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Tierhomöopathie
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Version vom 22. September 2019, 01:17 Uhr
Tierhomöopathie oder auch Veterinärhomöopathie ist die Anwendung der Homöopathie in der Behandlung von Haus- und Nutztieren.
Die Tierhomöopathie ist weit verbreitet. Das dokumentiert nicht nur ein breites Angebot an Büchern zum Thema, denn es ist einfach naheliegend, dass überzeugte Anwender den Wunsch verspüren, auch ihre Haustiere mit Globuli selbst behandeln zu können. Tierheilpraktiker bieten in aller Regel homöopathische Behandlungen an.
Genesungen beim Tier werden von Homöopathen mitunter als Beleg für eine Überlegenheit der Globuli gegenüber Placebos benannt. Nicht selten mit der Begründung, dass sich Tiere nichts einbilden könnten oder auch gar nicht wüssten, dass sie Globuli bekommen haben.[1][2][B 1]
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 4
Mit derselben Intension wird darauf hingewiesen, dass der Einsatz der Homöopathika im Stall doch dokumentiere, dass sich die Arzneien bewähren – Landwirte seien schließlich auf Kosteneffizienz angewiesen.
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 6.2
Über weit verbreitete Kurse und Ratgeberbücher ist sie eine zusätzliche Einnahmequelle für Heilpraktiker und Tierärzte.[3]
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 6.1
Tatsächlich liefern Studien keine Argumente für den Einsatz von Homöopathika bei Tieren.[4]
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 5
Die Homöopathie wird als nebenwirkungsfreie Behandlungsalternative beschrieben, mit der man sogar dem wachsenden Problem resistenter Keime begegnen könne.[5][B 2] Nach eigener Definition behandelt die (klassische) Homöopathie aber keine Keime, sondern Symptome.
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 7
Inhaltsverzeichnis
- 1 Abgrenzung von Naturheilkunde und Pflanzenheilkunde (Phytotherapie)
- 2 Historische Entwicklung
- 3 Kontroversen innerhalb der Veterinärhomöopathie
- 4 Belegen Besserungen nach Globuligabe bei Tieren die Überlegenheit gegenüber Placebo?
- 5 Studienlage
- 5.1 Gesetzliche Relevanz
- 5.2 Cracknell et al.: Silvesterangst bei Hunden
- 5.3 Homöopathische Behandlung von Mastitis
- 5.4 Homöopathische Prophylaxe von Durchfall bei Ferkeln
- 5.5 Eugenische Prophylaxemaßnahmen
- 5.6 Systematischer Review von Mathie und Clausen
- 5.7 Systematischer Review von Sundrum und Doehring
- 5.8 Fazit
- 6 Finanzielle Aspekte
- 7 Versprechen der Reduktion von Antibiotika in der Nutztierhaltung
- 8 Politische Aspekte
- 9 Zusammenfassung
Abgrenzung von Naturheilkunde und Pflanzenheilkunde (Phytotherapie)
Homöopathie wird oft mit Naturheilkunde und Phytotherapie gleichgesetzt. Dies ist unzutreffend. Phytopharmaka enthalten Pflanzenteile oder aufbereitete Pflanzenteile in ausreichender Menge, um eine pharmazeutische Wirkung hervorzurufen und werden nicht nach dem Ähnlichkeitsprinzip, sondern nach den bekannten Anwendungsgebieten ihrer Inhaltsstoffe in Abhängigkeit einer medizinischen Diagnose verabreicht. Wolfgang Löscher, Professor für Pharmakologie und Toxikologie, erklärt die Abgrenzung der Homöopathie von der Naturheilkunde und der Pflanzenheilkunde zusätzlich folgendermaßen:
Homöopathie ist kein Naturheilverfahren, da die Prinzipien der Homöopathie (z. B. die Wirkstoffpotenzierung) in der Natur keine Rolle spielen und eine von einem einzigen Arzt erdachte und erprobte „besondere Therapierichtung“ ebensowenig wie die Akupunktur unter den Naturheilverfahren subsummiert werden kann. Homöopathica sind nicht mit Phytotherapeutica gleichzusetzen, da bei der Herstellung von Homöopathica im Gegensatz zur Phytotherapie nicht nur Rohmaterialen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs verarbeitet werden.[6]
Umfragen des Allensbach-Instituts belegen, dass die Homöopathie sehr oft mit Naturheilkunde oder noch spezieller mit der Pflanzenheilkunde verwechselt wird. Während homöopathische Präparate zwar namentlich über 90 % der Befragten bekannt waren, konnten 2009 nur 17 % von ihnen wenigstens eines der Grundprinzipien des Verfahrens benennen. 31 % der Befragten verwechselten die Homöopathie mit der Pflanzenheilkunde, 43 % mit der Naturheilkunde.[7]
Aus diesem Grund erscheint der Hinweis wichtig, dass sich die folgenden Abschnitte ausschließlich auf die Homöopathie nach Hahnemann und die abgeleiteten Varianten der Homöopathie, nicht aber auf allgemeine Naturheilkunde oder Pflanzenheilkunde, beziehen.
Hintergrundinformation: Kompakte Beschreibung der Homöopathie |
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Homöopathie ist ein Verfahren, das vor über 200 Jahren von dem sächsischen Arzt Samuel Hahnemann erfunden wurde. Es beruht vor allem auf folgenden Prinzipien:
Während man im Zusammenhang mit homöopathischen Behandlungen oft liest, die Homöopathie behandele ursächlich, erfolgt eine homöopathische Behandlung in Wirklichkeit rein symptomorientiert und vollkommen ohne Bezugnahme auf die krankheitsbedingten, aber nicht in Symptomen erfassbaren Vorgänge im Körper. Manche Homöopathen räumen diesen Umstand durchaus ein und bezeichnen die Homöopathie als rein „phänomenologisch orientiert“ und damit als „nicht so sehr bestrebt, Krankheiten pathophysiologisch zu ergründen und zu erklären, sondern vielmehr die beobachtbaren und erkennbaren Krankheitszeichen (Symptome) des Patienten möglichst genau zu beschreiben.“[8] „Homöopathische Arznei“ bedeutet im übrigen nicht automatisch einen hohen Verdünnungsgrad oder Wirkstofffreiheit. In sehr niedrigen Potenzen sind durchaus noch pharmakologisch relevante Dosen in den Präparaten enthalten. „Homöopathisch“ werden diese Präparate durch ihre Verordnung nach dem Ähnlichkeitsprinzip. |
Historische Entwicklung
Die Geschichte der Anwendung der Homöopathie auf Haus- und Nutztiere beginnt 1815. Der Coburger Hofapotheker Christian Heinrich Donauer gilt als Autor der ersten tierhomöopathischen Schrift: „Vorschläge zur zweckmäßigen Behandlung kranker Hunde“.[9]
Samuel Hahnemann selbst hält eine Anwendung der von ihm erfundenen Methode auch bei Tieren für möglich. Er vertritt jedoch konsequent die Ansicht, dass es dafür eigener Arzneimittelprüfungen am Tier bedarf. Jacques Millemann zitiert Hahnemann hierzu aus einem Vortrag, den der 1829 in Leipzig gehalten hat:[10]
Ihm (dem erfahrenen Lehrer für die Tierarzneischulen) steht ein Versuchsstall zu Gebote mit gesunden Tieren, an welchen er die wirksamsten einfachen Arzneien unter den Augen seiner Lehrlinge auf Probe setzt, um zuerst ausfindig zu machen, welche Krankheitssymptome das gegebene Arzneimittel an mehreren dieser Tiere hervorbringt…
Mitte des 19. Jahrhunderts sind es vor allem einzelne Personen und ihre Schriften, die die Veterinärhomöopathie prägen.
Johann Carl Ludwig Genzke gibt 1837 eine „Homöopathische Arzneimittellehre für Tierärzte“ heraus. Auf 450 Seiten berichtet er über 67 Arzneimittelprüfungen an Hunden, Pferden und Rindern.[11]. Der Theologe Friedrich August Günther bringt ebenfalls 1837 sein Buch „Der homöopathische Thierarzt, Teil 1-3“ heraus, allerdings ohne selbst Tierarzt zu sein. Carl Ludwig Böhm schreibt zwischen 1848 und 1878 mehrere Bücher und Aufsätze zur Tierhomöopathie.[12]
Mit der allgemeinen Verbesserung der medizinischen Kenntnisse sinkt jedoch – ähnlich wie durch die Entwicklung der Humanmedizin beim Menschen – auch beim Tier die Veterinärhomöopathie um 1900 in die relative Bedeutungslosigkeit. In Deutschland erlebt sie ab 1950 unter dem Einfluss des Tierarztes Hans Wolter einen neuen Aufschwung. Wolter gründet die „Homöopathisch-Biologische Arbeitsgemeinschaft für Tierärzte“ und bringt mehrere Bücher auf den Markt.[13]
Heute spielt sich ein großer Teil der Tierhomöopathie im Laienbereich ab, vor allem über Tierhalter und Tierheilpraktiker. Sie kommt aber auch in Tierarztpraxen zum Einsatz und findet sich im Kursangebot von Landwirtschaftskammern[5] oder in den Veröffentlichungen[14][15][16][17] tierärztlicher Hochschulen.
Kontroversen innerhalb der Veterinärhomöopathie
Gleich mehrere Punkte im Gedankengebäude der Tierhomöopathie sind unter Homöopathen seit dem 19. Jahrhundert strittig.
Ungelöstes Problem der Arzneimittelbilder: Analogiestreit
Hahnemann fordert als unabdingbare Basis einer Veterinärhomöopathie eigene Arzneimittelprüfungen am Tier, sogar gesondert für jede Tierart.[B 3] Diese Ansicht wird von mehreren Vertretern der Tierhomöopathie geteilt, was auch dazu führt, dass noch im 19. Jahrhundert einzelne Homöopathen eine Reihe von Arzneien am Tier prüfen. Genzke hinterlässt – wie erwähnt – eigene Prüfungen.[11] Der französische Tierarzt Farré prüft 90 homöopathische Arzneien an verschiedenen Tierarten.[18]
Auch Clemens von Bönninghausen wendet die Homöopathie wiederholt an Tieren an, doch sind von ihm keinerlei Arzneimittelprüfungen überliefert. Es wird deshalb angenommen, dass er einer der ersten Homöopathen ist, die die Ansicht vertreten, dass die Symptome aus am Menschen durchgeführten Arzneimittelprüfungen auf Tiere übertragen werden können.[19]
Millemann[10] betont in der von ihm herausgegebenen Materia medica,[B 4] dass die von Hahnemann gefordeten Arzneimittelprüfungen am Tier nur in wenigen Beispielfällen durchgeführt wurden oder deren Ergebnisse unbeachtet blieben. Zu demselben Ergebnis kommt auch Kerstin Röhrs, die in ihrer Dissertation die historischen Wurzeln der heute in der Veterinärhomöopathie verwendeten Arzneimittelbilder („AMB“) am Beispiel von fünf häufig eingesetzten Arzneien untersucht hat: Arsenicum album (Arsen(III)-Oxid), Belladonna (Tollkirsche), Lachesis (Buschmeister-Schlange), Nux vomica (Brechnuss) und Pulsatilla (Kuhschelle). In der Summe findet sie, dass heute nur sehr kleine Anteile der Arzneimittelbilder auf Arzneimittelprüfungen am Tier zurückzuführen sind.[20] Erheblich mehr beruhen die Behandlungen von Tieren auf den auch unter Homöopathen umstrittenen humanhomöopathischen Entsprechungen, also auf Symptomen, die aus Arzneimittelprüfungen am Menschen stammen:
Derzeit basiert die Arzneimittelwahl in der Veterinärhomöopathie auf der Grundlage von AMB, die überwiegend Symptome humanhomöopathischer Herkunft beinhalten. Obwohl einige Symptome eines AMB bei Mensch und Tier vermutlich ähnlich sind, sind die Feinheiten, welche für die Arzneimittelwahl entscheidend sind, bei Mensch und Tier unterschiedlich. Eine Übertragbarkeit von Symptomen vom Mensch auf das Tier (und zwischen den einzelnen Tierarten) wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich beurteilt.[20]
Röhrs beschreibt, dass sich in der modernen veterinärhomöopathischen Literatur viele verschiedene Sichtweisen auf die Problematik der Übertragbarkeit der Arzneimittelbilder finden:
Während auf der einen Seite die Meinung vertreten wird, dass (1) die humanen AMB ohne weiteres auf das Tier übertragbar sind (WOLFF, 1980 u. 1994; SCHMIDT, 1995 u. 2002) oder (2) eine Übertragung mit Berücksichtigung der tierart-spezifischen Eigenheiten möglich ist (KRÜGER, 1991; WESTERHUIS, 1991; ANDRESEN, 1992; KING, 1992; MILLEMANN, 1994; RAKOW, 1997), sehen andere Autoren (3) die Notwendigkeit von AMP am Tier und der Entwicklung einer eigenständigen veterinärhomöopathischen Arzneimittellehre als gegeben an (LAGONI, 1985; DAY, 1992; LÖSCHER, 1992; SCHÜTTE, 1994).[21]
Christopher Day[22] schreibt, dass es unzulässig ist, für alle Fälle zu postulieren, dass die Arzneien beim Tier ähnliche Symptome hervorrufen wie beim Menschen. Der Pharmakologe Wolfgang Löscher[23] weist darauf hin, dass dies aufgrund der bekanntermaßen unterschiedlichen Reaktion von Mensch und Tier auf pharmakologische Wirkstoffe eigentlich auch nicht zu erwarten ist.
