Homöopedia Informationen zur Homöopathie |
Homotoxikologie
Die Homotoxikologie gehört zu den Varianten der Homöopathie. Mitunter findet sich auch die Bezeichnung Homotoxinlehre.
Sie stammt von dem Arzt und Homöopath Hans-Heinrich Reckeweg, der ab den 1950ern in Zeitschriften und Büchern Texte zu seiner neuen Lehre veröffentlichte. Er verstand seine Thesen als Weiterentwicklung der Homöopathie.
Reckeweg ging davon aus, dass alles, was die Medizin als Krankheit kennt, in Wahrheit Reaktionen des Körpers auf ständig auf ihn einwirkende Giftstoffe sind. Der Körper kämpft im Bild der Homotoxikologie gegen diese Gifte an und möchte sie ausscheiden. Akute Krankheiten werden als erfolgreiche Ausscheidungsphasen gedeutet, chronische Krankheiten sollen entstehen, wenn das Entgiften nach und nach nicht mehr vollständig gelingt, sich Giftstoffe in den Zellen ablagern und diese letztlich irreversibel schädigen.[1]
Die Homotoxikologie gibt vor, wissenschaftlich untermauert zu sein.[2] Die Grundvorstellungen widersprechen jedoch dem bestätigten Wissen über Entstehung und Verbreitung von Krankheiten.[3] Für die zahlreichen therapeutischen Empfehlungen gibt es keine ausreichende Datengrundlage.[3][4][5]
Bekannte Arzneimittel der Homotoxikologie sind beispielsweise Traumeel, Galium-Heel N, Vertigoheel, Echinacea compositum SN und Lymphomyosot.
Inhaltsverzeichnis
Krankheit im Bild der Homotoxikologie
Die Krankheitsursache in der Homotoxikologie
Reckeweg bezeichnet die von ihm formulierte Homotoxikologie als „Ganzheitsschau einer Synthese der Medizin“. Einerseits werden homöopathisch potenzierte Präparate eingesetzt, andererseits werden diese nicht individuell, sondern indikationsbezogen verordnet.[2]
Er zeichnet mit dieser Lehre ein Bild, in dem alle Erkrankungen Abwehrmaßnahmen gegen Gifte sind, bzw. Versuche des Körpers, trotz der Vergiftung über geeignete Regulationsmaßnahmen zu überleben.[6] Krankheiten sind in diesem Bild also notwendige bzw. für den Körper langfristig nützliche Abwehrmechanismen.
Die Biologische Heilmittel Heel GmbH beschreibt dies in ihrer Broschüre Homotoxikologie – Grundlagen für die therapeutische Praxis folgendermaßen:
Nach der Homotoxinlehre sind alle jene Vorgänge, Zustandsbilder und Erscheinungen, die wir als Krankheiten bezeichnen, der Ausdruck dessen, dass der Körper mit Giften kämpft und dass er diese Gifte unschädlich machen und ausscheiden will. Entweder gewinnt dabei der Körper oder er verliert den Kampf. Stets aber handelt es sich bei jenen Vorgängen, die wir als Krankheiten bezeichnen, um biologische, d.h. naturgerechte Zweckmäßigkeitsvorgänge, die der Giftabwehr und Entgiftung dienen.[1]
Reckeweg sprach deshalb nicht von Krankheit, sondern von Homotoxikose. Gesund sei ein Organismus nur dann, wenn er völlig frei von Giften und Giftschädigungen ist.[6] Alle auf den Körper einwirkenden Gifte nannte Reckeweg Homotoxine.[6] Zu diesen den Körper vergiftenden Substanzen zählte Reckeweg nahezu alles, womit der Körper in Berührung kommt:[1]
- Staub
- Rauch
- Verschiedene Metalle
- Holzschutzmittel
- Lebensmittelzusatzstoffe
- Schimmelpilze
- Körpereigene Stoffe wie bestimmte Hormone (Adrenalin, Östrogen, …), Harnsäure
- Verschiedene Medikamente
- u. v. m.
Wissenschaftliche Einschätzung
Diese Annahmen sehen die Krankheitsentstehung unrealistisch monokausal und basieren nicht auf dem wissenschaftlich-medizinischen Wissen über die biochemischen Vorgänge in unserem Körper. Sie haben auch keinen Bezug zu anerkannten, belegten und akzeptierten Prinzipien der Toxikologie.[3] Die Toxikologie beschäftigt sich mit nachweisbaren Giftwirkungen im Körper und ist interdisziplinär mit der Pharmakologie und der Biochemie verwoben. Dagegen steht die Basis der Homotoxikologie, alle Krankheiten würden auf der Reaktion des Körpers auf bestimmte Schadstoffe beruhen, im Widerspruch zu vielen medizinischen und biochemischen Erkenntnissen. Dazu zählen genetische Ursachen für bestimmte Erkrankungen, die Übertragung anderer Krankheiten durch Keime und das Fehlen eines Nachweises systematischer Veränderungen im Zellstoffwechsel, wie die Homotoxikologie sie beschreibt.
