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Varianten der Homöopathie
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Die Homöopathie besteht längst nicht mehr aus einem einzigen einheitlichen therapeutischen Ansatz, der von allen Homöopathen gleichermaßen verwendet wird. Heute existieren zahlreiche Formen der Homöopathie nebeneinander.<ref name="undiluted">{{Buch|Autor=Edzard Ernst|Titel=Homeopathy – The Undiluted Facts|Verlag=Springer International Publishing Switzerland 2016|Seite=S. 35|ISBN=978-3-319-43590-9|DOI=10.1007/978-3-319-43592-3_6|Link=|Linktext=|Linkdatum=}}</ref> Eine allgemeine Richtlinie oder Empfehlungen, welches Grundkonzept der Homöopathie unter welchen Voraussetzungen angewandt werden soll, gibt es nicht. Verschiedene Therapeuten vertreten hier teils diametral entgegengesetzte Standpunkte. Einem homöopathisch behandelten Patienten kann deshalb immer passieren, dass ihm ein anderer homöopathisch arbeitender Therapeut sagt, das bisher angewandte Verfahren sei gar keine „echte Homöopathie“ gewesen. So schreibt sogar ''Gerhard Bleul'', homöopathisch tätiger Arzt und ehemaliger 2. Vorsitzender des ''[[Artikel:DZVhÄ|Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte]]'': <blockquote>Die einzelnen Theorien, Methoden und Schulen stehen sich oft mit Unverständnis, manchmal unversöhnlich gegenüber. Jede Methode beruft sich auf Samuel Hahnemann, den Begründer der Homöopathie, und jeder findet andere Textstellen, die neue Ansätze rechtfertigen sollen.<ref>{{Buch|Autor=Gerhard Bleul (Hrsg.)|Titel=Homöopathische Fallanalyse: Von Hahnemann bis zur Gegenwart – die Methoden|Verlag=Karl F. Haug Verlag, Stuttgart, 2012|Seite=Vorwort|ISBN=978-3-8304-7320-6|DOI=|Link=|Linktext=|Linkdatum=}}</ref></blockquote> | Die Homöopathie besteht längst nicht mehr aus einem einzigen einheitlichen therapeutischen Ansatz, der von allen Homöopathen gleichermaßen verwendet wird. Heute existieren zahlreiche Formen der Homöopathie nebeneinander.<ref name="undiluted">{{Buch|Autor=Edzard Ernst|Titel=Homeopathy – The Undiluted Facts|Verlag=Springer International Publishing Switzerland 2016|Seite=S. 35|ISBN=978-3-319-43590-9|DOI=10.1007/978-3-319-43592-3_6|Link=|Linktext=|Linkdatum=}}</ref> Eine allgemeine Richtlinie oder Empfehlungen, welches Grundkonzept der Homöopathie unter welchen Voraussetzungen angewandt werden soll, gibt es nicht. Verschiedene Therapeuten vertreten hier teils diametral entgegengesetzte Standpunkte. Einem homöopathisch behandelten Patienten kann deshalb immer passieren, dass ihm ein anderer homöopathisch arbeitender Therapeut sagt, das bisher angewandte Verfahren sei gar keine „echte Homöopathie“ gewesen. So schreibt sogar ''Gerhard Bleul'', homöopathisch tätiger Arzt und ehemaliger 2. Vorsitzender des ''[[Artikel:DZVhÄ|Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte]]'': <blockquote>Die einzelnen Theorien, Methoden und Schulen stehen sich oft mit Unverständnis, manchmal unversöhnlich gegenüber. Jede Methode beruft sich auf Samuel Hahnemann, den Begründer der Homöopathie, und jeder findet andere Textstellen, die neue Ansätze rechtfertigen sollen.<ref>{{Buch|Autor=Gerhard Bleul (Hrsg.)|Titel=Homöopathische Fallanalyse: Von Hahnemann bis zur Gegenwart – die Methoden|Verlag=Karl F. Haug Verlag, Stuttgart, 2012|Seite=Vorwort|ISBN=978-3-8304-7320-6|DOI=|Link=|Linktext=|Linkdatum=}}</ref></blockquote> | ||
Version vom 6. Dezember 2020, 17:57 Uhr
Die Homöopathie besteht längst nicht mehr aus einem einzigen einheitlichen therapeutischen Ansatz, der von allen Homöopathen gleichermaßen verwendet wird. Heute existieren zahlreiche Formen der Homöopathie nebeneinander.[1] Eine allgemeine Richtlinie oder Empfehlungen, welches Grundkonzept der Homöopathie unter welchen Voraussetzungen angewandt werden soll, gibt es nicht. Verschiedene Therapeuten vertreten hier teils diametral entgegengesetzte Standpunkte. Einem homöopathisch behandelten Patienten kann deshalb immer passieren, dass ihm ein anderer homöopathisch arbeitender Therapeut sagt, das bisher angewandte Verfahren sei gar keine „echte Homöopathie“ gewesen. So schreibt sogar Gerhard Bleul, homöopathisch tätiger Arzt und ehemaliger 2. Vorsitzender des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte:
Die einzelnen Theorien, Methoden und Schulen stehen sich oft mit Unverständnis, manchmal unversöhnlich gegenüber. Jede Methode beruft sich auf Samuel Hahnemann, den Begründer der Homöopathie, und jeder findet andere Textstellen, die neue Ansätze rechtfertigen sollen.[2]
Inhaltsverzeichnis
- 1 Säulen der Homöopathie
- 2 Historische Gründe für die Variantenvielfalt
- 3 Einschätzung der Variantenvielfalt
- 4 Varianten, die sich ganz als Umsetzung der Anweisungen Hahnemanns verstehen
- 5 Varianten, die mit mindestens einem Grundprinzip Hahnemanns brechen
- 6 Sonstige Varianten
- 6.1 Astrologische Homöopathie
- 6.2 C4-Homöopathie
- 6.3 Elektrohomöopathie
- 6.4 Enneagramm-Homöopathie
- 6.5 Gienow-Methode
- 6.6 Homöosiniatrie
- 6.7 Neue Homöopathie nach Körbler
- 6.8 Predictive Homeopathy
- 6.9 Prozessorientierte Homöopathie
- 6.10 Psychologische Homöopathie
- 6.11 Quantenlogische Homöopathie
- 6.12 Quellenhomöopathie
- 6.13 Resonanzhomöopathie
- 6.14 Synergetische Homöopathie
- 6.15 Systemische Homöopathie
- 7 Zusammenfassung
Säulen der Homöopathie
In Umfragen verwechseln viele Befragte die Homöopathie mit Phytotherapie (Pflanzenheilkunde).[3] Auch unter Naturheilkunde ist die Homöopathie nicht korrekt eingeordnet.[B 1][4]
Unter Homöopathie versteht man vielmehr eine therapeutische Methode, die ursprünglich vor rund 200 Jahren von Samuel Hahnemann (1755–1843) erdacht wurde. Sie basiert auf folgenden zentralen Grundannahmen:[5]
- Homöopathische Arzneien sollen nach einem Ähnlichkeitsprinzip wirksam sein. Das bedeutet, sie sollen beim Kranken ähnliche Symptome bekämpfen, wie das Mittel beim Gesunden (vermeintlich) hervorruft.
- Die Listen der Symptome („Repertorien“), bei denen die einzelnen Homöopathika helfen sollen, entstehen in Arzneimittelprüfungen am Gesunden: Gesunde Personen nehmen ein Präparat ein und berichten über alle Veränderungen, die sie an sich bemerken.[B 2]
- Da auch sehr giftige Ausgangsstoffe wie Arsen und Quecksilber zum Einsatz kommen, werden die eingesetzten Stoffe verdünnt angewandt. Die in der Homöopathie verwendeten Verdünnungen gehen dabei teils weit über die Avogadrogrenze hinaus, so dass in den Arzneien häufig keinerlei Wirkstoff mehr enthalten ist. In der Homöopathie geht man aber davon aus, dass der bei der Herstellung erfolgte Wechsel von schrittweiser Verdünnung und Schütteln der jeweiligen Lösung eine im Sinne des Ähnlichkeitsprinzips arbeitende Wirkkraft der Ausgangssubstanz auch über deren Verschwinden hinaus zunächst in der Lösung und später in den Globuli erhält und sogar verstärkt. Deswegen spricht man in der Homöopathie auch nicht von Verdünnung, sondern von Potenz und nennt den Herstellungsvorgang das Potenzieren.
- Die Ursache der Erkrankung sieht die Hahnemannsche Homöopathie in einer Störung der „Lebenskraft“[B 3] des Patienten. Spätere Schulen der Homöopathie haben andere, z. T. zueinander konträre Überzeugungen, werden aber bis heute unabhängig voneinander unter dem Sammelbegriff „Homöopathie“ praktiziert.
- Chronische Krankheiten sollen laut Hahnemanns später entwickelter Miasmentheorie durch das Eindringen von Miasmen durch die Haut entstehen, von wo aus sie sich – falls unbehandelt – ausbreiten und oft erst nach Jahren zu chronischen Beschwerden führen. Hahnemann nennt drei Miasmen: die Psora (Krätze), Sykose[B 4] und Syphilis. Siehe hierzu auch den Abschnitt Miasmatheorie im Hauptartikel über Samuel Hahnemann und den Abschnitt zur Miasmatischen Homöopathie unten.
Bereits zu Lebzeiten Hahnemanns interpretierten Homöopathen seine Schriften und Vorgaben auf unterschiedliche Weise und kamen so zu unterschiedlichen Verfahren in der Praxis. Einige vermischten homöopathische Vorstellungen mit denen anderer Weltbilder. Nicht alle heutigen Varianten enthalten entsprechend alle genannten Grundprinzipien.
Anmerkung zur Schreibung:
Obwohl Strömungen wie „genuine“ Homöopathie und „klassische“ Homöopathie als feststehende Begriffe für die Homöopathie Hahnemanns bzw. James Tyler Kents stehen, werden hier die Adjektive in der homöopathischen Literatur meist klein geschrieben. Andere Bezeichnungen wie „Neue Homöopathie“ werden – mitunter sogar als eingetragene Marken – groß geschrieben. Homöopedia hält sich im Folgenden an die Schreibweise der Primärliteratur. Bezeichnungen wie „genuin“, „klassisch“ oder „Neu“ zitieren also die Selbstbezeichnungen der jeweiligen Schule und sind keine Wertung durch die Homöopedia.
Historische Gründe für die Variantenvielfalt
Für die heutige Vielzahl von Varianten gibt es sehr unterschiedliche Gründe.
Obwohl Samuel Hahnemann seine Nachfolger dazu aufforderte, seine Anweisungen exakt einzuhalten,[6] ist Hahnemanns Gesamtwerk in vielerlei Hinsicht selbst die Ursache für die Entstehung verschiedener Schulen der Homöopathie.
Hahnemann überarbeitete allein sein Hauptwerk, das Organon der Heilkunst, mehrmals und ließ in jeder einzelnen Auflage neue Ideen einfließen und revidierte bisherige Aussagen.[7] Die Schriften, die Hahnemann letztlich – auch als jeweils letzten Stand – hinterlassen hat, sind nicht frei von Widersprüchen. Zum einen war es den Nachfolgern Hahnemanns deshalb gar nicht möglich, allen Anweisungen gleichzeitig gerecht zu werden. Zudem ist es in der Homöopathie nicht unüblich, sich mehr oder weniger beliebig aus den verschiedenen Wissensständen zu bedienen.[B 5] So wurden von verschiedenen Homöopathen unterschiedliche Regelungen verworfen, während sie andere – ebenfalls unterschiedliche – Regelungen beibehielten. Zum anderen gewähren Hahnemanns Texte einen breiten Interpretationsspielraum. So ist keineswegs exakt festgelegt, wie die am „besten passende“ Arznei nun genau nach dem Ähnlichkeitsprinzip zu wählen ist oder wie der Homöopath vorgehen soll, wenn mehrere Mittel in Frage kommen („Repertorisation“). An dieser Hierarchienfrage der Symptome unterscheiden sich viele Schulen. Für den Patienten hat dies aber zur Folge, dass verschiedene Methoden der Homöopathie bei denselben Symptomen zu einer unterschiedlichen Verordnung gelangen.
Besonders die Miasmenlehre der „Chronischen Krankheiten“ Hahnemanns war von Anfang an auch unter seinen Anhängern umstritten. Während Hahnemann in seinen frühen Schriften dazu aufrief, die Nichtigkeit übersinnlicher Ergrübelungen[8] zu bedenken und sich auf äußerlich durch die Sinne erkennbare Veränderungen[8] zu beschränken, weicht die später entwickelte Miasmentheorie ganz grundlegend hiervon ab. Dazu Gerhard Bleul:
Die Betrachtung bzw. Beachtung eines Miasmas geschieht aber gerade nicht durch die Sinne, sondern mithilfe eines theoretischen Konstrukts, durch das Krankheitszeichen eingeordnet und interpretiert werden. Hiermit öffnete er weiteren Interpretationen und Spekulationen, gegen die er sich früher vehement wandte, Tür und Tor.[9]
Die ab der vierten Auflage des Organons in § 7 enthaltene Aufforderung Hahnemanns, das Leiden des Patienten unter Mithinsicht auf etwaniges Miasm[10] zu behandeln, verlässt klar die Ebene der direkten Sinneswahrnehmung durch den Therapeuten. Im Postulat der schon durch Erbschaft ihnen mitgetheilte Psora, Erzeugerin der meisten chronischen Krankheiten[11] sehen einige von Hahnemanns Nachfolgern Ursünde-Konzepte und bringen ihre jeweiligen religiösen oder weltanschaulichen Deutungen in die Homöopathie ein, was zu einer weiteren Vielfalt an Strömungen führt, die sich als Deutungen der Miasmenlehre verstehen.