Hans Günter Wolff schreibt,[24] dass sich die Prüfungsergebnisse am Tier nur wenig von denen des Menschen unterscheiden und man deshalb die Prüfungsergebnisse ohne weiteres übertragen könne. Dagegen schreibt Jacques Millemann, es bedürfe langjähriger Erfahrungen, um die humanen Arzneimittelbilder in brauchbare Arzneimittelbilder für die verschiedenen Tierarten umzudeuten, da das Verhalten eines Tieres von mehreren Faktoren (Vererbung, Training, gesundheitliche Störungen) abhängt und nur die letzteren auszuwerten seien.[25] Dennoch finden sich in der von Millemann herausgegebenen „Materia medica der homöopathischen Veterinärmedizin“[10] auch Symptome in den Arzneimittelbildern, die offensichtlich am Menschen erhoben wurden und beim Tier nur wenig Sinn ergeben. So soll „Achillea millefolium“ (Schafgarbe) gegeben werden, wenn sich durch Wein Besserungen einstellen oder „Antimonium crudum“ (Schwarzer Spießglanz, Antimon(III)-sulfid (Sb2S3)), wenn sich die Symptome bereits beim Denken an Essen verschlechtern.
Abweichend von Hahnemanns klarer Vorgabe, Tierhomöopathie könne nur über „…sorgfältige Erforschung der Reinen Wirkung der bekannten Arzneimittel auf die verschiedenen Arten gesunder Haustiere…“[26] erfolgen, schreibt Wolter pragmatisch und unter Missachtung der verbreitet anders lautenden Aussagen seiner Kollegen, so lange solche Prüfungen nicht in ausreichender Form vorlägen.[11]
…nehmen wir die objektiven Symptome der menschlichen Arzneimittelbilder als Grundlage, und wir fahren gut dabei. Dies ist die einhellige Meinung aller, die Homöopathie beim Tier betreiben.
Die Rechtfertigung sieht Wolter – wie in der Homöopathie üblich – in den „Kasuistiken“, also in den Beschreibungen von Einzelfällen:
Bei einem erkrankten Tier werden die vorliegenden Krankheitssymptome registriert und mit den in Frage kommenden humanen AMB verglichen. Diejenigen Symptome, welche nach Anwendung des gewählten Mittels verschwinden, werden in das AMB aufgenommen. Die Symptomauflösung muss reproduzierbar sein, also unter möglichst ähnlichen Bedingungen immer wieder erreicht werden.[8]
Die von Hahnemann (und anderen) angemahnten Arzneimittelprüfungen erspart man sich also in der Praxis aus Aufwandsgründen und fühlt sich durch jede zeitlich mit einer homöopathischen Behandlung korrelierte Besserung in diesem Vorgehen bestätigt. Andere Tierhomöopathen lehnen diese Übertragung ab,[27] eine einheitliche und durch aussagekräftige Daten begründete Meinung zur Notwendigkeit eigener Prüfungen am Tier existiert innerhalb der Homöopathen bis heute nicht.
Wie in der Humanhomöopathie auch, ist diese Praxis als echte Überprüfung der Arzneimittelbilder aus wissenschaftlicher Sicht ungeeignet: Das Problem dieser Vorgehensweise liegt darin, dass hier systematisch unerfasst bleibt, wie oft keine Symptomauflösung erfolgt, beziehungsweise ob diese schneller oder umfassender erfolgt als unbehandelt oder unter Placebobehandlung. Weil immer nur Erfolgsfälle registriert werden, ausbleibende Besserungen nach der Gabe eines Mittels aber entweder als „Erstverschlimmerungen“ ebenfalls als Bestätigung der Behandlung gedeutet werden oder aber vollkommen undokumentiert bleiben, muss dieses Vorgehen unvermeidbar in Bestätigungsfehler[28] und Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschlüsse laufen.
Mittelwahl und Komplexmittelstreit
Wie in der Humanhomöopathie kommen in der Praxis der Tierhomöopathie mehrere einander widersprechende Therapievarianten zum Einsatz.
Hahnemann nimmt in seinem Hauptwerk, dem Organon, klar Stellung: Es sollen ausschließlich Einzelmittel gegeben werden, das gleichzeitige Verabreichen von mehreren Arzneien könne die Symptomatik verschleiern, die Fallbeurteilung erschweren und sogar neue Symptome erzeugen.[29] In der Folge verwendet die klassische Homöopathie ausschließlich Einzelmittel und diese oft in Hochpotenz, auch jenseits der Avogadrogrenze. Nach Hahnemann müssen die Einzelmittel außerdem unbedingt individuell auf den jeweiligen Patienten und sein Symptombild abgestimmt sein.
Hiervon weichen Homöopathen sowohl in der Humanhomöopathie als auch in der Veterinärhomöopathie nicht selten großzügig ab. Die Anamnese am Tier gilt als erschwert, weil das Tier seine Beschwerden nicht schildern kann und somit ein großer Teil der subjektiven Symptome nicht erhebbar ist. Das Problem wird dadurch umgangen, dass man entweder in der Wahl der Mittel oder in der Verschreibungspraxis von Hahnemanns Vorgaben abweicht.
So ist das Empfehlen einzelner Mittel nach sogenannten „bewährten Indikationen“ weit verbreitet. Hierbei wird im Widerspruch zur Hahnemannschen Lehre das Mittel nicht individualisiert über die Gesamtheit der Symptome eines bestimmten Patienten gewählt, sondern ein bestimmtes Beschwerdebild („Verstauchung“, „Durchfall“,...) wird ohne weitere Betrachtung anderer Symptome mit immer demselben oder einigen sehr wenigen Mitteln angegangen. Obwohl die Mittelwahl nach Indikation letztlich Basis der meisten im Handel befindlichen und gut verkauften Ratgeberbücher ist, lehnen andere Vertreter der Tierhomöopathie dieses Vorgehen strikt ab und weisen sogar auf nach Hahnemann zu erwartende Prüfsymptome hin.[30]
Ebenfalls im Widerspruch zur oft beworbenen Individualität der homöopathischen Behandlung steht die in der Tierhomöopathie verbreitete völlige Vereinheitlichung der empfohlenen Dosen. So wird dieselbe Menge Globuli für Tiere unterschiedlichster Größe verordnet.[8][3]
Auch dass nach Hahnemann stets nur ein Einzelmittel gegeben werden darf, und das in Hochpotenz, wird in der Praxis nicht eingehalten. Hans Wolter beispielsweise wendet sich gegen Hochpotenzen.[11] Er empfiehlt Komplexmittel, also indikationsbezogen verordnete Mischungen verschiedener homöopathischer Einzelmittel, da sie einen guten Einstieg darstellen, die Mittelwahl erleichtern und schnell zu Erfolgen führen würden. Klassische Homöopathen lehnen sowohl die Begründung als auch die Gabe von Komplexmitteln generell ab.[3][31]
Sowohl in der Humanhomöopathie als auch in der Tierhomöopathie ist der Streit um die Nutzung der Komplexmittel vollkommen offen. Einige Verbände wie der DZVhÄ lehnen im Sinne Hahnemanns die Gabe von Komplexmitteln als „unhomöopathisch“ ab, andere Verbände wie die Hufelandgesellschaft sehen die Komplexmittel als Teil der Homöopathie.[32] Eine Datenerhebung zur Klärung dieser Frage findet weder an Mensch noch Tier statt, beide Lager berufen sich auf „erlebte Besserungen“ nach Behandlungen.
Hintergrundinformation: Hahnemanns nie veröffentlichte Ergänzung zum Organon – § 274 b[33] |
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Zeitgenossen Hahnemanns, vor allem Karl Julius Aegidi und Clemens Maria Franz von Bönninghausen experimentierten mit zwei gleichzeitig verabreichten Arzneien in Hochpotenz. Durch die Ergebnisse überzeugt, berichtete Aegidi Hahnemann in einem Brief von seinen Versuchen. Hahnemann zeigte sich offen und antwortete, es sei durchaus mit seiner Lehre vereinbar, ein solches Doppelmittel in Hochpotenz zu geben, wenn beide Mittel gleichermaßen den Symptomen entsprächen. Er versprach, selbst Untersuchungen durchzuführen und später auch einen entsprechenden Paragraphen in die fünfte Auflage seines Organons aufzunehmen.
Der Textentwurf für diesen § 274 b ist bekannt. Darin heißt es:
Später hat sich Hahnemann dann aber doch gegen diese Ergänzung entschieden und begründete dies Bönninghausen gegenüber, von den Vorzügen der Doppelmittel nicht überzeugt gewesen zu sein. Möglicherweise fürchtete er aber bereits hier eine zu große Aufweichung seines Verfahrens. Dabei sind die von Hahnemann hier in Betracht gezogenen Doppelmittel weit von der Praxis der Komplexmittel entfernt: Komplexmittel werden stets in gleicher Zusammensetzung gegeben – nicht an die Symptome des einzelnen Patienten angepasst – enthalten meist mehr als zwei Mittel und diese oft in nicht niedrigen Potenzen. Komplexmittel wären also, selbst wenn sich Hahnemann nicht ohnehin noch gegen die Veröffentlichung des § 274 b entschieden hätte, nicht über diesen zu rechtfertigen gewesen, sondern sicher unter das gefallen, was Hahnemann als allopathische Vielmischerei bezeichnete. |
Nosodenstreit
Die Nosoden stellen neben der Anwendung der Komplexmittel eine weitere, von Hahnemanns Ausführungen abweichende, Variante der Homöopathie dar, die bis heute auch in der Tierhomöopathie weit verbreitet ist.
Definition
Eine eigene Kategorie homöopathischer Präparate wird heute unter dem Namen „Nosoden“ geführt. Als Arznei zum Einsatz kommen hier entweder direkt Bakterien oder aber Körpersekrete und Gewebe erkrankter Tiere, welche mit Viren oder Bakterien infiziert sind. Auch die Herstellung von Eigennosoden ist verbreitet,[34] dabei werden Speichel, Eiter, Schleim, Urin, Stuhl oder Gewebe des Patienten zu seiner persönlichen Nosode verarbeitet. Dieses Verfahren wird als Nosodentherapie oder leicht abgewandelt als Isopathie bezeichnet. So wie Homöopathie wörtlich „ähnliches Leiden“ bedeutet, bedeutet Isopathie wörtlich „dasselbe Leiden“: Sollen in der Homöopathie Arzneien heilen, bei denen in Arzneimittelprüfungen am Gesunden ähnliche Symptome gemeldet wurden, so verwendet die Isopathie direkt das infizierte Material.
Kritik durch Vertreter der klassischen Homöopathie
Nosoden werden bereits 1831 bei Constantin Hering, Namensgeber der Heringschen Regel, in seinem Artikel Nachträgliche Bemerkungen über das Schlangengift erwähnt. Bekannter wird die Isopathie aber erst, als der Tierarzt Johann Joseph Wilhelm Lux 1833 seine Isopathik der Contagionen[35] veröffentlicht und später in einer eigens von ihm herausgebrachten Zeitschrift, der Zooiasis auf die Isopathie aufmerksam macht.[36]
Gustav Wilhelm Groß verfasst 1835 in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung 1834 einen positiven Artikel über die Isopathie. Er selbst setzt um 1830 Krätzenosoden ein, in der Hoffnung, „alte psorische Übel“, durch eine erneute Ansteckung mit Krätze leichter mittels homöopathischer Arzneien therapierbar zu machen.[37]
Andere Autoren wie Genzke und Hilmer stören sich an den unprofessionell dargestellten Geschichten in Zooiasis, die hauptsächlich von Laien stammen. Besonders heftige Kritik kommt von Hahnemann selbst, der sich sogar im Organon gegen die Isopathie ausspricht. So schreibt er in der Einleitung der 6. Auflage des Organons:
Auf diese Beispiele aus der Hausmittel-Praxis baut Hr. M. Lux seine sogenannte Heilart durch Gleiches und Idem, von ihm Isopathie genannt, welche auch schon einige excentrische Köpfe als das non plus ultra von Heilmethode angenommen haben, ohne zu wissen, wie sie es realisiren könnten (…)
Was in jenem Buche ebenfalls als Heilung durch Isopathie angeführt wird, (…) wird doch keinen gewissenhaften Arzt zur gefährlichen Nachahmung verleiten, oder zur Aufbauung eines eben so gefährlichen, als in seiner Ausdehnung höchst unwahrscheinlichen, sogenannten isopathischen Systems, wofür es (nicht der bescheidene Verfasser des Büchleins: Die Isopathik der Contagionen, Leipz. b. Kollmann, wohl aber) die excentrischen Nachbeter ausgeben, vorzüglich Hr. Dr. Gross (s. allg. hom. Z. H. S. 72.), der diese Isopathie (aequalia aequalibus) für den einzig richtigen Grundsatz zum Heilen ausschreit und in dem similia similibus nur einen Notbehelf sehen will; undankbar genug, nachdem er doch einzig nur dem similia similibus Ruf und Vermögen zu danken hat.[38]
Einen Brief, in dem Lux ihn bittet, ihm die Zooiasis widmen zu dürfen, beantwortet Hahnemann nicht.[39]
Auch eine ausführliche Untersuchung der Methode von Lux durch die Berliner Königliche Tierarzneischule 1834 bringt keine Einigung: Durchgeführt werden vier isopathische und fünf homöopathische Behandlungen, sowie 13 Arzneimittelprüfungen. Im Ergebnis zeigt sich „kein anderes Moment als die gänzliche Nichtigkeit aller Anpreisungen des Dr. Lux“.[40] Natürlich entbrennt in der Folge ein Streit um die Qualität der Überprüfung. Während einige Zeitgenossen bestätigen, dass die Versuche sorgfältig nach den Regeln der Homöopathie erfolgten, versuchen verschiedene Homöopathen das Gutachten zu entkräften. Man streitet den beiden Tierärzten, die die Versuche leiteten, jede Sachkenntnis der Homöopathie ab oder kritisiert ganz allgemein, dass die Zooiasis von Lux Anlass oder Grundlage zur der Homöopathie sein soll. Man weist darauf hin, dass sich auch viele Homöopathen von Lux und den von ihm angewendeten Nosoden distanzieren. Lux selbst verteidigt sich damit, dass aus seiner Sicht in einigen Versuchen ein falsches Mittel oder nicht die richtige Potenz angewendet worden sei. Einige spätere Autoren bestätigen seine Einschätzung, andere widerlegen sie.[41]
Fazit
Tierhomöopathie ist von ihren Anfängen bis heute ein Gemisch aus einander widersprechenden Vorstellungen und Therapie-Maßnahmen. Es gibt unter den Homöopathen weder Einigkeit darüber, ob Einzelmittel oder Komplexmittel anzuwenden sind, ob Nosoden sinnvoll sind, welche Potenzen in welchen Situationen anzuwenden sind, oder ob man grundsätzlich eigene Arzneimittelprüfungen am Tier braucht – noch gibt es ein Bestreben, diese inneren Widersprüche durch Erhebung sauberer Daten zu klären. Man beruft sich in allen einander widersprechenden Methoden auf einzelne positive Fallbeispiele und wertet diese – obwohl naturgemäß ohne Vergleichskontrolle – als unzweifelhaften Beleg des eigenen Vorgehens.