Obwohl Reckeweg nachgesagt wird, sein Modell durch umfangreiche Forschungstätigkeit untermauert zu haben, finden sich keine relevanten Arbeiten von ihm in den wissenschaftlichen Fachjournalen. Die später von ihm gegründete Firma Heel beschreibt in ihren Broschüren zumindest einige später durchgeführte Studien. Diese wurden aber meist ohne Kontrollgruppen durchgeführt und sind somit nur wenig aussagekräftig.[5][B 1][B 2]
Die Dynamik der Krankheit in der Homotoxinlehre
In einer Krankheitsevolutionstabelle beschrieb Reckeweg seine Vorstellungen über eine Krankheitsentwicklung als Folge zunehmender Vergiftungserscheinungen in sechs Phasen, von leichten Beschwerden bis hin zu schweren Pathologien, meist Krebs.[6] Mitunter wird diese Tabelle in der Literatur deshalb auch als Sechs-Phasen-Tabelle bezeichnet.[1]
Die Homotoxikologie unterscheidet die folgenden „Phasen des Vergiftungszustandes“ des Körpers:
- Exkretionsphase: Beschreibt die „normale Reaktion“ des Körpers; Gifte werden einfach und unproblematisch regelmäßig ausgeleitet.
- Inflammationsphase: Es kommt zu Entzündungen, die als stresshaft gesteigerte Reaktion des Körpers auf die Gifte verstanden werden.
- Depositionsphase: Diese Reaktionen des Körpers sollen die beginnende Einlagerung der Gifte in den Körper anzeigen, in dieser Phase noch „extrazellulär“, also außerhalb der Zellen.[B 3]
- Imprägnationsphase: Ab dieser Phase handelt es sich bei den mutmaßlichen Reaktionen des Körpers um chronische Erkrankungen. Dies wird damit begründet, dass die Einlagerung der Stoffe in die Zellen nun endgültig sei.
- Degenerationsphase: Die Homotoxikologie spricht hier von dauerhaften Schädigungen des Körpers durch die eingelagerten Gifte.
- Dedifferenzierungsphase: In der schwersten und letzten Phase führen die Giftstoffe zu bösartigen Veränderungen im Gewebe.
Zwischen der dritten und vierten Phase sieht die Homotoxikologie den „biologischen Schnitt“. Er soll die Grenze sein, bis zu der die Giftstoffe noch vollständig aus dem Körper entfernt werden und es nicht zu dauerhaften Einlagerungen im Gewebe kommt. Entsprechend seien Beschwerden in Phasen jenseits des biologischen Schnittes nicht mehr vollständig reversibel.[1][7] In der homotoxikologischen Literatur findet man bisweilen auch die beiden Bezeichnungen „links des biologischen Schnittes“ für Beschwerden, die in den ersten drei Phasen der Krankheitsevolutionstabelle gelistet sind, und „rechts des biologischen Schnittes“ für Erkrankungen aus den drei letzten Phasen.
Die Homotoxikologie setzt ihre Präparate in allen Phasen der Krankheitsevolutionstabelle ein.
Organ | Exkretionsphase | Inflammationsphase | Depositionsphase | Imprägnationsphase | Degenerationsphase | Dedifferenzierungsphase |
Haut | Schwitzen | Hautunreinheiten, Akne | Nävi,[B 4] Leberflecke, Ekzeme, Warzen | Neurodermitis, Analfissuren, | Krätze, Hautatrophie (Gewebeschwund) | Hautkrebs |
HNO | erhöhte Tränensekretion | Mittelohrentzündungen, Bindehautentzündung | Nasenpolyp, Tubenkatarrh | Heuschnupfen, chronische Nasennebenhöhlenentzündung | Makuladegeneration, Otosklerose, Karies, Parodontose | Zungenkarzinom, Larynxkarzinom, Nasopharynxkarzinom, Trachealkarzinom |
Darm | Durchfall | Entzündung der Darmschleimhaut | Verstopfung | Colitis ulcerosa (chronische Darmentzündung) | Divertikel im Darm (Divertikulose) | Darmkrebs |
Tabelle 1: Ausschnitt aus typischen Krankheitsevolutionstabellen.[1][7][8] Vollständige Tabellen sind deutlich länger und umfassen nahezu alle Organe.
Die Bezeichnung „HNO“ wurde aus der Originalliteratur[1] übernommen. Aus medizinischer Sicht können jedoch nicht alle aufgeführten Beschwerden unter die Kategorie „HNO“ subsummiert werden, sondern stellen eigentlich Atemwegserkrankungen oder Erkrankungen der Augen dar.