Ein weiterer Grund für das Entstehen unterschiedlicher Strömungen in der Homöopathie ist die Uneinigkeit der Homöopathen, wie genau man Hahnemanns Forderung nach der Gabe zu dem für sanfte Hilfe angemessensten Grade von Kleinheit aus dem § 277[12] des Organons gerecht werden sollte. Eine Rolle spielte hierbei das späte Erscheinen der sechsten Auflage des Organons. Nach Hahnemanns Tod verblieb das Manuskript über Jahrzehnte in der Hand seiner Witwe Mélanie und wurde erst 1921 durch Dr. Richard Haehl veröffentlicht.[13] In dieser letzten Auflage des Organons hat Hahnemann aber das von ihm favorisierte Potenzierungsverfahren durch Einführung von 50.000er-Potenzen noch einmal grundlegend umgearbeitet. Entsprechend arbeiteten die Homöopathen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mit den eigentlich zuletzt von Hahnemann empfohlenen Q-Potenzen, sondern mit den C-Potenzen der früheren Auflagen des Organons. Gerade in der Schule nach James Tyler Kent kamen immer höhere und noch höhere Potenzen zum Einsatz. Viele Homöopathen wie beispielsweise Pierre Schmidt hielten auch nach Erscheinen der letzten Ausgabe des Organons an den C-Potenzen fest. Andere begannen die Q-Potenzen einzusetzen.
Auch das fortschreitende Wissen der Naturwissenschaften und die sich daraus abzeichnende Unplausibilität der Hochpotenzen brachte Uneinigkeit über die zu verwendenden Potenzen mit sich:
Schon zu Lebzeiten Hahnemanns gab es eine Spaltung der Homöopathenschaft, in solche, die dem Organon folgten und die Homöopathie in der ursprünglichen Form ausübten, und in andere, die sie der gerade modern werdenden Naturwissenschaft anpassten.[14]
Einige Homöopathen wandten sich in der Folge von der Verwendung der wirkstofffreien Verdünnungen ab und beschränkten sich in der Praxis auf die Gabe von niedrigen Potenzen. Andere Homöopathen sehen bei Niedrigpotenzen das Gebot der Kleinheit der Gabe verletzt.
Einschätzung der Variantenvielfalt
Innerhalb der Homöopathie wird im allgemeinen nicht thematisiert, dass sich die einzelnen Strömungen zum Teil diametral widersprechen oder dass sie für denselben Patienten zu teils vollkommen anderen Ergebnissen kommen, welches Homöopathikum nun genau das „Simile“ ist (also das nach dem Ähnlichkeitsprinzip für die Beschwerden des Patienten zu verordnende Mittel). Zwar kritisieren sich mitunter die Vertreter der verschiedenen Ansätze gegenseitig, doch fehlt eine Einsicht der Notwendigkeit, wirklich auszutesten, ob und wenn ja welche Variante bessere Ergebnisse liefert. Viele Homöopathen lehnen etwa randomisierte und verblindete Vergleichsstudien (mit medizinisch nicht nachvollziehbaren Einwänden) grundsätzlich ab. Das ist aber nur ein Aspekt der Tatsache, dass den Homöopathen der Wille fehlt, die existierenden inneren Widersprüche der Homöopathie auszuräumen – was für eine wissenschaftliche Disziplin unabdingbar wäre. Folglich hat man überhaupt keine wissenschaftlichen Kriterien genügende Methodik entwickelt, mit der man prüfen könnte, welche Methoden zu besseren Ergebnissen führen. Dies ist nicht nur auf der Ebene der verschiedenen Spielarten der Fall, sondern auch bei (durchaus zentralen) Detailfragen. Es gibt keine Methode, um zu entscheiden, welche Zahl der Schüttelschläge das beste Ergebnis liefert. Oder welche Potenz unter welchen Umständen einzusetzen ist. Im Gegenteil wird die am Markt existierende Variantenvielfalt oft als eine „Weiterentwicklung“ der Homöopathie dargestellt. So schreibt zum Beispiel Gerhard Bleul:
Die heutigen Vertreter bestimmter homöopathischer Richtungen berufen sich auf ihr besonderes Weltbild und dazu passende Aussagen von Hahnemann und seinen Schülern. (…) Wenn sie nicht den Absolutheitsanspruch vertreten, können sie unseren Blick und unser Verständnis für die Homöopathie, für den Patienten und für seinen Heilungsprozess erweitern.[15]
Entsprechend mischen einige moderne Repertorisatonsprogramme[B 6] oft die Ergebnisse verschiedener Varianten der Homöopathie, ungeachtet der Widersprüche der einzelnen Strömungen. So kann man bei einigen von ihnen einstellen, welches Repertorium gewählt wird, kann aber auch Mittel aus anderen Repertorien anzeigen lassen. Die Angabe, welche Art der Repertorisation hinter den jeweiligen Ergebnissen steht, kann der Therapeut sich anzeigen lassen – oder auch ausblenden.
Wieder andere Homöopathen wettern heftig gegen diese Willkür der Methoden. So schreibt Roland Methner in der Homöopathie Zeitung:[16]
Es scheint so, als ob es heute wie in einem großen Supermarkt zugeht: alles ist möglich, jede Variante, Schule, Theorie ist käuflich, und kaum einer fragt mehr nach, woher das Zeug kommt oder was es taugt.
Die „Erfahrung“ des einzelnen Therapeuten bleibt unantastbar und die einzige, innerhalb der Homöopathie als hinreichend dargestellte Rechtfertigung der jeweiligen Verfahren.
Diese Haltung ist letztlich eine Folge der naturwissenschaftlichen Unplausibilität[17] des Verfahrens als solches und der fehlenden Nachweise einer Überlegenheit[18][19] der verwendeten „Arzneien“ gegenüber Placebos. Jeder Homöopath kann zwar alle von ihm nicht praktizierten Varianten ablehnen. Ohne handfeste Daten und Wirksamkeitsnachweise fehlen aber objektive Entscheidungskriterien, auf deren Basis man eine Variante als unhaltbar zurückweisen könnte:
Denn wenn man spezifische Wirkungen der Homöopathika, obwohl unmöglich für möglich hält, verliert man die verlässlichen Kriterien, die uns die Naturgesetze, die Mathematik und die Logik vorgeben – wir verlieren damit die einzige allgemeingültige und objektive Entscheidungsgrundlage. Wir müssen uns stattdessen auf subjektive Kriterien verlassen, auf unser Gefühl, auf das Hörensagen, auf unsere Erfahrung. Wer an Homöopathie glaubt, kann kein übersinnliches Phänomen, keinen faulen Zauber, kein rhetorisches Blendwerk und keine Verschwörungstheorie argumentativ entkräften, weil er nicht sagen kann, warum die Homöopathie glaubwürdiger sein soll als jene Behauptungen.[20]
Die Unfähigkeit und der grundsätzliche Unwille innerhalb der Homöopathie, aus den zahlreichen einander widersprechenden Strömungen die „falschen“ auszumustern, unterscheidet die Homöopathie deutlich von einer wissenschaftlich betriebenen Disziplin.
So sehen Wissenschaftstheoretiker die mangelnde Bereitschaft, Methoden und Aussagen zu hinterfragen und auszutesten, als wichtiges Anzeichen für den unwissenschaftlichen Charakter einer Disziplin. In einer wissenschaftlich arbeitenden Disziplin, in der widersprüchliche Erfahrungen und ungelöste Probleme auftauchen, werden sich ihre Vertreter intensiv mit der Auflösung der Widersprüche und dem Suchen einer allgemein anerkannten konvergenten Lösung der offenen Fragen befassen. Je unwissenschaftlicher eine Disziplin arbeitet, desto weniger unternehmen die in ihr Praktizierenden Versuche, die eigenen Vorstellungen in Bezug auf andere Erfahrungen zu bewerten.[21]
Das Bedürfnis zahlreicher praktizierender Homöopathen, letztlich eben doch eine ganz eigene Verordnungspraxis zu entwickeln, zeigt, dass alle diese Therapeuten in ihrer Praxis den Eindruck gewonnen haben, das Verfahren sei zu verbessern. So schreibt etwa Mathias Wischner:
Ich mag die menschliche Art der Anamnese, und ich mag die Mischung aus Akribie und Intuition, die ich auf der Suche nach dem richtigen Mittel benötige. Aber am meisten liebe ich das Gefühl, das ich habe, wenn die Homöopathie gut wirkt. Um ganz ehrlich zu sein, sie wirkt nicht immer gut. Manchmal wirkt sie gar nicht, manchmal nur ein bisschen – warum auch immer.[22]
Dass verschiedene Therapeuten unter diesen Eindrücken an den Regeln herumdrehen, nach denen die Mittel gewählt werden, ist wenig erstaunlich. Dass sie alle zu unterschiedlichen Erfahrungen gelangen, kann aber mit dem Ergebnis der Gesamtstudienlage[18][19] erklärt werden: dass die eingesetzten Arzneien Placebos sind, bei denen es letztlich unmöglich ist, das „falsche“ oder das „richtige“ Mittel zu wählen und der Behandlungserfolg vielmehr entscheidend an der Selbstsicherheit des Therapeuten, seinem Auftreten und dem Maß an Vertrauen hängt, das er seinen Patienten in die Therapie vermitteln kann. Gäbe es in der Natur ein reales homöopathisches Phänomen, so würden sich bei denjenigen Therapeuten, die in ihren Varianten zu falschen Mitteln greifen, die Erfahrungen verschlechtern. In der Folge müssten alle Therapeuten konvergent bei denselben oder sehr ähnlichen Anwendungsvarianten ankommen.
Dieses Problem spielt in der „homöopathischen Forschung“ praktisch keine Rolle. Diese hat eher die Aufgabe einer Art „Rechtfertigungsforschung“,[23] bei der man in nicht näher bestimmter Zukunft schon irgendwann belegen werde, was man in der jeweiligen Praxis schon längst anwendet. Die durchgeführten Studien führen ganz unabhängig von ihrem Ergebnis zu keinen Änderungen in der therapeutischen Praxis und auch nicht zu einem erkenntnistheoretischen Fortschritt wie etwa dem Streichen oder Ergänzen einzelner Passagen des Organons. Der Chemienobelpreisträger Irving Langmuir hat für derartige Studien den Begriff der „pathologischen Forschung“ geprägt:
Man könnte auch sagen, dass alternativmedizinische Forschungen folgenlos bleiben, so als fänden sie in einem abgeschlossenen Raum fernab der Wirklichkeit statt.[24]
In diesem Sinne ist die Variantenvielfalt der Homöopathie ein Hinweis auf den Placebocharakter der Homöopathika und auf den unwissenschaftlichen Umgang mit dieser Tatsache.
Varianten, die sich ganz als Umsetzung der Anweisungen Hahnemanns verstehen
Die folgenden Richtungen der Homöopathie unterscheiden sich vor allem in der Interpretation von Hahnemanns Ähnlichkeitsprinzip. Sie verstehen die Anweisungen im Organon, vor allem in den §§ 153, 210 und 211, verschieden und kommen damit zu unterschiedlichen Auffassungen, was Hahnemann mit dem „ähnlichsten“ Mittel meint.
Genuine Homöopathie
Genuin bedeutet „ursprünglich, original, echt“. Die genuine Homöopathie versteht sich entsprechend als Rückbesinnung auf die Anweisungen Hahnemanns, die er im Organon der Heilkunst hinterlassen hat. Die genuinen Homöopathen sehen sich als die Verfechter der reinen Lehre nach Samuel Hahnemann und grenzen sich von anderen Strömungen der Homöopathie ab, auch explizit von der von James Tyler Kent beeinflussten klassischen Homöopathie.[25] Von dem Heilpraktiker Uwe Plate stammt das zentrale Werk der genuinen Homöopathie, das Symptomenlexikon.[26][27]
Entscheidend für die Mittelwahl werden charakteristische „Symptomelemente“ oder „Zeichen“ im aktuellen Krankheitsbild des Patienten gesehen. Darunter verstehen genuin arbeitende Homöopathen sich durch das Beschwerde- und Arzneimittelbild durchziehende Bestandteile der Symptome, also etwa die Modalitäten[B 7] oder die Empfindungen, die der Patient mit dem Symptom verbindet.[27]
Die genuine Homöopathie versteht sich als geeignetes Verfahren für alle Krankheitszustände des Patienten.[27]
Siehe hierzu den Hauptartikel ⇒ Genuine Homöopathie
Klassische Homöopathie
Auch die „klassisch“ arbeitenden Homöopathen verstehen sich als in der Tradition Hahnemanns arbeitend. Großen Einfluss auf diese Richtung der Homöopathie hatten außer Hahnemann aber auch die amerikanischen Homöopathen des 19. Jahrhunderts. Vor allem James Tyler Kent trug mit seinen Schriften, besonders mit den Lectures on Homeopathic Philosophy und seinem Repertorium, wesentliche Grundlagenwerke zur klassischen Homöopathie bei.[28]
Die klassische Homöopathie ist die weltweit am meisten praktizierte Strömung der Homöopathie,[28] zeigt jedoch gerade deshalb kein völlig einheitliches Bild. Obwohl sich das Vorgehen von verschiedenen klassisch arbeitenden Therapeuten durchaus unterscheidet, lassen sich folgende Grundprinzipien erkennen:[28]
- Das Homöopathikum wird individuell für den Patienten in einer ausführlichen Fallanalyse (Anamnese) bestimmt.
- Bei der Wahl des Mittels wird es als essentiell angesehen, nicht nur die aktuellen Beschwerden zu betrachten, sondern die gesamte Krankheitsgeschichte des Patienten, seine Persönlichkeit und seine Lebenssituation mit einzubeziehen. Klassische Homöopathen sprechen hier von der „Konstitution“ des Patienten.
- Weil das Homöopathikum entsprechend der gesamten Konstitution des Patienten gewählt wird, bezeichnen es klassisch arbeitende Homöopathen als das „Konstitutionsmittel“ des Patienten.
