkulierbar, wobei in den wirklich hohen Potenzen sicher zu wenige Teilchen des Wirkstoffes enthalten sind, um eine pharmakologische Wirkung möglich zu machen.
Übersicht: Ausländische Potenzbezeichungen
Außerhalb von Deutschland sind mitunter andere Bezeichnungen für die Potenzen gebräuchlich.
Ausländische Potenzbezeichnung | Erklärung[10] |
TM | Urtinktur (tincture mère) |
X | D-Potenz vom lateinischen Zahlzeichen X für 10; 3X entspricht der D3 |
K oder CK | C-Potenz, hergestellt mit der Einglasmethode nach Korsakow |
M | C1000 nach dem lateinischen Zahlzeichen M für 1000 (mille) |
XM, auch 10M | C10 000 |
CM | C100 000 |
Übersicht: Typische Verdünnungsgrade
Der Abfall der Wirkstoffkonzentration erfolgt beim stufenweisen Verdünnen, wie es beim Potenzieren erfolgt, exponentiell und damit sehr schnell. Die Wirkstoffmoleküle werden entsprechend schneller aus der Lösung entfernt als man das intuitiv erwarten würde.
C-Potenz | D-Potenz | Verdünnung | Beispiel |
C2 | D4 | 1:10 000 | Bereich der Niedrigpotenzen. In diesen niedrigen Verdünnungen wirken die Mittel pharmakologisch (chemisch). Bis zur D4-Verdünnung sind viele Homöopathika deshalb zulassungspflichtig, weil die enthaltenen Inhaltsstoffe im ungünstigen Fall toxisch oder allergen sein können. |
C4 | D8 | 1:100 000 000 | Diese Verdünnung erhält man ungefähr, wenn man 1 Gramm eines Wirkstoffes in der Wassermenge auflöst, die in einen vierachsigen Kesselwagen der Eisenbahn passt.[11] Entspricht dem gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwert von Arsen im Trinkwasser (0,01 mg/l[12]), weil in dieser Verdünnung auch bei langfristiger Einnahme keine Wirkungen auftreten. |
C12 | D24 | 1:1 000 000 000 000 000 000 000 000 | Diese Verdünnung erhält man ungefähr, wenn man 1 Gramm eines Wirkstoffes in der Wassermenge auflöst, die im Pazifischen und Indischen Ozean zusammen enthalten sind.[13] Ab dieser Verdünnung ist in einem ganzen 10g Fläschchen Globuli durchschnittlich kein Wirkstoffteilchen mehr enthalten. Da nun kein Wirkstoff mehr enthalten ist, kann die Lösung im naturwissenschaftlichen Sinne nicht weiter verdünnt werden. Es wird ab hier lediglich Lösungsmittel gegen Lösungsmittel ausgetauscht. |
C30 | D60 | 1:1 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 | Oft verwendete Potenz Ein Globulus, das in dieser Konzentration 1 Wirkstoffmolekül enthalten würde, müsste einen Durchmesser haben, der dem mittleren Abstand Erde - Sonne entspricht. Nur in jedem 1 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000sten Fläschchen findet sich durchschnittlich ein Teilchen der Urtinktur. |
C200 | D400 | 1:10400 (also eine 1 gefolgt von 400 Nullen) |
Oft verwendete Potenz Eine Verdünnung, die einem Teilchen Wirkstoff auf die Stoffmenge eines Vielfachen des beobachtbaren Universums entspräche. |
Das Potenzieren aus naturwissenschaftlicher Sicht
Kernaussagen unvereinbar mit physikalischen Erkenntnissen
Hahnemanns Vorstellungen zum Potenzieren entstammen dem Naturverständnis seiner Zeit und sind heute vom naturwissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt der 200 dazwischenliegenden Jahre überholt.
Der von mystischem Seelenverständnis geprägte Lebenskraftbegriff animistischer Vorstellungen ist heute in der Biologie durch systemtheoretische Modelle ersetzt, die den Menschen keineswegs auf seine chemischen Funktionen reduzieren,[14] in denen die Wechselbeziehung zwischen psychologischen und physischen Vorgängen im Körper aber entmystifiziert ist. Dem Krankheitsbild der Homöopathie ist damit die Grundlage entzogen.