Belegen Besserungen nach Globuligabe bei Tieren die Überlegenheit gegenüber Placebo?
Genesungen beim Tier werden von Homöopathen mitunter als Beleg benannt, dass Globuli Placebos überlegen wären. Das geschieht oft mit der auf den ersten Blick einleuchtenden Begründung, dass sich Tiere nichts einbilden können und oft nicht einmal von der Globuligabe etwas bemerkt haben können. Dies beruht indes auf falschen Annahmen darüber, was der Placebo-Effekt ist.
Diese Darstellung wird gleichwohl mehr oder weniger unverändert von Zeitgenossen Hahnemanns übernommen.
Gustav Wilhelm Groß (1794-1847), Arzt und Mitbegründer der „Allgemeinen Homöopathischen Zeitung“, veröffentlicht im Jahre 1830 im „Archiv für die homöopathische Heilkunst“ einen Aufsatz, in dem er feststellt, Tierheilungen auf homöopathischem Wege wären der beste Beweis, dass die Wirkung der Homöopathie nicht auf Suggestion beruhe.[8] Clemens von Bönninghausen argumentiert ähnlich: Er vertritt mehrfach die Ansicht, dass Genesungen von Tieren nach homöopathischer Behandlung die naturwissenschaftliche Kritik an der Anwendung von Hochpotenzen aushebeln und die Diskussion darüber unnötig machen würde. An Tierheilungen sehe man unwiderlegbar und unabhängig von der Überzeugung des Therapeuten, was die Arzneien bewirken.[42]
Der Begriff des Placebos ist um 1830 zwar schon bekannt, seine Tragweite und auch die Entstehung des Placebo-Effektes ist aber noch gänzlich unerforscht. Selbst heute ist das komplexe Phänomen des Placebo-Effektes nicht vollständig verstanden. Vorstellungen, die ihn auf reine „Suggestion“ oder „Einbildung“ reduzieren wollen, sind nach heutigen Kenntnissen der neurobiologischen Vorgänge jedoch überholt.[43]
Die Aussage, beobachtete Besserungen bei Tieren würden automatisch eine Überlegenheit von Homöopathika gegenüber Placebo belegen, ist deshalb heute aus insgesamt drei nachfolgend ausgeführten Gründen nicht mehr haltbar.
Ein Placebo zu geben bedeutet nicht, dass alles, was danach geschieht ein Placebo-Effekt ist
Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die zu Besserungen beitragen – und so den Eindruck einer Wirksamkeit einer Behandlung erwecken. Der eigentliche Placebo-Effekt ist dabei nur einer von ihnen. Sie werden mitunter als vermengte Effekte bezeichnet und liegen bei Mensch und Tier gleichermaßen vor. Zu ihnen zählen die natürlichen Krankheitsverläufe, statistische Effekte (Regression zur Mitte), Gewöhnungseffekte und andere, gleichzeitig und evtl sogar unbewusst ergriffene Maßnahmen.[44]
Allein der natürliche Verlauf von Krankheiten verursacht zeitliche Veränderungen der Beschwerden und kann deshalb Wirksamkeit vortäuschen: Die Symptome erkrankter Tiere verändern sich auch ganz ohne Behandlung mit der Zeit. Tiere haben ein funktionierendes Immunsystem, das in der Lage ist, mit einer ganzen Reihe von Infekten und anderen Erkrankungen mit der Zeit fertig zu werden. Oft wird der Besitzer Homöopathika eher bei leichteren Beschwerden anwenden – gerade aber solche heilen sehr oft auch einfach ohne Zutun aus. Tierhalter werden bei diesen selbstlimitierenden Fällen auch bei einer vollkommen wirkungslosen Therapie immer wieder die „Erfahrung“ machen, dass es dem Tier durch (objektiv gesehen nur nach) der Anwendung besser ging.
Über die natürlichen Genesungsverläufe lässt sich zudem sehr gut verstehen, warum es nach der Gabe eines Placebos auch zu Verschlechterungen kommen kann oder warum erst das zweite oder dritte Mittel zu „helfen“ scheint (nämlich immer dann, wenn der Höhepunkt der Symptome bei der ersten Mittelgabe nicht erreicht war).
Unter Regression zur Mitte versteht man eine bekannte statistische Erscheinung, die sehr eng mit dem Phänomen der natürlichen Krankheitsverläufe zusammenhängt. Sehr oft beginnt man eine Behandlung, wenn die Symptome einen extremen Wert erreicht haben. Ging man zunächst davon aus, an sich harmlose Beschwerden ganz ohne irgendwelche Medikamente überstehen zu können, so ergreift man, wenn die Beschwerden heftiger sind als erwartet, eben doch Maßnahmen. Bei den extremen Beschwerden handelt es sich aber sehr oft um kurzfristige Verschlechterungen – „Ausreißern“ in Messdaten gleich – die sich kurz- oder mittelfristig ganz von selbst wieder den durchschnittlichen Werten annähern. In Studien kennt man dieses Problem, dass zum Beispiel Häufigkeit oder Heftigkeit bestimmter Beschwerden bei Erstmessung noch eine bestimmte Tendenz aufweisen, diese Tendenz aber bei einer Zweitmessung wieder verschwindet. Dieser Rücklauf ist nicht der untersuchten Behandlung geschuldet, sondern Ausdruck eines statistischen Artefakts.[44] Als Patient erlebt man diese statistisch zu erwartende Normalisierung bereits als erste Verbesserung und führt sie auf die eingenommene Arznei zurück.
Bei chronischen Beschwerden können Schübe der Grunderkrankung zu ähnlichen Eindrücken führen. Zusätzlich treten hier sogenannte Gewöhnungseffekte auf: Der Tierhalter gewinnt Routine in der Versorgung und empfindet die durchschnittlichen Beschwerden als weniger bedrohlich. Auch kann entsprechendes Arrangieren des Alltags dazu beitragen, dass man besonders schwierige Situationen meidet und diese entsprechend seltener auftreten. So wird man einen Hund mit Arthrose deutlich langsamer ausführen und gewinnt so durchaus den Eindruck, das Tier käme nun besser zurecht. In der Massentierhaltung können veränderte Haltungsbedingungen – eine Verbesserung der allgemeinen Stallhygiene, weniger gedrängte Platzverhältnisse oder Futterumstellungen – maßgeblich dazu beitragen, dass Infekte seltener im Tierbestand um sich greifen. Wird gleichzeitig zu allen diesen Maßnahmen Placebo gegeben, so unterliegt man allzu leicht dem Eindruck, die erlebten Besserungen wären auf das Placebo zurückzuführen – und nicht auf die gleichzeitig damit erteilten Ratschläge.
Nicht selten werden Globuli auch nach(!) einer medizinischen Behandlung gegeben, besonders wenn diese nur als mäßig erfolgreich wahrgenommen wird. Jeder Fehler eines Tierarztes bei der ursprünglichen medizinischen Intervention kann danach natürlich ebenfalls zum Anschein der Wirksamkeit einer anschließenden homöopathischen Behandlung beitragen: Schätzt der Tierarzt das Gewicht eines Patienten (Pferd, Kuh,…) falsch ein oder dosiert aus anderen Gründen nicht korrekt, so kann eine pharmakotherapeutische Methode nur unzureichend wirken. Dasselbe gilt, wenn ein Präparat bei der falschen Indikation eingesetzt wird. Eine Behandlung mit Homöopathika (u. U. in Kombination mit anderen Maßnahmen wie Schonkost, einer Optimierung der Haltung,…) kann dann einer schlecht durchgeführten medizinischen Behandlung überlegen erscheinen.[45] Mitunter schätzen Patienten und Tierbesitzer auch nur die zu erwartenden Behandlungsdauern bis zur Genesung falsch ein oder übersehen, dass eine Therapie zwar die eigentliche Krankheit schon bekämpft hat, der Patient aber noch geschwächt, aber bereits auf dem Weg der Erholung ist. Auch in diesen Fällen sind dann die „Erfolge“ der zusätzlich noch gegebenen Globuli unvermeidbar.
Placebo-Effekte beim Tier sind seit vielen Jahren bekannt
Durch zahlreiche Untersuchungen ist zweifelsfrei bekannt, dass beim Tier neben den eben beschriebenen Kontexteffekten auch echte Placebo-Effekte auftreten.[46] Placebo-Effekte am Tier sind in der wissenschaftlichen Literatur für ganz verschiedene Tierarten (u. a. bei Affen, Hunden, Pferden, Katzen, Mäusen, Ratten) gut dokumentiert.[47][48][49]
Wie beim Mensch auch sind die Mechanismen des Placebo-Effektes beim Tier nicht bis ins Detail verstanden. Sicher ist aber, dass es nicht die Erwartungshaltung allein ist, die Placebo-Effekte bedingt, wenngleich sie natürlich beim Placebo-Efekt beim Menschen eine wichtige Rolle spielt. Daneben gibt es aber gute Belege, dass auch die klassische Konditionierung[50] und die unbewusste Hormonausschüttung eine Rolle spielen. Bei Tieren geht man zusätzlich von einem vierten Mechanismus aus, der die Effekte des menschlichen Kontaktes auf das Tier betrachtet.[47]
Unter klassischer Konditionierung versteht man, dass ein neutraler Reiz eine reflexartige Reaktion (also eine unbewusst gesteuerte Antwort auf den Reiz oder die Situation) auslöst, wenn der neutrale Reiz mehrfach mit dem reflexauslösenden Reiz vereinigt wurde.[51] Ein bekanntes Beispiel ist das Verschwinden der Zahnschmerzen bereits beim Betreten der Zahnarztpraxis. Tatsächlich stammt die Erkenntnis, dass die Konditionierung beim menschlichen Placebo-Effekt eine Rolle spielen könnte, ursprünglich aus Studien mit Tieren: Iwan Petrowitsch Pawlow führte Konditionierungsuntersuchungen an Hunden durch: Er verabreichte Hunden immer im selben Raum Morphium. Nach einiger Zeit zeigten die Tiere bereits typische Morphiumsymptome, sobald sie in den Raum gebracht wurden, aber bevor ihnen das Morphium gespritzt wurde.[52] Andere grundlegende Experimente wurden an Ratten durchgeführt. Herrnstein verhinderte durch Spritzen mit Scopolamin, dass Laborratten zuvor erlernte Fähigkeiten in der üblichen Weise ausführen können. Als er auf pharmakologisch wirkungslose Injektionen wechselte, blieb die Reaktion der Ratten dieselbe wie unter Scopolamin.[53] Inwiefern jedoch eine Genesung oder ein gezielter therapeutischer Effekt von der Konditionierung abhängen kann, ist beim Tier unklar.[54]
Ein wichtiger Faktor für die beim Tier beobachteten Placebo-Effekte liegt aber beim Besitzer oder auch dem betreuenden Tierarzt. Dieser Aspekt wird oft unter der Bezeichnung Placebo by Proxy-Effekt („Placebo-Effekt bei der / durch die Bezugsperson“) beschrieben und spielt in mehrfacher Weise eine Rolle: Er greift sowohl beim Tier als auch beim Besitzer an.
