Homöopedia Informationen zur Homöopathie |
Oft gehörte Argumente - Verweise auf konkrete Studien und Experimente
Weder ist eine gezielte Wirksamkeit teils vollkommen wirkstofffreier Homöopathika nach den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu erwarten, noch lässt sich eine Überlegenheit über Placebo stabil und reproduzierbar nachweisen.[1][2][3] Naturwissenschaftliche Theorie und praktische Überprüfung in klinischen Studien ergänzen sich zu einem stimmigen Gesamtbild.
Dem gegenüber finden sich auf den Webseiten von Homöopathen und homöopathischen Verbänden immer wieder Einwände gegen diese Erkenntnis. Diese Aussagen werden nicht nur dort direkt an die Patienten herangetragen, sondern auch häufig in Pressemitteilungen, Fernsehberichten oder Zeitschriftenartikeln verbreitet. Entsprechend oft werden sie in Diskussionen auch von Laien benutzt. Da man ihnen immer wieder begegnet, lohnt sich für den Patienten ein genauer Blick auf diese Aussagen, ihr Zutreffen und ihre tatsächliche Aussagekraft.
Die häufig vorgebrachten Einwände zugunsten der Homöopathie lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen, die hier in mehreren Artikeln behandelt werden:
- Es wird mit persönlich erlebten Genesungen argumentiert oder mit der Beliebtheit der Homöopathie.
- Der Placebocharakter der Homöopathika wird aufgrund zumeist unzutreffender, aber weitverbreiterter Vorstellungen über den Placebo-Effekt angezweifelt.
- Die Aussagekraft und Seriosität klinischer Studien wird allgemein oder zumindest in Bezug auf die Homöopathie angezweifelt.
- Es wird auf einzelne Arbeiten verwiesen, in denen sich Effekte der Homöopathie über Placebo-Effekte hinaus ergaben.
- Wissenschaftliches Arbeiten wird insgesamt als dogmatisch oder unzuverlässig dargestellt.
In diesem Artikel wird die vierte Kategorie betrachtet, also Hinweise auf einzelne, für die Homöopathie positiv verlaufene Studien und Experimente. Mit den anderen Kategorien beschäftigen sich die anderen verlinkten Teilartikel.
Inhaltsverzeichnis
- 1 ADHS-Studie von Heiner Frei
- 2 Wasserlinsenexperimente von Stephan Baumgartner
- 3 Sepsisstudie von Michael Frass
- 4 COPD-Studie von Michael Frass
- 5 Krebsstudie von Matthias Rostock
- 6 Aufsatz von Robert Hahn
- 7 Systematischer Review von Klaus Linde 1997
- 8 Systematischer Review von Robert Mathie 2014
- 9 Metaanalyse von Shang und Egger 2005
- 10 Wohlbefinden von Krebspatienten – Studie von Frass und Oberbaum
- 11 Traumeel bei Nebenwirkungen einer Krebstherapie – Studien von Oberbaum
- 12 Nebenwirkungen der Strahlentherapie bei Brustkrebs
- 13 Die Banerji-Protokolle
Es gibt eine Reihe von Studien zur Homöopathie, in denen sich tatsächlich statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen ergeben. Diese Arbeiten werden oft als unzweifelhafter Nachweis einer Überlegenheit über Placebo dargestellt, obwohl das einzelne Ergebnisse gar nicht leisten können, auch wenn sie „statistisch signifikant“ sind. Signifikante Ergebnisse sind wie alle Studienergebnisse statistische Aussagen, die auch aufgrund anderer oder zufälliger Begleitumstände zustande kommen können. Wenn ein Verfahren aufgrund anderer, unabhängiger Vorabinformationen (wie zum Beispiel naturwissenschaftlicher Unplausibilität[4] oder innerer Widersprüche) mit äußerster Skepsis zu betrachten ist, dann sind auch nach einzelnen positiven Studienergebnissen starke Zweifel an der Wirksamkeit trotzdem weiterhin gerechtfertigt.[5]
⇒ Siehe auch Hauptartikel Statistische Signifikanz
⇒ Siehe auch Hauptartikel Bayes-Formel
Die hier angeführte Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern benennt lediglich beispielhaft einige Arbeiten, denen man in der Literatur zur Homöopathie oft begegnet.
Erwähnte Studie | Kurze Beschreibung |
ADHS-Studie von Heiner Frei |
Die in Verbindung mit der Universität Bern von Heiner Frei et al. durchgeführte Studie begleitet Kinder mit der Diagnose ADHS[B 1] über einen Zeitraum von 1,5 Jahren. In einer späteren Folgestudie wird der Beobachtungszeitraum auf über 8 Jahre ausgedehnt. Die Arbeit wird sehr oft unter dem Hinweis auf den „Goldstandard für Studien“[B 2] zitiert. Dieser bedeutet, dass eine Arbeit randomisiert, verblindet und placebo-kontrolliert durchgeführt wird und eine entsprechende Aussagekraft zur Frage besitzt, ob die eingesetzten Arzneien Placebos überlegen sind.
In den Berichten über die Arbeit bleibt in aller Regel unerwähnt, dass die Studie keineswegs über den gesamten Studienzeitraum von 1,5 Jahren Goldstandard hat. Randomisiert, verblindet und placebo-kontrolliert war lediglich eine kurze Crossover-Phase[B 3] von insgesamt zwölf Wochen. In dieser Phase waren die Kinder in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe erhielt in den ersten sechs Wochen weiter Homöopathika, die zweite Placebo. In den zweiten sechs Wochen der Crossover-Phase war es genau anders herum. Obwohl also nur diese kurze Phase die Bezeichnung „Goldstandard“ verdient, werden die Ergebnisse aus dieser Phase nur in der englischen Originalausgabe wiedergegeben[6] und erscheinen in der häufig zitierten deutschen Version der Arbeit nur sehr verkürzt. In dieser verblindeten Phase ist die Einschätzung der Symptome durch die Eltern nur sehr schwach signifikant. Vor allem zeigt aber der Verlauf der Kurven während der Crossover-Phase eher den Verlauf, den man erhalten würde, wenn sich die Substanzen nicht von Placebo unterscheiden. Diese der Überlegenheit gegenüber Placebo widersprechende Graphik[B 4] fehlt in der deutschen Ausgabe der Arbeit[7] und wird in späteren Veröffentlichungen stark verändert wiedergegeben.[8] Als Ergebnis zitiert werden meist die Verbesserungen im Verhalten der Kinder, die sich über die gesamte Studienlaufzeit ergaben. Diese Werte können naturgemäß nichts über eine Wirksamkeit der Homöopathika aussagen, da es sich außerhalb der Crossover-Phase um eine reine Verlaufsstudie handelt und deshalb in diese Verbesserungen alle denkbaren Behandlungs- und Kontexteffekte miteinfließen. Das gilt besonders für die angeschlossene Langzeitstudie, in der es gar keinen Placebo-Vergleich gibt. Unerwähnt bleibt in den Zitaten der Studie auch oft, dass es andere Arbeiten zum Thema gibt, die keine signifikanten Effekte von Homöopathika bei ADHS finden. Eine Übersichtsarbeit des Cochrane Instituts[9] aus dem Jahr 2007[10] findet insgesamt keine Belege einer Wirksamkeit homöopathischer Behandlung bei ADHS.[B 5] ⇒ Siehe auch Hauptartikel Studiendesign |
Wasserlinsenexperimente von Stephan Baumgartner |
Stephan Baumgartner hat mit verschiedenen Mitarbeitern die Effekte homöopathischer Hochpotenzen untersucht. Besonders seine Experimente an Wasserlinsen werden in verschiedenen Fernsehbeiträgen über die Homöopathie erwähnt.