Auch die Vorstellung, dass Stoffe eine Art inneres, verborgenes Wesen besitzen, das man durch Schütteln aktivieren, von diesen Ausgangsstoffen lösen und an andere Trägerstoffe binden kann, steht vor dem Hintergrund unseres heutigen Wissens über die atomare Struktur chemischer Stoffe und den physikalischen, experimentell gut gesicherten Erkenntnissen über die Eigenschaften der atomaren Welt ohne rationale Grundlage da. In der Zeit, in der Physik und Chemie das Verständnis erarbeiteten, was chemische Elemente eigentlich sind und was sie unterscheidet, was Molekülbindungen verursacht und wie die chemischen Eigenschaften eines Stoffes über die elektromagnetischen Wechselwirkungen der Atomhüllen zu erklären sind - in all dieser Zeit hat sich nirgends auch nur der kleinste Hinweis auf verborgene oder durch die Zuführung schwacher kinetischer Energie aktivierbare Eigenschaften der Stoffe, wie Hahnemann sie postuliert, ergeben.
Zentrale Punkte des Potenzierens sind aus naturwissenschaftlicher Sicht deshalb höchst unplausibel. Das sind vor allem die Aussagen:
1. Potenzieren bewirkt eine Verstärkung der Heilwirkung, auch dann, wenn die Wirkstoffkonzentration abnimmt und bei der Avogadrogrenze schließlich ganz verschwindet. Vertreten zum Beispiel vom DZVhÄ auf seiner Webseite:[1]
Die Potenzierung ist (...) die zunehmende Verstärkung der Heilkraft in einer zur Arznei werdenden Substanz.
2. Schrittweise Verdünnung mit Verschüttelung liefert ein anderes Ergebnis als Verdünnung allein. Vertreten zum Beispiel vom DZVhÄ auf seiner Webseite:[1]
Eine alleinige Verdünnung der Materie ohne die Zwischenschritte der Verschüttelung bewirkt diese Arzneikraftentfaltung nicht.
Es ist kein Modell bekannt, das gesichertes Wissen und diese grundlegenden Vorstellungen der Potenzierung in Einklang bringen könnte. Mehr noch: Es haben sich aus dem wachsenden Verständnis der Physik über die atomare Welt Erkenntnisse ergeben, die mit verschiedenen Kernaussagen der Potenzierung nicht vereinbar sind. Eine Kernerkenntnis der Atomphysik ist, dass gleichartige Atome identisch sind.[15] Diese Gleichartigkeit bedeutet, dass man Atome oder Moleküle derselben Sorte nicht unterscheiden kann; dass es vollkommen unmöglich ist, einem Atom oder einem Molekül seine Herkunft anzusehen und dass es keine Möglichkeit gibt, durch Experimente herauszufinden, an welchen Orten das Atom oder Molekül gewesen ist, bevor es im Experiment gelandet ist.
Diese aus der Atomphysik stammende Erkenntnis der Ununterscheidbarkeit identischer Atome und Moleküle ist experimentell bestens bestätigt. Sie ist aber außerdem eine wichtige Grundlage der statistischen Physik: die Ununterscheidbarkeit ist ein ganz wesentlicher Punkt bei der Zählung der Zustände eines Systems und steckt deshalb in der ebenfalls umfangreich empirisch bestätigten mikroskopischen Formulierung der Thermodynamik nach Boltzmann.
Ein kausales Fortwirken ehemals gelöster Substanzen in einer geschüttelten Flüssigkeit steht im Widerspruch zu dieser in der Physik sehr fundamentalen Ununterscheidbarkeit der Teilchen eines Gases oder einer Flüssigkeit. Denn ein solches Fortwirken würde die Teilchen des Lösungsmittels unterscheidbar machen von ansonsten identischen Lösungsmittelmolekülen, die nicht an der Potenzierung beteiligt waren. Es gäbe dann Lösungsmittelteilchen, die dem Einfluss bestimmter Stoffe unterliegen - und solche, die es nicht tun - und damit mindestens einen weiteren Freiheitsgrad der Teilchen. Solche unbekannten Freiheitsgrade oder verborgenen Zustände der Teilchen kennt die Physik nicht.