- Bei der Wahl dieses Konstitutionsmittels werden die verschiedenen Arten von Symptomen klar hierarchisch bewertet. Weil die klassische Homöopathie die aktuelle, augenscheinliche Symptomatik nur als Endzustand einer gesamten Entwicklungsgeschichte des Patienten ansieht, werden körperliche, lokal begrenzte Symptome als am wenigsten ausschlaggebend für die Arzneimittelwahl angesehen. In der Hierarchie höher stehen körperliche Allgemeinsymptome und am höchsten die Bewertung der Geistes- und Gemütssymptome.
- So lange der Homöopath überzeugt ist, das Konstitutionsmittel passend gewählt zu haben, wird es bei der Behandlung chronischer Beschwerden auch dann nicht gewechselt, wenn sich die aktuelle Symptomatik verändert. Im Zuge der Verlaufsbeurteilung wird stattdessen die Potenz entsprechend den Vorgaben Kents verändert.
Siehe hierzu den Hauptartikel ⇒ Klassische Homöopathie
Bönninghausen-Methode
Hierbei handelt es sich um die Art der Fallanalyse, wie sie Clemens Maria Franz von Bönninghausen[29] in seinen Schriften hinterlassen hat. Seine Methode wird von Homöopathen folgendermaßen beschrieben:[30]
Mit der sogenannten Bönninghausen-Methode bezeichnen wir eine Art der Fallanalyse, die anhand verstreuter Hinweise aus den Schriften Bönninghausens (1785–1864) rekonstruiert werden kann. Mehrere Begriffe tauchen hierbei immer wieder auf, die grundsätzlich verstanden sein wollen, so z. B. das vollständige Symptom, das sich aus den vier Elementen Lokalisation, Empfindung oder Befund, Modalitäten und Begleitsymptom zusammensetzt. In der Fallanalyse wird die Totalität der gegenwärtigen Symptomatik in fünf Schritten unterteilt in Causa, Hauptsymptom, Nebensymptome und vorherrschenden Gemütszustand. Das Arzneimittel wird dann mit dem „Therapeutischen Taschenbuch“ Bönninghausens ermittelt. Eine Polaritätsanalyse[B 8] zur Unterstützung der Mittelwahl rundet die Analyse ab.
Siehe hierzu den Hauptartikel ⇒ Bönninghausen-Methode
Boger-Methode
Der amerikanische Homöopath Cyrus Maxwell Boger (1861–1935) gilt als Vater der vierten grundlegenden Methode der homöopathischen Fallanalyse. Bogers Bücher Synoptic Key to the Materia Medica (oft einfach nur als „Synoptic Key“ bezeichnet) und General Analysis stellen vor allem eine starke Priorisierung, Generalisierung und damit Verdichtung im Vergleich zu anderen Repertorien dar. Beide enthalten vergleichsweise wenige Rubriken.[31][32]
Boger entwickelte eine spezielle Methode der Repertorisation, die sich vor allem durch die „Verankerung“ der für die Mittelwahl als entscheidend betrachteten Symptome in der Familiengeschichte des Patienten auszeichnet.
Siehe hierzu den Hauptartikel ⇒ Boger-Methode
Übersicht über die zentralen Aussagen
Alle Verfahren verstehen sich als bei allen Erkrankungen einsetzbar, auch bei chronischen oder schwersten Krankheitsbildern.
Genuine Homöopathie | Klassische Homöopathie | Bönninghausen-Methode | Boger-Methode | |
Anweisungen zur Anamnese | Die augenscheinlichen Symptome des aktuellen Krankheitszustandes sind Grundlage der Mittelfindung. Es soll ein Mittel gewählt werden, das in den Modalitäten und Empfindungen dieselbe Charakteristik beinhaltet. |
Hierarchisierung der Symptome: Gemütssymptome wichtiger als Allgemeinsymptome und diese wichtiger als Lokalsymptome Die gesamte Krankengeschichte und Persönlichkeit wird betrachtet: „Konstitution“ |
Erfragung der aktuellen Symptomatik und Erkennen des sich deutlich durchziehendes Merkmals (Modalität, Empfindung, Lokalität) | Als charakteristisch wird eingestuft, wenn Empfindungen oder Modalitäten nicht nur einmal, sondern wiederholt in der Krankengeschichte des Patienten oder sogar seiner Angehörigen zu finden sind („Vogelperspektive“ und „Verankerung“) |
Ausschlaggebend für die Mittelwahl | Nicht die Geistes- und Gemütssymptome, sondern die auffälligsten, weil sich durchziehenden „Symptomelemente“ und ihr kombiniertes Auftreten sind entscheidend. | Ausschlaggebend sind die Gemütssymptome; sichtbare Veränderungen am Körper werden als Endresultat gesehen und haben für die Mittelwahl den geringsten Wert | Modalitäten und Polaritätsanalyse | Zeit-Modalitäten und Contra-Modalitäten; ausschlaggebend sind Gefühlssymptome, wobei Boger nur acht markante Gemütsrubriken unterscheidet |
Zur Mittelwahl verwendetes Grundlagenwerk | Keinesfalls allein ein Repertorium; Materia medica oder Symptomenlexikon |
Repertorium, beispielsweise das von Kent | Therapeutisches Taschenbuch von Bönninghausen | Synoptic Key to the Materia Medica; General Analysis |
Arzneimittelbilder | Ausschließlich die Ergebnisse von Arzneimittelprüfungen als solide Basis für die Arzneimittelwahl. Symptome, die allein aus der klinischen Beobachtung Kranker stammen, sind für die Arzneifindung unbrauchbar |
Aufnahme von Symptomen aus Arzneimittelprüfungen und aus klinischen Verläufen in das Repertorium | Der Bestätigungsgrad von Symptomen ist umso höher, je häufiger sie in Prüfungen und Genesungsverläufen beschrieben sind. | Die Wertigkeit von Symptomen in der General Analysis ist umso höher, je häufiger sie in Genesungsverläufen beschrieben sind. |
Behandlung chronischer Erkrankungen | Das aus dem jeweils aktuellen Krankheitsbild unter Benutzung der Arzneimittellehre aus Hahnemanns Chronischen Krankheiten gewählte Mittel behandelt auch das zugrunde liegende Miasma. Verändern sich im Verlauf der Behandlung die aktuellen Symptome, so wird ein neues Mittel bestimmt. |
Die gesamte Krankengeschichte des Patienten, seine Persönlichkeit, sein Wesen, vergangene Ereignisse und sein Lebensumfeld werden betrachtet. Gesucht wird das eine Mittel, das zur gesamten Konstitution des Patienten passt, nicht nur zu den aktuellen Beschwerden. Je nach Verlauf wird das Konstitutionsmittel in derselben oder einer anderen Potenz wiederholt. Ein Wechsel des Mittels wird nur durchgeführt, wenn das Konstitutionsmittel falsch gewählt war. |
ähnlich der Genuinen Homöopathie | Das momentane Kranksein ist ein Ausdruck der gesamten Krankheitsgeschichte des Patienten, also des zugrundeliegenden Miasmas. Deshalb sind die Symptome wichtig, die nicht nur aktuell vorliegen, sondern im Leben des Patienten schon mehrmals eine Rolle spielten |
Eingesetzte Potenzen | C- und Q-Potenzen; Hochpotenzen als Einzelgaben | C-Potenzen; seltene Gabe von Hochpotenzen; Potenzhöhe gesteigert nach der Kent’schen Reihe |
C30, C200 und höher | C-Potenzen in höchsten Potenzen, meistens in Einzelgaben |
Varianten, die mit mindestens einem Grundprinzip Hahnemanns brechen
Die wesentlichen Grundpfeiler der Hahnemannschen Homöopathie sind das Ähnlichkeitsprinzip, die Prüfung der Arzneien am Gesunden, das Potenzieren der Arzneien und die Gabe von Einzelmitteln. In den Chronischen Krankheiten fügt Hahnemann die Miasmenlehre als weiteren Pfeiler seines Krankheitsverständnisses hinzu.
Die folgenden Verfahren brechen mit diesen Grundlagen in mindestens einer zentralen Weise. So führt Sankaran die „Reiche“ und die „sieben Ebenen der Energie“ ein, deutet die Miasmenlehre um und erweitert den Kanon von ursprünglich drei Miasmen auf zehn. Sehgal konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die Gemütssymptome. Scholten postuliert Arzneimittelbilder über das Periodensystem der Elemente, statt sie über Arzneimittelprüfungen am Gesunden zu bestimmen. Die „Komplexmittelhomöopathie“ verwirft das Prinzip der Gabe nur einer einzigen Arznei. Die „bewährten Indikationen“ empfehlen, anstelle des individuell ausgewählten „ähnlichsten“ Mittels bei bestimmten Erkrankungen patientenunabhängig immer dieselben Mittel einzusetzen. Die „naturwissenschaftlich-kritischen“ Homöopathen bezweifeln das Prinzip der Potenzierung, zumindest über die Avogadrogrenze hinaus. Sie wenden nur wenig verdünnte Arzneien an.
Verschiedene dieser Systeme gelten daher bei anders arbeitenden Homöopathen als „provozierend“. So griff beispielsweise Georgos Vithoulkas Scholten und Sankaran für die von ihnen erdachten Lehren heftig an und machte sie für die Existenz moderner Homöopathiekritik schlechthin verantwortlich.[33] Allerdings bezeichnen wieder andere Homöopathen Vithoulkas selbst als mitverantwortlich für die Entstehung derartiger Strömungen, weil er der erste war, der Veränderungen einbrachte, „die einer kleinen Revolution“ glichen. Andere Homöopathen werfen Scholten und Sankaran vor, die mittelalterliche Signaturenlehre[B 9] in die Homöopathie zu holen.[16]
Empfindungsmethode nach Sankaran
Die Empfindungsmethode (englisch: „sensation method“) wurde seit den 1980er Jahren von dem indischen Homöopathen Rajan Sankaran entwickelt.[34] Namensgebend ist Sankarans These, dass die Krankheit des Patienten von einer zentralen Empfindung durchdrungen ist, die diesen ganzen Menschen in seiner Wahrnehmung, in seinen Worten und Gesten, in den von ihm gewählten Metaphern und seinen Träumen prägt.[34][35] Diese zentrale Empfindung macht Sankaran zum Kern seiner Methode und nennt sie Vitalempfindung.
Neben der Konzentration auf eine zentrale Empfindung des Patienten führt Sankaran eine ganze Reihe weiterer Änderungen in seine Homöopathie ein. So teilt er die homöopathischen Arzneimittel in „Reiche“ (Pflanzenreich, Mineralreich, Tierreich, Nosoden (aus Krankheitserregern oder erkranktem Gewebe hergestellte Homöopathika), Imponderabilien (wörtlich die „Unwägbaren“, bei denen schon im Ausgangsprodukt kein Wirkstoff vorhanden ist; hierzu zählen etwa Mittel wie „Polarlicht“), denen jeweils verschiedene Zentralempfindungen fest zugeordnet sind.[34]
Außerdem führt Sankaran das Modell der „Sieben Ebenen der Energie“ in die homöopathische Anamnese ein. Mit diesen Ebenen sind verschiedene Aspekte gemeint, wie der Patient seine Erkrankung erlebt und reflektiert. Diese spannen sich im Modell von der simplen Diagnose (Name der Krankheit) über die individuellen Details (Lokalsymptome und Empfindungen) über die gesamte Erlebnisverarbeitung bis hin zu Ebenen der „immateriellen Energie“. Wichtig in der Anamnese soll es laut Sankaran auch sein, die „Wahnidee“[35] des Patienten zu identifizieren, die seine Umwelt- und Selbstwahrnehmung prägt.
Sankaran deutet Hahnemanns Begriff des Miasma um und versteht darunter eher Umweltwahrnehmung und resultierende Bewältigungsstrategie. Sankaran beschreibt insgesamt zehn Miasmen statt den drei ursprünglich von Hahnemann formulierten.
Mitunter wird die Empfindungsmethode auch als Bombay-Methode bezeichnet, weil Sankarans Klinik im Stadtteil Juhu von Bombay liegt.[36]
Siehe hierzu den Hauptartikel ⇒ Empfindungsmethode nach Sankaran
Revolutionierte Homöopathie nach Sehgal
Der Erfinder dieser Methode, die auch unter der Bezeichnung gemütsorientierte Homöopathie bekannt ist, ist der indische Homöopath Madan Lal Sehgal. Sehgal war Postbeamter, beschäftigte sich privat mit der Homöopathie und praktizierte sie auch. Schließlich eröffnete er 1976 die Dr. Sehgal's School of Revolutionized Homeopathy. Hierbei ist nicht klar, ob Sehgal jemals einen Doktortitel erwarb, der einem europäischen Standard entspräche.[37]
In Deutschland wird seine Lehre nur selten in Kursen des DZVhÄ aufgegriffen,[37] sie wird jedoch an der Sehgalschule in Bad Boll gelehrt. Die beiden Söhne Sehgals treten dort als Dozenten auf.[38] Auch der Heilpraktiker Detlef Rathmer bietet das Verfahren und Kurse dazu an.[39]
Wie die Homöopathie an sich versteht sich die Sehgal-Methode als universell einsetzbar, also für alle Krankheiten und Personengruppen, sogar für Tiere.[37]
Kernaussagen
Zentrale Besonderheit der Methode ist, dass allein der aktuell beobachtbare Geist-Gemütszustand zur Arzneimittelwahl herangezogen wird. Sehgal versteht sich in der Nachfolge von Kent, der Geist und Seele als „Zentrum“ des Menschen versteht. Entsprechend arbeitete Sehgal oft mit dem Synthetischen Repertorium[40] von Horst Barthel, eine überarbeitete Version des Kent'schen Repertoriums.[37] Der Therapeut interpretiert hierzu nebensächlich erscheinende Äußerungen, Ausdrucksweisen und Verhalten des Patienten während der Fallaufnahme.[37] Körperliche Symptome, beschriebene Beschwerden, ihre Lokalisation, Modalitäten und Empfindungen werden für die Wahl des Mittels auf keinen Fall berücksichtigt. Verwertet werden sie lediglich in der Kontrolle des Verlaufs.[37]
Aus den Arzneimittelbildern der Homöopathie werden deshalb lediglich die Geistes- und Gemütssymptome betrachtet. Die Miasmenlehre wird unnötig, da die Methode nicht zwischen akuten und chronischen Erkrankungen unterscheidet. Ein Durcharbeiten der gesamten Krankengeschichte des Patienten oder gar eine Familienanamnese wird nicht durchgeführt.[41]
Sehgal geht davon aus, dass die im § 11 des Organons von Hahnemann als Krankheitsursache beschriebene „Verstimmung der Lebenskraft“[42] zu einer Störung der Ausscheidung der vom Patienten mit der Nahrung zu sich genommenen Stoffe führt. Diese nicht ausgeschiedenen Stoffe sollen sich im Gewebe ansammeln und zu Anomalien in der Empfindung führen. Das der Empfindung ähnliche Mittel soll in diesem Bilde zur Abstoßung der ähnlichen Substanzen führen, die normale Ausscheidung also wieder herstellen.[37]
Wissenschaftlich ist diese Vorstellung nicht haltbar. Wissenschaftlich stichhaltige Belege für eine Wirksamkeit über Placebo existieren wie für alle homöopathischen Strömungen nicht.
