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Logische Fehlschlüsse

Samuel Hahnemann hat das Theoriegebäude der Homöopathie aus Ähnlichkeitsprinzip, Arzneimittelprüfung und Potenzierung ab etwa 1790 u. a. auf die unzulässige Verallgemeinerung eines medizinischen Selbstversuchs gegründet, seinen Chinarindenversuch. Bis heute begegnet man in der Diskussion mit Anhängern der Homöopathie sehr oft demselben Phänomen: der Bevorzugung persönlicher Erfahrungen gegenüber dem Erkenntnisstand der Naturwissenschaften.

Bevorzugung persönlicher Erfahrungen

Erlebnisberichte und eigene Erlebnisse sind den meisten Menschen als Erkenntnisquelle zugänglicher als wissenschaftliche, unpersönliche Statistiken[1] und sogar als sichere Erkenntnisse der Naturwissenschaft.[2][3] Mathematik und Naturwissenschaften sind relativ unbeliebte Fächer[B 1][B 2][B 3] und entsprechende Grundlagenkenntnisse wenig verbreitet. [4] Diese würde man aber benötigen, um anscheinend oder scheinbar wissenschaftliche Aussagen anhand eigenen Wissens auf Stichhaltigkeit überprüfen zu können.

Wenn sie sich über Homöopathie informieren oder Debatten darüber verfolgen, erscheinen daher vielen Menschen die Aussagen, die z. B. auf der einen Seite auf persönlichen Erfahrungen von Therapeuten und Patienten und auf der anderen Seite auf Studien und Statistik beruhen, als grundsätzlich gleichwertig und entscheiden sich, so sie das müssen, nicht selten der ihnen zugänglicheren Seite. Das ist dann oft die emotionale, einfühlsame, auf verständliche und nachvollziehbare Fallbeispiele gestützte Argumentation und seltener die abstrakte, mitunter als belehrend empfundene, intuitiv wenig nachvollziehbare statistische Argumentation.[B 4]

In Verbindung mit allgemein geringen Kenntnissen, was Homöopathie überhaupt ist,[B 5] bildet all dies das Fundament für typische Argumentationsfehler in Form plausibel erscheinender, gleichwohl falscher Schlussfolgerungen, den sog. logischen Fehlschlüssen.[5]

Wahrnehmungsfehler

Ein bekanntes Beispiel ist hier das Argument „Wer heilt, hat recht!“[6], in dem die Annahme steckt, dass eine bestimmte therapeutische Maßnahme kausal für den Heilungserfolg war. Dies ist aber im Einzelfall oft gar nicht belegbar, etwa bei der Behandlung einer Infektion mit Medikamenten und körperlicher Ruhe. Man kann nicht wissen, welcher Teil dieser Therapie den größeren Einfluss auf die Heilung hatte und wie der Verlauf gewesen wäre, hätte man ein anderes Medikament oder auch gar keines genommen. Wer beim nächsten Mal mit Ruhe plus Globuli schneller gesundet, dürfte geneigt sein, dies der Homöopathie zuzuschreiben, wobei alle anderen möglichen Einflüsse aber unberücksichtigt bleiben (Art des Virus, Allgemeinzustand, Ernährung, Stressfaktoren u. a.) In der Fachsprache ist dies ein Post hoc ergo propter hoc-Fehlschluss, also der Irrtum, dass „danach“ auch „deswegen“ bedeute.[B 6]

Die zusätzlichen Einflüsse sind im Einzelfall nicht kontrollierbar und daher als Beitrag zur Gesundung nicht sicher auszuschließen. Dies kann man nur in Studien mit möglichst vielen Teilnehmern und mindestens zwei Vergleichsgruppen, in denen alle Bedingungen unverändert bleiben mit Ausnahme der zu untersuchenden therapeutischen Intervention.

Logik und Logikfehler

Die Logik ist die Kunst des folgerichtigen Schlussfolgerns. In der Antike war die Logik gemeinsam mit der Rhetorik, der Kunst, durch Rede zu überzeugen, und der Urform der Naturwissenschaften Bestandteil der Philosophie[7] in dem Bestreben, durch den Gebrauch des Verstandes zu Erkenntnissen über die Natur zu gelangen. Ein stringentes Regelwerk wurde entwickelt,[8] zumal die theoretisierende Befassung mit der Welt besonders in der griechischen Antike in höherem Kurs stand als deren experimentelle Erforschung.