Auch wenn ein Haustier von der Behandlung nichts mitbekommt oder sich sogar dagegen wehrt: Es gibt eine umfangreiche Basis an Daten, die belegt, dass allein der intensive menschliche Kontakt messbare Effekte in Tieren und Tierbeständen hervorruft. So ist nachgewiesen, dass die Zuwendung durch Menschen in der Lage ist, die Herzfrequenz bei Hunden[55] und bei Pferden[56] zu reduzieren. Vertrauensbildende Zuwendung und sanfte Betreuung erhöht die Produktivität bei Milchkühen[57] und die Fruchtbarkeit von Schweinen.[58] Der Tierhalter wird sich meist vermehrt um ein erkranktes Tier kümmern, er wird ihm mehr Aufmerksamkeit und Pflege zukommen lassen, es im Falle eines geliebten Haustieres sogar etwas verwöhnen. Allein diese Zuwendung durch den Besitzer kann also Reaktionen beim Tier hervorrufen und auch bei therapeutischen Interventionen eine Wirksamkeit der eigentlichen Behandlung vortäuschen, zum Beispiel wenn sich ein Tier nach einer Placebogabe schnell beruhigt.
Der Placebo-by-Proxy-Effekt betrifft aber auch den Tierhalter selbst und sogar den Tierarzt, denn beide wissen um die Behandlung des Tieres. Entsprechend treten bei ihnen alle Behandlungseffekte auf und verändern unbewusst Wahrnehmung und Verhalten.[59] Ein Tierbesitzer fühlt sich erleichtert, aus der Verantwortung genommen oder zumindest unterstützt zu werden. Mit Durchführung der Behandlung beginnt auch ein Warten auf Besserung. Besonders gut dokumentiert ist dieser „Besitzer-Effekt“ in der Studie von Michael Conzemius.[60] Diese Arbeit untersucht, wie Halter und Tierarzt das Gangverhalten lahmer Hunde nach einer Placebo-Behandlung einschätzen, von der sie nicht wussten, dass es sich um ein Placebo handelt. Hierzu stellt die Arbeit der subjektiven Beurteilung die objektive Erfassung der Beschwerden gegenüber: der Gang aller Hunde wurde mithilfe eines Laufbandes, das den Druck des Auftritts erfasste, objektiv bewertet. Rund 40 Prozent der Besitzer und 43 Prozent der Tierärzte meinten, das Gangbild habe sich gebessert, während bei der objektiven Methode keinerlei Besserung festzustellen war.[61]
Gerade diese letzte beschriebene Studie zeigt aber, dass eine wirkungslose Behandlung des Tieres zwar dem Halter das Gefühl geben kann, die Beschwerden hätten sich gebessert, während jedoch unklar sein kann, ob sich das Tier auch tatsächlich besser fühlt. Durch diesen Umstand wird das Postulat der Wirksamkeit ohne Berücksichtigung der Beleglage hochproblematisch und ist jedenfalls nicht über Beliebtheit oder über einzelne erlebte Besserungen zu rechtfertigen. Dem Tier nur eine Behandlung mit Placebo zukommen zu lassen, missbraucht drei vertrauenswürdige Aspekte des Tierarztberufes, nämlich Experte, Autorität und Tröster zu sein.[54]
Studien dokumentieren keine eindeutige Überlegenheit von Homöopathika gegen Placebo
⇒ Siehe Kapitel Studienlage
Die vorhandenen Arbeiten zur Tierhomöopathie belegen aber in den darin enthaltenen Kontrollgruppen eindeutig, dass Besserungen beim Tier auch dann beobachtet werden, wenn das Tier „nur“ mit Placebo behandelt wurde: Unter nachweislich erfolgter Placebobehandlung machen in diesen Placebogruppen Tierbesitzer „positive“ Erfahrungen und beobachten Genesungen ihrer Tiere. Auch diese Tierhalter haben also den Eindruck einer wirksamen Behandlung ihrer Tiere oder Tierbestände.
Allein das Betrachten dieser Erfahrungen in den vorhandenen randomisierten, verblindeten und placebokontrollierten Studien zeigt also, dass aus dem Bericht einer Besserung beim Tier keineswegs zwangsweise folgt, dass das Tier mit einem gezielt wirksamen Medikament behandelt wurde. Wie beim Mensch auch, können einzelne Fallbeispiele daher nicht als Beleg dienen, sondern lediglich Basis einer Hypothesenbildung sein, die es anschließend in einer kontrollierten Beobachtungssituation wissenschaftlich zu prüfen gilt.
Im Falle der Homöopathie ergibt sich aus der gesamten Studienlage kein Argument dafür,[4] dass Homöopathika den immer mit der Zeit und durch die Gesamtheit aller äußeren Umstände erfolgenden Besserungen etwas hinzufügen können, was zu reproduzierbaren oder deutlich schnelleren Behandlungserfolgen führen würde.
Studienlage
Zur Anwendung der Homöopathie beim Tier gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen. In der Mehrzahl der Arbeiten kommt die in der Veterinärhomöopathie weit verbreitete nicht-individualisierte Homöopathie zur Anwendung. Haufig handelt es sich bei den Veröffentlichungen jedoch um Einzelfallberichte oder reine Beobachtungsstudien ohne Vergleichsgruppe.[62] Nur randomisierte, doppeltverblindete Arbeiten mit einer Placebovergleichsgruppe („Randomised Controlled Trials“ oder RCTs) sind überhaupt dazu geeignet, Schlussfolgerungen zu einer vorhandenen oder fehlenden Überlegenheit gegenüber Placebo zu treffen.
Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich detailliert mit diesem aussagekräftigsten Teil der Evidenz. Betrachtet werden neben den aktuell vorliegenden Übersichtsarbeiten zur Veterinärhomöopathie verschiedene typische Anwendungsgebiete, bei denen Homöopathika durch die Halter, durch Tierheilpraktiker und mitunter auch von Tierärzten eingesetzt werden.
Gesetzliche Relevanz
Für landwirtschaftliche Betriebe regelt die EU-Verordnung 2092/91, Punkt 5.4 a), dass homöopathische Erzeugnisse grundsätzlich nur dann einer medizinischen Behandlung vorzuziehen sind,
sofern sie tatsächlich eine therapeutische Wirkung auf die betreffende Tierart und die zu behandelnde Krankheit haben.[63]
In der ökologischen oder biologischen Landwirtschaft ist die Formulierung umgekehrt: In §24 (2) der EU-Verordnung 889/2008 heißt es:
Phytotherapeutische und homöopathische Präparate, Spurenelemente und die Erzeugnisse gemäß Anhang V Teil 3 sowie Anhang VI Teil 1.1 sind gegenüber chemisch-synthetischen allopathischen Tierarzneimitteln oder Antibiotika bevorzugt zu verwenden, sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist.[64][65]
In derselben Intension stand auch schon die ältere EU-Vorschrift für die biologische Tierhaltung, Artikel 14 Verordnung Nr. 834/2007. Dort war die Formulierung:
Tierarzneimittel einschließlich Antibiotika dürfen erforderlichenfalls unter strengen Bedingungen verwendet werden, wenn die Behandlung mit phytotherapeutischen, homöopathischen und anderen Erzeugnissen ungeeignet ist.[66]
Hinter allen Formulierungen ist der Gedanke des Gesetzgebers, dass die „Eignung“ der Homöopathie zur Behandlung erkrankter Tiere gekoppelt ist an therapeutische Wirkungen und verfolgt den Schutz des Tieres vor unwirksamen Behandlungen. Ohne Nachweis einer gezielten Wirksamkeit der Veterinärhomöopathie sind diese gesetzlichen Verordnungen also nicht erfüllt.
Cracknell et al.: Silvesterangst bei Hunden
Die verblindete und placebokontrollierte Studie von Nina Cracknell und Daniel Mills zur homöopathischen Behandlung von Hunden, die Angstreaktionen auf Silvesterfeuerwerk zeigen,[67] wird auch von Homöopathen als methodisch hochwertig eingestuft.[68]
In der Arbeit werden insgesamt 75 Hunde mit ausgeprägtem Angstverhalten bei Feuerwerk zufällig („randomisiert“) und verblindet auf zwei Behandlungsgruppen verteilt. In der einen Gruppe wurden die Tiere mit verschiedenen Homöopathika behandelt, in der anderen Behandlungsgruppe erfolgte ohne Wissen der Besitzer lediglich eine Placebobehandlung. Über den Studienzeitraum führten alle Besitzer Tagebuch und bewerteten die Schwere bestimmter Angstsymptome ihrer Tiere. Im Ergebnis zeigten sich signifikante Verbesserungen des Verhaltens in beiden Behandlungsgruppen, aber keine Unterschiede zwischen homöopathischer und Placebobehandlung:
In der Einschätzung der Besitzer ergaben sich signifikante Verbesserungen bei 14 von 15 Angstsignalen in der Placebogruppe und bei allen 15 Verhaltensmerkmalen in der homöopathisch behandelten Gruppe. Beide Behandlungsgruppen zeigten auch signifikante Verbesserungen in der Bewertung der Besitzer für die allgemeine Schwere der Angstreaktionen der Hunde. Allerdings gab es keine Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen.[B 5]
Die Ergebnisse belegen, dass die Homöopathika hier zu den allein durch die Behandlungssituation entstehenden unspezifischen Kontexteffekten nichts hinzufügen können. Die Besitzer der verblindet mit Placebo behandelten Tiere machen vergleichbar „positive Erfahrungen“ mit den verabreichten Präparaten und berichten im gleichen Umfang von Verbesserungen. Damit zeigt die Studie deutlich auf, wie beim Besitzer der Eindruck einer Wirksamkeit entstehen kann und dass derartige erlebte Besserungen der Situation an sich keinen Nachweis einer Wirksamkeit der verabreichten Präparate darstellen können.
Homöopathische Behandlung von Mastitis
Mastitis ist eine meist durch Bakterien verursachte Entzündung der Milchdrüse. Sie gehört in der Nutztierpraxis zu den Hauptanwendungsgebieten von Homöopathika.[8][69] Die Anfälligkeit der Rinder für die Erreger wird aber durch Stallhygiene, Ernährung und weitere Haltungsbedingungen maßgeblich mitbestimmt.[70] Bei Rindern (und anderen Nutztieren der Milchproduktion) ist Prophylaxe und Behandlung von großer Bedeutung, denn Mastitis verursacht über Milchverluste und Behandlungskosten auch wirtschaftliche Schäden für einen betroffenen Betrieb.[71]
Die systematische Übersichtsarbeit von Mathie und Clausen (siehe unten) betrachtet zur Mastitis zwei klinische Vergleichsstudien, von denen aber nur die Arbeit von Hektoen et al.[72] aus dem Jahr 2004 als aussagekräftig eingestuft wird. Hektoen et al. vergleichen in einer dreiarmigen[B 6] Studie Placebobehandlung, individualisierte homöopathische Behandlung und Behandlung mit Antibiotika. Belege für eine Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung über Placebo hinaus finden sich in der Studie nicht.[B 7]
Eine weitere Arbeit von C. Werner[73] wird von Mathie und Clausen in ihrem Review wegen unzureichender Verblindung als nicht aussagekräftig eingestuft. Diese Arbeit findet an einem einzigen (von mehreren) Messpunkten (am Tag 56) einen signifikanten Wert. Dem Volltext der Arbeit[74] ist aber zu entnehmen, dass die bei dieser Vorgehensweise eigentlich erforderliche Korrektur für multiple Testprobleme nicht durchgeführt wurde.[B 8]
P. L. Ruegg fasst 2010 die Beleglage zur homöopathischen Mastitisbehandlung in einem Vortrag mit den Worten zusammen:
Belege, die eine Wirksamkeit der Veterinärhomöopathie demonstrieren würden, fehlen komplett. [75][B 9]
Im Rahmen einer nicht placebokontrollierten Felduntersuchung der Landwirtschaftskammer Hannover[76] wurden mehrere hundert klinische und subklinische Mastitisfälle in zwei Betrieben sowie ihre Behandlung (homöopathisch, keine Behandlung, Melktherapie, antibiotisch,…) dokumentiert. Zwar arbeitete der Betrieb, in dem fast 90 % des Tierbestandes im Beobachtungszeitraum von Mastitis betroffen war, rein homöopathisch, wohingegen der Betrieb, der mit gut 11 % die niedrigste Rate verzeichnete, keine Homöopathika einsetzte, doch waren die Schwankungen mehr vom Gesamtmanagement in den Betrieben abhängig – sogar mehr als von der letztlich im Krankheitsfall gewählten Therapie. Die Autoren sehen die größten Verbesserungsmöglichkeiten in der Verbesserung durch eine konsequente Bestandsbetreuung, nicht durch eine Weiterverbreitung der Homöopathie:
Wahrscheinlich hat die Therapieform keine maßgeblichen Auswirkungen auf die Heilungsrate. Vielmehr wird die Heilungsrate von den Rahmenbedingungen des Betriebsmanagements beeinflusst (Feststellungszeitpunkt der Erkrankung, vermehrte Kontrolle des Einzeltieres, Anpassung der Rahmenbedingungen an die Erkrankungssituation).
Außerdem kommt die Feldstudie zu dem Ergebnis, dass die Landwirte oft selbst homöopathisch behandeln und dies meist nicht nach den klassischen homöopathischen Therapielehren. Im Vergleich sehen die Autoren aber keine „signifikant besseren Heilungsraten“, wenn das angewendete Homöopathikum der homöopathischen Lehre entsprechend ausgewählt wurde.