In diesen Experimenten werden Wasserlinsen (in anderen Arbeiten auch Weizenkeime) zunächst vorgeschädigt (meist mit Arsen oder Gibberellinsäure). Anschließend wird das Wachstum der Keimlinge beobachtet. Ein Teil der Pflänzchen wächst dabei in Wasser, dem eine homöopathische Hochpotenz zugesetzt ist, ein Teil (Vergleichsgruppe) wächst in reinem (verschüttelten) Wasser. Es wird darüber berichtet, dass sich zwischen den Gruppen signifikante (wenn auch kleine) Wachstumsunterschiede zeigten. In den Berichten bleibt in aller Regel unerwähnt, dass diese Effekte nicht stabil reproduzierbar sind. In Wiederholungen der Experimente bleiben die Unterschiede aus oder die Effekte gehen in eine andere Richtung, was ein Hinweis auf zufällige natürliche Schwankungen ist.[11][B 6][12][B 7] |
Sepsisstudie von Michael Frass |
Die Sepsisstudie[13][B 8] von Michael Frass et al. wird oft zitiert, wenn dargestellt werden soll, Homöopathie helfe auch bei lebensbedrohlichen Erkrankungen. In den zahlreichen Pressemeldungen unerwähnt bleibt in aller Regel, dass die Arbeit von Wissenschaftlern aufgrund zahlreicher methodischer Mängel heftig kritisiert wird.
Insgesamt 70 durch andere schwere Erkrankungen, darunter Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbelastete Patienten werden in dieser randomisierten, verblindeten und placebo-kontrollierten Studie während der Tage, die sie auf der Intensivstation verbringen, (zusätzlich) entweder mit Placebo oder mit individuell verordneten Homöopathika behandelt. Auswertekriterium ist das Überleben der Patienten. Nach 30 Tagen ergibt sich zwischen den Gruppen kein signifikanter Unterschied, nach sechs Monaten sind in der Placebogruppe acht Patienten mehr verstorben, was eine knappe statistische Signifikanz ergibt. Die Vergleichbarkeit der Patientengruppen wird allein über die Einlieferungsdaten in die Intensivstation dokumentiert. Die darin enthaltenen APACHE II-Werte[B 9] können allein als Anhaltspunkt für die intensivmedizinische Betreuung der ersten Stunden und Tage gelten und sagen nichts aus über die Überlebenschancen eines Patienten über den Zeitraum von Monaten, denn die Schwere der Grunderkrankung, an der die Patienten leiden, wird nicht angegeben. In der Arbeit fehlen also jedwede Angaben, die einen Zusammenhang zwischen der behandelten Sepsis und dem Versterben der Patienten ein halbes Jahr nach der Behandlung herstellen würden.[14][15] Selbst die die Homöopathie fördernde Carstens-Stiftung beschreibt die Studie als aus medizinischer Sicht unbefriedigend, weil Laborparameter, ein zusätzlicher konventioneller Medikamentenverbrauch oder tägliche Beurteilungen des Krankheitsverlaufs nicht erhoben wurden. Als wesentliches Versäumnis der Studie (zusätzlich vom nicht den Richtlinien entsprechenden Ausschluss dreier Patienten bei der Auswertung der Daten und dem Verwenden eines unpassenden Signifikanztests) wird genannt, dass viel zu wenig über den Krankheitsverlauf gesagt wird: Der Leser erfährt nichts über die parallel stattfindenden intensivmedizinischen Maßnahmen oder welche Komplikationen auftraten – und zwar weder in der Phase der akuten Sepsis und des Organversagens noch in der halbjährigen Langzeitbeobachtung.[16] Der Leser erfährt nicht einmal, dass oder ob die Patienten in den sechs Monaten bis zum Endpunkt der Studie in irgendeiner Behandlung waren oder warum gerade dieser Endpunkt gewählt wurde. Während die Carstens-Stiftung immerhin „das Bestreben, die Wirksamkeit homöopathischer Arzneien unvoreingenommen wissenschaftlich zu evaluieren“ würdigt, wird die Arbeit von kritischeren Stimmen als schlicht „methodisch dilettantisch“ bezeichnet.[17] |
COPD-Studie von Michael Frass |
Die Studie[18] wird sehr oft zitiert unter dem Hinweis, dass die Patienten auf der Intensivstation in ein künstliches Koma versetzt waren und Placebo-Effekte somit auszuschließen seien.[B 10]