Die Krankheitsevolutionstabelle wird in der Homotoxikologie nicht nur benutzt, um den Schweregrad von Vergiftung und Körperreaktion einzuordnen, sie dient auch als Grundlage zur Bestimmung der nach der Lehre indizierten antihomotoxischen Präparate. Nicht zuletzt dient sie auch der Prognose der Entwicklung der Beschwerden.[8] Verschieben sich die Beschwerden eines Patienten von einer Phase in eine andere, wird dies Vikariation genannt.[1] Dabei müssen nicht alle Phasen sichtbar durchlaufen werden. Es können auch völlig beschwerdefreie Jahre zwischen dem Auftreten bestimmter Krankheitsbilder liegen. Diese werden trotzdem als Folge sich schleichend eingelagerter Gifte interpretiert, mitunter auch als Folge einer falschen Behandlung der Beschwerdebilder in den ersten drei Spalten der Tabelle. Nach Reckewegs Lehre bedeutet eine medizinische Behandlung eine Unterdrückung der Symptome und führt damit zur Verhinderung der Ausleitung der Gifte. Die Folge sei unweigerlich die Entstehung von weiteren Erkrankungen, die letztlich durch diese ärztlichen Maßnahmen verursacht seien. Die International Academy for Homotoxicology (IAH) schreibt hierzu beispielsweise:
Wenn wir eine Entzündung unterdrücken, dieser Entzündungsprozess jedoch Homotoxine und deren negative Einflüsse auf die Gewebe beseitigen sollte, haben wir einen Reinigungsprozess gestoppt und die Auswirkungen der Vergiftung bleiben bestehen. Indem die durch einen Entzündungsprozess bewirkte Reinigung blockiert wird, ergreift man eine Maßnahme gegen das Leben, da die Homotoxine bestehen bleiben und langfristig zu einer tieferen Vergiftung führen…[8]
Wissenschaftliche Einschätzung
Die Anordnung der verschiedenen Beschwerdebilder und Krankheiten in der Krankheitsevolutionstabelle sowie die postulierte Entwicklung der jeweiligen Krankheiten aus den Beschwerden der vorhergehenden Phasen entbehrt jedweder wissenschaftlichen Grundlage.[3][B 5] Zwar können sich einzelne der Einträge tatsächlich auseinander entwickeln, doch trifft das in keiner Weise in dieser Allgemeingültigkeit zu, wie sie hier postuliert wird.[B 6] Es gibt auch keine wissenschaftlichen Belege, die dies nahelegen würden. Kritiker bezeichnen die Tabelle deshalb als …
… eine bedeutungslose Tabelle mit Krankheiten in willkürlicher Anordnung, entkoppelt von anatomischem und physiologischem Wissen.[B 7][9]
Wegen des Fehlens der Belege für das Krankheitsverständnis in der Homotoxikologie ist es problematisch, dass viele medizinisch sinnvolle Maßnahmen wie fiebersenkende oder entzündungshemmende Mittel grundsätzlich als „Unterdrückung“ der Reaktionen des Körpers abgelehnt werden. Während die Homotoxikologie im Einsatz fiebersenkender Mittel immer die völlig unbelegte Gefahr sieht, dass der Körper sonst Giftstoffe (die aus medizinischer Sicht überhaupt nicht für die jeweilige Erkrankung relevant sind) irreversibel in seine Zellen einlagert, besteht tatsächlich beim Einsatz fiebersenkender Mittel lediglich die Gefahr einer Schwächung des Immunsystems bei der Abwehr von aktuell eingedrungenen Keimen: Die erhöhte Körpertemperatur liegen oberhalb des Temperaturoptimums der Erreger, so dass der Körper bei der „Angriffsarbeit“ gegen die Keime in Vorteil kommt. Eine Senkung der Temperatur lindert zwar die Beschwerden, aber um den Preis der Immunschwächung. Die Ausnahme von dieser Regel ergibt sich, wenn die Temperatur so hoch steigt, dass körpereigene Proteine zerstört werden. Dann muss die Temperatur gesenkt werden – alles andere wäre tödlich. Entsprechend handelt die wissenschaftliche Medizin situationsabhängig: Leichtes Fieber wird nicht behandelt (es sei denn als nicht zu vermeidende Nebenwirkung eines Schmerzmittels, das notwendig ist) und hohes Fieber wird gesenkt, wenn der Vorteil des Fiebers (schnellere Genesung) sich in sein Gegenteil zu verkehren droht (Tod durch Überhitzung).[10] Gerade beim Fieber wird deutlich, wie sehr die individuelle Situation des Patienten in das medizinische Behandlungskonzept eingeht.
Über die (unbelegte) Vorstellung, medizinische Behandlungen würden das Ausleiten von Giftstoffen unterdrücken, werden in der Homotoxikologie mitunter medizinische Behandlungen sogar als Ursache der Entstehung der Beschwerdebilder „rechts des biologischen Schnittes“ dargestellt.[11] So schreibt die IAH:
Eine Erkrankung, die unterdrückt wird (…), hat die Tendenz, sich in Richtung tiefer gelegene (Organ-)Gewebe (zentripetal) zu entwickeln.[8]
Auch wird der Schweregrad vieler Erkrankungen in der Homotoxikologie oft ganz anders beurteilt als in der wissenschaftlich fundierten Medizin. Einige chronische Krankheiten werden „links des biologischen Schnitts“ gesehen und entsprechend als ausschließlich durch homotoxikologische Maßnahmen behandelbar angenommen.[8]
Übersicht über die homotoxikologischen Präparate
Die Homotoxikologie postuliert, dass die als Homotoxine bezeichneten Schadstoffe durch Entgiftungs-, Ausleitungs- oder Regulationsmaßnahmen unschädlich gemacht werden müssten, um der Einlagerung in die Zellen Einhalt zu bieten. Die Entgiftungsbestrebungen des Körpers seien zu unterstützen – oder in höheren Phasen der Krankheitsdynamik auch erst zu ermöglichen. Die im Rahmen homotoxikologischer Behandlungen eingesetzten Präparate sind oft Mischungen verschiedener homöopathisch „potenzierter“ Stoffe. Eine wichtige Rolle spielen hierbei auch Nosoden (also potenzierte Krankheitserreger oder infiziertes Gewebe) und potenzierte Inhaltsstoffe medizinischer Medikamente. Die letzten beiden Gruppen werden nach dem Gedanken der Isopathie (also „Gleiches mit Gleichem“) eingesetzt.