Beide obigen Aussagen über das Potenzieren widersprechen daher der Physik. Unser tagtäglich erfolgreich angewendetes Wissen aus Atomphysik, Quantenphysik und Thermodynamik wäre dann falsch oder fundamental unvollständig, wenn sich obige Sätze über die Potenzierung als zutreffend erweisen würden.[16]
Allerdings hat man in der Natur nirgends auch nur ansatzweise Effekte beobachtet, die als Hinweis gelten könnten, dass das Schütteln von Flüssigkeiten den Effekt hat, dass einzelne Stoffe darin - auch nachdem sie entfernt wurden - durch Verdünnung noch in der Flüssigkeit weiterwirken, in welcher Weise auch immer. Ein sauberer Nachweis, dass homöopathische Arzneimittel Effekte über Placebo hinaus haben, steht auch nach 200 Jahren noch immer aus.[17][18]Die Beobachtungen geben hier also keinen Hinweis darauf, dass die Physik fundamental falsch ist und geändert werden muss, sondern sind kompatibel mit der theoretischen Erwartung, dass Potenzieren nichts anderes ist als das stufenweise Verdünnen. Die Unzulänglichkeit der Physik bezüglich der Vorgänge beim Verschütteln und Verdünnen von Flüssigkeiten ist deshalb reine Spekulation.
Entsprechend haben sich verschiedene Naturwissenschaftler mehrfach kritisch über die Plausibilität des Potenzierens und der Homöopathie selbst geäußert.[19]
So schreibt beispielsweise Professor David Colquhoun, Pharmakologe am University College in London (UCL),
Würde Homöopathie funktionieren, die ganze Chemie und Physik wäre über den Haufen geworfen.[B 3]
Jayne Lawrence, Professorin für Biophysikalische Pharmakologie am Londoner King's College, äußert sich ähnlich:
Ich denke, es wäre wahrscheinlich sehr revolutionär, wenn sich Homöopathie als richtig herausstellen würde, denn sie widerspricht einer Menge fundamentaler wissenschaftlicher Erkenntnisse, so wie sie sich heute darstellen.[B 4]
Keine Reinstoffe und Einzelmittel möglich
Zumindest bei den mineralischen Ausgangsstoffen ging Hahnemann von Reinstoffen als Ausgangspunkt seiner Potenzierung aus. Doch auch diese Stoffe liegen in der Natur nicht in Reinform vor, sondern immer gemischt mit verschiedenen Verunreinigungen. Und auch im Lösungsmittel sind in veränderlicher Zusammensetzung Verunreinigungen enthalten. Auf welche Weise gewährleistet sein soll, dass die Eigenschaften dieser Stoffe sich beim Potenzieren nicht entfalten und verstärken, wird innerhalb der Homöopathie nicht diskutiert. Dabei übersteigt die Konzentration dieser Stoffe bereits nach wenigen Schritten die Konzentration der Moleküle aus der Urtinktur. Dennoch soll die geschüttelte Lösung irgendwie wissen, welche Eigenschaften welchen Stoffes das die ganze Lösung in gleicher Weise betreffende Schütteln beeinflussen soll.
Mehr noch: Die geschüttelte Lösung soll sogar wissen, wann es dem Homöopathen beim Schütteln eben doch ausschließlich auf die Verunreinigungen des Ausgangsstoffes ankommt. Denn es werden auch Homöopathika unterschiedliche Wirkungen zugesprochen, deren Ausgangsstoffe sich allein durch ihre Verunreinigungen unterscheiden, zum Beispiel:[20]
- Wasser des Ganges (aus Varanasi)
- Wasser des Ganges (aus Gaumuk)
- Wasser aus Gettysburg
- Wasser aus dem Toten Meer
- Wasser aus einer Quelle der schottischen Highlands
- Wasser aus Tirol
In der Natur existieren nur Stoffgemische. Viele der in der Homöopathie verwendeten Arzneimittel sind pflanzlichen oder tierischen Ursprungs und haben damit wie jedes Naturprodukt ohnehin wechselnde chemische Zusammensetzungen. Nicht „Arnica“ ist die Ausgangsbasis der Potenzierung, sondern ein in einem Wasser-/Ethanolgemisch gelöster Pflanzenpresssaft, in dem die chemischen Bestandteile der Pflanze längst aufgebrochen sind. Es gibt weder das „Arnicamolekül“ noch das „Belladonnamolekül“ oder irgendein anderes bestimmtes Molekül, das diesen einen Pflanzenpresssaft von allen anderen unterscheidet. Vielmehr enthalten Pflanzen in wechselnder Zusammensetzung verschiedenste Alkaloide, Anthranoide, ätherische Öle, Bitterstoffe, Flavonoide, Gerbstoffe, Herzglykoside, Saponine und Schleimstoffe.[21] Bei Apis mellifica (Honigbiene) wird als Ausgangsprodukt das ganze Tier mit allen seinen Bestandteilen verarbeitet. Und da bei Mitteln wie Urini Leopardus pardalis[22] (Urin des Ozelots) die Zusammensetzung des Ausgangsstoffes empfindlich davon abhängt, was das Tier zuletzt gegessen hat, ist es bei solchen Präparaten in weiten Teilen variabel, welche chemischen Stoffe in der Urtinktur enthalten sind.