Von insgesamt 50 auf der Intensivstation künstlich beatmeten COPD-Patienten[B 11] erhielt ein Teil der Patienten homöopathisches Kaliumdichromat in der Potenz C30, die anderen Patienten Placebo. Die Studie berichtet, dass die Menge des bei den Patienten am zweiten Tag abgesaugten Sekrets in der Homöopathiegruppe signifikant geringer war als in der Vergleichsgruppe. Außerdem konnte der Beatmungsschlauch früher entfernt werden und die Patienten mussten weniger lang in der Intensivstation bleiben. Da die Patienten alle mit demselben Homöopathikum behandelt wurden, kann von der Anwendung klassischer oder individualisierter Homöopathie in dieser Arbeit nicht die Rede sein. Zudem enthält die Studie nur sehr wenig wirklich konkrete Daten über die Patienten; die angegebenen Werte sind unklar oder sogar widersprüchlich.[19][20] Beispielsweise liegt der angegebene Durchschnittswert für den Schweregrad der COPD in beiden Gruppen nur knapp über „1“, dem Wert für leichte COPD (Homöopathiegruppe: 1.08 +/- 0.4; Vergleichsgruppe 1.20 +/- 0.5). Patienten mit leichter COPD müssen in aller Regel aber noch nicht zu Hause mit Sauerstoff beatmet werden. Genau dies war aber bei nicht wenigen der 25 Patienten pro Gruppe der Fall (Homöopathiegruppe: 5 von 25; Vergleichsgruppe: 9 von 25). Die in der Studie angegebenen Werte für die vor der intensivmedizinischen Behandlung bestehende Schwere der COPD erscheinen deshalb viel zu niedrig; die fast doppelt so hohe Zahl an Patienten in der Vergleichsgruppe, die Sauerstoff benötigten, lässt insgesamt an der Vergleichbarkeit der (ohnehin kleinen) Gruppen zweifeln. Für die Bestimmung der abgesaugten Sekretmenge, die man sehr exakt mit der Tagesmenge in Millilitern angeben könnte, wählen die Autoren eine unnötig unscharfe Einteilung in drei Mengenklassen (Grad 1 = 1 bis 5 ml; Grad 2 = 6 bis 10 ml; Grad 3 = 11 bis 15 ml) und berücksichtigen zudem nicht, dass in der Homöopathiegruppe öfter abgesaugt wurde. Ob die Sekretbildung den Zeitpunkt der Entfernung des Beatmungsschlauches überhaupt beeinflusste, ist in der Arbeit nicht dargelegt, so dass nicht klar ist, inwiefern dieses Auswertekriterium überhaupt etwas mit dem Homöopathikum zu tun haben sollte. Aufgrund dieser Mängel wurde die Arbeit von Wissenschaftlern als höchst fragwürdige Studie bezeichnet, bei der es unklar ist, ob die Behandlungsgruppen wirklich vergleichbar waren.[B 12][21] In einem ebenfalls in Chest veröffentlichten „Letter to the Editor“ wurde die Empfehlung wirkstofffreier homöopathischer Hochpotenzen für lebensbedrohlich erkrankte Patienten auf der Intensivstation sogar als gefährlich kritisiert.[22] |
Krebsstudie von Matthias Rostock |
Die Studie mit Krebspatienten von Matthias Rostock et al.[23] wird mitunter als Beleg dafür vorgebracht, dass homöopathische Behandlung von Krebspatienten deren Lebensqualität verbessere. Diese Aussage ist jedoch sehr irreführend, denn selbst die Autoren der Arbeit schreiben in der Studie, dass die erhobenen Daten diese Schlussfolgerung nicht hergeben.[24][25]
In dieser Arbeit sollte die Lebensqualität von medizinisch behandelten mit der von homöopathisch behandelten Krebspatienten verglichen werden. Die Studie beruht auf dem Matched Pair-Verfahren. Dabei werden aus den beiden unterschiedlich behandelten Patientengruppen „Zwillingspaare“ gebildet, bei denen sich die Partner zwar in ihrer Zugehörigkeit zur Behandlungsgruppe unterscheiden, sich aber in den Daten ihrer Erkrankung sowie allen sonstigen Parametern ihrer Lebensumstände möglichst ähnlich sind. Wie die Autoren aber selbst in ihrer Arbeit schreiben, ist es nicht gelungen, unter den Patienten ausreichend viele vergleichbare Patientenzwillinge zu finden, um die Datenbasis für eine aussagekräftige Studie zu schaffen:
Auch eine bereits 2009 an der Universität Freiburg im Rahmen einer Dissertation durchgeführte Untersuchung[26] fand große Unterschiede in den Patientengruppen und schätzte die Möglichkeiten einer vergleichenden Beurteilung des Therapieverlaufs deswegen sehr kritisch ein. Insgesamt waren die Patienten, die sich eine homöopathische Zusatzbehandlung leisteten, jünger und beruflich höher qualifiziert. Diese Unterschiede führten dazu, dass eine Verifikation homöopathischer Effekte auf den Krankheitsverlauf misslang, wie selbst die Studienautoren explizit einräumen. Dennoch wird dies leider nicht von allen Quellen, die diese Arbeit zitieren, betont. |
Aufsatz von Robert Hahn |
Die Veröffentlichung „Homeopathy: Meta-Analyses of Pooled Clinical Data“ von Robert G. Hahn aus dem Jahr 2013[27] wird von Homöopathen mitunter als „Review“ bezeichnet.[28] Das ist nicht korrekt. Hahn betrachtet lediglich einen Teil der existierenden Metaanalysen zur Homöopathie, aber nicht die ihnen zugrunde liegenden Studien und führt keine eigene Sichtung der Datenbanken oder statistische Auswertung durch. Bei seiner Arbeit handelt es sich deshalb lediglich um seine persönliche Bewertung der in der Arbeit genannten Metaanalysen, nicht um einen eigenen Review.