Bezug zur Homöopathie
Bei den antihomotoxischen Produkten handelt es sich oft um Kombinationspräparate, in denen die Wirkstoffe entweder in sehr niedriger Dosierung (Potenzen D6 bis D8) oder auch oberhalb der Avogadrogrenze enthalten sind (wie bei Injeelen oder Homaccorden).[11] Oft werden höhere Potenzen mit niedrigeren Potenzen desselben Ausgangsstoffes kombiniert; in vielen Präparaten sind deshalb auch dann Moleküle des Ausgangsstoffes vorhanden, wenn (zusätzlich) hohe Potenzen verwendet werden.[12]
Weil die Inhaltsstoffe der Präparate homöopathisch „potenziert“ werden, lassen sich antihomotoxische Arzneimittel als homöopathische Kombinationspräparate bezeichnen. Anwender der Homotoxikologie weisen aber darauf hin, dass dies umgekehrt nicht der Fall sei:[13]
- In der klassischen Homöopathie nach Hahnemann wird das Ähnlichkeitsprinzip individuell verstanden, es erfolgt ein Abgleich zwischen dem Arzneimittelbild und den Symptomen des Patienten. In homöopathischen Komplexmittel werden die Komponenten über ihre Gemeinsamkeiten in der Materia medica zusammengestellt.
- In der Homotoxikologie werden Präparate nach der Ähnlichkeit des Vergiftungsbildes mit dem Arzneimittelbild der Komponenten ausgewählt. Bei den antihomotoxischen Arzneimitteln sind verschiedene Aspekte des Vergiftungsstatus bei der Wahl der Bestandteile ausschlaggebend, so dass auch Ausgangsstoffe kombiniert werden, die unterschiedliche Symptome im Arzneimittelbild haben. Die Auswahl erfolgt also indikationsbezogen und nicht individualisiert.
Durch diese spezielle Zusammenstellung sollen sich antihomotoxische Präparate von anderen homöopathischen Komplexmitteln durch einen „Synergismus der Bestandteile“ unterscheiden.[13] Beim Postulat dieser Synergien beruft man sich auf ein Prinzip, das in den 1930ern von dem Schweizer Pharmakologen Emil Bürgi formuliert wurde. Nach diesem Prinzip verstärken sich Effekte zweier Substanzen, die dieselben Symptome beseitigen, wenn sie verschiedene pharmakologische Angriffspunkte haben.[12] Bürgi hat dieses Prinzip allerdings nicht für potenzierte Präparate formuliert und auch nicht für Präparate, die auf dem Krankheitsbild der Homotoxikologie beruhen.
Weil man gewebeunverträgliche Substanzen für die Entstehung der Beschwerden verantwortlich macht, wendet man diese „Homotoxine“ in potenzierter Form als „Gegengifte“ in den antihomotoxischen Präparaten an. Ohne die Entgiftung mittels homöopathischer „Anti-Homotoxine“ würde, laut Reckeweg, die Dynamik der Krankheit fortschreiten. Als wissenschaftliche Begründung für dieses Vorgehen wird mitunter die Arndt-Schulz-Regel angeführt. Nach dieser aus den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts stammenden Hypothese kehrt sich die Wirkung vieler Giftstoffe um, wenn sie in Dosen knapp unterhalb der toxikologischen Grenze verabreicht werden: Schwache Reize sollen die Lebenstätigkeit (der Zellen) anfachen, mittelstarke Reize sollen sie fördern, starke hemmen sie, stärkste heben sie auf.[1] Tatsächlich ist heute bekannt, dass die Arndt-Schulz-Regel keinesfalls allgemein für alle Stoffe zutrifft und auch nicht in beliebigen oder gar extremsten Verdünnungen.[14] Obwohl die Arndt-Schulz-Regel als Rechtfertigung der Homotoxikologie als Ganzes genannt wird,[1] kann sie das allein schon deshalb gar nicht sein, weil sie keine Aussagen über Krankheitsentstehung macht, sondern allein auf Ebene der Zellen formuliert ist. Sie kann deshalb das Bild der Krankheit als Vergiftungskonsequenz gar nicht stützen.
Obwohl also aus der Sicht der Homotoxikologie ganz erhebliche Unterschiede zu normalen homöopathischen Komplexmitteln oder gar der klassischen Homöopathie bestehen, wird im Beipackzettel antihomotoxischer Präparate im Allgemeinen nicht auf die Zugehörigkeit des Produktes zur Homotoxikologie hingewiesen.[15] Die Patienteninformation beinhaltet in aller Regel lediglich den Hinweis auf die homöopathische Zubereitung. Diese Darstellung ermöglicht es, die Präparate über den Binnenkonsens der „besonderen Therapierichtung Homöopathie“ ohne Wirksamkeitsnachweis in klinischen Studien und aufwändiges Zulassungsverfahren als Arzneimittel zu registrieren.
