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Nürnberger Kochsalzversuch
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− | Der Nürnberger Kochsalzversuch von 1835 ist der erste doppelt verblindete Versuch in der Arzneimittelforschung. Er wurde von Nürnberger Ärzten durchgeführt, um die Unwirksamkeit des homöopathischen Vorgehens zu beweisen, was ihm auch gelungen ist. Mit mehr als 50 Versuchspersonen und einer exakten Versuchsanordnung ging er in die Medizingeschichte ein. | + | <!-- TXT:Im doppelt verblindeten Nürnberger Kochsalzversuch von 1835 demonstrierten Nürnberger Ärzte die Unwirksamkeit von Homöopathika.@-->Der Nürnberger Kochsalzversuch von 1835 ist der erste doppelt verblindete Versuch in der Arzneimittelforschung. Er wurde von Nürnberger Ärzten durchgeführt, um die Unwirksamkeit des homöopathischen Vorgehens zu beweisen, was ihm auch gelungen ist. Mit mehr als 50 Versuchspersonen und einer exakten Versuchsanordnung ging er in die Medizingeschichte ein. |
==Die Vorgeschichte== | ==Die Vorgeschichte== |
Aktuelle Version vom 6. Dezember 2020, 20:50 Uhr
Der Nürnberger Kochsalzversuch von 1835 ist der erste doppelt verblindete Versuch in der Arzneimittelforschung. Er wurde von Nürnberger Ärzten durchgeführt, um die Unwirksamkeit des homöopathischen Vorgehens zu beweisen, was ihm auch gelungen ist. Mit mehr als 50 Versuchspersonen und einer exakten Versuchsanordnung ging er in die Medizingeschichte ein.
Inhaltsverzeichnis
Die Vorgeschichte
Bereits in den Jahren 1829 und 1830 waren in St.Petersburg – finanziert durch die russische Regierung – Versuche durchgeführt worden, um die Wirkung homöopathischer Behandlungen systematisch im Vergleich mit konventionellen Methoden (Medikamente, Aderlass) und einem Vorläufer von Placebo (Zuckerpillen, Bäder, Tees) zu erforschen – mit dem Ergebnis, dass der beste Heilungserfolg in der Placebogruppe erreicht wurde. Die russische Regierung vebot daraufhin die Homöopathie.[1]
Die nächste Überprüfung der homöopathischen Methode wurde 1835 in Nürnberg durchgeführt. Im Königreich Bayern war zu dieser Zeit die Homöopathie besonders bei den „höheren Ständen“ etabliert. In Nürnberg praktizierten die Homöopathen Karl Preu und Johann Jacob Reuter in erfolgreichen Praxen.[2] Auch Mitglieder der Aristokratie zählten zu ihren Patienten. Diese zunehmende Popularität erregte den Unmut der örtlichen Ärzteschaft. 1834 publizierte der Obermedizinalrat und Direktor aller Nürnberger Kliniken Friedrich Wilhelm von Hoven unter dem Pseudonym „Dr. Ernst Friederich Wahrhold“ eine Polemik mit dem Titel „Auch etwas über die Homöopathie“,[3] in der er die – auch heute noch gültigen – Kritikpunkte zusammenfasste:
Die Kunst der Homöopathen besteht darin, den Menschen den Glauben beizubringen. (S.13)
... und wenn eine derselben [Krankheiten] mit dem Tod endigt, so ist nicht die Unzulänglichkeit der Heilart Schuld an dem Tod, sondern entweder der Kranke selbst, der die Heilvorschriften nicht pünktlich genug befolgte, oder ein unvermuthet eingetroffener Zufall, der das Gelingen der Kur vereitelte. (S. 24)
Sie [die Homöopathie] ist eigentlich gar keine Heilart, denn welcher vernünftige Mensch kann glauben, dass der millionste oder gar decillionste Theil eines Arzneistoffes noch etwas wirken könnte? (S. 30)
Seine grundsätzliche Einschätzung lautete folgerichtig:
Eine Lehre, die weder auf wissenschaftlichen Gründen beruht, noch auf sichere und richtig gedeutete Erfahrungen sich stützt, kann auch nicht wissenschaftlich widerlegt werden (S.4).
Diese harsche Kritik rief natürlich die Verfechter der Homöopathie auf den Plan. Auch Reuter argumentierte in einer Weise, die sehr an aktuelle Diskussionen erinnert, dass nämlich auch Tiere, Kinder und Irre auf die Kuren reagierten, die doch den „Glauben“ nicht haben könnten. Reuter bot von Hoven daraufhin eine Wette an: Hoven sollte jeden Morgen nüchtern 100 Tropfen einer „Decillionstel-Verdünnung eines Korns Küchensalz“ (vermutlich eine C30-Verdünnung, also ein Teil Kochsalz auf 10030 Teile Wasser) zu sich nehmen, worauf er „etwas Ungewöhnliches empfinden“ werde.[4] Hahnemann versicherte, dass manche Personen kaum einige Tropfen vertrügen. Dieser „Herausforderung“ stellten sich neben von Houven eine ganze Reihe von Nürnberger Ärzten und Apothekern mit ihren Familien, jedoch ohne irgendeine Wirkung der Tropfen festzustellen.