Auch nicht korrekt ist die oft zu lesende Aussage, dass er vor 2013 nie Kontakt zur Homöopathie hatte.[B 14][B 15] Zwar ist richtig, dass Hahn keine weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema geschrieben hat, er schrieb aber seit 2011 Blogartikel zum Thema.[29][30] Zitiert wird meist die Aussage des Artikels, man müsse in den vorliegenden Metaanalysen 90 % der Studien zur Homöopathie verwerfen, um zu der Aussage zu kommen, dass keine Placeboüberlegenheit der Homöopathika nachweisbar sei. Hahn schreibt jedoch ebenfalls in seinem Aufsatz:
Tatsächlich kritisieren die Autoren mehrerer der von Hahn betrachteten Metaanalysen die Qualität der vorliegenden Studien.[B 17][B 18][B 19] Nicht nur die von Hahn kritisierte Metaanalyse von Shang kommt zu dem Ergebnis, dass die positiven Effekte für die Homöopathie zurückgehen oder gar verschwinden, wenn man sich auf die hochwertigen Studien konzentriert, sondern auch andere Übersichtsarbeiten wie die Arbeiten von Klaus Linde et al. von 1998[31] und von 1999[32] (Lindes eigener Systematischer Review datiert von 1997, s.u.) Es ist also nicht erstaunlich, wenn die meisten Arbeiten aussortiert werden müssen. Auch Arbeiten, die zu einem positiven Ergebnis für die Homöopathie kommen, schließen nicht weniger Arbeiten aus: Mathie (2014) durchforstet 489 Datensätze, in denen über klinische Studien zur Homöopathie gesprochen wird, von denen zunächst 41 und später lediglich 32 Arbeiten in die Analyse einfließen. Als zuverlässig stuft diese Arbeit letztlich nur drei Arbeiten ein und schließt dabei sogar von anderen Autoren als hochwertig eingestufte Arbeiten aus. |
Systematischer Review von Klaus Linde 1997 |
Die Metaanalyse von Klaus Linde et al. aus dem Jahr 1997[33] wird sehr häufig auf Webseiten zur Homöopathie als Beleg dafür zitiert, dass Homöopathika Placebos überlegen seien. Allerdings wird hierbei meist nur der erste der beiden Sätze des Ergebnisses weitergegeben:
Häufig fehlt der zweite Satz, in dem die Aussage des ersten von den Autoren des Reviews stark relativiert wird:
In der Summe ergibt sich also zwar eine Überlegenheit über Placebo, doch konnte im Review für kein Beschwerdebild eine solche zuverlässig nachgewiesen werden. Der zweite Satz relativiert den ersten also deutlich. Die weiteren Ergebnisse der letzten 18 Jahre haben Linde sogar zu noch vorsichtigeren Einschätzungen der Homöopathie gebracht. Bereits seine zweite Arbeit zum Thema 1998[31] fällt deutlich weniger positiv aus: Im Ergebnis heißt es hier: Tatsächlich verschwanden bereits in dieser Übersichtsarbeit die Effekte zugunsten der Homöopathie völlig, sobald Linde sich auf die hochwertigen Arbeiten beschränkte:
1999 veröffentlichte Linde eine Übersichtsarbeit,[32] die genau dieses Verschwinden der Placeboüberlegenheit in den methodisch hochwertigen Arbeiten herausarbeitet:
Das ist ein niederschmetterndes Ergebnis: Je besser die Studienqualität, desto geringer fallen die Effekte aus. Bei einem realen Effekt ist es eher umgekehrt: Je genauer man misst, desto klarer kristallisiert sich das Ergebnis heraus. Was Linde hier beschreibt, ist das typische Bild eines statistischen Artefakts, der durch schlechte Studienqualität entsteht. 2005 hat Linde im Zuge der Kritik an der dortigen Präsentation der Meta-Analyse von Shang et al. an die Fachzeitschrift Lancet geschrieben:
2015 ist Linde Co-Autor einer Umfrage-Auswertung für die Barmer Krankenkasse. Darin heißt es explizit, dass eine Placeboüberlegenheit der Homöopathika nicht nachgewiesen ist und dass das zukünftige Augenmerk der Forschung eher auf die unspezifischen Behandlungseffekte setzen sollte:
⇒ Siehe Hauptartikel Systematische Reviews zur Homöopathie - Linde (1997) |
Systematischer Review von Robert Mathie 2014 |
Obwohl seitens der Homöopathie sehr oft wegen des gering positiven Ergebnisses erwähnt, zeigt die Übersichtsarbeit von Robert T. Mathie et al. aus dem Jahr 2014 bei genauer Betrachtung sehr deutlich, wie schwer es fällt, will man der Gesamtheit der Studien ein positives Ergebnis abgewinnen. Mathie et al. müssen dafür mehrfach vom üblichen Procedere bei systematischen Reviews abweichen.
Der Review umfasst zunächst noch alle nach den Regeln der klassischen Homöopathie durchgeführte randomisierte, doppelt verblindete placebokontrollierte Studien. Von dieser Gesamtheit werden dann aber einige Arbeiten, die keine Placeboüberlegenheit der Homöopathika nachweisen, mit nicht nachvollziehbaren Gründen in das Ergebnis nicht einberechnet. Darunter ist beispielsweise die von anderen Autoren als sehr hochwertig eingeschätzte Münchner Kopfschmerzstudie, die etwa von Linde in einem Review 1998[31] mit fünf von fünf Punkten im Jadad Score[B 24] und sechs von sechs Punkten in eigenem Schema bewertet wurde, die bei Mathie aber ohne Angabe von Gründen als extrem schlecht bewertet wird, sie weise also ein hohes Risiko eines Bias[B 25] auf. Ebensowenig nachvollziehbar ist, dass zwar keine der untersuchten Arbeiten als hochwertig eingestuft wird, dass aber dann doch ohne weitere Begründung drei Arbeiten als zuverlässigste Evidenz bestimmt werden. Das Ungewöhnliche hierbei ist, dass zwei dieser Arbeiten Pilotstudien sind, also sehr kleine vorläufige Arbeiten, denen üblicherweise nicht die Aussagekraft einer klinischen Studie innewohnt. Immerhin fällt die Schlussfolgerung von Mathie et al. erheblich vorsichtiger aus, als dies oft in Zitaten der Arbeit, die einfach nur von einem Überlegenheitsnachweis zugunsten der Homöopathie der Placeboüberlegenheit sprechen, wiedergegeben wird:
⇒ Siehe Hauptartikel Systematische Reviews zur Homöopathie - Mathie(2014) |
Metaanalyse von Shang und Egger 2005 |
Der systematische Review von Aijing Shang und Matthias Egger (et al.) aus dem Jahr 2005[36] wird seit seinem Erscheinen von Homöopathen scharf kritisiert. Emotionalisiert wurde die Kritik vor allem durch das Editorial der Ausgabe von The Lancet, in der die Shang/Egger-Studie erschien. In diesem Editorial war vom „Ende der Homöopathie“ die Rede.[37] Dieses oft mit dem Review zusammengebrachte Zitat stammt also gar nicht aus der Arbeit selbst.
Das für die Homöopathie wesentliche Ergebnis der Arbeit ist, dass
Während einige Kritikpunkte an der Shang/Egger-Studie nachvollziehbar sind (beispielsweise, dass das Gesamtergebnis über Studien zu völlig verschiedenen Indikationen zustandekommt), sind einige von Homöopathen vorgebrachte Einwände gegen die Arbeit nicht haltbar. So wurde kritisiert,[38] dass Shang/Egger eine Studie zu Muskelkater einbezogen hatten, die im Ergebnis keine Überlegenheit von Homöopathika gegen Placebo zeigte. Die Begründung – eine solche Behandlung sei sehr selten in der homöopathischen Praxis – ignoriert zahlreiche Empfehlungen von Homöopathika bei Muskelkater, nicht selten sogar wie in der kritisierten Studie für nach dem Sport auftretenden Muskelkater. Schlicht falsch ist die mitunter vorgebrachte Behauptung,[39] die Shang/Egger-Studie enthalte gravierende wissenschaftliche Mängel und sei deshalb von The Lancet offiziell zurückgezogen worden. ⇒ Siehe Hauptartikel Systematische Reviews zur Homöopathie - Shang (2005) |
Wohlbefinden von Krebspatienten – Studie von Frass und Oberbaum |
Die Studie von Michael Frass, Menachem Oberbaum et al.[40] untersucht die Einschätzung des subjektiven Wohlbefindens von Krebspatienten, die an der Medizinischen Universität Wien behandelt wurden. Die Patienten litten an verschiedenen Krebsarten, die bei allen Patienten mit konventioneller Therapie behandelt wurden. Randomisiert in zwei Gruppen erhielten die Studienteilnehmer entweder zusätzlich eine homöopathische oder keine ergänzende Behandlung. In bis zu drei Besuchen füllten die Patienten Fragebögen zu ihrem generellen Gesundheitszustand und ihrem Wohlbefinden aus. Erfasst wurde also bei beiden Größen die rein subjektive Einschätzung der Studienteilnehmer. Objektive Daten über die Veränderung des Gesundheitszustandes erfasst die Studie nicht, obwohl dies angesichts der räumlichen Nähe in der Wiener Universitätsklinik wahrscheinlich möglich gewesen wäre. Sowohl ihr subjektives Befinden als auch den generellen Gesundheitszustand bewerten die Teilnehmer der Homöopathiegruppe statistisch signifikant besser als in der Vergleichsgruppe ohne zusätzliche Behandlung.