Eingesetzte Potenzen
In der Sehgal-Methode kommen sowohl sehr niedrige Potenzen wie die D3 als auch Potenzen jenseits der Avogadrogrenze zum Einsatz wie die C30 oder die C200. Die ursprüngliche Empfehlung lautete, mit sehr tiefen Potenzen die Behandlung zu beginnen,[37] doch arbeiten einige Therapeuten in der Praxis auch von Anfang an mit der C30.[41]
Gruppenanalyse nach Jan Scholten
Johannes Henricus Scholten kam erst nach einem abgebrochenen Chemiestudium, einem unvollendeten Philosophiestudium und einer wenig lukrativen Leitung einer Galerie moderner Kunst zur Medizin und hierüber zur Homöopathie. 1987 war er eines der Gründungsmitglieder des Homöopathischen Ärztezentrums Utrecht.[33]
Revolutionär bei Scholten ist, dass er mit der Arzneimittelprüfung am Gesunden bricht und versucht, über das Periodensystem der Elemente Gesetzmäßigkeiten für die Wirkrichtungen homöopathischer Arzneien abzuleiten.
Siehe hierzu den Hauptartikel ⇒ Gruppenanalyse nach Jan Scholten
Naturwissenschaftlich-kritische Homöopathie
Bereits zu Hahnemanns Lebzeiten ging ein tiefer Riss durch seine Anhängerschaft: Neben denen, die Hahnemanns Lehren möglichst exakt folgen wollten und sich als die „reinen“ Homöopathen bezeichneten, gab es etliche Ärzte, die darum bemüht waren, die homöopathische Lehre mit den im 19. Jahrhundert fortschreitenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu bringen. Diese Strömung – zu dieser Zeit oft als „freie“ Homöopathie bezeichnet – nahm in der Universitätsstadt Leipzig ihren Anfang.[43]
Bereits früh strebten Vertreter dieser Ausrichtung nach einem physiologischen Verständnis für die Wirksamkeit der Homöopathie und zweifelten an den hohen Potenzen. Als nach 1865 die Loschmidt-Konstante bekannt war und man begriff, dass in Potenzen oberhalb einer C12 oder D23 keine Moleküle des Wirkstoffes mehr enthalten sind, verlagerte sich der Verordnungsschwerpunkt bis in die 1880er Jahre hinein immer weiter zu den tiefsten D-Potenzen hin.[44] Gleichzeitig ging man dazu über, die Homöopathika in Form normaler Tabletten oder als Tropfen zu verabreichen. Globuli wurden praktisch nicht angewandt.[45]
Je mehr Wissen die Medizin über die physiologischen Vorgänge im Körper erlangte, desto mehr versuchte man die homöopathische Lehre an diese neuen Erkenntnisse anzunähern. Entsprechend ging man auch dazu über, die Verordnung an der diagnostizierten Erkrankung auszurichten und nicht mehr nach einem individuellen Symptombild. Nicht selten wurden die Homöopathika auch mit medizinischer Behandlung kombiniert.[44] In der Arndt-Schulz-Regel, die Ende des 19. Jahrhunderts über die Wirkumkehr gering verdünnter Gifte formuliert wurde, sehen verschiedene Vertreter der naturwissenschaftlich-kritischen Homöopathie eine Bestätigung ihrer Verordnungspraxis und einen Brückenschlag zur Medizin.[45]
Der Begriff der naturwissenschaftlich-kritischen Homöopathie wurde schließlich 1896 von Hans Wapler geprägt.[44] Als weitere Vertreter gelten Moritz Müller und Ludwig Griesselich[43] sowie Theodor von Bakody, später auch Alfons Stiegele, Rudolf Tischner und Julius Mezger.[44][46]
Die kennzeichnenden Aussagen der naturwissenschaftlich-kritischen Homöopathie sind also:[44]
- Ausschließliche Verordnung von Tiefstpotenzen
- Verneinung arzneilicher Wirkungen der Hochpotenzen (besonders solchen jenseits der Avogadrogrenze)
- Meist keine individuelle Mittelwahl, sondern nach der Krankheit des Patienten
- Einsatz der Homöopathie auch ergänzend zu medizinischen Maßnahmen
Die Grundidee hinter der naturwissenschaftlich-kritischen Homöopathie fasst ein Zitat von Moritz Müller (1784 – 1849, zitiert nach Lucae)[43] zusammen:
Medicin ist nichts als zum Heilzweck angewandte Naturwissenschaft (…). Ich habe das Recht, in diesem eklektischen Sinne die ärztliche Praxis auszuüben, weil ich nie den Hahnemann'schen Grundsatz anerkannt habe, dass Krankheitsheilung allein auf homöopathischen Wege möglich sey.
Hahnemann kritisierte die abtrünnigen Homöopathen heftig, zum Beispiel im Organon in § 52:[47]
Es giebt nur zwei Haupt-Curarten: diejenige welche all ihr Thun nur auf genaue Beobachtung der Natur, auf sorgfältige Versuche und reine Erfahrung gründet, die (vor mir nie geflissentlich angewendete) homöopathische und eine zweite, welche dieses nicht thut, die (heteropathische, oder) allöopathische. Jede steht der andern gerade entgegen und nur wer beide nicht kennt, kann sich dem Wahne hingeben, daß sie sich je einander nähern könnten oder wohl gar sich vereinigen ließen, kann sich gar so lächerlich machen, nach Gefallen der Kranken, bald homöopathisch, bald allöopathisch in seinen Curen zu verfahren; dieß ist verbrecherischer Verrath an der göttlichen Homöopathie zu nennen!
Zwischenzeitlich hatte die naturwissenschaftlich-kritische Homöopathie mit der Hygea eine eigene Zeitschrift.[44] Ihre größte Bedeutung hatte sie um die Jahrhundertwende bis in die frühen 1950er Jahre und auch dies vorwiegend im deutschsprachigen Raum. Heute hat sie seit dem Tod ihrer wichtigsten Vertreter an Einfluss verloren. Geblieben ist die Empfehlung tiefster Potenzen in Patientenratgebern zur Selbstmedikation.[48]
Komplexmittelhomöopathie
Unter homöopathischen „Komplexmitteln“ versteht man meist als fertiges Produkt verkaufte Mischungen mehrerer homöopathischer Einzelmittel. In aller Regel werden die Komplexmittel je nach medizinischen Indikationen („Anwendungsgebiete“) empfohlen und entsprechen deshalb nicht der individuellen Arzneimittelwahl von Hahnemanns Homöopathie.
Dennoch wird bei der Rechtfertigung des Verfahrens mitunter auf Hahnemann verwiesen: Zeitgenossen Hahnemanns, vor allem Karl Julius Aegidi und Clemens Maria Franz von Bönninghausen experimentierten mit zwei gleichzeitig verabreichten Arzneien in Hochpotenz. Durch die Ergebnisse überzeugt, berichtete Aegidi Hahnemann in einem Brief von seinen Versuchen. Hahnemann zeigte sich offen und antwortete, es sei durchaus mit seiner Lehre vereinbar, ein solches Doppelmittel in Hochpotenz zu geben, wenn beide Mittel gleichermaßen den Symptomen entsprächen. Er versprach, einen entsprechenden Paragraphen in die fünfte Auflage seines Organons aufzunehmen. Hahnemann entschied sich jedoch letztlich gegen ihn und hielt an seiner Doktrin fest, nur Einzelmittel zu geben. In einem Brief an Bönninghausen begründete er dies mit seiner Befürchtung, sich der „allopathischen Vielmischerei“ anzunähern.[49]
Hahnemanns Textentwurf ist als § 274 b[B 10] bekannt. Arthur Lutze hat ihn aus Hahnemanns Nachlass veröffentlicht. Lutze leitete ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine homöopathische Klinik in Köthen und wendete dort in Abweichung von Hahnemanns Vorgaben sehr oft Doppel- und Komplexmittel an.
Auch der Pastor und Laienpraktiker Emanuel Felke spielte eine große Rolle bei der Verbreitung der Komplexmittel. Felke verwendete sowohl Einzelmittel als auch komplex zusammengesetzte Homöopathika in verschiedenen Potenzen. Er vermischte ihre Anwendung mit anderen Naturheilverfahren (wie Wasseranwendungen oder Lehmpackungen).[49][50]
Weil die Komplexmittel ohne stundenlange homöopathische Anamnese zum Einsatz kamen, konnten sie sich in der Laienpraxis schnell etablieren. Wichtige Wegbereiter waren neben Lutze und Felke auch Heinrich Hense, Magdalene Madaus und Heinrich Reckeweg. Einige von ihnen gründeten Firmen, die die jeweiligen Mischungen und Therapiekonzepte professionell vertrieben. So geht die Biologische Heilmittel Heel auf die Familie Reckeweg zurück, Hevert entstand aus dem Vermächtnis Emanuel Felkes.[51][50]
Heute sind Komplexmittel als sogenannte „Fertigarzneimittel“ weit verbreitet, die meisten Hersteller von Homöopathika haben einige derartige Präparate im Angebot. Ein bekanntes Komplexmittel ist beispielsweise Meditonsin, welches die Substanzen Eisenhut, Tollkirsche und Quecksilbercyanid in den homöopathischen Verdünnungen D5, D5 und D8 enthält.[52] In einigen Komplexmitteln sind die Ausgangsprodukte noch weniger verdünnt, es finden sich Substanzen in D2, D3 oder sogar in Urtinktur.[B 11][B 12] Einige Komplexmittel sind anders als hochverdünnte homöopathische Einzelmittel nicht nur registriert, sondern als Arzneimittel zugelassen und werden entsprechend mit Anwendungsgebieten beworben. Oft beruhen diese Zulassungen aber auf älteren Zulassungsverfahren oder auf den Zulassungen bestimmter Inhaltsstoffe, nicht aber auf klinischen Wirksamkeitsstudien für das spezielle homöopathische Gemisch.
Kernaussagen
- Homöopathische Mittel werden nicht individuell und einzeln, sondern in einheitlich gefertigten Mischungen indikationsbezogen verabreicht.[50]
- Prüfungen der Komplexmittel am Gesunden, wie es die Homöopathie für ihre Einzelmittel durchführt, finden nicht statt. Die Hersteller berufen sich allein auf Erfahrungen aus der Praxis.[49]
- Die Hersteller sehen sich dennoch in der Tradition des Ähnlichkeitsprinzips, weil bei der Wahl der in der Mischung jeweils enthaltenen Einzelmittel deren Arzneimittelbilder berücksichtigt seien.[51]
- Die Anbieter der Komplexmittel vertreten den Standpunkt, dass die Wahl eines einzigen für den Patienten ausgewählten Mittels mit viel zu großer Unsicherheit der Mittelwahl behaftet ist und deshalb zu häufigen Fehlgriffen führt. Sie halten deshalb die Anwendung der Komplexmittel für zuverlässiger.[49]
- Komplexmittel werden oft in Form von Tabletten oder Tropfen angeboten, seltener in Form von Globuli.