Selbst wenn man spekuliert, dass das Schütteln verborgene Kräfte in den Bestandteilen einer Lösung freisetzen könnte, so bleibt die Frage offen, woher die Lösung weiß, welche Eigenschaften durch das Schütteln zu verstärken sind. Dadurch, dass sich zu Beginn in der Urtinktur so verschiedenartige Substanzen mischen, sind diese keineswegs die häufigsten Substanzen. Wasser und Ethanol sind die Hauptbestandteile und diese haben mit keinem Stoff so viel Kontakt wie mit dem Glas des Fläschchens, das zum Potenzieren verwendet wird. Zu keinem Zeitpunkt wird bei pflanzlichen oder tierischen Ausgangsstoffen ein Einzelmittel verarbeitet.
Beim Potenzieren verschwinden mit jedem Potenzierungsschritt mehr und mehr der im Lösungsmittel schwimmenden Stoffe und werden durch neu nachgegossenes Lösungsmittel (und die darin enthaltenen Verunreinigungen) ersetzt. Dadurch verändert sich beim Verdünnen auch das Verhältnis der Inhaltsstoffe, da diese durch unterschiedliche Adhäsion verschieden gut an den Glaswänden haften. Sicher ist aber, dass in der Nähe der Avogadrogrenze, wenn nur noch wenige Moleküle überhaupt in der Lösung enthalten sind, vom ursprünglichen Verhältnis nichts mehr vorhanden ist. Von daher ist die Frage, ob denn einzelne übrig gebliebene Moleküle des Ausgangsstoffes noch im fertigen Arzneimittel enthalten sein könnten, vollkommen irrelevant, da sie nicht mehr repräsentativ für den verarbeiteten Ausgangsstoff sind.
Nicht einmal immer Moleküle in der Urtinktur
Es gibt eine ganze Reihe homöopathischer Präparate am Markt, bei denen selbst in der Urtinktur kein Wirkstoff enthalten ist. Zu diesem Mitteln gehören zum Beispiel:[23][24]
- magnetischer Nordpol
- magnetischer Südpol
- Positronium
- Ultraschall
- Regenbogen
- Mondstrahlen
- Sonnenstrahlen
- Feuer
- Elektrizität
- Elektrosmog
- Licht des Polarsterns
- Milchstraße
- Röntgenstrahlen
- Laserlicht
- UV-Licht
- Mikrowellenstrahlung (750 MHz)
Diese Mittel lassen sich mit dem der Potenzierung zugrunde liegendem §269 des Organons[3] nicht in Einklang bringen:
Diese merkwürdige Veränderung in den Eigenschaften der Natur-Körper, durch mechanische Einwirkung auf ihre kleinsten Theile, durch Reiben und Schütteln (während sie mittels Zwischentritts einer indifferenten Substanz, trockner oder flüssiger Art, von einander getrennt sind) entwickelt die latenten, vorher unmerklich, wie schlafend (…) in ihnen verborgen gewesenen, dynamischen (...) Kräfte
Ist selbst im Ausgangsstoff kein materieller Wirkstoff enthalten, so wirkt der Homöopath bei der Potenzierung auch nicht mechanisch durch Reiben und Schütteln auf die kleinsten Teile des Natur-Körpers ein. Diese Homöopathika stellen insofern einen inneren Widerspruch der Homöopathie dar, da hier das geistartige Wesen „der Arznei“ bereits auf immaterielle Weise in die Urtinktur gelangt sein soll, ohne dass geschüttelt worden ist, während Hahnemann gerade das mechanische Einwirken für die Entstehung der geistartigen Kräfte verantwortlich macht.
Ab der C12/D24 nur noch Verschütteln von Lösungsmittel
Da die Anzahl der Wirkstoffteilchen in der Lösung bei D-Potenzen bei jedem Potenzierungsschritt um den Faktor zehn abnimmt und die Zahl der Teilchen pro mol N ≈ 6,022 × 1023 beträgt, verschwinden rein rechnerisch die letzten Wirkstoffteilchen bei D-Potenzen um den 24. bis 25. Potenzierungsschritt aus der Lösung. Bei den C-Potenzen geschieht das noch schneller, nämlich schon beim 12. bis 13. Potenzierungsschritt.[B 5]
Danach wird nur noch Lösungsmittel mit Lösungsmittel verschüttelt.