Gegenstand der Logik sind Aussagen, deren Wahrheitsgehalt (wahr oder falsch) empirisch überprüft werden kann,[9] Verknüpfungen solcher Aussagen und der Wahrheitswert der Verknüpfung. Erkenntnis kann durch Schlussfolgerungen gewonnen werden (z. B. „wenn A wahr ist, muss B auch wahr sein“), also durch logisch korrektes Schließen von Bekanntem auf zuvor Unbekanntes oder von Bewiesenem oder Bewährtem auf zu Beweisendes. Entsprechend streng müssen die Regeln des Schlussfolgerns sein, damit sie zu gültigen Ergebnissen führen.

Logische Fehlschlüsse heißen so, weil sie eine oder mehrere dieser Regeln verletzen (die nicht willkürlich gesetzt, sondern ihrerseits streng logisch begründet sind). Oft geschieht dies durch das stillschweigende Voraussetzen von (unbelegten) Annahmen, die eine Schlussfolgerung dadurch plausibel erscheinen lassen, die aber falsch oder zumindest nicht allgemeingültig sind. Die allgemeinste Form eines logischen Fehlschlusses liegt vor, wenn eine Voraussetzung A nicht hinreicht, um daraus die Aussage B zu folgern (lat. „non sequitur“, dt. „daraus folgt nicht“).[10]

Viele der Argumente, die die Homöopathie befürworten, beruhen auf logischen Fehlern:

Desweiteren wird oft versucht, vom eigentlichen Gesprächsgegenstand (hier der Homöopathie) abzulenken und die Diskussion auf ein anderes Feld zu verlagern. Diese sind in sich keine Logikfehler. Der Fehlschluss liegt in der Annahme, mit diesen Argumenten die Homöopathie verteidigen oder Gegenargumente widerlegen zu können. Dazu gehören:

In der Homöopedia werden in der Kategorie „Oft gehörte Argumente und Fehlschlüsse“ diejenigen Argumente und Fehlschlüsse erläutert und mit Beispielen belegt, die in der Diskussion mit Anhängern der Homöopathie besonders oft anzutreffen sind.

Quellen- und Literaturangaben
  1. Bartholomäus Böhm: „Grundlagen medizinischer Statistik“, Kaden Verlag, Kindle Edition, Kapitel 14; ASIN: B071P2114V (Auszug bei Google Books, aufgerufen am 19.08.2017)
  2. Elizabeth Kolbert: Why Facts Don’t Change Our Minds, in: The New Yorker, 27 Febr 2017 (Link, aufgerufen am 07.08.2017)
  3. Joachim Retzbach: Wahrnehmung: Warum wir nicht glauben, was uns nicht passt, auf www.spektrum.de (Link, aufgerufen am 08.08.2017)
  4. Ernst Peter Fischer: Die andere Bildung. Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte, Ullstein, München 2001, ISBN: 978-3-550-07151-5
  5. Michael Hohner: „Fehlschlüsse“ im Ratioblog (Link, aufgerufen am 21.08.2017)
  6. Udo Hilwerding, Natalie Grams: „Wer heilt, hat recht!“, Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie (Link, Zugriff am 21.08.2017)
  7. Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel (Hrsg.): „Historisches Wörterbuch der Philosophie“, Schwabe Verlag, Basel, 1971 bis 2007, ISBN: 978-3-7965-0115-9
  8. Theodor Ebert und Ulrich Nortmann: „Aristoteles: Analytica Priora. Buch I“, Akademie Verlag, Berlin 2007, ISBN: 978-3-05-004427-9
  9. Martin Mahner: „Wissenschaft und Wahrheit“, in: Skeptiker 2/2016 S.75
  10. Michael Hohner: „Fehlschluss #1: Non Sequitur“ im Ratioblog (Link, aufgerufen am 19.08.2017)