Homotoxikologie
Diese Methode geht auf den Arzt und Homöopathen Hans-Heinrich Reckeweg zurück, den Gründer des Pharmaunternehmens Biologische Heilmittel Heel GmbH. Reckewegs Vorstellungen über die Entstehung von Krankheiten weichen sowohl vom modernen medizinischen Wissen[53] als auch von Hahnemanns individuell verordneter Homöopathie erheblich ab. Seiner Lehre nach sind alle Krankheiten des Menschen entweder Auswirkungen im Körper vorhandener Giftstoffe oder Ausdruck von Veränderungen, mit denen der Körper versucht, trotz der in die Zellen eindringenden Schadstoffe zu überleben. Verschiedene Beschwerden sollen sich zudem laut einer von ihm entworfenen „Krankheitsevolutionstabelle“ aus zunächst leichten hin zu zunehmend schwereren Krankheiten entwickeln. Dies soll passieren, wenn sich immer weitere Giftstoffe im Körper ansammeln, sich schließlich in den Zellen ablagern und dort zu irreparablen Schäden führen.[54]
Zur Heilung sei es laut der Homotoxikologie unerlässlich, den Körper durch Anwendung von speziellen, dem vermuteten Schadstoff „ähnlichen“ Mitteln in einer möglichst frühen Phase der Krankheitsevolution zu „entgiften“. In der Homotoxikologie wird also davon ausgegangen, dass die verabreichten homöopathisch potenzierten Mischungen im Körper vorhandene Giftstoffe „ausleiten“ und dadurch verhindern, dass sich diese in den Zellen einlagern und dort zu immer schwereren Krankheitsbildern führen. Zum Einsatz kommen verschiedenste Produktgruppen der Firma Heel.[55] In den antihomotoxischen Produkten sind die Wirkstoffe entweder in sehr niedriger Dosierung (bis D9) oder auch oberhalb der Avogadrogrenze (D23 und höher) enthalten.[56]
Die dem Verfahren zugrundeliegende Vorstellung der Entstehung von Krankheiten allein durch die Einlagerung von Giften in die Zellen, ist mit dem heutigen medizinischen Wissen nicht vereinbar. Für die Wirksamkeit der zur „Ausleitung“ der Zellgifte empfohlenen Mischungen liegt kein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis vor. Schon allein das Konzept der „Ausleitung“ ist mit tatsächlichen physiologischen Vorgängen im Körper nicht vereinbar. Viele vorgelegte Arbeiten weisen schwere methodische Mängel auf. Auch gibt es Hinweise, dass das Gesamtbild der Studien aufgrund der Nähe vieler Arbeiten zum Hersteller zu positiv ausfällt.[53]
Wegen der fehlenden Belege der Wirksamkeit hat die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) Reckewegs Firma (damals noch unter dem Namen Biological Homeopathic Industries, Inc. (BHI))[57] heftig für das Bewerben ihrer Präparate zur Behandlung und Vermeidung von Krankheiten wie Krebs oder Schlaganfall kritisiert.[58]
⇒ Siehe auch Hauptartikel Homotoxikologie
Verfahren der bewährten Indikationen
Diese Richtung der Homöopathie geht zurück auf den österreichischen Arzt Mathias Dorcsi. Dieser bemühte sich intensiv um eine Verbreitung der Homöopathie im deutschsprachigen Raum. Vor allem wollte er der Homöopathie den Weg in Krankenhäuser und Arztpraxen ebnen. Sein Ziel war deshalb, die Anwendbarkeit der Homöopathie zu vereinfachen und sie gleichzeitig mit weniger Aufwand erlernbar zu machen.[59] Ein Baustein dieses Vorhabens war das erstmals 1973 auf dem Zusammentreffen der Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis (LMHI) vorgestellte Lehr- und Lernprogramm „Wiener Schule der Homöopathie“.[60] Auch die seit 1975 zweimal im Jahr in Baden bei Wien stattfindenden „Badener Intensivkurse“ gehen auf ihn zurück. Sie wenden sich genauso wie Dorcsis sechsbändiges Lehrbuch speziell an Medizinstudenten und Ärzte und haben so wesentlich zur Verbreitung der Homöopathie im klinischen Bereich in Österreich und Deutschland beigetragen.[61][60][59]
Ein zweites, sehr erfolgreiches Standbein im Vorhaben, die Homöopathie populär zu machen, stellen die „bewährten Indikationen“ dar.
Dorcsi hatte bei sich und Kollegen bemerkt, dass entgegen der in der klassischen Homöopathie so betonten Individualität des Patienten in der Praxis bei bestimmten Beschwerden doch immer wieder nur verhältnismäßig wenige verschiedene Mittel zum Einsatz kommen, die meisten Homöopathen also keineswegs als Ergebnis der Repertorisation hunderte verschiedene Homöopathika verschreiben. Er nannte diese Mittel „bei einer bestimmten klinischen Diagnose bewährt“.
Jeder diagnostizierten Grunderkrankung ist nur eine geringe Anzahl Mittel zugeordnet, die nach wenigen Leitsymptomen gekennzeichnet werden. Die Mittelwahl erfolgt also ohne aufwändige Anamnese auf der Basis der medizinischen Diagnose und wenigen homöopathischen Leitsymptomen.[59] Es kommen alle Potenzen zum Einsatz: D-Potenzen sowie C-Potenzen, sowohl in niedrigen Potenzen als auch jenseits der Avogadrogrenze.[62]
Die „bewährten Indikationen“ sollen einerseits dem Arzt den Einstieg in die homöopathische Praxis erleichtern, andererseits hat gerade diese Vereinfachung die Anwendung der Homöopathie in der Selbstmedikation ermöglicht. Alle Beratungsgespräche in Apotheken sowie der gesamte Buchmarkt homöopathischer Ratgeber, der sich an medizinische Laien und sehr oft Eltern wendet, beruhen auf den „bewährten Indikationen“.[59] Das Verfahren versteht sich selbst als Brückenschlag zwischen medizinischem Alltag und Homöopathie.[62]
Obwohl also die „bewährten Indikationen“ großen Anteil an der Popularität der Homöopathie bei Patienten haben, stehen nicht wenige klassische Homöopathen und homöopathische Verbände der Methode kritisch gegenüber. Ihr wird vorgeworfen, die Homöopathie zu stark zu vereinfachen und sie letztlich zu einer medizinischen Verordnung homöopathisch potenzierter Mittel zu reduzieren. Sogar Homöopathen kritisieren, dass die am Markt befindlichen Bücher keine einheitlichen Mittelempfehlungen geben:
Jeder Autor mischt die eigene mit der kollektiven Erfahrung. Eine Evidence-based-BI gibt es nicht[63]
Einige Homöopathen rechtfertigen die Methode als eine Betonung der Lokalsymptome bei der Auslegung des Ähnlichkeitsprinzips. Sie sehen die Verankerung des Ähnlichkeitsprinzips bei den „bewährten Indikationen“ also in der Vorstellung, dass das für den Patienten „Eigenartige und Charakteristische“ organotrop[B 13] gemeint sei.[64]
Die Methode der „bewährten Indikationen“ wird in der klinischen Praxis bei akuten Erkrankungen angewandt, von einigen Homöopathen auch bei lebensbedrohlichen Notfallsituationen.[65][66]
Die Methode arbeitet praktisch mit allen Potenzen: Während in den Ratgeberfibeln oder auf Internetseiten oft niedrige C- oder D-Potenzen empfohlen werden, setzt man in lebensbedrohlichen Situationen auch Hochpotenzen wie C30 oder C200 ein.[65]
Miasmatische Homöopathie
Der Begriff Miasma selbst kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „Befleckung“. In der Geschichte der Medizin lässt er sich bis zu Hippokrates von Kos in die Antike zurückverfolgen. In Unkenntnis von Bakterien und Krankheitserregern machte man für die Beobachtung sich epidemisch ausbreitender Erkrankungen oft üble Gerüche, schlechte Luft und Ausdünstungen aus dem Boden für die Verbreitung von Krankheiten verantwortlich. Diese Vorstellung findet sich bis heute im Namen „Malaria“, was sich von mala aria für schlechte Luft ableitet. Von der Antike bis ins frühe 19. Jahrhundert sah man im Miasma also eine von außen auf den Menschen einwirkende, nicht sichtbare oder erkennbare Krankheitsursache.[67][68]
Hahnemann griff bei der Entwicklung seines eigenen Miasmenkonzepts also einen zu seiner Zeit bereits etablierten Begriff auf. Die mitunter anzutreffende Darstellung, Hahnemann habe mit seiner Miasmentheorie die heutige Vorstellung der Übertragung von Krankheiten durch winzige Krankheitserreger vorweggenommen, ist also allein deshalb schon falsch: Die Vorstellung der Ansteckung durch „üble Winde“ oder Ausdünstungen existierte lange vor Hahnemann. Daneben weicht aber gerade Hahnemanns Miasmenkonzept – und auch die gesamte Miasmatik der Homöopathie – gerade in diesem zentralen Punkt von dem damaligen Begriff des Miasmas ab: Bei Hahnemann ist das Miasma eher eine Art Vorbelastung im Patienten selbst, kommt also gerade nicht von außen.
Hahnemann selbst nennt drei Miasmen, die Psora (Krätze), Sykose[B 14] und die Syphilis. Nicht selten hatten seine Patienten diese Erkrankungen irgendwann durchgemacht. Bei Hahnemann sind Miasmen deshalb durchaus reale Krankheiten, die die Patienten durchgemacht hatten:[27] Für Hahnemann sind die drei Miasmen nicht vollständig ausgeheilte Vorerkrankungen, die als „Ur-Übel“ noch versteckt im Körper des Patienten vorhanden und Ursache der aktuellen Beschwerden sind. Dabei macht er die Psora für den größten Teil aller Krankheiten verantwortlich.[69]
Wissenschaftlich spielt die Miasmenlehre seit der Entdeckung von Viren und Bakterien und der damit verbundenen Entwicklung der Infektologie keine Rolle mehr. In der Homöopathie ist die Miasmatik bei der Behandlung chronischer Krankheiten dennoch zentral. Durch verschiedene Nachfolger Hahnemanns wurde der Miasmenbegriff jedoch immer wieder umgedeutet oder erweitert. Es gibt innerhalb der miasmatischen Homöopathie deswegen heute verschiedene Richtungen, die sich nicht nur darin unterscheiden, was unter dem Begriff des Miasma verstanden werden soll, sondern auch in der Verlaufsdeutung und der Mittelwahl.
John Henry Allen bezeichnete die Miasmen als „heriditary transmission“[B 15]. Er war der Erste, der die Vorstellung einer Vererbung von Miasmen in sein Modell einbaute.[70] Außerdem fügte Allen ein viertes Miasma hinzu, die nach der Tuberkulose benannte Tuberkulinie, manchmal auch als Pseudopsora bezeichnet.[71]
Proceso Sánchez Ortega, der eine große Schule für Homöopathie in Mexiko gegründet hat, bezieht bei der Betrachtung der Miasmen ebenfalls die familiäre Vorgeschichte mit ein.[72] Ortega ordnet allen destruktiven Krankheitsbildern die Syphilis, allen Leiden, die von irgendeiner Überfunktion geprägt sind, die Sykose und allen, die sich durch Mangelerscheinungen auszeichnen, die Psora zu.
Rajan Sankaran beschreibt vier Hauptmiasmen und sechs Nebenmiasmen, versteht aber den Miasmenbegriff völlig anders. Miasmen sind bei Sankaran eher psychische Reaktionen des Patienten auf sein Umfeld.[71] Bei ihm zeigen nicht die körperlichen Symptome die Miasmen an, sondern der Patient in seiner Beschreibung seiner Wahrnehmung und in seinen Gesten.[34]
Alfonso Masi-Elizalde entwickelte ein eigenes Modell der „miasmatischen Dynamik“, das eine religiöse Sicht auf die Erkrankung in die Homöopathie einbringt. Basis seiner These ist die von Thomas von Aquin postulierte „Leib-Seele-Einheit“.[73]
Verbreitet und in Deutschland gelehrt[B 16] wird auch die Gienow–Methode nach Peter Gienow und seiner Frau Gertie, in der ein zyklisches Wechselspiel verschiedener Miasmen postuliert wird. Das Modell verknüpft Elemente aus der Spagyrik[B 17] mit der Miasmenlehre.[74]
Sonstige Varianten
Die folgenden Varianten sind im Vergleich zu den bisher genannten weniger weit verbreitet. Sie werden oft nur von einzelnen Heilpraktikern und/oder Ärzten angewandt oder gelehrt. Oft werden homöopathische Prinzipien mit anderen nicht evidenten Verfahren oder esoterischen Vorstellungswelten vermischt.
Die folgende Liste kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, weil immer wieder einzelne Ärzte oder Heilpraktiker „ihre“ eigene Strömung der Homöopathie erfinden und vermarkten. Entsprechend verschwinden diese Varianten dann auch nach dem Ausscheiden der Erfinder aus dem Berufsleben wieder vom Markt, und Bücher, die vorher von anderen Homöopathen als „wichtige Grundlagenwerke“ bezeichnet wurden, werden von niemandem mehr nachgefragt und nicht neu aufgelegt.[B 18]
Für keines der nachfolgenden Verfahren liegen randomisierte und mehrfach verblindete Studien vor. In einigen Fällen existieren aber Studien zu den mit der Homöopathie jeweils verknüpften Methoden und Diagnoseverfahren. Wie bei der Homöopathie selbst[18][19] bestätigen diese Untersuchungen weder wissenschaftliche Plausibilität noch spezifische Wirksamkeit bzw. Zuverlässigkeit der erstellten Diagnosen.