Grundsätzlich kann Schütteln auf vielfältige Weise eine Flüssigkeit verändern. Die Flüssigkeit kommt beim Schütteln mit der Luft in Berührung und wird entsprechend mit den in der Raumluft enthaltenen Gasen und Verunreinigungen angereichert. Der Flüssigkeit wird über die Bewegung (kinetische) Energie zugeführt, was sie minimal wärmer macht. Die Flüssigkeit kommt intensiv mit den Glaswänden in Kontakt, daher können sich Teilchen wie zum Beispiel Silikate in der Flüssigkeit lösen. Es können auch Verunreinigungen von der Glaswand (die unvermeidlich sind, egal wie sehr man das Glas putzt) in die Flüssigkeit übergehen. Und umgekehrt können sich Verunreinigungen aus der Flüssigkeit über Adhäsion an der Glaswand anhaften. Es können sich winzige Bläschen bilden und Verunreinigungen können zusammenklumpen.
Alle diese Einwirkungen des Schüttelns auf das Gemisch sind aber sehr unspezifisch. Keine dieser Einwirkungen betrifft nur einen in der Lösung enthaltenen Stoff. Außerdem ist weder die Zusammensetzung der Luft immer dieselbe, noch sind es die Verunreinigungen des Glases. Weder haften immer exakt gleich viele Teilchen an der Glaswand, noch erfolgen - gerade beim Verschütteln mit der Hand - die Schäge immer exakt gleich. Eine präzise Anregung verborgener Zustände ist über einen solch unpräzisen Vorgang nicht plausibel möglich; eine Verstärkung bestimmter Eigenschaften eines aus der Lösung zunehmend herausverdünnten Stoffes ebenfalls nicht.
Spätestens dann, wenn nur noch Lösungsmittel mit Lösungsmittel verschüttelt wird, passieren alle diese Vorgänge beim Potenzieren völlig gleich, egal mit welchem Mittel man angefangen hat.
Außerdem widerspricht das Potenzieren über die Avogadrogrenze hinaus Hahnemanns Vorstellung in §269, beim Verschütteln die „Veränderung in den Eigenschaften der Natur-Körper durch mechanische Einwirkung auf ihre kleinsten Theile“ herbeizuführen. Auf dem ganzen langen Weg z.B. von einer C30 zu einer C200 wirkt der ganze mechanische Aufwand in keiner Weise mehr mechanisch auf die kleinsten Teile des Wirkstoffes ein.
Der italienische Physiker Amedeo Avogadro entdeckte 1811, dass die Zahl der Teilchen in einer bestimmten Menge eines Stoffes konstant ist. Aber erst 1865, zwei Jahrzehnte nach Hahnemanns Tod, konnte Josef Loschmidt eine gute Abschätzung der Größenordnung dieser Zahl vorlegen.[25] Hahnemann war bei der Entwicklung seiner Potenzierung also nicht bewusst, dass seine Dilutionen ab einem bestimmten Schritt keine Teilchen des Ausgangsstoffes mehr enthielten und er somit auch nicht mehr mechanisch auf sie einwirkte.
Auch bei langer Potenzierung kein Anstieg der Schüttelschläge
Die Avogadrogrenze bedeutet für das Potenzieren aber nicht nur das Problem, dass der Wirkstoff aus der Lösung verschwindet. Die Avogadrogrenze wirkt sich in derselben Weise auch auf das ständig ausgetauschte Lösungsmittel aus:
Auch in einem Liter Lösungsmittel sind nur endlich viele Teilchen, rund 1025 bis 1026 Moleküle. Wenn bei jedem Potenzierungsschritt 90% davon weggegossen werden (bei den D-Potenzen) oder sogar 99% (bei den C-Potenzen), dann hat bei jedem Potenzierungsschritt die überwältigende Mehrheit der Lösungsmittelmoleküle noch gar keine Schüttelschläge mitgemacht. Auch hier verschwinden nach 26 Schritten (D-Potenzen) bzw. 13 Schritten (C-Potenzen) die Teilchen aus der Lösung, die die meisten Schüttelschläge mitgemacht haben. Nicht nur der Wirkstoff verschwindet in dieser Zahl der Potenzierungsschritte, sondern auch das Lösungsmittel wird in diesem Rhythmus vollständig gewechselt.