Die in der Studie vorgestellten Ergebnisse werfen unmittelbar einige Fragen auf: Die Studie präsentiert in den Ergebnistabellen nicht die erhobenen Daten, sondern lediglich Mittelwerte. Absolutwerte werden nicht angegeben, so dass sich der Leser kein Bild über die Verteilung und Streuung der Werte machen kann. Dieses Vorgehen birgt daher das Risiko, einzelne Ausreißer in den Daten zu stark zu betonen. Zusätzlich werden Ergebnisse explizit für den „typischen Patienten mittleren Alters ohne Chemotherapie und ohne Metastasen“[B 28] angegeben. Das ist deswegen verwirrend, weil der Leser den Ausgangsdaten (in Tabelle 1 der Studie) entnehmen kann, dass rund die Hälfte der Patienten eine Chemotherapie erhielten und ein Viertel der Patienten Metastasen zeigten. Dies lässt befürchten, dass nur die Ergebnisse einer Teilgruppe der Patienten dargestellt werden. Die Aussagekraft der Studie ist aber hauptsächlich aus zwei Gründen stark eingeschränkt: Die hohe Zahl der Patienten, die die Mitarbeit vor dem geplanten letzten Besuch abgebrochen haben, sowie das Design der Arbeit ganz grundsätzlich. 410 Patienten wurden randomisiert. Doch 37 Patienten waren offenbar unzufrieden mit der ihnen zugewiesenen Gruppe und schieden direkt nach der Randomisierung aus. Damit begann der betrachtete Zeitraum mit nur noch 373 Patienten (194 in der Homöopathiegruppe und 179 in der Kontrollgruppe). 335 Patienten (173 Patienten der Homöopathiegruppe und 162 Patienten der Kontrollgruppe) kamen immerhin zu den ersten zwei der geplanten drei Klinikbesuche und füllten die beiden Fragebögen aus. Den dritten und letzten Besuch nahmen nur noch 282 Patienten (137 aus der Homöopathiegruppe und 145 aus der Kontrollgruppe) wahr und füllten die Fragebögen aus. Das bedeutet, dass nur etwa dreiviertel der Studienteilnehmer bis zum Schluss „am Ball blieb“. Mit 57 Teilnehmern verzeichnete die Homöopathiegruppe zwischen Behandlungsbeginn und dem dritten Kliniktermin nahezu doppelt so viele Abbrecher wie die unbehandelte Kontrollgruppe mit nur 34 ausgeschiedenen Patienten. Im Text der Studie heißt es hierzu, dass das Nichterscheinen zu den Terminen nicht daran gelegen hätte, dass Patienten verstorben waren oder es ihnen ein deutlich verschlechterter Gesamtzustand nicht erlaubt hätte, die Praxis aufzusuchen. Konkrete Daten, die diese Aussage untermauern, fehlen jedoch. Die Autoren geben in der Arbeit an, dass sie versucht hätten, die fehlenden Daten mit dem Verfahren der „multiplen Imputation“[41] auszugleichen. Es ist jedoch bekannt, dass diese Methode nur dann die Qualität des Ergebnisses verbessert, wenn die fehlenden Daten einigermaßen zufällig verteilt sind. Liegt jedoch ein systematischer Grund für das Ausscheiden vor, dann kann die multiple Imputation zu fehlerhaften Ergebnissen führen.[42] Die deutlich höhere Ausfallrate in der Homöopathiegruppe könnte ein Hinweis darauf sein, dass eher Patienten nicht zum nächsten Termin erschienen, die mit dem Erfolg der homöopathischen Behandlung unzufrieden waren. Deswegen muss man trotz der versuchten Rettung mittels Imputation davon ausgehen, dass die Ergebnisse der Studie durch diese Abbruchquoten in Richtung eines zu positiven Bildes für die Homöopathie beeinflusst sein könnten. Tatsächlich zeigten die ausgewerteten Fragebögen, dass die Beurteilung des globalen Gesundheitszustandes und des Wohlbefindens in der Homöopathie-Gruppe statistisch signifikant[B 29] besser war als bei den Patienten ohne zusätzliche Behandlung. Doch sagt dies leider allein aufgrund des Designs der Studie nicht viel aus. Obwohl die Autoren der Studie hier von einer „Kontrollgruppe“ sprechen, handelt es sich bei der Vergleichsgruppe nicht um eine Kontrolle, die dazu dienen könnte, durch die Behandlungssituation entstehende Placeboeffekte aus dem Ergebnis herauszurechnen: Die Gruppenzugehörigkeit war nicht verblindet; die Patienten der „Kontrollgruppe“ erhielten keine zusätzliche Behandlung und wussten das. Dies kann bei Patienten ein Gefühl der Benachteiligung auslösen und damit sogar „Nocebo-Effekte“ hervorrufen, sicher aber nicht die Placeboeffekte, die in der Gruppe zu erwarten sind, die Homöopathika bekommt. Ein aussagekräftiges Studiendesign hätte enthalten, dass die Vergleichsgruppe statt homöopathischer Globuli davon nicht unterscheidbare Zuckerkügelchen ohne homöopathische Wirkstoffe erhalten hätten – und das selbstverständlich gegenüber Patienten und allen Therapeuten gegenüber verblindet. Das Vorgehen in der Studie von Michael Frass, Menachem Oberbaum et al. ist prinzipiell ungeeignet, eine Wirksamkeit eines bestimmten Verfahrens über Placebo hinaus zu belegen, weil kein Vergleich mit einer Placebogruppe stattfindet. Effekte der Behandlung werden so systematisch überschätzt, weil die eine Gruppe durch die zusätzliche Behandlung Placeboeffekte hat, die unbehandelte nicht. Die Schlussfolgerung der Autoren – dass die Ergebnisse nahelegen würden, dass die Homöopathie zur Verbesserung des Gesundheitszustandes geführt habe – ist deshalb selbst in dieser vorsichtig formulierten Form irreführend und durch ein solches Studiendesign nicht abdeckbar: Wegen des Fehlens einer verblindeten Placebovergleichsgruppe können die Daten nicht belegen, dass die Gruppenunterschiede etwas mit dem spezifischen Vorgehen in der Homöopathie zu tun haben und nicht bei jeder anderen zusätzlichen Placebobehandlung auch so aufgetreten wären.[43] |