Klassen homotoxikologischer Präparate
Die Homotoxikologie unterscheidet verschiedene Präparategruppen, die in Abhängigkeit von ihrer Zusammensetzung in unterschiedlichen Phasen der Krankheitsevolutionstabelle eingesetzt werden. Präparate, denen eine Wirkung als Regulatoren zugesprochen wird („Spezialitäten“ und die Homaccorde) werden in der gesamten Sechs-Phasen-Tabelle eingesetzt. Vor allem in den höheren Phasen „rechts des biologischen Schnittes“ werden Krankheitserreger (Nosoden), Materialien aus Schweinegewebe oder Stoffwechselkatalysatoren verwendet. Die Composita-Präparate und die Injeele fallen in diese Produktgruppen.[1] Besonders bei Erkrankungen, die in den höheren Phasen der Krankheitsevolutionstabelle eingeordnet sind, werden in der homotoxikologischen Behandlung mehrere Präparate aus verschiedenen Präparategruppen miteinander kombiniert.[2]
„Spezialitäten“
Die Produkte dieser Gruppe sind Komplexmittel, also Mischungen verschiedener Bestandteile. Sie sind für eine indikationsbezogene Anwendung in allen Phasen der Krankheitsevolutionstabelle konzipiert.[11] Die „Spezialitäten“ tragen Phantasienamen wie Traumeel oder Vertigoheel.[11] Mitunter wird damit geworben, dass ihre Wirksamkeit durch Studien abgesichert sei.[11] Viele Präparate sind jedoch als „registrierte homöopathische Arzneimittel“ und damit ohne Nachweis einer Wirksamkeit auf dem Markt. Zu einigen Präparaten existieren zwar Studien oder Laborexperimente, doch werden diese von verschiedenen Wissenschaftlern aufgrund fehlender Verblindung, fehlender Kontrollgruppen oder anderer Schwächen als nicht aussagekräftig eingestuft (siehe unten).[3][5][16]
Composita
Composita-Präparate sind ebenfalls Komplexmittel aus homöopathisch potenzierten Ausgangsprodukten. Anders als die „Spezialitäten“ enthalten die meisten von ihnen neben den in der Homöopathie üblichen Wirkstoffen zusätzlich organisches Gewebe (von Schweinen), Katalysatoren des Zitronensäurezyklus oder Nosoden, alles ebenfalls potenziert.[11] Im Bild der Homotoxikologie qualifiziert sie diese Zusammensetzung (mit der Ausnahme von Euphorbium compositum) zur Behandlung vor allem von chronischen und degenerativen Erkrankungen, also speziell Erkrankungen aus den höheren Phasen der Krankheitsevolutionstabelle.[11] Durch ihre Zusammensetzung sollen sie ihre Wirkung außerdem gewebebezogen entfalten, für verschiedene Organe gibt es verschiedene Compositum-Präparate.[11]
Composita tragen das „compositum“ oft im Namen, wie beispielsweise Hepar compositum Heel.[11] Einige Produkte sind zur Injektion bestimmt.[17]
Homaccorde
Unter Potenzakkorden versteht man in der Homöopathie das Zusammenmischen verschiedener Potenzen desselben Einzelmittels. Die Homaccord-Produkte enthalten mehrere Einzelmittel in Potenzakkorden, meist D6 – D8, D10, D30, D200, gegebenenfalls D1000.[1] Sie werden in der homotoxikologischen Literatur oft für ein eng umgrenztes Anwendungsgebiet empfohlen.[11] Ein Beispiel ist Gelsemium-Homaccord.[18]
Injeele
Injeele sind homotoxikologische Präparate, die zur Injektion vorgesehen sind. In dieser Produktgruppe werden neben homöopathischen Einzelmitteln in Potenzakkorden auch Nosoden, Suis-Organpräparate (aus Schweinegewebe gewonnen), Katalysatoren und homöopathisierte Medikamente angeboten.[11]
Einzelmitteln in Potenzakkorden
Diese Gruppe wird am ehesten wie klassische Homöopathika nach der Materia medica verordnet: Durch Ergänzung mit einem Einzelmittel im Potenzakkord soll oft ein verordnetes homotoxikologisches Produkt besser an das Symptombild des Patienten angepasst werden.[11] Die Produkte werden in allen Phasen der Krankheitsevolutionstabelle eingesetzt.[11] Ein Beispiel ist Lycopodium-Injeel S.[19]
Nosoden
Nosoden sind potenzierte Substanzen aus Krankheitserregern, infizierten Geweben oder Ausscheidungen.[1] In der Homotoxikologie werden Nosoden eingesetzt, wenn die Erreger zur aktuellen oder einer vergangenen Erkrankung des Patienten passen.[11] Es handelt sich beim Einsatz der Nosoden um Isopathie (also den Ansatz, „Gleiches mit Gleichem“ zu behandeln).[1] Die Homotoxikologie spricht den Nosoden eine die Giftstoffe ausleitende Wirkung zu. Sie sollen den Körper an die toxischen Eigenschaften der durch die jeweilige Nosode erzeugten Erkrankung „erinnern“ können.[1]
Die Nosoden werden in allen Phasen der Krankheitsevolutionstabelle eingesetzt.[11] Beispiele sind Asthma-Nosode-Injeel[20] oder Sinusitis Nosode-Injeel.[21]
Suis-Organpräparate
Hierbei handelt es sich um verdünnte und verschüttelte Organgewebe. Die Organe stammen von Schweinen (lateinisch: suis).[1] Die Präparate enthalten oft verschiedene Potenzen („Potenzakkorde“) des Gewebes.[11] Anders als bei den Nosoden werden diese Produkte aus gesundem Gewebe gewonnen.[11] Die Homotoxikologie postuliert für diese Produkte wegen der Entnahme aus einem bestimmten Organ eine organspezifische regulative Wirkung.[1]