Astrologische Homöopathie
Die astrologische Homöopathie geht davon aus, dass nur in Form des Horoskops eine „wirkliche Gesamtschau“ und eine Erfassung des „vollständigen Bildes“ des Patienten möglich sei:[75] Medizinische Diagnosen werden nur als zweitrangige Kriterien zur Wahl des Mittels betrachtet. Ebenso werden allerdings auch die Symptomsammlungen der Repertorien als rein phänomenologische und daher „zu vordergründige“ Beschreibungen für nicht umfassend genug gehalten. Wie Astrologie und Homöopathie als Ganzes ist jedoch auch die astrologische Homöopathie zerfallen in unterschiedliche, einander widersprechende Strömungen. Es gibt daher keine offizielle oder einheitliche „astrologische Homöopathie“.[75]
Eine frühe Verbindung der Homöopathie zur Astrologie findet sich in der Lehre der „Astrobiologie“ nach Eugen Wenz, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstand.[76] Die Anthroposophin Lili Kolisko vermutete in den 1920er Jahren Einflüsse der Gestirne auf die Wirkungen homöopathischer Arzneien und hierin eine Erklärung für die Nichtreproduzierbarkeit ihrer Versuche mit Homöopathika.[77]
Wegbereiter der heutigen Verbindung von Astrologie und Homöopathie ist der Münchner Astrologe Wolfgang Döbereiner, der Erfinder der astrologischen Variante „Münchner Rhythmenlehre“. Döbereiner vertrat die Ansicht, dass das Homöopathikum, das der Patient braucht, mit den astrologischen Konstellationen wechselt. Er stellte für seine Patienten anhand ihres Horoskops sogenannte „Laufzettel“ zusammen, die die von ihm für die nächsten 24 Monate verordneten Homöopathika auflisteten. Der Patient konnte sich in kooperierenden Apotheken die benötigten Mittel komplett zusammenstellen lassen.[78]
Bis heute vertreten einige astrologisch arbeitende Homöopathen die Auffassung, dass jeder Mensch durch mehrere astrologische Konstellationsgefüge geprägt ist, denen jeweils Homöopathika zuzuordnen wären. Deshalb könne es „das eine“ Konstitutionsmittel schlechthin gar nicht geben. Eine homöopathische Behandlung, die alle Bereiche des Patienten abdecke, müsse stets mit individuell zusammengestellten Komplexmitteln oder Mittelabfolgen stattfinden.[79]
Andere astrologisch arbeitende Homöopathen sehen wiederum gerade in der Tatsache, dass sowohl der homöopathische Konstitutionstyp als auch die astrologischen Sternzeichen Archetypen beschreiben, die Grundlage der Vereinbarkeit von Homöopathie und Astrologie. Das Geburtshoroskop sei vor allem deswegen eine Hilfe für den Homöopathen, weil er daran überprüfen könne, ob der Patient in der Praxis in allen Angaben ehrlich war oder Dinge beschönigt dargestellt hat.[80][81] Daneben wird in der Alltagsanwendung oft einfach dem Sternzeichen eine „hierzu passende“ Auswahl an Homöopathika gegenübergestellt.[82]
Siehe hierzu den Hauptartikel ⇒ Astrologische Homöopathie
C4-Homöopathie
In § 270 des Organons[83] gibt Samuel Hahnemann eine sehr aufwändige Prozedur an, nach der die Ausgangsstoffe seiner Mittel in den ersten drei Potenzierungsschritten von Hand mit Milchzucker verrieben werden sollen. Hahnemann beschreibt hier genau, wie lange auf welche Weise gerieben werden muss und in wie vielen Schritte der Milchzucker untergearbeitet werden soll. Die Verarbeitung dauert insgesamt drei Stunden. Die so hergestellte Trituration wird dann ab dem vierten Potenzierungsschritt mit Lösungsmittel verschüttelt.
Bei der „C4-Homöopathie“ werden die Ausgangsstoffe abweichend von Samuel Hahnemanns Vorgaben nicht nur bis zur C3, sondern bis zur C4-Verdünnung (1:100.000.000) per Hand mit Milchzucker verrieben. C4-Homöopathen gehen davon aus, dass erst das Hinzufügen eines vierten aufwändigen Verreibungsschrittes die volle „spirituelle Kraft der Arznei“ entfalten kann.[84][85]
Denn jeder Verreibungsschritt soll einen von vier Aspekten der Kraft des Mittels freisetzen: Bei der ersten Verreibung die körperliche Kraft, bei der zweiten seine emotionale Kraft und bei der dritten die Wirkung auf den Geist. Bei der vierten Verreibung soll das Präparat sein „eigentliches Wesen“, eine innere spirituelle Kraft erhalten, die auch die anderen Aspekte des Mittels wirkungsvoller machen soll und die nach Ansicht der C4-Homöopathen allen nach dem Homöopathischen Arzneibuch (HAB) hergestellten Arzneien fehlt.[84][86]
Das Verfahren geht auf Witold Ehrler zurück, der im Rahmen seiner Arbeit in einer norddeutschen Apotheke in den 1990er Jahren homöopathische Arzneien herstellte und beim Verreiben den Eindruck hatte, die einzelnen Stufen der Verreibung sinnlich, meditativ zu erfühlen.[86] Ehrler beschreibt außerdem, nach Verreibungen Visionen von Texten zu haben, die das Wesen der verriebenen Stoffe umfassend beschreiben. Bereits 2010 hatte Ehrler mehrere tausend Seiten dieser C4-Texte veröffentlicht. Diese Texte werden von einigen C4-Homöopathen als Offenbarungen höherdimensionaler „kosmischer Archetypen“ verstanden.[86]
Die bei Verreibungen intuitiv wahrgenommenen Bilder und Emotionen gelten in der C4-Homöopathie als Arzneimittelprüfungen. Der Verreibende soll sich innerlich dabei ganz auf den Vorgang konzentrieren, alle spontanen Gedanken, Bilder und Emotionen werden als „Resonanzen“ des Mittels gedeutet.[87]
Elektrohomöopathie
Die Elektrohomöopathie ist eine von dem italienischen Grafen Cesare Mattei um die Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte Variante der Homöopathie, die Elemente der klassischen Homöopathie mit Elementen der Spagyrik verbindet. Zum Einsatz kommen ausschließlich aus Pflanzen nach spagyrischen Vorstellungen hergestellte und anschließend homöopathisch potenzierte Komplexmittel.
Die Spagyrik entstammt der im Mittelalter verbreiteten Alchemie und wurde durch Paracelsus (1493–1541) bekannt, weshalb man mitunter von der paracelsischen Spagyrik spricht. Charakteristisch ist die Herstellung von Tinkturen durch mehrmalige Gärungs- und Destillationsschritte. Diese Verarbeitungsweise soll geheime bzw. magische Kräfte der Heilpflanzen nutzbar machen, indem es die Pflanzenbestandteile zunächst in „Geist“, „Seele“ und „Körper“ trennt und später wieder zusammenführt.[88] Die Spagyrik ist untrennbar mit der Numerologie[B 19] und der Signaturenlehre[B 20] verwoben.[89]
Der Begriff „Elektro“homöopathie ist insofern irreführend, da keinerlei elektrische Energie beteiligt ist. Laut ihrem Erfinder Cesare Mattei hat die Elektrohomöopathie ihren Namen von der angeblich sofort einsetzenden Wirkung – nach seinen Worten vergleichbar einem elektrischen Schlag.[90]
Die zugehörigen „JSO-Komplexmittel“ sind nach dem Apotheker Johannes Sonntag (1863–1945) benannte und auf der Elektrohomöopathie beruhende Produkte, die oft vertrieben werden, ohne dass auf Mattei oder die Elektrohomöopathie namentlich hingewiesen wird. Wissenschaftliche aussagekräftigte Wirksamkeitsnachweise liegen nicht vor.[91][92]
Siehe hierzu den Hauptartikel ⇒ Elektrohomöopathie
Enneagramm-Homöopathie
Die Enneagramm-Homöopathie verknüpft das spirituelle System der Enneagrammlehre mit der Homöopathie. Namensgebend ist die neunzackige Figur, εννέα ist das griechische Wort für neun. Die Enneagrammlehre ist eine Typenlehre, die entsprechend der neun Spitzen des Enneagramms neun grundsätzliche Persönlichkeitstypen unterscheidet.[93]
Jedem der neun Persönlichkeitstypen des Enneagramms wird ähnlich der Konstitutionslehre der Homöopathie ein homöopathisches Mittel zugeordnet, so dass in der Enneagramm-Homöopathie insgesamt nur neun verschiedene Homöopathika zur Anwendung kommen. Für die Wahl des Homöopathikums ist allein die Einordnung der Persönlichkeit innerhalb der Enneagrammlehre ausschlaggebend, nicht die homöopathische Anamnese und nicht die medizinische Diagnose.[94]
Erfinder der Methode ist der Arzt Peter Hegemann. Verbreitet wird die Methode aber auch durch den Heilpraktiker Detlef Rathmer, der zahlreiche Bücher zum Thema verfasste.[95][96]
Die Enneagramm-Typenlehre ist kein wissenschaftlich untermauertes Konzept. Zudem lässt sich weder das hohe Alter der Figur noch ihre traditionelle Verknüpfung mit Persönlichkeitsmerkmalen bestätigen. Diese Deutung findet sich erstmals bei Rodney Collin, einem britischen Autor spiritueller Bücher, der dieses Konzept laut eigener Aussage auf der Basis eigener Überlegungen entwarf.[97][98] In seiner Dissertation[97] schreibt Johannes Bartels, dass der Mythos vom hohen Alter des Enneagramms dem Zweck dient, eine fehlende wissenschaftliche Verankerung durch tradierte spirituelle Mythen zu ersetzen. Die wissenschaftlichen Bestätigungen des Modells werden als äußerst ernüchternd beschrieben.[99][B 21]
Siehe hierzu das Kapitel ⇒ Enneagramm-Homöopathie im Hauptartikel „Konstitutionstypen“
Gienow-Methode
Ein eigenes System einer Miasmenlehre (siehe hierzu für Begriffserklärungen auch das Kapitel ⇒ Miasmatische Homöopathie) haben Peter Gienow und seine Frau Gertie entwickelt.[74] Die Gienows sehen die einzelnen Miasmen nicht unabhängig voneinander, sondern in einer zyklischen Beziehung zueinander.[100] Nach diesem Modell, das sie „Lepra-Modell der Heilung“ nennen, stehen insgesamt sechs Miasmen (Karzinogenie, Syphilinie, Parasitose, Psora, Tuberkulinie und Sykose) dynamisch um einen Ruhepol im Zentrum. Mit diesem Ruhepunkt bringen sie die Skrophulose[B 22] in Verbindung und setzen sie symbolisiert durch das „Yin-Yang-Zeichen“ zentral in ihr Modell, weil sie in der Skrophulose das Wechselspiel aus Lepra („weißer Tod“) und Pest („schwarzer Tod“) sehen.[74]
Um das Wechselspiel der so in Beziehung getretenen Miasmen zu beschreiben, postulieren die Gienows das „Gesetz der drei Kräfte“, das die Miasmen auf drei Ebenen und drei Kräfte (jeweils „der Anziehung“, „des Ausgleichs“ und „der Abstoßung“) verteilt. Sie verstehen die im Verlauf chronischer Erkrankungen wechselnden und sich verändernden Symptome deswegen als „Bewegung des kranken Zustandes“ zwischen den einzelnen Miasmen. Um nach dem Modell die richtige Mittelwahl treffen zu können, braucht der Therapeut das Miasmatische Taschenbuch von Peter Gienow.[101] Es soll dem Behandler ermöglichen, aus wenigen im Bild der Gienows miasmatisch relevanten Symptomen das jeweils aktive Miasma zu erkennen und das zugehörige Mittel zu wählen.[74]
Typischerweise werden Homöopathika in der Gienow-Methode in Einmalgabe eingesetzt, oft in der Potenz C30 oder höher. Ist das Krankheitsbild bereits bei Vorfahren des Patienten aufgetreten, werden auch höhere Potenzen verwendet. Q-Potenzen werden bei geschwächten Patienten eingesetzt. Der Verlauf der Beschwerden nach der Arzneigabe wird vor allem unter dem Aspekt der miasmatischen Verschiebungen bewertet – ob also dem behandelten Miasma auch wirklich das Miasma folgt, das nach dem Modell zu erwarten wäre.[74]
Für die Mittelwahl sei es von Bedeutung, welche der in der Spagyrik[B 23] angedachten Krankheitsebenen[102] oder „Entien“[B 24] behandelt werden soll.[74] Die Konstitution des Patienten entspricht dabei dem „Ens naturale“ der Spagyrik, die Miasmen also einer Art „Urorganaffektion“. Darüber sollen noch weitere Ebenen, beispielsweise „Ens astrale“ (Behandlung von Urmiasmen, die im Kosmos zu finden seien) und „Ens spirituale“ (Behandlung spiritueller Störungen) liegen. Gienow ordnet in seinen Veröffentlichungen jede Arznei den miasmatischen Ebenen zu.[71] Wichtig für die Fallanalyse seien vor allem Besonderheiten, die in der Geschichte des Patienten oder seiner Ahnen dreimal aufgetreten sind.[74]
Daneben vertreiben die Anbieter der Methode nach eigener Darstellung auch solche der „Informationsmedizin“ zugeordneten Präparate. Anders als bei den üblichen Homöopathika werden diese Präparate in flüssiger Form verarbeitet, weil die feste Substanz der Globuli laut Hersteller die enthaltenen „Lichtinformationen“ zerstören würde. Zur Anwendung wird empfohlen, an den Flüssigkeiten zu riechen, die „Lichtmaterie“ würde so vom Körper aufgenommen werden.[103]
Wissenschaftliche Belege oder eine Verankerung der Methode in der wissenschaftlichen Medizin gibt es nicht.[104] Die Gienows sehen vielmehr explizit die esoterischen Lehren des mythischen Hermes Trismegistos als die Grundlage ihrer Methode und der Homöopathie allgemein.[105]
Die Methode versteht sich als speziell bei chronischen Erkrankungen und schweren Pathologien wie Krebs einsetzbar.[106]
Die Gienow-Methode wird in Deutschland in Seminaren gelehrt, die auch vom Dachverband homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) als bepunktete Fortbildungsmaßnahmen anerkannt und offiziell abrechenbar sind.[107][108]
Homöosiniatrie
Die Homöosiniatrie ist eine Mischung aus Vorstellungen der Homöopathie und der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), vor allem der Akupunktur. Siniatrie steht hier für Sinologie, die Lehre von der chinesischen Kultur.[109] In der Homöosiniatrie werden homöopathische Mittel subkutan[B 25] oder intrakutan[B 26] an Akupunkturpunkten injiziert. Bei den meisten anderen Varianten der Homöopathie ist offenbar der Ort der Applikation unerheblich, wenn sie mit homöopathischen Mitteln arbeiten, die oral eingenommen werden. Von dieser Praxis weicht die Homöosiniatrie also grundlegend ab. In der Literatur wird eingeräumt, dass man für die Homöosiniatrie sowohl bei der Homöopathie als auch bei der Akupunktur in beiden Disziplinen die „klassischen“ Vorgaben aufweichen müsse, was die „idealisierte Wortschöpfung“ Homöosiniatrie ausdrücken solle.[110]
Die Druckpunkte von August Weihe
Begründet wurde die Homöosiniatrie 1947 von dem französischen Homöopathen und Akupunkteur Roger de la Fuye (1880–1961).[109] Er berief sich dabei auf die Schriften des deutschen Homöopathen August Weihe. Dieser schrieb 1886, dass einige seiner Patienten, die ähnlichen Arzneimittelbildern entsprechen würden, auch über identische „druckschmerzhafte Körperstellen“ berichteten. Weihe erstellte mit der Zeit eine Liste dieser „Druckpunkte“ und benutzte sie bei der Wahl des homöopathischen Mittels. De la Fuye sah hier eine Verbindung zur Akupunktur, weil etwa die Hälfte (105 von 195) dieser von Weihe beschriebenen Punkte mit Akupunkturpunkten zur Deckung gebracht werden können.[110][B 27] De la Fuye ging davon aus, dass, wenn ein Punkt scheinbar sowohl auf die orale Gabe eines Homöopathikums als auch auf Nadelstiche reagiert, es einen noch schnelleren Effekt ergeben müsse, wenn man das Homöopathikum direkt in den Schmerzpunkt appliziert. Es gilt als unwahrscheinlich, dass Weihe bei der Entwicklung seiner Druckpunktmethode Kenntnisse der Akupunkturlehre überhaupt oder speziell der Akupunkturpunkte gehabt hat.[111] Die Interpretation seiner Druckpunkte im Sinne der Akupunktur erfolgte entsprechend ausschließlich durch andere Homöopathen.