Traumeel bei Nebenwirkungen einer Krebstherapie – Studien von Oberbaum |
Bei der Frage, ob Homöopathika die Nebenwirkungen von Chemo- oder Strahlentherapie beeinflussen können, wird oft auf eine Studie[44] von Menachem Oberbaum et al. aus dem Jahr 2001 verwiesen. Die Studie untersucht die Wirksamkeit des homöopathischen Komplexmittels Traumeel[B 30] zur Behandlung einer Mundschleimhautentzündung („Stomatitis“),[45] die häufig in Folge einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung von Kopf oder Rachenraum auftritt: Von den 30 Patienten,[B 31] deren Daten in dieser Arbeit ausgewertet wurden, setzten 15 Traumeel, die anderen randomisiert und doppeltverblindet Placebo insgesamt fünf mal täglich als Mundspülung ein. In der Traumeel-Gruppe kam es seltener zur Entzündung der Mundschleimhaut als in der Placebogruppe. Zudem verschlimmerte sich die Stomatitis in der Placebogruppe häufiger. Die Ergebnisse waren signifikant, die Studie wegen der geringen Patientenzahl aber statistisch wenig aussagekräftig. Alexandre de Nonneville stellt in seinem Review[46] klar, dass die Studie von Oberbaum für sich genommen keinen ausreichenden Beleg einer Wirksamkeit darstellt:
Auch eine Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration[B 33][47] betont die Notwendigkeit einer Wiederholung der Untersuchung an größeren Patientenzahlen. Tatsächlich wurde eine solche Replikation mit der Studie von Sencer und Oberbaum[48] 2012 versucht, doch konnten an diesmal über 180 Patienten keine Unterschiede zwischen der mit Traumeel behandelten Gruppe und der mit Placebo behandelten Kontrollgruppe festgestellt werden.
Leider wird bis heute die statistisch wesentlich aussagekräftige Untersuchung von 2012 sehr viel seltener zitiert als die Pilotstudie von 2001 (Stand April 2019: 28 Erwähnungen in der wissenschaftlichen Literatur für die Studie von 2012 im Vergleich zu 242 Zitaten der Arbeit von 2001). Das Beispiel zeigt, wie irreführend die Darstellung wissenschaftlich korrekt erzielter Ergebnisse wird, wenn nur einzelne Arbeiten betrachtet werden, neuere, statistisch besser abgesicherte Replikationen aber ungenannt bleiben, die die alten Ergebnisse als statistische Ausreißer entlarven.
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Nebenwirkungen der Strahlentherapie bei Brustkrebs |
Im Buch „Krebs und Homöopathie“[49] heißt es auf Seite 209 zur Strahlenbehandlung bei Brustkrebs:
Ein betroffener Patient kann leicht durch eine solche Formulierung, gerade durch das Anführen mehrerer Studien, den Eindruck gewinnen, es gäbe eine fundierte Studienlage, dass ein spezifischer Nutzen aus einer komplementären homöopathischen Behandlung bei Strahlentherapie zu erwarten ist – besonders im Falle einer Erkrankung an Brustkrebs. Nur ein Blick in die angeführte Originalliteratur zeigt, dass die genannten Arbeiten dies nicht belegen. Die Veröffentlichung von Bagot[50] ist überhaupt keine klinische Studie zum Thema. Es handelt sich vielmehr um einen Essay über das Verhältnis von behandelndem Onkologen, komplementär arbeitendem Homöopathen und dem Patienten bzw. über mögliche Spannungsfelder in dieser Konstellation. Balzarini[51] und Kollegen schreiben selbst, dass die kleine Zahl an betrachteten Patienten das Ergebnis beeinflusst haben könnte.[B 38] Darüber hinaus waren die Ergebnisse dieser Arbeit nicht durchgängig zugunsten der Homöopathie ausgefallen: Die Studie enthält eine ganze Reihe von Messdaten, die mehrmals im Studienzeitraum kontrolliert wurden. Von diesen erhobenen Werten zeigten keineswegs alle signifikante Unterschiede zu Placebo – und selbst die Werte, die signifikant waren, waren es nicht zu allen Kontrollzeitpunkten. Die Übersichtsarbeit von Milazzo, Russell und Ernst[52] von 2006 stellt dar, wie durchwachsen die Ergebnisse von Balzarini eigentlich waren:
Die Arbeit von Kulkarni[53] von 1988 hat schwerwiegende methodische Mängel, wie etwa fehlende Angaben über die Patienten, die verwendeten Arzneien und die Randomisierungsmethode. Auch die statistische Auswertung der Daten ist nur unzureichend in der Studie wiedergegeben. Milazzo und Kollegen beschreiben dies in ihrer bereits erwähnten Übersichtsarbeit:
All diese Einschränkungen der Belastbarkeit der Evidenz erfährt der Leser aus dem zitierten Buch und anderer von Homöopathen geschriebener Sekundärliteratur oft nicht. Solche Formulierungen legen vielmehr nahe, dass die Evidenz für den Nutzen der Homöopathie bei der Reduktion der Nebenwirkungen der Strahlentherapie gut sei. Derartige Darstellungen sind deswegen medizin-ethisch problematisch,[54] weil der Patient dadurch sehr leicht den Eindruck gewinnen kann, die Strahlentherapie werde ohne begleitende homöopathische Behandlung weniger gut vertragen. Er bekommt also eine Notwendigkeit der komplementären Anwendung der Homöopathie vermittelt, die so durch die Datenlage keineswegs gegeben ist.