Die Suis-Präparate werden in der homotoxikologischen Behandlung speziell bei chronisch Kranken mit Beschwerden aus den letzten Phasen der Krankheitsevolutionstabelle verwendet.[1] Ein Beispiel ist Hepar suis-Injeel. Es wird in der homotoxikologischen Literatur für Lebererkrankungen (Hepar = altgriechisch: Leber) empfohlen,[11] ist in Deutschland aber als registriertes Homöopathikum ohne Indikation auf dem Markt.[22]
Katalysatoren
Homöopathisch verdünnte Katalysatoren werden als Injeele oder als Bestandteil von Composita eingesetzt. Sie sollen in den Zitronensäurezyklus der Zelle eingreifen und die Zelle mit Sauerstoff versorgen.[11] Zum Einsatz kommen sie bei den angenommenen Zellschäden auf der rechten Seite der Krankheitsevolutionstabelle.[11] Ein Beispiel ist Acidum cis-aconiticum-Injeel.[23]
Homöopathisierte Medikamente
Die Produkte dieser Gruppe enthalten Potenzakkorde von Medikamenten, die im Bild der Homotoxikologie ebenfalls Homotoxine sind.[11] Sie sollen Nebenwirkungen und Vergiftungserscheinungen der Medikamente entgegenwirken.[11] Das Medikament ist vor der Entgiftungsmaßnahme laut der homotoxikologischen Literatur abzusetzen.[11] Die homöopathisierten Medikamente werden auch eingesetzt, wenn das potenzierte Medikament gar nicht vom Patienten eingenommen wurde, seine Beschwerden aber den Nebenwirkungen des Medikamentes ähneln.[11] Ein Beispiel ist Acetylsalicylsäure-Injeel.[24]
Wissenschaftliche Einschätzungen
In der homotoxikologischen Literatur und auf den Webseiten der Anbieter finden sich immer wieder Aussagen, dass die Wirksamkeit der Produkte durch Studien belegt und abgesichert sei.[2][25] Wissenschaftliche Einschätzungen der Studienlage haben dieser Darstellung wiederholt widersprochen.
Review von Ernst und Schmidt
Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2004 findet nach einer umfangreichen Literatursuche gerade einmal sieben randomisierte klinische Studien mit einer Placebo-Kontrollgruppe. In diesen sieben eingeschlossenen Arbeiten kommen unterschiedliche Medikamente aus dem Bereich der Homotoxikologie zum Einsatz, auch die Anwendungsgebiete sind verschieden. Somit lagen zu keiner Arbeit Reproduktionen vor.[3]
Die Ergebnisse von sechs dieser sieben Einzelstudien zeigen statistisch signifikante Ergebnisse zugunsten der homotoxikologischen Präparate. Allerdings fanden Ernst und Schmidt gravierende methodische Fehler in allen sieben Arbeiten und dies, obwohl der hohe Jadad-Score[B 8] einiger dieser Studien eine hohe Studienqualität hätte vermuten lassen.[B 9] Entsprechend kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die positiven Ergebnisse der Einzelarbeiten einer nicht immer sorgfältigen Analyse der Daten geschuldet sind.[B 10]
Ernst und Schmidt äußern den Verdacht eines Sponsor-Bias und fühlen sich darin durch einen Briefwechsel mit dem Hersteller bestätigt:
In drei der sieben eingeschlossenen RCTs war mindestens ein Autor ein Angestellter des Herstellers. In den meisten Artikeln wurden keine Interessenkonflikte deklariert. Mehrere Artikel wurden in einer Zeitschrift veröffentlicht, die eng mit dem Hersteller verknüpft ist; nur zwei Zeitschriften haben einen Impact-Faktor[B 11] (…). Unser Verdacht auf einen Sponsor-Bias wurde durch einen Briefwechsel mit einem Hersteller verstärkt, in dem uns mitgeteilt wurde, dass eine finanzielle Unterstützung für unser Forschungsprojekt nur vergeben werden würde, nachdem sie die Ergebnisse hätten überprüfen (und implizit genehmigen) dürfen [ Weiser M.[B 12] E-Mail an Professor Edzard Ernst, vom 27. Februar 2003 ] (…). Keine der eingeschlossenen klinischen Studien berichtete von einem unabhängigen Beobachter, der natürlich eine adäquate Maßnahme gewesen wäre, um diese Art von Bias zu minimieren.[B 13]
Aufgrund der methodischen Fehler und des Verdachts eines Bias kommen Ernst und Schmidt zu dem Ergebnis:
Trotz der meistens positiven Ergebnisse und der hohen Bewertung beim Jadad-Score, können die placebokontrollierten, randomisierten klinischen Studien zur Homotoxikologie keine gezielte Wirksamkeit dieses therapeutischen Ansatzes demonstrieren.[3][B 14]
Keine aussagekräftigen Belege für die homotoxikologische Komplementärbehandlung von Krebs
Die Krankheitsevolutionstabellen enthalten in den beiden rechten Spalten verschiedene Arten auch schwerster Pathologien, darunter Krebs. Entsprechend versteht sich die Homotoxikologie traditionell als ein Verfahren, das auch – komplementär – für die Behandlung von Krebs geeignet ist. Seit Jahrzehnten werden genaue Behandlungspläne mit den genannten Präparategruppen in der Literatur beschrieben.[2]
Beispielsweise finden sich auf der englischsprachigen Webseite Homotoxicology.net im „Biotherapeutischen Index für die Produkte der Biologische Heilmittel Heel GmbH“ in der explizit von Heel autorisierten Ordinatio Antihomotoxica et Materia Medica, 5th revised English edition, 2000[2] im sechsten Kapitel sehr detaillierte und konkrete Empfehlungen für die komplementäre Behandlung von Krebs mit homotoxikologischen Präparaten.