Anmerkungen und Originalzitate
  1. Aus einer Online-Befragung (n=2090) der Partnervermittlung Parship aus 2015 (Link, aufgerufen am 20.03.2017):

    Auch mit fundiertem Allgemeinwissen (52 Prozent) oder einer tiefgründigen, philosophischen Art (20 Prozent) können Männer und Frauen beim Kennenlernen punkten. Und während naturwissenschaftliche Zusammenhänge auf nur wenig Begeisterung bei den Befragten stoßen (7 Prozent), sind sprachbegabte Singles klar im Vorteil (…)

    Hervorhebung: Homöopedia
  2. Aus Ingolf Hertel, Siegfried Großmann et al.: „Physik in der Schule“, Deutsche Physikalische Gesellschaft, Januar 2016 (pdf, aufgerufen am 20.03.2017):

    Dazu passt es durchaus, dass das Schulfach Physik (bei allem Respekt, den ihm die Schüler zollen) zu den unbeliebtesten Fächern in der Schule überhaupt gehört. Dass dieser höchst bedauerliche Befund mit dem von der deutschen Wirtschaft massiv beklagten Mangel an naturwissenschaftlich-technischen Fachkräften und entsprechendem Nachwuchs (zumindest) korreliert, scheint plausibel.

  3. Aus Uwe Pfenning, Ortwin Renn, Ulrich Mack: „Zur Zukunft technischer und naturwissenschaftlicher Berufe“, Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg 2002 (pdf, aufgerufen am 20.03.2017):

    Die vorliegende Studie (…) zeigt jedoch, dass der Ingenieurmangel nur das Symptom einer tieferliegenden Krise technischer Berufe in unserer Gesellschaft ist, die sich auch in einer rückläufigen Akzeptanz naturwissenschaftlicher Schulfächer, technischer Berufe und Studiengänge bis hin zu Selbstzweifeln erwerbstätiger Ingenieure am gesellschaftlichen Image ihrer Berufe manifestiert.

  4. Aus Institut für Demoskopie Allensbach: „Homöopathische Arzneimittel 2014“ (Link, aufgerufen am 20.03.2017, auf der Seite nach „Homöopathische Arzneimittel“ suchen):

    Die bevölkerungsrepräsentative Studie zeigt, dass die Zahl der Nutzer homöopathischer Arzneimittel in den letzten fünf Jahren deutlich gewachsen ist. Überdurchschnittlich häufig werden Homöopathika dabei nach wie vor von Frauen genutzt. Homöopathische Präparate haben fast neun von zehn Verwendern der eigenen Wahrnehmung nach schon geholfen. Mit Abstand am häufigsten wurden sie erfolgreich gegen Erkältungen und grippale Infekte eingesetzt. Den Weg zu homöopathischen Mitteln haben Nutzer am ehesten über die persönliche Empfehlung von Freunden, Bekannten oder Familienangehörigen gefunden.

    Hervorhebungen: Homöopedia
  5. Nach Institut für Demoskopie Allensbach: „Bekanntheit, Verwendung und Image homöopathischer Arzneimittel“ (2009) (Internet-Archiv, aufgerufen am 25.03.2021):

    Nur 17 Prozent der Befragten wussten über die Verordnung von Homöopathika nach dem Ähnlichkeitsprinzip, 43 Prozent sahen Homöopathika als identisch mit Naturheilmitteln, 31 Prozent mit aus Pflanzen hergestellten Präparaten.

  6. Verwandt mit dem Post Hoc-Fehlschluss ist das Argumentum Ad Crumenam (Geldbeutelargument), das im engeren Sinne unterstellt, eine Aussage sei richtig, weil eine reiche, mithin erfolgreiche Person sie äußert, und im weiteren Sinne, dass ein Erfolg (irgend-)eine vorangehende Aussage oder Handlung adelt. Der Fehlschluss liegt auch in dieser zweiten Deutung darin, dass der wahrgenommene Erfolg nicht zwangsläufig auf eine bestimmte vorausgehende Handlung zurückzuführen ist („Es regnet nur, wenn ich ohne Schirm aus dem Haus gehe.“ - „Wenn ich Globuli nehme, ist meine Erkältung schon nach wenigen Tagen weg.“)