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Die Banerji-Protokolle |
Bei den „Banerji-Protokollen“ handelt es sich um eine Variante der Homöopathie, die von mehreren Mitgliedern der aus Indien stammenden Familie Banerji erfunden wurde und zur alleinigen Therapie schwerer Erkrankungen empfohlen wird. Auch hierzulande wird die Behandlung von Krebs mit diesen homöopathischen Verordnungsregeln umfangreich beworben,[55] oft unter Erwähnung verschiedener Laborstudien („in vitro“).[56]
Das Verfahren in Kürze Anders als in der Homöopathie nach Samuel Hahnemenn oder nach James Tyler Kent werden bei den Banerji-Protokollen die homöopathischen Mittel nicht individualisiert nach den Arzneimittelbildern verordnet. Auch bricht das Verfahren mit der homöopathischen Regel, stets nur ein einziges Mittel zu geben. Die Banerji-Protokolle stellen vielmehr eine rein indikationsbezogene Verordnungsmethode dar, bei der alle Patienten mit bestimmten Beschwerden eine dieser Diagnose fest zugeordnete Kombination mehrerer Homöopathika erhalten, oft zeitlich gestaffelt als erste, zweite und mitunter dritte „Verordnungslinie“. Diese festen Verordnungsvorschriften werden von den Banerjis als „Protokolle“ bezeichnet. Meist umfasst diese Kombination auch verschieden hohe Potenzen der Homöopathika. Oft gewählte Potenzen sind C3, C30 und C200.[B 41] Diese Zuordnungsvorschriften sind mittlerweile als „Banerji-Protokolle“ ein eingetragenes Markenzeichen. Laut der hauseigenen Prasanta Banerji Homeopathic Research Foundation (PBHRF) lassen sich mit diesen Vorschriften nicht nur Tumore verschiedenster Art, sondern auch andere, schwerste Erkrankungen heilen, Diabetes etwa mit einer Kombination von Helonias C200 (Sumpfnelke), Iodum C200 (Iod) und Syzygium jambolanum (Jambolanapflaume) als Urtinktur.[57] Teilnahme am Förderprogramm des Amerikanischen Krebsinstituts Ende der 1990er Jahre schuf das Amerikanische Krebsinstitut (National Cancer Institute, NCI) ein Förderprogramm, das die die mögliche Wirksamkeit auch unkonventioneller Behandlungsmethoden untersuchen sollte. Dies erfolgte über die Einrichtung eines eigenen Stabs, dem Cancer Advisory Panel for Complementary and Alternative Medicine (CAPCAM)[58] und später einer dem NCI unterstellten Behörde (Office of Cancer Complementary and Alternative Medicine, USA (OCCAM)). Die Banerjis hörten von diesem Programm und reichten einige Fallbeschreibungen („Best Case Series“) ein. Letztendlich wurden von CAPCAM vier Fälle als ausreichend gut dokumentiert eingestuft, um die Kriterien des Programms zu erfüllen.[59] Wichtig ist, an dieser Stelle deutlich zu machen, dass es bei dem Best-Case-Programm des CAPCAM nicht um einen Wirkungsnachweis ging. Man bewertete die vorgelegten Fallbeschreibungen vielmehr dahingehend, ob diese Einzelfälle eine ausreichende Begründung für eine nähere Betrachtung und eine Untersuchung des Verfahrens in Studien sein könnten. Genau dies war auch das Ergebnis der Daten der vier Patienten, die die Banerjis vorgelegt hatten:
Von daher sind Aussagen der Art, das Amerikanische Krebsinstitut habe die Wirksamkeit der Banerji-Protokolle anerkannt, irreführend. Dies gilt besonders deswegen, weil bis 2020 – etliche Jahre nach diesem Einreichen der Einzelfälle – diese klinische Studie, zu denen das NCI die Banerjis aufgefordert und unterstützt hat, immer noch nicht stattgefunden hat. Bis einschließlich 2020 liegt nicht eine randomisierte, mehrfach verblindete und placebokontrollierte klinische Studie vor, die Hinweise auf eine Wirksamkeit der Banerji-Protokolle belegen würde. Erst recht gibt es keine reproduzierbaren Belege dafür. In-vitro-Studien – Grundsätzliches Weil klinische Studien fehlen, verweist man bei der Bewerbung der Banerji-Protokolle mitunter auf verschiedene „in-vitro-Experimente“. In solchen Experimenten werden die Präparate nicht in realen Behandlungssituationen am Patienten getestet („in vivo“), sondern an einzelnen Krebszellen in Petrischalen. Selbst ein nachvollziehbar und hochwertig durchgeführter in-vitro-Test mit reproduzierbarem Ergebnis kann deshalb grundsätzlich und unabhängig von der Homöopathie keinen Beleg der Wirksamkeit eines Präparats im lebenden Patienten darstellen. In der Zellkultur herrschen andere Bedingungen als im Patienten. Das getestete Mittel erreicht die Zellen oft in einer viel höheren Konzentration als es bei der oralen Einnahme überhaupt möglich wäre. Zudem wirken im Körper Regel- und Puffermechanismen, so dass selbst vielversprechendste in-vitro-Ergebnisse im Patienten nicht zwangsläufig zu wirksamen Arzneien führen. Der britische Arzt Ben Goldacre veranschaulicht dies am Beispiel von Benzin, das in der Petrischale mühelos Krebszellen abtöten kann, aber dennoch in der Krebstherapie – leicht nachvollziehbar – völlig unbrauchbar ist.[60][B 43] Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass etliche der im Zusammenhang mit den Banerji-Protokollen durchgeführten in-vitro-Arbeiten nicht einmal hochwertig in der Ausarbeitung sind und deshalb wiederholt von Fachleuten kritisiert wurden. Oft fehlen wesentliche Angaben oder eine statistische Auswertung der Ergebnisse komplett. Experimente von Pathak von 2003 Verschiedene Beschreibungen der Banerji-Protokolle wie zum Beispiel der Film Answer to Cancer[56] stellen die Veröffentlichung von Sen Pathak aus dem Jahr 2003[61] als einen Wirksamkeitsnachweis der in den Banerji-Protokollen verwendeten Homöopathika dar. In der Arbeit wird nominell mit denselben Potenzen gearbeitet, wie sie in den Banerji-Protokollen bei Tumoren des Gehirns eingesetzt werden (Ruta C6 (Weinraute) und Calcarea phosphorica in D3 (Ca3(PO4)2 Calciumphosphat)). Da in-vitro die Zellen aber direkt in der Lösung liegen, ist die tatsächlich auf die Zelle wirkende Konzentration selbst in der niedrigsten verwendeten Dosierung deutlich höher als im lebenden Patienten. In den Experimenten werden sowohl normale, gesunde menschliche Zellen als auch Tumorzellen einer Wasserstoffperoxidlösung ausgesetzt. Die einzelnen Proben werden dann mit verschieden hohen Dosen von Ruta und Calciumphosphat behandelt. Anschließend wird geprüft, ob sich die Toxizität unter der Behandlung verändert.