Präparat | Einnahmeempfehlung |
Lymphomyosot | 3 Tabletten 3 mal täglich |
Nux vomica-Homaccord | 10 Tropfen 3 mal täglich |
Berberis-Homaccord Oder: Hepeel + Reneel |
10 Tropfen 3 mal täglich je 1 Tablette täglich |
Tabelle 2: Beispiel für einen detaillierten Therapieplan (Ausschnitt) zur komplementären Behandlung von Krebspatienten, wie er sich in der homotoxikologischen Literatur findet.[2]
Der beschriebene homotoxikologische Therapieplan bei Krebs soll eine mehrwöchige Ausleitungs- und Entgiftungsphase darstellen, für die weitere Ergänzung mit Composita-Präparaten wie Coenzyme compositum und Ubichinon compositum nahegelegt werden. Im Anschluss an diese Phase soll die Therapie auf eine laut Behandlungsplan das Immunsystem regulierende Phase umgestellt werden, die wiederum mehrere Wochen dauert. Für diese Phase werden dann Präparate wie Echinacea compositum S, Engystol N, Lymphomyosot, Thyreoidea compositum, Tonsilla compositum und passende Carcinoma Nosoden empfohlen. Für die Wahl der passenden Nosode wird explizit ein Test über Elektroakupunktur oder kinesiologischem Muskeltest angeraten.[B 15] Bei beiden Verfahren handelt es sich um wissenschaftlich nicht anerkannte und zur Diagnose als ungeeignet eingestufte Methoden.[26][27][28][29][30]
Derart detaillierte Therapiepläne erwecken beim Patienten leicht den Eindruck, dass sie auf der Basis sorgfältiger klinischer Untersuchungen und eindeutig nachgewiesener Wirksamkeiten beruhen. Tatsächlich existieren keinerlei derartige Untersuchungen, die eine Wirksamkeit der beschriebenen Therapie nahelegen würden.
Bei vielen angeführten Untersuchungen handelt es sich lediglich um in vitro-Labortests, also Tests, die gar nicht am Patienten durchgeführt wurden, sondern an isolierten Zellen.[B 16] Derartige Tests an isolierten Zellen können aber keinen Wirksamkeitsnachweis für einen bestimmten Effekt beim Patienten ersetzen.[B 17] Daneben finden sich auch wenige Studien am Patienten; diese erfolgten jedoch teils ganz ohne Kontrollgruppe, teils unverblindet und/oder zu anderen Anwendungsgebieten als Krebs.[B 18] Die überwiegende Mehrheit der aufgeführten Arbeiten wurde in der Zeitschrift Internationale Zeitschrift für Biomedizinische Forschung und Therapie (Biologische Medizin, BM) veröffentlicht, die unter anderem von der Internationalen Gesellschaft für Homotoxikologie e. V. bis 2006[31][32] herausgegeben wurde.[33] Für viele Therapielisten werden auch gar keine Studien angeführt.
Diesen Mangel an Studien kritisieren verschiedene Wissenschaftler. So schreibt Stephen Barrett:[5]
Das Magazin der BHI beschreibt einige wenige Studien mit den Produkten von Heel, aber diese enthalten keine Kontrollgruppen und sind absolut bedeutungslos.
Auch Karsten Münstedt beschreibt in seinem „Ratgeber Unkonventionelle Krebstherapien“[4] die Anweisungen der Homotoxikologie. Sein Fazit zum Einsatz der verschiedenen Carcinoma-Nosoden-Injeele im Kapitel „Heteronosoden“ lautet
Untersuchungen und Prüfungen: Keine bekannt
Und im Kapitel „Komplex-Homöopathie / Antihomotoxische Medizin“ konstatiert er ebenfalls, dass sich die Empfehlungen keineswegs auf eine ausreichend wissenschaftliche Datenbasis stützen, sondern
im Wesentlichen auf Erfahrungsberichte von Therapeuten.
Münstadt kann überhaupt nur eine einzige Studie zum genannten Themenkreis angeführen.[34] In dieser Arbeit geht es jedoch um die Behandlung typischer Nebenwirkungen bei Krebspatienten (Entzündungen im Mundraum), nicht um eine Untersuchung, ob antihomotoxische Präparate die in der Literatur genannten entgiftenden, ausleitenden oder immunregulierenden Wirksamkeiten haben. Die Studie wird zudem in der Übersichtsarbeit von Ernst und Schmidt als wenig belastbar eingestuft, weil sie einerseits nur sehr wenige Patienten einbezieht (nur 30 Patienten werden ausgewertet) und somit statistisch anfällig ist. Andererseits wird kritisiert, dass nicht genannt wird, welcher Stoff als Placebo eingesetzt wird und somit nicht überprüfbar ist, ob das Placebo eher die Entzündungen förderte.[3]
In Replikationsversuchen, die nach Erscheinen der jüngsten Auflage von Münstedts Buch durchgeführt wurden, zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen mit Placebo oder Traumeel behandelten Patientengruppen.[35][B 19][36][B 20]
Das Fehlen von Wirksamkeitsnachweisen bei Krebs – und anderen Anwendungsgebieten – ist auch in den Patienteninformationen („Packungsbeilage“) der in den Therapieempfehlungen aufgeführten Präparate zu erkennen. Nirgends findet sich Krebs als Anwendungsgebiet.