Sie beschlossen daraufhin, die Versuchsbasis zu vergrößern. Der „Kreis- und Stadtgerichtsphysikus“ Dr. Solbig erklärte sich bereit, „unter Vergnügen“ die Versuche zu leiten. Es ergingen mehrere Einladungen, um genügend „Versuchspersonen“ in der Veranstaltung zu haben, die Verdünnungen wurden – da sich der Homöopath Reuter weigerte, sie herzustellen – durch zwei Apothekergehilfen („beide haben gestern Abends gebadet, Kleider und Wäsche gewechselt“) mit „Schneewasser“ potenziert, es wurde eine siebenköpfige Aufsichtskommission gebildet und ein Protokollant ernannt.[5]
Der Versuch
Am 19. Februar fanden sich – außer den Beteiligten – 117 im Bericht namentlich aufgeführte Männer ein. Nach einer Einführung durch Dr. Solbig wurde das Programm erklärt (S.13ff):
(...)
§ 3 Vor den Augen der Anwesenden werden die Gläser mit destillirtem Schneewasser gereinigt.§ 4 Zur Anfertigung der Potenzirung werden 30 Gläschen auf den mittleren Tisch hingestellt.
§ 5 In ein Gläschen werden 100 Tropfen destillirtes Schneewasser gebracht, der Inhalt genau abgewogen, und hierauf die übrigen Gläschen mit den gleichen Gewichte destillirten Schneewassers gefüllt.
§ 6 Es wird ein Gran gereinigtes Salz abgewogen, der übrige Inhalt des Gläschens, in welchem das Salz enthalten ist versiegelt und der Kommission übergeben.
Es folgen weitere zehn Paragraphen – Füllen von je 50 Gläsern mit Verdünnung und destilliertem Wasser, Numerierung der Gläser, Protokollierung der Nummern mit jeweiligem Inhalt, Mischen der Gläser, Protokollierung der Glasnummer mit dem Namen des Empfängers und Versiegelung der Protokolle.
Von den Anwesenden tranken anschließend 48 Männer je ein Gläschen mit 100 Tropfen, ohne dass sie oder die Versuchsleiter wussten, ob es sich um destilliertes Wasser oder potenziertes Kochsalz handelte. Auf Verlangen eines Kommissionsmitglieds erhielten sieben weitere Personen nach dem eigentlichen Versuch unter denselben Bedingungen ebenfalls eine Dosis, so dass insgesamt 55 Versuchspersonen beteiligt waren.
Die zuvor genommenen Rückstellproben wurden anschließend von einem Chemiker untersucht und als frei von Verunreinigungen befunden. Allerdings ließ sich auch mit der besten Methode, die damals zur Verfügung stand, bereits in der dritten Verdünnung kein Salz mehr nachweisen.
Die Ergebnisse
Am 12. März – also drei Wochen später – wurden 51 Männer (vier konnten nicht erreicht werden), die an dem Versuch teilgenommen hatten, ausführlich zu ihren Erfahrungen befragt, die meisten in einer erneuten Versammlung. Einige legten ihre Erfahrungen schriftlich vor (S.18ff).
„Gar nichts“ wahrgenommen hatten 19 aus der Versuchsgruppe (potenziertes Kochsalz) und 23 aus der Kontrollgruppe (destilliertes Wasser).
Neun Personen nahmen etwas „Ungewöhnliches“ wahr, drei aus der Kontrollgruppe und sechs aus der Kochsalzgruppe - von denen allerdings einer über den Inhalt seines Gläschens informiert war (S.20ff): Die „Symptome“ sind allerdings unspezifisch (Husten, der schon vor dem Versuch vorhanden war, „Kollern im Unterleib“ und andere Verdauungsbeschwerden sowie schmerzende Hühneraugen) und traten in unterschiedlichem zeitlichen Abstand zum Versuch auf. Die Anzeichen bei den drei Kontrollgruppen-Teilnehmern mit „Wahrnehmungen“ waren ähnlich (Hals- und Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme) mit einer Ausnahme: Er verspürte am Tag nach dem Versuch „ungewöhnliche Regungen des Geschlechtstriebs“, die aber nicht anhielten.[B 1]
Der Autor des Berichts kommt zu Recht zu dem Schluss, dass nicht homöopathische Mittel oder reines Wasser die Unpässlichkeiten hervorgerufen hätten, sondern Erkältungen und Magenverstimmungen. Und seine Aufforderung an Homöopathen, die Versuche zu wiederholen, endet mit dem erstaunlich modernen Rat (S.24):
Alles zu vermeiden, was die einzelnen Versuchspersonen den Empfang bestimmt homöopathisch arzneilicher oder bestimmt unarzneilicher Versuchgaben vermuthen lassen könnte. Selbst die Ausfertiger und Vertheiler der Dosen dürfen, wie bei unserem Versuche, nicht erfahren, was dieser oder jener erhalten hat.
Eine schöne Beschreibung des zentralen Paradigmas von Doppelblindversuchen, dessen erste Anwendung dieser Versuch war.
Fazit: Der Homöopath Reuter hatte die gesamte Ärzteschaft Nürnbergs herausgefordert und war kläglich gescheitert.
Die Folgen
Auch die Reaktion der Homöopathen mutet bekannt an: Nach etlichen Diffamierungen und Beschimpfungen der Ärzte war ihr einziges Argument, die Untersuchenden hätten die Homöopathie nicht verstanden und ohne Erfahrung mit ihr könnten sie nicht urteilen.[6]
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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