Die Weiheschen Druckpunkte waren Gegenstand einer 1921 durchgeführten Wette zwischen Dr. Josef Schier und den beiden Weihe-Schülern Otto Leeser und Herrmann Göhrum. Josef Schier versprach, der Witwenkasse des homöopathischen Ärzteverbandes eine größere Summe zu spenden, falls es Leeser und Göhrum doppelverblindet gelingen würde, die von sechs verschiedenen gesunden Prüfpersonen eingenommenen Hochpotenzen nur über die von ihnen favorisierte Methode der Weiheschen Druckpunkte zu identifizieren. Die als Tropfen in der Potenz C1000 vorbereiteten Tropfen wurden mit Wasser gemischt und von den Versuchspersonen in Abständen von einigen Minuten jeweils schluckweise eingenommen. Leeser und Göhrum begannen die Untersuchung der Druckpunkte eine halbe Stunde nach Einnahmebeginn. Von individuellen Prüfsymptomen der Teilnehmer wird in dem Versuchsprotokoll nichts berichtet, was vermuten lässt, dass keiner der Teilnehmer auffällige Symptome entwickelte. Als die Arzneien am Ende des Versuches bekanntgegeben wurden, stimmte keine einzige der von Leeser und Göhrum mittels der Druckpunkten erstellten Mitteldiagnosen.[112] Trotz dieses Scheiterns bilden die Weiheschen Druckpunkte die Basis der Homöosiniatrie.
Behandlung von „Störfeldern“
Das Verfahren, homöopathische Komplexmittel an verschiedenen Akupunkturpunkten zu injizieren, entstand in Folge von Roger de la Fuyes Veröffentlichung in den 1950er Jahren und wurde vor allem von Heilpraktikern verbreitet.[110] Heute finden sich Autoren, die mit Komplexmitteln arbeiten, neben anderen Autoren, die Einzelmittel injizieren.[113]
Die Wahl des passenden Komplexmittels soll den Effekt verfeinern, den schon allein die Stimulation eines Akupunkturpunktes mit einer Nadel hat. Je nach Wahl des injizierten Komplexmittels sollen etwa kühlende oder erwärmende Effekte auf die dem Akupunkturpunkt zugeordneten Organe ausgeübt werden.[110] Die Meridianlehre aus der Akupunktur soll wichtige Zusammenhänge zwischen bestimmten Krankheiten und sogenannten „Therapieblockaden“ oder „Störfeldern“ liefern.[110]
Die Behandlung dieser „Störfelder“ ist ein wesentlicher Bestandteil der Homöosiniatrie. An dieser Stelle hat die Homöosiniatrie eine enge Verwandtschaft mit dem ebenfalls seit den 1950er Jahren populären Verfahren der Neuraltherapie nach Huneke. In beiden Verfahren wird davon ausgegangen, dass praktisch jede Erkrankung „störfeldbedingt“ sein kann, wobei derartige „Störfelder“ durch vorausgegangene Erkrankungen oder Verletzungen bedingt seien. „Störfelder“ sollen also im Körper als Folge von Verletzungen, Operationen oder Entzündungen entstehen und über die Nervenleitungen an ganz anderen Stellen zu Symptomen und Schmerzen führen. In dieser Philosophie kann jede Narbe ein „Störfeld“ darstellen.[B 28]
Diese „Störfelder“ seien unbedingt auszuschalten, weil sie „Heilungshindernisse“ für aktuelle Beschwerden seien.[114] Während die Neuraltherapie jedoch mit Anästhetika arbeitet (also mit nachgewiesen wirksamen Präparaten, die auf das Schmerzempfinden einwirken, oft kommt Procain zum Einsatz), werden in der Homöosiniatrie Homöopathika zur Störfeldtherapie injiziert. Das Modell der Neuraltherapie ist wissenschaftlich unplausibel. Es existieren keine Wirksamkeitsbelege, nicht einmal Nachweise für die Existenz etwaiger „Störfelder“ im Körper.[114] Es gibt jedoch Berichte über Komplikationen in Folge der Injektionen.[115]
Obwohl also die Existenz der „Störfelder“ nicht nachgewiesen ist, gehört die Narben-„Entstörung“ zu den häufigen Einsatzgebieten der Homöosiniatrie.[116] Nach ihrer Lehre soll eine Narbe keineswegs nur in ihrem lokalen Umfeld für Beschwerden verantwortlich sein, sondern über das (nicht nachgewiesene) Meridiansystem auf weite Teile des Körpers Einfluss nehmen können. Ein Narben-Störfeld auf dem „Lungenmeridian“ führe beispielsweise nicht automatisch zu Lungenerkrankungen, sondern könne alle in der TCM zugeordneten Organe betreffen. So könne eine solche Narbe etwa zu allgemeiner Infektanfälligkeit, zu verschiedenen Allergien, Hauterkrankungen, Reizdarmsyndromen oder „unerklärlicher Traurigkeit“ führen. Da die Lehre zudem beschreibt, dass mehrere Meridiane energetisch verbunden seien, kämen darüber hinaus noch Erkrankungen weiterer Organe, die nicht zum Funktionskreis des Lungenmeridians gehören, als Folge einer solchen Narbe in Frage.[110] Eine einzige Operationsnarbe kann auf diese Weise für nahezu jede Erkrankung verantwortlich gemacht werden.
Bleiben Behandlungserfolge aus, werden neben dem mangelnden Erfühlen der richtigen Akupunkturpunkte durch den Therapeuten auch die finanziellen Grenzen des Patienten oder beim Patienten bestehende „Therapieblockaden“ als Ursache für das Scheitern der Therapie ausgemacht.[110] In der Literatur wird explizit darauf hingewiesen, dass vielen praktisch mit diesem Verfahren arbeitenden Therapeuten die in der Literatur beschriebenen spektakulären Erfolge verwehrt blieben – und dies nicht selten trotz fleißigsten Studiums des Verfahrens. Im Gegenteil sei eine Herangehensweise, die auf Verstand und Intelligenz setze, sogar oft eher hinderlich.[110]
Eine Suche auf PubMed[B 29] ergibt keine einzige randomisierte, doppelt verblindete Studie zum Thema (Stand Juni 2018).[117] Wie bei den verschiedenen Verfahren, auf denen die Homöosiniatrie aufbaut, sind die von ihr postulierten Wirkmechanismen und Wirkbehauptungen also nirgends wissenschaftlich belegt. Wie dargelegt, stehen dagegen mehrere Grundprinzipien des Verfahrens (Meridiane, Störfelder, …) im Widerspruch zum gesicherten medizinischen Wissen über den Körper.
Neue Homöopathie nach Körbler
Das Verfahren ist eine Erfindung des Wiener Elektrotechnikers und Wünschelrutengängers Erich Körbler.[118]
Nach Körbler entstehen Erkrankungen, Allergien oder Unverträglichkeiten durch schwächste biologische „Störfelder“. Diese Felder seien mit seiner speziellen „Universalrute“[119] messbar.[120] Spezielle Zeichen wie Striche, Wellen, ein Y oder ein punktsymmetrisches Kreuz sollen „energetische Informationen“ auf diese Felder „modulieren“ und dadurch die „Störung“ beseitigen. Wissenschaftlich ist dies nicht nachgewiesen.[119] Körbler nennt sein Verfahren „Neue Homöopathie“, weil die Homöopathie mit ihren Hochpotenzen auch außerhalb der stofflichen Wirksamkeit arbeitet und er darin eine Verwandtschaft sah.[120][118] „Körbler“ und „Neue Homöopathie nach Körbler“ sind eingetragene Marken, andere Autoren verwenden deshalb meist andere Bezeichnungen wie etwa „Homöopathie zum Aufmalen“.[121]
Siehe hierzu den Hauptartikel ⇒ Neue Homöopathie nach Erich Körbler
Predictive Homeopathy
Erfinder ist der in Indien praktizierende Prafull Vijayakar. Wie in der Miasmenlehre (siehe hierzu für Begriffserklärungen auch das Kapitel ⇒ Miasmatische Homöopathie) ist auch er der Ansicht, dass Miasmen die Grundursache aller Krankheiten sind. Die von ihm vermuteten Gesetzmäßigkeiten der Miasmen sowie seine Kriterien zur Wahl des Homöopathikums ergeben laut seinem Modell eine Art Weiterentwicklung der Heringschen Regel und damit Hinweise, wie sich unter der Behandlung die Symptomatik verschieben sollte, wenn das Mittel passend gewählt ist. Daher versteht sich der Name der Methode (Predictive Homeopathy bedeutet wörtlich „vorhersagende Homöopathie“).
Im Aufstellen eines Modells für die Wechselbeziehungen der einzelnen Miasmen zueinander ist die Predictive Homeopathy mit der Gienow-Methode zwar verwandt, aber nicht identisch. Den Verlauf schwerer Erkrankungen sieht Vijayakar als Ausdruck gerade aktiver Miasmen und deutet den Verlauf während der Behandlung als einen „stadienhaften Verlauf in die Psora hinein“. Ein Mittel, das nicht zugleich die tiefste Ebene der Miasmatik mitbehandelt, versteht Vijayakar als Unterdrückung der Krankheit („Theorie der Unterdrückung“).[122]
Vijayakar versucht, das Mittel zu finden, das er als „genetisches Simillimum“ („Genetic Constitutional Similimum“ oder kurz „GCS“) bezeichnet.[122] Bei der Mittelwahl berücksichtigt er daher auch die Statur und Gesichtsform seiner Patienten, ihr Durstverhalten und ihren Charakter.[123]
Das Regensburger Institut für klassische Homöopathie behauptet auf seiner Webseite,[122] dass Vijayakar auch schwerste Pathologien wie Krebs, AIDS und Diabetes mit seiner Methode vollständig ausheilt. Belege dafür werden nicht genannt. Auch die medizinische Datenbank PubMed listet (Stand Juni 2018) keine einzige wissenschaftliche Veröffentlichung von Prafull Vijayakar.[124]
Prozessorientierte Homöopathie
Diese Richtung geht auf die von Gerhardus Lang und Jürgen Becker um 1990 wiederholt in Bad Boll veranstalteten „Homöopathiewochen“ zurück. Auch die Berliner Heilpraktiker Andreas Krüger[B 30] und Hans-Jürgen Achtzehn verbreiten seitdem das Verfahren in Texten und Vorträgen.[125]
Die in Bad Boll versammelten Homöopathen führten in Großgruppen Prüfungen zu bekannten Homöopathika durch. Die Gefühle, Wahrnehmungen und Träume der Teilnehmer wurden als Wissenszuwachs über den Arzneimittelschatz interpretiert und in den Mittelfindungsprozess aufgenommen.[125]
Die Arzneimittelgaben führen laut den prozessorientierten Homöopathen auch zu veränderten Träumen, Verhalten und Denken der Patienten.[126] Sie gehen davon aus, dass Beschwerden lediglich die Aufforderung der „Lebenskraft“ seien, sich mit einem inneren Konflikt zu beschäftigen.[125] Zwar erkennen auch prozessorientierte Homöopathen an, dass es einen Auslöser wie Krankheitserreger oder psychische Reize gegeben haben muss, damit ein Patient Symptome entwickelt, sie sind aber der Meinung, dass nur der Patient tatsächlich das Symptom entwickelt, der eine Art innerer Bereitschaft mitbringt, sich mit diesem „Problem“ auseinanderzusetzen. Prozessorientierte Homöopathen sehen sich eher als Psychotherapeuten und möchten den Patienten dabei helfen, den „tiefsten für seine Problematik erkennbaren Auslöser herauszuarbeiten“.[126]
Wenn nach anfänglicher Besserung einer Krankheit nach einer gewissen Zeit die Symptome wiederkehren, geht man deshalb davon aus, dass beim Patienten ein innerer Widerstand vorhanden ist und er nicht wirklich gesund werden möchte. Der Landesverband Berlin-Brandenburg des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker e. V. beschreibt dieses Verständnis ausbleibender dauerhafter Genesung in der prozessorientierten Homöopathie wie folgt:[126]
Der Fehler besteht nicht darin, daß die Arznei nur palliativen Charakter hatte oder daß man die Arznei wechseln müßte, sondern darin, daß wir bei der Wirkung der richtigen Arznei den inneren Widerstand des zu behandelnden Menschen nicht mit berücksichtigen. Mit diesem inneren Widerstand ist nicht der Glaube an eine homöopathische Heilung gemeint, sondern vielmehr die Frage, ob dieser Mensch, so wie er jetzt ist, wirklich gesund werden möchte.
Diese Frage kann niemand so ohne weiteres mit „Ja“ beantworten. Denn jeder Mensch zieht aus seiner Krankheit irgendeinen individuellen Nutzen, dagegen bedeutet Gesundheit unter anderem auch Selbstverantwortung, Verantwortung zu übernehmen, die Schuld nicht mehr auf andere schieben zu können, unbequem zu handeln, Konsequenzen zu ziehen, schmerzhafte Schritte zu unternehmen usw.