Neuere Studien bestätigen dieses Bild:
In einer Studie zur homöopathischen Trockenstellprophylaxe[B 10] kommen C. Notz und M. Hässig zu dem Ergebnis:
Die eingesetzte homöopathische Prophylaxe zum Trockenstellen zeigte keinerlei Effekt bezüglich des Auftretens von Galtmastitiden und Mastitiden in den ersten 120 Tagen der Laktation.[77]
J.H. Williamson und S.J. Lacy-Hulbert vergleichen in ihrer Arbeit die Behandlungsergebnisse bei klinischer Mastitis von Antibiotika und Homöopathie. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass antibiotische Behandlung signifikant bessere Ergebnisse erzielt als eine Behandlung mit Homöopathika:[78]
Quer durch alle Erregertypen war die bakteriologische Heilungsrate an den Drüsen höher für die mit antimikrobiellen Substanzen behandelten Kühen als für die mit einem homöopathischen Präparat behandelten. Homöopathische Mittel hatten, wenn sie zur Behandlung von klinischer Mastitis nach dem Kalben eingesetzt wurden, signifikant niedrigere klinische und bakteriologische Heilungsraten im Vergleich zu antimikrobiellen Substanzen. Der Anteil der Kühe, die eine Nachbehandlung benötigten war bei den homöopathisch behandelten signifikant höher. Dies, in Kombination mit den niedrigeren bakteriologischen Heilungsraten, hat Auswirkungen auf die Dauer der Infektion, auf die somatische Zellzahl jeder einzelnen Kuh [und damit auf die Milchqualität], auf die Kosten im Zusammenhang mit der Behandlung und aus Sicht des Tierschutzes.[B 11]
Eine Beobachtungsstudie zur Eutergesundheit der Kühe auf spanischen Bio-Bauernhöfen legen Ana Villar und Marta López-Alonso vor. Darin betrachten sie auch die langfristige Entwicklung des Gesundheitszustandes mit Homöopathika und konventionell behandelter Tiere:[79]
Signifikante Unterschiede waren zwischen Kühen von Farmen mit fast ausschließlich homöopathischer Mastitisbehandlung und Farmen zu beobachten, die Homöopathie und Antibiotika kombinieren. (...) Auf Bio-Bauernhöfen zeigten Messungen einen höheren Gehalt an somatischen Zellen[B 12] als auf konventionell behandelnden Referenzfarmen. Detailierte Analysen des Zellgehaltes (...) legen nahe (...), dass der Gesundheitszustand der Färsen zu Beginn ihres produktiven Zyklus bei beiden Arten von Bauernhöfen vergleichbar ist, sich aber im Laufe des produktiven Zyklus der Färsen auf den Bio-Bauernhöfen verschlechtert.[B 13]
Auch in der zusammenfassenden Einschätzung der Carstens-Stiftung…
…ist die Studienlage in der Veterinärhomöopathie nicht derart, dass ein Nutzen der Homöopathie bei Prophylaxe oder Therapie der klinischen oder subklinischen Mastitis bewiesen wäre.[80]
Homöopathische Prophylaxe von Durchfall bei Ferkeln
Durchfall ist die häufigste Erkrankung bei neugeborenen Ferkeln und führt nicht selten zu deren Tod durch Austrocknung. Dabei können verschiedene Erreger eine Rolle spielen. Im Falle einer nachgewiesenen Infektion mit Coli-Bakterien werden die Ferkel antibiotisch behandelt, bei starken Problemen in einem Betrieb wird eine Mutterschutzimpfung der Zuchtsauen empfohlen. Auch die Stallhygiene spielt eine wesentliche Rolle.[81] Ob homöopathische Hochpotenzen Ferkel vor der Infektion mit Coli-Bakterien wirksam schützen können und somit zu einer Reduktion der Erkrankungen führen, untersucht die randomisierte und verblindete Studie von Irene Camerlink und Liesbeth Ellinger.[82] Die Arbeit erhielt von der International Academy of Classical Homeopathy (IACH) von Georgos Vithoulkas im Jahr 2011 die Auszeichnung zur besten wissenschaftlichen Veröffentlichung zur Homöopathie.[83] Auch im systematischen Review von Mathie und Clausen (siehe unten) wird diese Arbeit als eine der beiden hochwertigsten Studien eingestuft und ausgewertet.
Die Studie umfasst 52 gesunde, ungeimpfte Zuchtsauen, gleichmäßig und zufällig auf eine Placebogruppe und eine mit einer homöopathischen Nosode in Hochpotenz behandelten Gruppe verteilt. Im letzten Schwangerschaftsmonat wird den Zuchtsauen als Prophylaxemaßnahme entweder das homöopathische Präparat (Coli 30K, eine homöopathische Nosode, bestehend aus 0,05 % Milchzucker, besprüht mit der homoöpathischen 30K-Hochpotenz verschiedener E. Coli Stämme, 99,85 % destilliertem Wasser und 0,1 % Alkohol) oder Placebo in die Vulva gesprüht. Insgesamt 525 Ferkel werden im Rahmen der Studie geboren, davon 265 in der Placebogruppe und 260 in der Homöopathiegruppe. Alle Tiere werden richtlinienkonform im selben Stall gepflegt.
Die Autorinnen berichten von 63 Fällen von durch E. Coli-Bakterien verursachten Durchfällen in der Placebogruppe (23,8 % der Ferkel), in der homöopathisch behandelten Gruppe jedoch nur von 10 Fällen (3,8 % der Ferkel), was einem hochsignifikanten Ergebnis (P < 0,0001) entspräche (die Statistische Signifikanz drückt aus, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Messung Zufall ist, also nicht das Ergebnis der getesteten Behandlung).
Ungewöhnlich in der Studie ist jedoch, wie entschieden wurde, welche Fälle von Durchfall von Coli-Bakterien verursacht worden waren und somit in das Ergebnis einflossen: Dies wurde allein anhand des Aussehens des Stuhls entschieden. Nur aus 3 Boxen wurden überhaupt Stuhlproben zur Identifikation der Erreger ins Labor geschickt. Geprüft wurde auf E. Coli, E. Coli K99 und Salmonellen. Keiner dieser Erreger fand sich in den Proben. Die Autorinnen geben an, das nicht weiter verfolgt zu haben und begründen dies mit ihrer Erfahrenheit. Auf diese Weise sind insgesamt 15 Fälle von Durchfall bei der Berechnung der Ergebnisse unberücksichtigt.[B 14]
Noch schwerwiegendere Kritik an der Aussagekraft der Studie haben die niederländischen Mathematiker Pepijn van Erp und Jan Willem Nienhuys vorgebracht. Sie weisen darauf hin, dass das in der Studie gewählte Auswerteverfahren die statistische Signifikanz des Ergebnisses erheblich zu positiv darstellt.[84] Da das Ansteckungsrisiko für ein Ferkel erheblich steigt, wenn ein Fall einer Infektion innerhalb des Wurfes auftritt, darf die Ergebnisstatistik nicht wie in der Arbeit so durchgeführt werden, als ob die 525 Ferkel voneinander unabhängig wären. Die Statistik muss deshalb auf der Ebene der Zuchtsauen berechnet werden, also betrachten, bei wie vielen Muttertieren Durchfall im Wurf auftrat. Führt man die Auswertung auf diese Weise korrekt durch, so ergibt sich nur noch eine höchst knappe statistische Signifikanz: Hätte nur eine einzige weitere Muttersau einen Fall von Durchfall in ihrem Wurf gehabt, wäre das Ergebnis der Studie nicht mehr signifikant. Wird also die Statistik korrekt durchgeführt, kann von einer wirklich belastbaren Evidenz für eine Überlegenheit gegenüber Placebo nicht mehr ausgegangen werden.
Eugenische Prophylaxemaßnahmen
Die Eugenische Kur wird Züchtern von verschiedenen Tierheilpraktikern und mitunter auch Tierärzten nahegelegt. Dem Muttertier wird einmalig eine vorgegebene Abfolge homöopathischer Hochpotenzen gegeben. Dies soll dazu führen, dass das Tier nur seine besten Eigenschaften weitervererbt und so Nachkommen mit verringerter Anfälligkeit für Krankheiten und einem insgesamt stabileren Immunsystem zur Welt kommen.
Hintergrund des Verfahrens ist §284 des Organons, in dem Samuel Hahnemann beschreibt, wie laut seiner Miasmenlehre chronische Krankheiten vererbt werden:
Doch ist die Besorgung der Mütter, in ihrer (ersten) Schwangerschaft, durch eine gelinde, antipsorische Cur, vorzüglich mittels der (…) Dynamisationen des Schwefels, unentbehrlich, um die fast stets bei ihnen vorhandene, schon durch Erbschaft ihnen mitgetheilte Psora, Erzeugerin der meisten chronischen Krankheiten, in ihnen und ihrer Leibesfrucht zu vertilgen, damit ihre Nachkommenschaft im Voraus dagegen geschützt sei. Dies ist so wahr, daß die Kinder so behandelter Schwangern gemeiniglich weit gesünder und kräftiger auf die Welt kommen, so daß jedermann darüber erstaunt.[85]
Selbst unter Homöopathen sind §284 des Organons und im Besonderen die daraus abgeleitete Kur umstritten. Nach den Vorstellungen der Klassischen Homöopathie stellt die Einnahme homöopathischer Hochpotenzen durch Gesunde (Mutter, Kind) eine Homöopathische Arzneimittelprüfung dar. Mutter und Kind müssten entsprechende Symptome entwickeln. Aufgrund dieser Widersprüchlichkeit wurde vermutet, dass die Ergänzung zu §284 in der sechsten Auflage des Organons nicht auf Hahnemann selbst zurückgeht, sondern erst nachträglich von Haehl ergänzt worden war. Ein neu entdecktes Manuskript hat aber mittlerweile die Echtheit von Hahnemanns Vorschlag bestätigt.[86]
Eugenische Kuren werden wegen der mangelnden Individualität von klassischen Homöopathen als unhomöopathisch abgelehnt. So heiß es beispielsweise in einem Papier der Schriftenreihe des Europäischen Instituts für Homöopathie (InHom):
Homöopathische Primärprävention beinhaltet Lebensordnung, Diät, Mäßigkeit, (…) aber nicht eine so genannte „eugenische Kur“(…).[87]
Der Begriff der eugenischen Kur stammt mit Sicherheit erst aus dem späten 19. Jahrhundert und geht nicht auf Hahnemann selbst zurück. In diesen Begriff kommt vielmehr der Gedanke einer „Verschönerung“ des Erbgutes zum Ausdruck, wie er in der damaligen Zeit thematisiert wurde. Von diesem Begriff ausgehend wird die eugenische Kur heute mitunter mit Hinweisen auf wissenschaftliche Begriffe wie zum Beispiel die Epigenetik beworben. Züchtern gegenüber wird immer wieder als Tatsache dargestellt, man könne vor der Trächtigkeit durch Homöopathika in Hochpotenz Einfluss auf Genmaterial oder Immunanfälligkeit der Nachkommen nehmen. Diese Aussage ist jedoch naturwissenschaftlich und medizinisch vollkommen unplausibel,[88] egal, ob man sie über Hahnemanns Psora oder über die Epigenetik begründet. Eine nachhaltige Verbesserung der Immunanfälligkeit der Nachkommen von mit eugenischen Kuren behandelten Muttertieren wird durch keine einzige hochwertige klinische Studie gestützt.
Systematischer Review von Mathie und Clausen
Die Durchsicht der Veröffentlichungen zur Tierhomöopathie von R. T. Mathie und J. Clausen[62] stellt die Basis für den ersten systematischen Review aller randomisierten kontrollierten Studien mit homöopathischen Maßnahmen am Tier. Für den Review haben die Autoren die Datenbanken nach Veröffentlichungen durchsucht, die folgende Einschlusskriterien erfüllen:
- Umfassender Bericht einer homöopathischen Behandlung, egal ob akute Beschwerden oder vorbeugend therapiert wurde (Prophylaxe).
- Behandlung von Tieren, egal welcher Spezies (aber keine Studien am Menschen)
- Kontrolliert (also mit Vergleichsgruppe)
- Randomisation (also zufällige Verteilung auf die Gruppen)
- Veröffentlicht in einem Journal mit Peer-Review
Insgesamt haben die Autoren bei ihrer Suche 150 Veröffentlichungen zur Tierhomöopathie entdeckt. Lediglich 38 Studien erfüllen jedoch diese Qualitätskriterien zur Aufnahme in den Review. Mathie et al. haben die Ergebnisse dieser Durchsicht in mehreren Teilen veröffentlicht.
Die Arbeit von 2014 beschränkt sich auf die placebokontrollierten Arbeiten – also diejenigen Studien, in denen es eine Vergleichsgruppe gibt, in der die Tiere mit Placebo behandelt wurden – und untersucht ihre Qualität und die Fehleranfälligkeit ihrer Methodik.[89] Nur 18 der ursprünglich 150 gefundenen Veröffentlichungen sind randomisierte, verblindete placebokontrollierte Studien und werden deshalb in diesem Teil des Reviews betrachtet. Dafür, dass nur diese Studienform in, der Lage ist, Schlussfolgerungen im Vergleich mit Placebos zu ziehen, ist das in Anbetracht des fehlenden Nachweises einer Überlegenheit gegen Placebo ein sehr geringer Prozentsatz.