In Deutschland sind die meisten in den Empfehlungen gelisteten Präparate als „registriertes homöopathisches Arzneimittel“ auf dem Markt und damit ganz „ohne Angabe einer therapeutischen Indikation“.[B 21] In Österreich werden Anwendungsgebiete genannt, allerdings nicht Krebs. Zudem wird auch hier explizit darauf hingewiesen, dass sich die Nennung von Anwendungsgebieten nicht auf wissenschaftliche Daten berufen kann. In der österreichischen Patienteninformation für Lymphomyosot heißt es beispielsweise:
Die Anwendung dieses homöopathischen Arzneimittels in den genannten Anwendungsgebieten beruht ausschließlich auf homöopathischer Erfahrung.[37]
Anmerkung: Einsatz im Veterinärbereich
Die komplementäre Krebsbehandlung mit Präparaten der Homotoxikologie wird in sehr ähnlicher Weise auch von Tierärzten und Tierheilpraktikern beworben.[38]
Zum Einsatz kommen Injektionen und orale Gaben verschiedener Produkte der Homotoxikologie, wie beispielsweise
- Coenzyme compositum
- Ubichinon compositum
- Para-Benzochinon-Injeel forte
- Lymphomyosot
Die Mittel werden kombiniert in Zyklen über 25 Tage verabreicht, getrennt durch eine mehrwöchige Pause.
Man beruft sich bei dieser Therapieempfehlung auf eine einzige Veröffentlichung aus Göttingen aus dem Jahr 2000.[39] Die Studie ist sehr klein, sie schließt gerade einmal 31 Hündinnen ein, bei denen ein Tumor operativ entfernt worden war. Die Hündinnen bekommen im Anschluss an die Operation alle eine homotoxikologische Therapie. Im Ergebnis kehren Tumore bei 26,9 % der Tiere zurück, 73,5 % der Hündinnen (Durchschnittsalter bei Operation 11,1 Jahre) leben nach einem Jahr noch. Die Studie enthält keine Kontrollgruppe, man vergleicht die genannten Zahlen vielmehr einfach mit Quoten älterer Studien. Nirgends wird thematisiert, ob die medizinische Behandlung und Nachbehandlung wirklich identisch waren oder ob der Zustand der in den jeweiligen Studien betrachteten Hündinnen vergleichbar war. Dies wäre aber sehr wichtig, denn es ist bekannt, dass die Überlebensraten der Tiere empfindlich mit dem Krebsstadium zusammenhängen.[40][B 22] Der einzige Hinweis auf die Vergleichbarkeit bezieht sich auf Rassen- und Altersstruktur der betrachteten Tiere und auch das nur über eine vage Angabe im Text.[B 23] Tabellen mit konkreten Angaben enthält die Studie nicht. Eine Vergleichbarkeit der Gruppen ist damit keineswegs belegt, die Studie insgesamt wenig belastbar. Auch im Veterinärbereich gibt es deswegen keine wissenschaftlich aussagekräftige Datengrundlage für den Einsatz dieser Therapieform.
Verwarnung durch die amerikanische FDA
Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA)[B 24] sah 1984 deutliche Verstöße gegen die Arzneimittelvorschriften durch die Biological Homeopathic Industries (BHI) – der damalige Name von Reckewegs Firma in den USA.[41] Unter anderem in Bezug auf mit dem Hinweis „Antikrebs Stimulation“ vertriebene Tabletten sprach die FDA im Dezember 1984 eine Verwarnung aus:
Weiterhin sind uns keine stichhaltigen wissenschaftlichen Belege bekannt, die zeigen, dass die von Ihnen vermarkteten homöopathischen Arzneimittel allgemein als sicher und in der zugedachten Anwendung als wirksam anerkannt sind. Dementsprechend ist die fortgesetzte Vermarktung dieser Medikamente ein ernsthafter Verstoß gegen den „Federal Food, Drug and Cosmetic Act“...[B 25]
Bis zum März 1985 beendete die BHI deswegen den Vertrieb von Präparaten unter Bezeichnungen wie „Antikrebs“, „Antivirus“ oder „Schlaganfall-Tabletten“.[42] Während der späten 1980er und 1990er folgten weitere ähnliche Verwarnungen bzgl. der Produktbeschreibungen, denen die Firma jeweils nachkam.[43][44]
Wenngleich die Vermarktung der Produkte seitdem nicht mehr unter diesem Namen stattfindet, finden sich die ausgearbeiteten Therapiepläne für diverse schwere Erkrankungen, unter anderem auch Krebs, nach wie vor in der Literatur zur Homotoxikologie.[2] Auch in Deutschland wird trotz der fehlenden Belege eine Notwendigkeit einer „ausleitenden Begleittherapie bei Tumorerkrankungen“ auf verschiedenen Webseiten an den Patienten herangetragen.[45] Im Jahr 2015 boten 47,5 % der europäischen Zentren für Krebsbehandlung auch komplementärmedizinische Maßnahmen an; bei immerhin 12,8 % der von diesen Einrichtungen beworbenen Therapien handelte es sich um die Homotoxikologie.[46]
Quellen- und Literaturangaben |
---|
|
Anmerkungen und Originalzitate |
---|
|