[B 44] Bei genauer Betrachtung sprechen die Ergebnisse keineswegs für die Banerji-Protokolle: In Tabelle 1 der Arbeit kann man ablesen, dass der Index der Tumorzellteilungsrate in der Ruta-Urtinktur noch geringer war als in der niedrigsten Dosierung von Ruta C6, die immer noch deutlich höher liegt, als das, was bei Krebszellen innerhalb des Organismus bei Behandlung nach den Banerji-Protokollen ankäme.[B 45] Ginge man danach, müssten die Banerjis also deutlich höhere Konzentrationen von Ruta einsetzen. Das wird in der Arbeit allerdings überhaupt nicht diskutiert. Neben den in-vitro Experimenten berichten die Autoren auch von 15 Krebspatienten, die Behandlungen nach den Banerji-Protokollen erhalten haben. Obwohl beeindruckende Ergebnisse genannt werden (so sollen sich bei acht von neun Patienten Glioma[B 46] vollständig zurückgebildet haben), werden diese durch keinerlei nachvollziehbare Angaben belegt. In der Arbeit werden keine Patientendaten angegeben, keine Diagnoseergebnisse, keine Schilderungen etwa erfolgter anderer Behandlungen, aber auch keine Nachweise, dass keine anderen Behandlungen erfolgt sind, sowie keine Belege der erfolgten Besserungen. Damit verfehlt die Arbeit hier eigentlich den zentralen Sinn einer wissenschaftlichen Veröffentlichung schlechthin: Die Behandlungen und ihre Ergebnisse transparent und nachvollziehbar für die Kollegen zu dokumentieren. Sie als Wirksamkeitsbeleg anzuführen, ist deshalb irreführend. Experimente von Frenkel 2010 Eine zweite, oft zitierte in-vitro Arbeit[62] haben die Banerjis zusammen mit Moshe Frenkel und anderen Autoren 2010 veröffentlicht. Untersucht wurde, ob verschiedene in den Banerji-Protokollen eingesetzte Homöopathika – Carcinosin (eine Brustkrebsnosode), Phytolacca (Kermesbeere), Conium (Schierling) und Thuja (Lebensbaum) – in-vitro Effekte auf Brustkrebszellen haben. In den Experimenten wurden die in unterschiedlichen Potenzen eingesetzten Arzneien mit 87-prozentigem Neutral-Alkohol verdünnt, der auch als Kontrollsubstanz eingesetzt wurde. Methodik und Schlussfolgerungen der Autoren wurden von verschiedenen Wissenschaftlern kritisiert. Darunter waren die australische Zellbiologin Dr. Rachael Anne Dunlop[63] und Dr. David Gorski,[64] der auf dem Gebiet der Brustkrebsforschung tätig ist und selbst mit den Zellstämmen, die in der Arbeit benutzt werden, gearbeitet hat. Beide weisen darauf hin, dass die Kontrollen zeigen, dass der als Lösungsmittel verwendete Alkohol bereits einen ganz erheblichen Teil der Krebszellen abtötet und das Fehlen sauberer Statistik in der Veröffentlichung deswegen keine Schlussfolgerungen über die Ergebnisse zulässt. In der gesamten Arbeit gibt es keine Statistiken, die zeigen würden, ob die beschriebenen Unterschiede zu den ausschließlich mit Alkohol behandelten Zellstämmen überhaupt signifikant sind. Die Autoren beschreiben lediglich qualitative Ergebnisse in geeignet ausgewählten Bildern, aber es fehlt die Quantifizierung der Ergebnisse, sowie Angaben, ob sie der statistischen Analyse standhalten. Auch werden die Ergebnisse einiger Untersuchungen gar nicht gezeigt,[B 47] für andere Tests werden die Ergebnisse in sehr unüblicher Weise angegeben, in der man nicht erkennen kann, ob es relevante Unterschiede gibt.[63] David Gorski betont außerdem, dass die Beschreibungen von Überlebensraten von Patienten, wie sie die Autoren anführen,[B 48] ebenfalls nicht aussagekräftig sind und nicht belegen können, dass die Behandlung nach den Banerji-Protokollen einen Überlebensvorteil für die Patientinnen brachte:
Experimente von Mondal 2014 In einem Zeitschriftenartikel[65] wurden auch die in-vitro Experimente von Jesmin Mondal et al.[66] als Wirksamkeitsbeleg der Mittel herangezogen. Ein Blick in die Originalveröffentlichung von Mondal zeigt jedoch, dass hier überhaupt nicht mit den in den Banerji-Protokollen eingesetzten hohen Verdünnungen gearbeitet wurde. Die Versuche werden vielmehr mit verschiedenen Konzentrationen (bis zu 450 μg/ml) der Urtinktur im Trägermedium durchgeführt. Die Banerjis setzen beispielsweise Conium (Schierling) aber nicht in Form der Urtinktur ein, sondern in C3, was einem Millionstel der Wirkstoffkonzentration der Urtinktur entspricht. Die Ergebnisse von Mondal et al. können daher auch nichts zur Wirksamkeit der von den Banerjis eingesetzten Verdünnungen aussagen. Die Autoren beziehen sich auch nirgendwo im Text auf die Banerjis und ihre Protokolle, so dass nicht einmal Grund zur Annahme besteht, dass sie jemals von den Banerjis gehört haben oder ihre Experimente in Zusammenhang mit den Behauptungen der Banerjis sehen. Weitere Informationen zu den Banerji-Protokollen finden sich auf dem Blog von Dr. Norbert Aust im Artikel „Homöopathische Krebsbehandlung nach den Banerji-Protokollen“ (externer Link) |
Neben einzelnen positiven Studienergebnissen beziehen sich Homöopathen mitunter vage auf andere naturwissenschaftliche Begriffe, die die Wirksamkeit der Homöopathika belegen oder zumindest plausibel machen sollen. Beispiele hierfür wären Verweise auf Nanopartikel oder die Quantenphysik. Die Plausibilität der Erklärungsversuche für die Wirkungsweise der Homöopathie und die Zulässigkeit der Verwendung naturwissenschaftlich definierter Begriffe bei diesen Versuchen werden in den Artikelkategorien Erklärungsversuche für die Wirkungsweise homöopathischer Präparate und Wissenschaftliche Begriffe betrachtet.
Für weitere häufig vorgebrachte Aussagen
⇒ siehe Oft gehörte Argumente - Hinweise auf persönliche Erfahrungen, Beliebtheit und Wohlfühlcharakter
⇒ siehe Oft gehörte Argumente - Verbreitete Vorstellungen über den Placebo-Effekt
⇒ siehe Oft gehörte Argumente - Allgemeines über klinische Studien
⇒ siehe Oft gehörte Argumente - Aussagen über Wissenschaft
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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