Von diesen 18 Studien untersuchen 12 Arbeiten die Effekte homöopathischer Behandlung akuter Beschwerden, sechs diejenigen homöopathischer Prophylaxemaßnahmen. Auch die angewendeten Methoden (individualisierte Homöopathie oder nicht), die Beschwerden (11 verschiedene Krankheitsbilder) und die Tierarten (vier verschiedene Spezies) variieren über diese wenigen in den Review einfließenden Studien stark. Allein das macht eine gemeinsame Auswertung problematisch.
Um die aussagekräftigsten Arbeiten zu identifizieren, bewerten Mathie und Clausen jede Studie nach insgesamt sieben üblichen Qualitätskriterien:
- Mit welcher Methode wurde die Zufallsfolge zur Gruppenzuteilung erzeugt?
- Wie erfolgte die Gruppenzuteilung und war gewährleistet, dass dabei die Gruppenzugehörigkeit wirklich verborgen blieb?
- Die Verblindung des behandelnden Personals und des Tierbesitzers;
- Die Verblindung derjenigen, die die Behandlungserfolge beurteilten;
- Flossen die Daten aller behandelten Tiere in die Studie ein?
- Gibt es Hinweise im Text, dass die Ergebnisse nur teilweise in der Studie genannt werden (also zum Beispiel nur die „günstigen“)?
- Gibt es Hinweise im Text auf andere das Ergebnis verfälschende Einflüsse (wie zum Beispiel Gruppenunterschiede, die schon zu Beginn der Behandlung vorliegen)?
Zusätzlich wird beurteilt, ob eine mögliche persönliche Beeinflussung der Autoren vorliegen könnte, zum Beispiel, wenn eine Studie von Homöopathieherstellern finanziell oder mit Arzneien unterstützt worden war.
Das Ergebnis dieser Qualitätsbeurteilung ist ernüchternd. Obwohl bereits in der Vorauswahl eine überwältigende Mehrheit von Veröffentlichungen aussortiert werden musste, weil darin grundsätzlich keine aussagekräftige Methodik eingehalten wird, fällt nun auch die überwiegende Mehrheit der verbliebenen 18 Arbeiten bei der nun durchgeführten Qualitätsprüfung durch Mathie und Clausen anhand dieser Kriterien durch. Mathie und Clausen können sich lediglich auf drei Arbeiten einigen, in denen sie die sieben genannten Qualitätskriterien als ausreichend eingehalten und dokumentiert einschätzen. Eine dieser drei Arbeiten, die Studie von Cracknell et al. zur Silversterangst bei Hunden, wird zwar als methodisch einwandfrei identifiziert und damit als verlässlich eingestuft, das für die Homöopathie negative Ergebnis fließt aber nicht in die Endauswertung der hochwertigsten Studien ein, weil die Arzneien für diese Arbeit von einem Hersteller von Homöopathika bereitgestellt worden waren.[B 15] Tatsächlich berichten die Autoren die fehlende Überlegenheit gegenüber Placebo ungeachtet der Bereitstellung der verwendeten Arzneien durch einen Hersteller von Homöopathika.
Von den ursprünglich 150 in den wissenschaftlichen Datenbanken gefundenen Veröffentlichungen schätzen Mathie und Clausen also gerade zwei Arbeiten als aussagekräftig und von geringer Irrtumswahrscheinlichkeit (Risk of Bias) ein. Dabei handelt es sich um
- Die Arbeit von Camerlink et al., die bei der prophylaktischen Behandlung von Durchfall bei Ferkeln im Ergebnis einen signifikanten Effekt für die Homöopathie findet.
- Eine Studie von Hektoen et al.[90] zur individualisierten homöopathischen Behandlung von Mastitis bei Rindern, die keine signifikanten Unterschiede zwischen homöopathischer und Placebobehandlung findet.[B 16]
Die Autoren ziehen die Schlussfolgerung, dass aus nur zwei Studien mit unterschiedlichem Ergebnis sicher keine verallgemeinerbaren Schlussfolgerungen über die gezielte Wirksamkeit individualisierter homöopathischer Behandlung irgendwelcher Krankheitszustände beim Tier möglich sind, zumal unterschiedliche Beschwerden und Tierarten betrachtet werden.[B 17]
Die Veröffentlichung von Mathie und Clausen aus dem Jahr 2015 stellt dann die eigentliche Metaanalyse dar, in der untersucht wird, ob ein gemeinsamer Blick auf die Studien eine Überlegenheit der homöopathischen Behandlungen am Tier gegenüber Placebo nachweisen kann.[91] Die Autoren weisen darauf hin, dass sie dies durchführen, obwohl eigentlich von vorneherein feststeht, dass die Analyse nicht aussagekräftig sein kann:
…die niedrige Zahl und Qualität der Studien verhindert alle eindeutigen Schlussfolgerungen in dieser Metaanalyse. [B 18]
Infolge des Ergebnisses der ersten Veröffentlichung von 2014,[89] dass fast alle Arbeiten eine hohe Irrtumswahrscheinlichkeit (Risk of Bias) haben, liegen nun zu wenig hochwertige und zu wenig einheitliche Arbeiten vor, die man für einen aussagekräftigen Review eigentlich bräuchte. Dass sich dann in der Gesamtsicht rein rechnerisch ein sehr geringer Effekt zugunsten der Homöopathie ergibt (= „Hypothese 1“), bewerten sogar Mathie und Clausen selbst gleich aus mehreren Gründen vorsichtig:
Die Ergebnisse unserer Analyse, die einen statistisch signifikanten Effekt (Odds Ratio=1,69) homöopathischer Behandlung ergaben, müssen mit äußerster Vorsicht bewertet werden. (…) Darüber hinaus dürfte ein Odds Ratio von weniger als zwei als ein kleiner klinischer Effekt betrachtet werden. Keine signifikanten Effekte ergaben sich zusammenfassend für individualisierte Behandlung, für nicht individualisierte Behandlung oder für die Therapie vorliegender Erkrankungen (…), was bedeutet, dass obige zaghafte Bestätigung von Hypothese 1 dem wichtigen positiven Einfluss der Studien zur nicht individualisierten homöopathischen Prophylaxe geschuldet ist. Dieser Einfluss aus Ergebnissen klinischer Studien, deren Vorgehensweise bei der Verschreibung unter einigen Homöopathen umstritten gesehen werden könnte, untergräbt die Legitimität positiver Schlussfolgerungen unter Hypothese 1 weiter.[B 19]
Der Haupteinfluss, der die statistische Signifikanz bedingt, kommt also aus den nicht individualisierten Studien zur Prophylaxe – einer Anwendung, die klassische Homöopathen ablehnen.[B 20] Man muss hierbei bedenken, dass genau in dieser Gruppe auch die Arbeit von Camerlink et al. in das Ergebnis der Metaanalyse einfließt, in der durch ein zweifelhaftes statistisches Vorgehen die Höhe des signifikanten Ergebnisses deutlich überschätzt ist. Es gibt also keinen Grund, davon auszugehen, dass das für klassische Homöopathen ohnehin nicht befriedigende Ergebnis der Metaanalyse die Behandlungseffekte unterschätzt.
Auch die dritte Veröffentlichung von Mathie und Clausen kann das Bild für die Homöopathie nicht verbessern.[92] In dieser untersuchen sie die übrigen 20 Arbeiten, die keine Placebokontrollgruppe beinhalten. Stattdessen wird in 18 der Arbeiten mit anders behandelten Gruppen verglichen, in zwei Arbeiten blieb die Kontrollgruppe unbehandelt. Nur eine einzige dieser Arbeiten beschäftigt sich mit individualisierter Homöopathie, in den übrigen 19 kommen nicht-individualisierte Homöopathika zur Anwendung. In 14 Arbeiten werden Behandlungssituationen untersucht, in den übrigen sechs Prophylaxemaßnahmen. Das Fazit, das die beiden Autoren selbst ziehen, zeigt deutlich, dass sich aus der Datenmenge keine Belege einer Wirksamkeit der Homöopathie ziehen lassen:
Die Studien waren hochgradig unterschiedlich und repräsentierten zwölf verschiedene Krankheitsbilder bei sechs verschiedenen Tierarten. (…) Keine Studie hatte hinreichend niedrige Irrtumswahrscheinlichkeit (Risk of Bias), um als zuverlässige Evidenz eingestuft zu werden. (…) Wegen dieser mangelhaften Zuverlässigkeit der durch sie gestellten Daten können die anders als mit Placebo kontrollierten Studien keine brauchbaren Erkenntnisse über eine Wirksamkeit der Tierhomöopathie liefern. [B 21]
Selbst die der Homöopathie gewogene Carstens-Stiftung konnte in ihrer Zusammenfassung der Reviewergebnisse nur das Scheitern eines Nachweises einer Überlegenheit gegenüber Placebo und die insgesamt schlechte Studienlage konstatieren:[4]
Neben der Tatsache, dass ein Großteil der Studien von außerordentlich schlechter Qualität war, fiel auch die unausgewogene Interpretation der Ergebnisse der Studien seitens der Originalautoren ins Auge: Der WHO-Hierarchie entsprechende Hauptzielparameter lieferten in der Meta-Analyse nur in sechs der 18 Studien Ergebnisse, die einen signifikanten Unterschied zwischen Placebo und Homöopathie zugunsten der Homöopathie zeigten (33 %). Dies stand im krassen Gegensatz zu den Schlussfolgerungen der Originalautoren: In elf der analysierten Studien (63 %) haben die Originalautoren Zielparameter mit für die Homöopathie positivem Ergebnis hervorgehoben und konstatierten insgesamt einen positiven Behandlungseffekt. Aufgrund der schlechten Qualität der Originalarbeiten liefert die Meta-Analyse keine verlässlichen Daten. Es gibt keine guten Hinweise, dass eine homöopathische Behandlung bei Tieren einen besseren Behandlungserfolg liefert als eine Placebobehandlung.(…) Insgesamt liefert diese nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin durchgeführte Analyse der kontrollierten und randomisierten klinischen Studien der Veterinärhomöopathie keine schlagkräftigen Argumente zugunsten der Veterinärhomöopathie.
Systematischer Review von Sundrum und Doehring
Caroline Doehring und Albert Sundrum von der Universität Kassel legen mit ihrer Ende 2016 erschienen Übersichtsarbeit[93] den zweiten systematischen Review zur Tierhomöopathie vor. Die Motivation hinter dieser Arbeit ist vor allem die Untersuchung der Aussage, man könne in der Nutztierhaltung den Gebrauch von Antibiotika durch den Einsatz homöopathischer Arzneien einschränken.
Bei ihrer Recherchearbeit legen sie deshalb den Schwerpunkt auf Studien, deren Gegenstand Anwendungsfälle homöopathischer Arzneien in Situationen sind, in denen sie im Falle einer gezielten Wirksamkeit den Einsatz von Antibiotika verhindern würden (also infektiöse Erkrankungen). Sie beschränken die Suche außerdem auf peer-reviewte[B 22] Arbeiten und Dissertationen zur Nutztierhaltung in der Lebensmittelproduktion (Rinder, Schweine und Hühner) sowie auf Haltungsbedingungen, die dem europäischen Standard entsprechen.
Diese Einschlusskriterien erfüllen 48 Veröffentlichungen im Zeitraum von 1981 bis 2014, in denen insgesamt 52 einzelne Studien beschrieben sind. In peer-reviewten Fachjournalen sind 33 dieser Artikel erschienen, in 15 Fällen handelt es sich um Doktorarbeiten.
Zu den untersuchten Anwendungen und der Behandlungsmethode
Wie auch schon bei Mathie und Clausen ist das Hauptergebnis des Reviews die große Heterogenität der Arbeiten. Bei den drei betrachteten Nutztierarten Rinder (34 Einzelstudien), Schweine (12 Einzelstudien) und Hühner (6 Einzelstudien) werden die Homöopathika entweder zur Behandlung verschiedenster Erkrankungen (Mastitis, Atemwegserkrankungen, Durchfall, Fruchtbarkeitsstörungen, zur Verbesserung des Allgemeinbefindens und zur Wachstumsförderung) oder prophylaktisch eingesetzt. Studien werden sowohl unter konventionellen Haltungsbedingungen als auch in ökologisch arbeitenden Betrieben („Bio“) durchgeführt, wobei in über der Hälfte der Arbeiten nicht einmal angegeben wird, um welchen Produktionstyp es sich handelt. In über der Hälfte der Studien kommen nicht klassische Einzelmittel, sondern Komplexmittel zum Einsatz, um Nosoden handelt es sich in insgesamt neun Studien. Sundrum und Doehring finden nur fünf Studien, in denen eine individualisierte homöopathische Anamnese durchgeführt wird, die dann auch zur Anwendung individualisierter Homöopathika führt. In zwei dieser fünf Arbeiten ist die Auswahl anwendbarer Arzneien allerdings vorab eingeschränkt.
Der Review spiegelt hier deutlich wieder, wie unterschiedlich die Homöopathie letztlich angewendet wird und wie wenig diese in der Nutztierhaltung gelebte Praxis mit der Homöopathie Hahnemanns zu tun hat. Die Vielfalt der Vorgehensweisen bedingt dann auch eines der Ergebnisse des Reviews:
Betrachtet man all diese Studien, so findet sich keine Arbeit, die unter denselben Bedingungen reproduziert wurde.[B 23]
Sundrum und Doehring weisen darauf hin, dass das absolute Fehlen reproduzierter Studien eine Auswertung in einem systematischen Review eigentlich ausschließt. Zudem betonen sie, dass selbst positive Studienergebnisse, die unter gewissen Haltungsbedingungen beobachtet werden, nichts über zu erwartende Behandlungserfolge unter anderen Bedingungen aussagen können. Eine Verallgemeinerung einzelner positiver Ergebnisse ist also schon deshalb nicht zulässig.