Norbert Aust beschreibt die Folge für die Anzahl der Schüttelschläge, die das Lösungsmittel bei einem noch so langen Potenzierungsvorgang maximal abbekommt am Beispiel der D-Potenzen sehr anschaulich:
Im ersten Potenzierungsschritt ist das gesamte Wasser zehn Mal geschüttelt worden, alle Moleküle des Wassers haben im Durchschnitt 10 Schüttelschläge erhalten.
Nach dem darauf folgenden Potenzierungsschritt hat das frisch zugeführte Wasser, das neun Zehntel des jetzt im Prozess befindlichen Wassers bildet, zehn Verschüttelungsschläge erhalten, der Rest des Wassers, der noch aus der zuerst enthaltenen Wassermenge stammt, deren 20. Das ergibt einen Durchschnitt von:
9/10*10 + 1/10*20 = 11
Nach dem nächsten Potentierungsschritt hat das frisch zugeführte Wasser zehn Schläge, das aus dem vorigen Schritt 20 und das anfänglich vorhandene Wasser 30 Schläge abbekommen. Da die Menge des Wassers aus den früheren Potenzierungsschritten jeweils um neun Zehntel kleiner geworden ist, ergibt sich folgende Rechnung für den Durchschnitt:
9/10*10 + 9/100*20 + 1/100*30 = 11,1
Der nächste Potenzierungsschritt bringt uns zu einem Durchschnitt von 11,11, dann 11,111 und so weiter. Jeder weitere Potenzierungsschritt fügt dem Durchschnittswert eine weitere 1 als zusätzliche Stelle nach dem Komma hinzu. Das geht so weiter, solange noch Moleküle aus der ursprünglichen Wassermenge vorhanden sind. Wenn diese im 26. Schritt verschwunden sind, tragen sie auch nichts mehr zum Durchschnitt bei und dieser hat seinen endgültigen Wert erreicht, der durch eine 11 mit 25 Einsen als Nachkommastellen dargestellt wird.[26]
Während also der Hersteller des Homöopathikums für die Hochpotenzen tatsächlich mehr Arbeit verrichten muss, bleibt die Anzahl der dem Lösungsmittel zugeführten mechanischen Schläge tatsächlich konstant. Auch dieser Umstand kann Hahnemann in Unkenntnis der molekularen Vorgänge im Lösungsmittel nicht bekannt gewesen sein. Trotzdem zeigt gerade diese Rechnung, dass es sich bei der ausgedehnten Wechselfolge von Verdünnung und Verschüttelung um ein rituelles Vorgehen handelt, nicht um ein Verfahren, dessen zunehmende Dauer und Arbeitmenge auch zunehmende Effekte auf das verarbeitete Produkt haben kann.
Zusammenfassung
Grundlegende homöopathische Aussagen über das Potenzieren stehen vollkommen isoliert vom heute sehr gut ineinander verwobenen Erkenntnisgebäude der Naturwissenschaften. Beim Verschütteln und stufenweisen Verdünnen vergehen aus übereinstimmender Sicht der Physik und der Chemie alle stofflichen spezifischen Eigenschaften in derselben Weise, als hätte man in einem Schritt und gänzlich ohne Schütteln verdünnt. Das Schütteln bewirkt lediglich unspezifische Verunreinigungs- oder Erwärmungseffekte. Das gilt bereits für niedrige Potenzen. Weder gibt es irgendwelche Hinweise auf die von Hahnemann vermuteten verborgenen Kräfte, noch legt die Homöopathie auch nur ansatzweise eine Erklärung vor, woher das zu Beginn vorliegende Stoffgemisch wissen soll, welche Eigenschaften verstärkt werden sollen und welche nicht. Zudem ist das Verfahren nicht frei von inneren Widersprüchen und Logikfehlern, die aber innerhalb der Homöopathie nicht kritisch diskutiert werden.
Die sich im Alltag bewährende Physik zur Beschreibung sehr grundlegender Vorgänge wäre in weitreichenden Aussagen falsch oder grob unvollständig, würden beim stufenweisen Verdünnen und Schütteln tatsächlich geheime spezifische Kräfte aufgeschlossen.[27] Ein Unterschied zu Placebos konnte aber bei homöopathischen Hochpotenzen nie sauber und reproduzierbar nachgewiesen werden, was somit der theoretischen Vorhersage der Naturwissenschaften aufgrund der Unplausibilität des Potenzierens entspricht, so dass sich hier ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Die Existenz komplett unbekannter und unbelegter physikalischer Kräfte aufgrund eines unbelegten Phänomens (homöopathische Arzneimittelwirkung über Placebowirkung hinaus in Hochpotenzen)[17][28] einzufordern, ist rein spekulativ und wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen.
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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