Zu Studiendesign und Studienqualität
Bei einem Großteil der Studien (79 %, n = 41) handelt es sich um randomisierte Kontrollstudien („RCT“), nur elf Arbeiten sind nicht randomisiert. Von den 41 randomisierten Studien ist allerdings etwa die Hälfte (21) komplett unverblindet, weitere neun Arbeiten sind nur einfach verblindet und nur insgesamt elf Arbeiten sind doppelt verblindet. Auch die Art der Kontrolle variiert sehr stark: nur 42 % der Kontrollgruppen sind Placebogruppen, ein knappes Drittel (31 %) werden mit Antibiotika behandelt; 17 % der Kontrollgruppen sind unbehandelt. Sundrum und Doehring schreiben hierzu:
Wenn es darum geht, eine Alternative zu einer bestehenden Medizin zu finden, ist es notwendig, Versuche mit dem bisherigen Heilmittel, der vorgeschlagenen Alternative und einem Placebo durchzuführen, um aussagekräftige Ergebnisse einzuholen (European Medicines Agency 2001). So wird sichergestellt, dass Tiere die effektivste Therapie erhalten.[B 24]
Diese geforderte Dreiarmigkeit erfüllen viel zu wenige der untersuchten Arbeiten (insgesamt haben nur sechs Veröffentlichungen sowohl eine mit Placebo als auch eine mit Antibiotika behandelte Vergleichsgruppe).
Bei der Bewertung der Zuverlässigkeit der Ergebnisse der Einzelarbeiten legen Sundrum und Doehring Standardkriterien an. Eine Arbeit wird als zuverlässige Evidenz eingestuft, wenn
- sie randomisiert ist,
- mindestens eine Kontrollgruppe vorhanden ist,
- alle Personen, die an Behandlung und Beurteilung beteiligt sind, verblindet sind,
- keine Hinweise auf nur selektive Berichterstattung erkennbar sind,
- es auch keine sonstigen offensichtlichen Mängel in der Arbeit gibt und kein Interessenskonflikt durch direkte oder indirekte Finanzierung durch Arzneimittelhersteller vorliegt.
Gerade dieses letzte Kriterium betrifft zwar etliche Studien, doch zeigt sich letztlich, dass die Arbeiten mit möglichen Interessenskonflikten weniger oft eine Überlegenheit der Homöopathie gegen Placebo vermelden als die Untersuchungen, in denen keine Verbindung zu den Produzenten offengelegt ist.
Eine Schwäche des Reviews ist, dass unbetrachtet bleibt, ob die gemeldeten Ergebnisse in der Designphase der Studie als „primäre Ergebnisse“ definiert worden waren. Oft werden in Studien mehr Messdaten erhoben als das primäre Auswertekriterium und mitunter werden Ergebnisse auch dann als „positiv“ deklariert, wenn zwar das Hauptauswertekriterium keine signifikanten Gruppenunterschiede liefert, ein Zweig der zusätzlich erhobenen Daten aber schon. Hinsichtlich der Statistiken stellen derartige „posthoc-Befunde“ jedoch keine gültigen Nachweise für eine echte Wirksamkeit dar.
Letztlich bewerten Sundrum und Doehring bei insgesamt 13 Veröffentlichungen das Risiko eines Bias[B 25] als wenigstens unklar oder zuverlässig, wobei alle diese 13 Arbeiten in ihrer Übersichtstabelle als „niedriges Bias-Risiko“ geführt werden.
Da nur elf Einzelstudien in neun Veröffentlichungen doppelt verblindet sind, bedeutet die Einschätzung von insgesamt 13 Veröffentlichungen als „niedriges Bias-Risiko“, dass Sundrum und Doehring auch nur einfach verblindete Arbeiten als „zuverlässige Evidenz“ einstufen.[B 26] Da zudem von den neun doppelt verblindeten Veröffentlichungen vier aufgrund anderer Punkte als nicht zuverlässig eingestuft werden, sind letztlich immerhin acht der 13 als zuverlässig eingestuften Veröffentlichungen nur einfach verblindet, darunter auch eine Arbeit von Kayne von 1994, die zudem auch noch als weiteren Mangel eine extrem kleine Stichprobe (nur 20 Tiere in der Studie) untersucht.
Damit beurteilen Sundrum und Doehring die Studienqualität erheblich wohlwollender als Mathie und Clausen, die nur zwei der von ihnen untersuchten Arbeiten ein niedriges Bias-Risiko zugestehen. Von den insgesamt zehn Studien, die in beiden Reviews betrachtet werden, wird die Zuverlässigkeit nur bei vier Veröffentlichungen gleich eingeschätzt, darunter die auch von Mathie und Clausen als zuverlässig eingestuften Arbeiten von Camerlink et al. und von Hektoen et al. In sechs Fällen wird die Aussagekraft der Veröffentlichung durch Sundrum und Doehring höher eingeschätzt.
Ergebnisse und Schlussfolgerung der Autoren
Von den Studien mit Vergleichsgruppe ergeben 26 Arbeiten signifikante Effekte zugunsten der Homöopathie, während 22 Arbeiten keine Hinweise auf medizinische Effekte finden. Hierbei zeigt sich allerdings ein deutlicher Zusammenhang mit dem Studiendesign:
Die randomisierten und doppeltverblindeten Vergleichsstudien vermelden fast genauso oft eine Wirksamkeit (n = 5) der homöopathischen Behandlung wie eine mangelnde Wirksamkeit (n = 6). In einfach verblindeten und überhaupt nicht verblindeten randomisierten Vergleichsstudien hatte die Homöopathie die Tendenz wirksam zu sein. In reinen Beobachtungsstudien oder solchen ohne Randomisierung der Gruppen, war die Wahrscheinlichkeit im Ergebnis Belege einer Wirksamkeit zu liefern, am höchsten.[B 27]
Dieser Rückgang der positiven Effekte bei steigender Aussagekraft der Arbeiten ist übereinstimmendes Ergebnis mehrerer systematischer Reviews zur Homöopathie (u. a. Shang/Egger 2005[94], Linde 1998[95] oder Linde 1999[96]). Sundrum und Doehring weisen darauf hin, dass dieser Rückgang der Effekte zugunsten der Homöopathie bei steigender Qualität des Studiendesigns andeutet, dass zumindest ein Teil der positiven Ergebnisse durch einen Bias aufgrund bewusster oder unbewusster Vorlieben zustande kommt.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Existenz einzelner, niemals reproduzierter Studien mit signifikanten Effekten zugunsten der Homöopathie keinen ausreichenden Beleg einer Wirksamkeit darstellen kann, da selbst Studien mit hochwertigem Design eine gewisse Fehleranfälligkeit haben: Einzelne Arbeiten anstatt der Ergebnisse systematischer Übersichtsarbeiten als Entscheidungsgrundlage herzunehmen, geht ein höheres Risiko ein, fehlerbehaftete Schlussfolgerungen zu betrachten und von einer Wirksamkeit auszugehen, wo tatsächlich keine vorliegt. Selbst bei einem überzufälligen Unterschied ist nicht gesichert, dass es sich nicht dennoch um ein Zufallsergebnis handelt bzw. dass der Unterschied tatsächlich vom Eingriff verursacht wurde (siehe hierzu Hauptartikel Statistische Signifikanz). Zudem ist eine Verallgemeinerung auf andere Haltungsbedingungen unzulässig.
Sundrum und Doehring äußern als zusätzliche Bedenken bezüglich der Aussagekraft einzelner positiver Ergebnisse homöopathischer Behandlungen im Vergleich zu mit Antibiotika behandelten Vergleichsgruppen. Denn bei der Einschätzung dieser Ergebnisse ...
... muss berücksichtigt werden, dass in den meisten Studien keine Empfindlichkeitstests auf die Resistenzmuster der jeweiligen Bakterien durchgeführt wurden, bevor das Antibiotikum für die Behandlung ausgewählt wurde.[B 28]
Ohne Test, ob das Antibiotikum für die Behandlung der Vergleichsgruppe überhaupt geeignet ist, ist nicht auszuschließen, dass es das zumindest in einigen Fällen nicht ist, was wiederum die Behandlungseffekte in den Antibiotikagruppen im Durchschnitt herabsetzt.
Beide Autoren sehen den Tierschutzgedanken als erste Priorität bei der medizinischen Behandlung von Tieren. Sie vertreten deshalb die Ansicht, es müsse immer die wirksamste Behandlung oder das wirksamste Heilmittel angewendet werden, um unnötiges Leiden des Tieres zu verhindern.
Folglich kann die Homöopathie derzeit nicht behaupten, eine ausreichende prognostische Gültigkeit bei der Wirksamkeit zu haben. (...) Aufgrund fehlender prognostischer Validität kann das Ersetzen oder Reduzieren von Antibiotika mit Homöopathie derzeit nicht empfohlen werden, es sei denn, der Nachweis der Wirksamkeit wird durch RCT reproduziert und in verschiedenen landwirtschaftlichen Praxisbedingungen nachgewiesen.[B 29]
Da die EU-Verordnung 889/2008, Artikel 24[65] explizit eine Anwendung der Homöopathie nur dann bevorzugt sehen will, „sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist“, bedeutet dieses Ergebnis, dass diese gesetzliche Voraussetzung durch die Datenlage nicht erfüllt ist.
Presseecho
Mehrere Pressemitteilungen greifen den Review von Sundrum und Doehring auf. Während wissenschaftliche Fachpresse und einige Wissenschaftsredaktionen die Methodik und Schlussfolgerungen der Arbeit in der Sache kritisch und korrekt zusammenfassen,[97][98][99] enthalten Stellungnahmen homöopathischer Verbände teilweise schwerwiegende Falschdarstellungen. So gibt die „Ergänzung“ der ÖGVH (Österreichische Gesellschaft für Veterinärmedizinische Homöopathie) und IAVH (International Association for Veterinary Homeopathy) beispielsweise die Intention der europäischen Gesetzeslage vollkommen falsch wieder, indem die gesetzlich verankerte Forderung, Homöopathika nur dann zu bevorzugen, sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist, unerwähnt bleibt und die Einhaltung dieser sowohl tierschutzrelevanten als gesetzlichen Notwendigkeit als alleiniges Bedürfnis von „Skeptikern“ dargestellt wird.[100]
Fazit
Placebokontrollierte Studien liefern keine Belege, dass homöopathische Behandlungen bei Tieren einen besseren Behandlungserfolg erzielen als Placebobehandlungen.
Insgesamt bedeutet dieses Ergebnis, dass die Forderung der EU-Verordnung 2092/91, Punkt 5.4 a), dass homöopathische Erzeugnisse nur dann einer medizinischen Behandlung vorzuziehen sind, sofern sie tatsächlich eine therapeutische Wirksamkeit auf die betreffende Tierart und die zu behandelnde Krankheit haben, für kein Krankheitsbild und keine Tierart erfüllt ist. Das gilt analog für die EU-Verordnung 889/2008, die die Anwendung in der biologischen Tierzucht ebenso an therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit koppelt.
Finanzielle Aspekte
Tierhomöopathie als Einnahmequelle: Buchmarkt und Schulungsveranstaltungen
Die Tierhomöopathie hat sich als Themenkreis etabliert, der einen lukrativen Markt für Ratgeberliteratur und Schulungsangebote erschließt.
Literatur
Da Tierhomöopathie sehr häufig von medizinischen Laien betrieben wird, besteht eine große Nachfrage nach Praxisleitfäden. Der Markt kommt dem mit vielfältigen Buchtiteln nach. Im Angebot sind sowohl allgemein gehaltene „Heilfibeln“ oder „Praxisbücher“ als auch tierartspezifische Ratgeber, zum Beispiel für Hunde, Katzen, Pferde, Kühe oder Schafe. Dabei deckt die Palette alles ab, was der Leser anwenden möchte: Es finden sich zahlreiche Bücher, die mit „bewährten Indikationen“ arbeiten[101] – bei denen von der oft zitierten „Individualität der homöopathischen Behandlung“ nichts mehr geblieben ist. Andere Bücher erläutern bereitwillig Miasmenlehre[102] und „Konstitutionsmittel“[103] oder „Homöopathie zum Aufmalen“[104].
Selbst innerhalb einer Homöopathievariante sind die Angaben in den diversen Büchern widersprüchlich. So sind auch die der „klassischen Homöopathie“ zugrunde liegenden Arzneimittelbilder in der Materia medica keineswegs einheitlich, wenn man bei verschiedenen Autoren nachschlägt. Selbst bei Unterschieden nur im Detail wird man doch wiederholt zu ganz anderer Mittelwahl kommen, je nachdem in welchem Buch man nachschlägt – wie Beispiele zeigen:
Millemann[10] schreibt in seiner „Materia medica der homöopathischen Veterinärmedizin“ bei Achillea millefolium in den Modalitäten:[B 30]
Besserung: durch Ruhe
Dagagen gibt die „Homöopathische Materia Medica für Veterinärmediziner“[105] von Hans Martin Steingassner dazu an:
Modalitäten: Verschlimmerung: Abends, in der Ruhe
Beim Aconitum, dem Blauen Eisenhut, heißt es zu den Modalitäten bei Millemann
Besserungen: Durch Kühle, im Freien; Durch Hinlegen
Steingassner schreibt dagegen:
Modalitäten:
Verschlimmerung: Kälte, beim Liegen
Besserung: Wärme
Dass sich die Inhalte der Ratgeber diametral widersprechen, stört die Kunden wenig, die Kundenrezensionen bei den Anbietern sind nahezu ausnahmslos positiv. Als „funktionierend“ wird empfunden, was das Gefühl gibt, dem Tier im Krankheitsfalle „unterstützend“ zur Seite stehen zu können oder einen Tierarztbesuch erst einmal aufschieben zu können. Erlebte Besserungen werden als Bestätigung gedeutet. Der Buchmarkt deckt bereitwillig alle Vorstellungen ab.
Die Tierhomöopathie wird so zu einem Thema, auf dem sich jeder Tierarzt und jeder Tierheilpraktiker als Autor etablieren kann, denn keiner der einander widersprechenden Ratgeber wird von den Lesern dafür kritisiert, etwas Falsches zu schreiben: Die Veterinärhomöopathie ist weder ein methodisch einheitliches Verfahren, noch ergänzen sich die verschiedenen parktizierten Varianten widerspruchsfrei. Es gibt keine konvergente Entwicklung zu einem durch belastbare, wissenschaftliche Daten gesichertem Grundwissen (siehe oben im Kapitel Kontroversen innerhalb der Veterinärhomöopathie) Das macht die Tierhomöopathie für Tierärzte und Tierheilpraktiker zu einem idealen Feld für die Weitergabe der persönlichen Erfahrungen als zusätzliche Einnahmequelle zu den eigentlichen Behandlungen am Tier, nicht nur über die Fülle an Ratgeberbüchern, sondern vor allem auch durch das Anbieten von Kursen oder Schulungen zur von der eigenen Person durchgeführten Praxis.
Schulungen
Gerade diese Schulungen können eine lukrative Einnahmequelle darstellen. Das Angebot reicht von eintägigen Veranstaltungen (für um 100 Euro) bis zu „Ausbildungen zum Tierhomöopath“ für mehrere Tausend Euro.[3][106] Viele „Vortragende“ oder „Dozenten“ weisen keine andere Qualifikation für die Lehrtätigkeit auf als entweder die Tätigkeit als Tierheilpraktiker – eine Bezeichnung, die in Deutschland keine Ausbildung oder Zulassungsprüfung voraussetzt[107] – oder Autor eines oder mehrerer Ratgeberbücher zu sein.
Damit steht die Möglichkeit, teure Schulungsveranstaltungen anzubieten, praktisch jedem offen. Diese florierende und auch von landwirschaftlichen Vereinen, Organisationen und Landwirtschaftkammern mitgetragene Markt an „Fortbildungen“ schafft schnell seine eigenen Experten: Kurse, die aus einer überschaubaren Anzahl von Präsenzstunden und Wochenendseminaren bestehen, vegeben an ihrem Ende das Zertifikat zum „Tierhomöopathen“. In der Folge ist für den einzelnen Tierbesitzer oft nicht erkennbar, dass ein „diplomierter“ oder „zertifizierter“ Homöopath eben kein auf saubere Evidenz in Studien gestütztes und von einer ganzen Fachwelt anerkanntes gesichertes Wissen anwendet.[3]
Vereine und teils auch Landwirtschaftskammern beschreiben die Homöopathie völlig unkritisch als Naturheilverfahren (das sie im medizinischen Sinne nicht ist)[6], dies oft vollkommen ohne Hinweise auf dieses Fehlen von Belegen für eine Überlegenheit der Homöopathika im Vergleich zu Placebos und oft in Kombination mit Bildern und Berichten zufriedener einzelner Landwirte.[108] Erfahrungsberichte und Schulungen kombinieren die Veterinärhomöopathie auch mit anderen „alternativmedizinischen“ Verfahren (zum Beispiel Kinesiologie) oder parawissenschaftlichen Praktiken (Pendeln, Radiästhesie, Wasserbelebung,…). So wirbt beispielsweise die Landwirtschaftskammer Niedersachsen dafür, „mehr Einzelmittel zum Einsatz bringen zu können“,[109] oder beschreibt, dass man Diagnose und Mittelwahl auch durch „Pendeln“ treffen zuverlässig treffen kann.[B 31][110] Tatsächlich dokumentiert diese Vielfalt an einander widersprüchlichen Praktiken aber auch gerade den Mangel an Erfolg und die Nichtexistenz der einen „erfolgreichen Methode“.[76][B 32]
Einsparungsmöglichkeiten durch Unterlassung veterinärmedizinischer Behandlungen
Oft wird als Argument für die Tierhomöopathie ins Feld geführt, dass sich Landwirte gar nicht leisten könnten, ein unwirksames Verfahren anzuwenden. Tatsächlich ergeben sich zunächst einmal durch das Weglassen veterinärmedizinischer Interventionen direkte Einsparungsmöglichkeiten für den Landwirt: Er wird unabhängiger vom Tierarzt, trifft eigenständiger und damit zügiger Entscheidungen und spart Tierarztkosten, wenn er statt einer tierärztlichen Untersuchung und Behandlung die Beschwerden der Kühe auspendelt und eigenmächtig in Selbsttherapie mit Globuli „behandelt“. Für die abgegebene Milch ist – und auf diesen „Vorteil“ weist zum Beispiel auch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen explizit hin[110] – keine Wartezeit einzuhalten,[45] wenn das Tier nicht medizinisch, sondern homöopathisch behandelt wurde:
Zusätzlich liegt der Vorteil der Wartezeitfreiheit homöopathischer Mittel auf der Hand. Bei der antibiotischen Behandlung entstehen durch Sperrmilch schnell Verluste von über 90 €. 35 Liter Sperrmilch pro Tag über sieben Tage multipliziert mit einem Milcherlös von 0,38 €/l bedeuten 93,10 € fehlende Einnahmen.[111]
Untersuchungen[76] bestätigen im Ergebnis, dass die Therapieform oft nur unwesentliche Auswirkungen auf die Heilungsrate hat. Erheblich maßgebender wird die Tiergesundheit von den Rahmenbedingungen des landwirtschftlichen Betriebsmanagements beeinflusst (Feststellungszeitpunkt der Erkrankung, vermehrte Kontrolle des Einzeltieres, Anpassung der Rahmenbedingungen an die Erkrankungssituation,…). Der Eindruck einer Wirksamkeit der homöopathischen Mittel entsteht deswegen in der Praxis sowohl beim privaten Tierhalter als auch beim Landwirt, da rund 80 Prozent aller Krankheiten, wegen derer ein Tierarzt üblicherweise hinzugezogen wird, selbstlimitierend sind, also früher oder später ohne weiteres Zutun ausheilen[112]. Zudem wird der Landwirt bei der Umstellung seines Betriebes angehalten, seine Tiere sehr genau zu beobachten und auf optimale Haltungsbedingungen zu achten. Allein diese beiden sehr sinnvollen Maßnahmen führen zu einer Reduktion notwendiger Behandlungen der Tiere und täuschen somit ebenfalls einen „Erfolg“ der Homöopathie vor. Tatsächlich ist diese genaue Beobachtung des Tierbestandes unabhängig von der Therapie zielführend und daher wünschenswert und nicht an die Homöopathie gebunden.
Da Studien[78] belegen, dass beispielsweise Mastitis beim Rind länger dauert, wenn sie statt medizinisch nur mit Homöopathika behandelt wird, ist ein Homöopathikaeinsatz im Stall aus tierschutzrechtlichen Überlegungen nicht zu rechtfertigen, selbst wenn der Landwirt in der Summe über die Einsparung der fachmännischen und nachweislich wirksamen Behandlung vergleichbare oder sogar marginal geringere Ausgaben hat: Colin Goldner beschreibt die Problematik der aus der Veterinärhomöopathie resultierenden Praxis prägnant:[3]
Ausgestattet mit oberflächlichstem Wissen und ungeachtet der Frage, ob die Diagnosen beziehungsweise therapeutischen Maßgaben richtig sind oder nicht, kann nun jedermann über den einschlägigen Internetversand, vielfach auch über die Apotheke, die entsprechenden Präparate erwerben und – außerhalb jeder Kontrolle – jedes Tier mit jeder Erkrankung damit behandeln.
Versprechen der Reduktion von Antibiotika in der Nutztierhaltung
Problematisch ist die wiederholt zu findende Behauptung, Homöopathika könnten dazu beitragen, im Stall den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Oft liest man sogar, dass deshalb der Globulieinsatz aus Sicht der Tier- oder der Verbrauchergesundheit sinnvoll wäre.[113][114][115]
Oft werden Antibiotika in der Tiermast nur aufgrund unzureichender Haltungsbedingungen und überfüllter Ställe notwendig: Antibiotikabedarf ist nicht der Grund für kränkliche Tiere, sondern beides ist eine Folge der Haltung.[116][B 33]
Mangelnde Aufzuchtbedingungen mit Antibiotikaeinsatz zu kaschieren, ist allein aus tierschutzrechtlichen Gründen bedenklich; wachsende Antibiotikaresistenzen sind ein weiterer Grund für bessere Standard (siehe dazu den Artikel Antibiotika und die weiterführende Literatur dort). Ohne eine Veränderung der Haltungsbedingungen wird es aber mit einem Verfahren, das keine Wirksamkeit über Placebo hinaus nachweisen kann, nicht gelingen, den Einsatz der Antibiotika zu verringern; in tierschutzgerechter Aufzucht gelingt dies ohne Placebos. Notwendig sind hier Maßnahmen, wie sie in Deutschland bereits durch das Arzneimittelgesetz seit einigen Jahren erfolgreich zum Einsatz kommen: die Verbesserung der Tierhaltungsbedingungen und die Verschärfung der Regelungen im Tierarzneimittelrecht. Ein Einsatz von Antibiotika zur Wachstumsförderung und als leistungsfördernde Futterzusatzstoffe ist zumindest EU-weit verboten und strafbar. Auch die strenge Überwachung, wieviele Antibiotika im einzelnen Betrieb zum Einsatz kommen, gehört zum Maßnahmenkatalog. Betriebe, die die durchschnittlichen Werte überschreiten, fallen aufgrund dieser Überwachung auf und müssen Maßnahmen zur Reduktion der Antibiotika einleiten. Sicher gehört auch die Forschung nach wirksamen Behandlungsalternativen zu den sinnvollen Maßnahmen, der Einsatz von Produkten, die keine Überlegenheit gegenüber Placebo nachweisen können, sowie das Fördern des unfachmännischen „Behandelns“ damit in Eigenregie gehört jedoch nicht dazu.[117]
Auch der in Zusammenhang mit der homöopathischen Behandlung immer wieder geäußerte Rat, man müsse die Tiere dann eben gut beobachten, um Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, sollte immer, auch bei medizinischer Betreuung, für jeden Landwirt Standard sein. Antibiotikarückstände erreichen den Endverbraucher mit der Milch ohnehin nicht, denn Molkereien achten im eigenen Interesse mit flächendeckenden „Snap-Tests“ auf Rückstände, so dass sie in handelsüblicher Milch nicht zu finden sind.[118][119]
Da wie oben dargelegt ein Systematischer Review das Ersetzen von Antibiotika durch Homöopathika aufgrund des Fehlens sauberer Belege einer prognostischen Gleichweitigkeit nicht empfehlen kann, und da praxisnahe Studien[78] sogar Hinweise liefern, dass beispielsweise Mastitis beim Rind länger dauert, wenn statt medizinischer Behandlung nur mit Homöopathika reagiert wird, ist ein Homöopathikaeinsatz im Stall auch aus tierschutzrechtlichen Überlegungen nicht zu rechtfertigen.
Politische Aspekte
Während manche Landwirtschaftskammern fordern, „mehr Einzelmittel zum Einsatz bringen zu können“,[109] zeigt die Studienlage eindeutig, dass Homöopathika die EU-Verordnung 2092/91, Punkt 5.4 a)[63] für kein Krankheitsbild und keine Tierart erfüllen. In diesem Zwiespalt hat sich die Bundesregierung dazu entschlossen, einen Antrag auf Erleichterung der gesetzlichen EU-Vorschriften zu stellen (Stand September 2016).[120]
Zusammenfassung
Die Anwendung der Homöopathie auf das Tier wurde schon von Hahnemann und seinen Zeitgenossen für möglich gehalten. Dennoch gibt es bis heute keine Einigung unter Homöopathen, wie die Homöopathie auf Tiere anzuwenden sei. Strittig ist die Übertragbarkeit der am Menschen gewonnenen Arzneimittelbilder auf unterschiedlichste Tierarten, sowie die Anwendung von homöopathischen Komplexmitteln oder Nosoden. Eine von allen Homöopathen anerkannte „Tierhomöopathie“ gibt es auf dem Markt nicht.
Entgegen der Darstellung vieler Homöopathen sind Placebo- und andere Kontexteffekte beim Tier durchaus bekannt. Genesungen von Tieren nach Globuligabe belegen die Wirksamkeit der Homöopathika ebensowenig, wie dies bei menschlichen Patienten der Fall ist.
Studien liefern keine Argumente für die Behauptung einer Überlegenheit der Tierhomöopathie gegenüber Placebo.
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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