(Anmerkung Homöopedia: Rechtschreibung aus der Quelle übernommen)
Der Name „prozessorientierte Homöopathie“ erklärt sich aus dem Verständnis dieser Lehre von Gesundheit und Krankheit als fortdauernde Prozesse und der Vorstellung, dass Beschwerden dann entstehen, wenn der Prozessweg zur Genesung an einem Punkt stockt.[125] Prozessorientierte Homöopathen verstehen ihre Arbeit ganz im Sinne Hahnemanns, weil Arzneimittelprüfung, Ähnlichkeitsgesetz und Potenzierung wie bei Hahnemann auch die Grundsäulen ihres Verfahrens sind.[126]
Wissenschaftler sehen diese in der Esoterik wiederholt vertretene Deutung von Krankheiten als höchst problematisch für den Patienten: Ihm wird unterstellt, selbst eine Schuld an der Krankheit beziehungsweise der ausbleibenden Heilung zu tragen. Derartige Ansichten sind nicht nur wissenschaftlich vollkommen unbelegt, sie bergen darüberhinaus die Gefahr, dass der Patient unnötigerweise Schuldgefühle entwickelt und dadurch sogar noch zusätzlich zur eigentlichen Erkrankung belastet wird.[127]
Psychologische Homöopathie
Die Bezeichnung „psychologische Homöopathie“ wird nicht einheitlich gebraucht. Verbreitet ist jedoch das Bild der Krankheitsentstehung durch ungelöste bzw. immer wiederkehrende psychologische Konflikte des Patienten. Entsprechend beruht sie in nahezu allen Untervarianten auf der Vorstellung, dass Charakterzüge und Gemütszustand des Patienten für die Mittelwahl ausschlaggebend sind und der Homöopath deshalb den seelischen „Archetyp des Patienten“, sein „Lebensthema“, erkennen müsse. Die Definition dieser Archetypen unterscheidet sich aber in den verschiedenen Unterströmungen.
Eine Hauptströmung der psychologischen Homöopathie lehnt sich an die klassische Homöopathie mit ihren Konstitutionsmitteln an. Sie definiert diesen Mitteln entsprechende feste homöopathische Konstitutionstypen und ordnet diesen emotionale und psychische Charakterzüge zu. Für die Mittelwahl ist entscheidend, welchem dieser Konstitutionstypen der Patient zuzuordnen ist. Das homöopathische Konstitutionsmittel muss also zur Persönlichkeit des Patienten passend gewählt werden.[128]
Diese Richtung der psychologischen Homöopathie versteht sich ganz in der Tradition Hahnemanns und verweist hierzu auf die §§ 211 bis 213,[129] in denen Hahnemann auf die außerordentliche Bedeutung des Gemütszustandes für die Mittelwahl hinweist. Viele psychologisch arbeitende Homöopathen ziehen zur Bestimmung des Konstitutionstyps auch die Träume des Patienten zur Mittelfindung heran[128] und wollen wesentliche persönliche Themen dadurch erkennen, dass sie sich wiederholt in seiner Biographie finden.[130]
Eine andere Richtung der psychologischen Homöopathie betreibt und lehrt der Heilpraktiker Detlef Rathmer. An die Stelle der Konstitutionstypen treten in seinem Modell die Typen der ebenfalls von ihm angewandten Enneagramm-Homöopathie.[131]
Zum Krankheitsverständnis der psychologischen Homöopathie
Psychologisch arbeitende Homöopathen gehen davon aus, dass aktuelle Stresssituationen tief verwurzelte, aber unverarbeitete Konflikte wieder aufleben lassen. Die Krankheit sei eine Aufforderung des Körpers, diese Konflikte nicht weiter ins Unbewusste zu drängen; sie sei ein Ausdruck, dass der Körper des Patienten einfordere, sich nicht länger selbst an einem inneren Reifungsprozess zu hindern. Das homöopathische Konstitutionsmittel sei das Mittel, das dem Typus des Patienten am ähnlichsten sei und das deshalb die Blockade dieses „natürlichen Wachstums-Kreislaufes“ wieder schließen könne.[128]
Körperliche Symptome sind immer auch seelische Organsprache und spiegeln insofern symbolisch ein gefühlsmäßiges Problem und die hieraus resultierende Notwendigkeit eines geistigen Lernprozesses wider. So werden psychische Befindens-Veränderungen – teilweise auf einer sehr subtilen Ebene – schon lange vor dem Auftreten organsprachlicher bzw. körperlicher Symptome erlebt. Die mangelnde Wahrnehmung der hiermit verbundenen Botschaften führt dazu, daß sich die Seele in Form der Organsprache über die deutlicher spürbare körperliche Ebene ausdrückt. Insofern können körperliche Symptome und Krankheit als Symbol für ungelöste seelische Konflikte verstanden werden. (…)
Körperliche Symptome kommen deshalb zum Ausdruck, weil die Botschaft auftretender psychischer Probleme und seelischer Disharmonien nicht verstanden bzw. der zugrundeliegende Konflikt nicht zureichend gelöst wurde und sie sich im o. g. Sinne zeigen.
(Anmerkung Homöopedia: Rechtschreibung aus der Quelle übernommen)
Dieses Krankheitsverständnis ist vielen esoterischen Lehren gemein. Wissenschaftler weisen auf die Probleme und Gefahren dieser Sicht auf Krankheiten hin. Die Krankheit wird in fataler Weise als losgelöst von bekannten Infektionswegen und Umwelteinflüssen als durch das subjektive Verhalten des Patienten ausgelöst interpretiert, ohne dass es für die Gültigkeit dieses Bildes Belege gäbe. Dem Patienten wird über seine seelischen Konflikte eine Schuld an der Krankheit gegeben. Während ihm einerseits suggeriert wird, er habe die Macht, durch eine psychische Entwicklung der Krankheit zu entkommen, wird andererseits der Heilerfolg genau über dieses Versprechen in seine eigene Verantwortung gelegt: Der Patient ist dann nicht mehr nur daran schuld, erkrankt zu sein, er ist durch seine mangelnde Bereitschaft zur psychischen Entwicklung auch noch schuld am eventuellen Scheitern der Therapie.[127]
Quantenlogische Homöopathie
Der Erfinder dieser Methode ist der Arzt Walter Köster. Um seine Methode der Homöopathie zu beschreiben, benutzt er Begriffe aus der Physik, besonders der Quantenmechanik. Eine andere Verbindung zur Physik außer über die verwendeten Begriffe gibt es nicht, und auch diese Fachausdrücke werden in der „quantenlogischen Homöopathie“ nicht in der Bedeutung verwendet, die sie in der Physik haben. So sind beispielsweise in der Physik „Quanten“ kleinste mögliche Werte bestimmter physikalischer Größen, was dazu führt, dass diese Messgrößen nur diskrete (keine kontinuierlichen) Werte annehmen können. Die Basis der quantenlogischen Homöopathie sieht Köster dagegen in „polaren Zweiheiten“ aus einander widersprechenden Eigenschaften und bezeichnet diese und deren Beziehungen und Zusammenhänge als „Quanten“.[132][133]
Köster empfiehlt, in der Anamnese zuerst ein Symptom zu suchen, das eine „Komplementarität“ enthält. Das sollte „möglichst mechanistisch“ beschreibbar sein, um seine „Mathematische Form“ leichter erkennbar zu machen. Damit meint er ein Symptom oder Verhalten des Patienten, das zwischen zwei verschiedenen, unvereinbar wirkenden Extremen variiert. Ein Beispiel, das Köster in Vorträgen anführt, ist Schüchternheit im Gegensatz zu einzelnen emotionalen Ausbrüchen. Gesucht wird dabei nicht irgendein Paar von Extremwerten, sondern der Homöopath soll ein einziges finden, das er möglichst allen Aussagen des Patienten zuordnen kann.[134]
Der eine Zusammenhang, der spezifisch für ihn ist und sich überall zeigt, in all seinen Funktionen, wo auch immer man bei ihm hinschaut – das ist sein Quant. Weil man dessen Form überall entdeckt, ist es offenkundig das, was ihn überall formt und bestimmt, seine Ganzheit.[135]
Wie der Patient im Alltag mit dem Symptom umgeht, nennt Köster die „Funktion“, mitunter auch „Quantenfunktion“.[133] Über diesen Begriff versteht Köster auch das Entstehen von Krankheiten schlechthin: Nur wenn der Mensch seine „Quantenfunktion“ lebt, habe er das Gefühl, seinen eigenen Willen zu leben. Andernfalls entstehe im Patienten das Gefühl, etwas Fremdes lebe ihn ihm. Dieses Fremde führe zum Prozess des Pendelns zwischen beschriebenen Extremen den Symptoms, was der Patient als Krankheitszustand empfinde.[133] Symptome seien also nicht zufällig, sondern entstünden in logischer Folge aus nicht gelebten oder gestörten „Quantenfunktionen“. Entsprechend benennt Köster sein Verfahren nach dieser von ihm gedachten „Quantenlogik“.[133]
Weil die Begriffe hier nicht in ihrer tatsächlichen physikalischen Bedeutung verwendet werden, bleibt an vielen Stellen unklar, warum man sie überhaupt bemüht. Weder ist die Verwendung der Begriffe wie der „Quanten“ oder der „Quantenfunktionen“ in Zusammenhang mit einem Krankheitszustand eines Patienten bei Köster aus naturwissenschaftlicher Sicht sinnvoll, noch sind die zu diesen Begriffen gemachten Aussagen physikalisch korrekt.[136]
Verhältnis zur klassischen Homöopathie
Die Anwender der quantenlogischen Homöopathie grenzen sich von den klassischen Homöopathen ab, weil diese nur auf einzelne Symptome schauen würden. Wolfgang Köster bezeichnet das Vorgehen der klassischen Homöopathie explizit als „unwissenschaftlich“.[135] Weil sie den logischen Zusammenhang im Arzneimittelbild oder beim Patienten nicht erkennen, stünden in der klassischen Homöopathie die einzelnen Symptome logisch unverknüpft nebeneinander und die Arzneimittelwahl sei unsicher. Logisch werde die Mittelwahl erst über das Erkennen der wesentlichen Grundstruktur.[135]
Tatsächlich gibt es keine wissenschaftlichen Daten, die eine Überlegenheit von Kösters Methode gegenüber der klassischen Homöopathie oder gegen Placebo belegen würden. Auch die medizinische Datenbank PubMed listet (Stand Juni 2018) keine einzige randomisierte, mehrfach verblindete Vergleichsstudie von Walter Köster zur quantenlogischen Homöopathie.[137]
Eine Verbindung zu Hahnemann sieht Köster wie die Erfinder anderer Varianten auch im §153 des Organon. Köster geht davon aus, dass Hahnemann dort die Wörter „sonderlich“, „ungewöhnlich“ und „eigenheitlich“ benutzt, weil er eigentlich quantenlogische Ansätze meinte, sie mit seinem Vokabular aber noch nicht entsprechend beschreiben konnte.[133]
Quellenhomöopathie
Die Quellenhomöopathie ist eine relativ junge Variante der Homöopathie. Entwickelt und verbreitet wird sie durch die homöopathisch tätige Ärztin Dr. Irene Schlingensiepen-Brysch. Hierzu hat sie das Institut für wissenschaftlich orientierte Homöopathie gegründet, an dem Kurse in Quellenhomöopathie stattfinden. Die sogenannten Jahreskurse dauern wenige Tage und kosten jeweils mehrere hundert Euro (Stand 2018). Am Ende erhalten die Teilnehmer das Quellenhomöopathie-Zertifikat sowie die Aufnahme in die „Liste der Therapeuten für Quellenhomöopathie“.[138]
Inspiriert worden sei Irene Schlingensiepen-Brysch von der indischen Ärztin Divya Chabra, als diese von der erfolgreichen Behandlung eines Patienten berichtete, nachdem sein Homöopathikum über eine Art „Weg der freien Assoziation“ bestimmt worden war. Der Name „Quellenhomöopathie“ sei letztlich von dem Heilpraktiker Ingo Sowka vorgeschlagen worden.[139]
Die grundlegende Hypothese der Quellenhomöopathie ist, dass tief im Unterbewusstsein des Patienten das Wissen bereits vorhanden sei, welches homöopathische Mittel ihm helfen wird. Ein direkter Zugriff auf dieses verborgene Wissen sei dem Patienten jedoch nicht möglich. Erst unter geeigneter Führung im homöopathischen Anamnesegespräch könne man diese für das Verfahren namensgebende „Quelle des Wissens“ erkennen.[140] Das so bestimmte „Quellenmittel“ könne dem Patienten zumindest über Jahre hinweg helfen, im Idealfall sogar bei allen Beschwerden ein Leben lang.[139]
Die Quellenhomöopathie arbeitet deshalb mit einer speziellen Form der Anamnese. Dabei achtet der Homöopath weniger darauf, welche Symptome der Patient genau schildert, sondern auf die Besonderheiten in der Sprache, mit der der Patient seine Schilderung vorträgt. Die Beschreibung der Symptome – egal, ob körperliche, emotionale oder geistige – ist also mehr ein Mittel zum Zweck, die Auffälligkeiten in der Beschreibung selbst herauszuhören.[140]
Der Therapeut achtet während der Schilderung des Patienten auf ungewöhnliche Formulierungen oder bildhafte Ausdrücke wie „so, als ob …“. Durch gezieltes Nachfragen werden die Patienten zu immer genaueren Darstellungen innerer Bilder, Empfindungen und Assoziationen geführt. Mitunter werden die Patienten auch konkret gefragt, was sie in der Natur kennen, dem sie die herausgearbeiteten Eigenschaften zuordnen. So steht schließlich ein konkretes Bild im Raum, das dann, egal ob Pflanze, Tier oder irgendein Material als das gesuchte homöopathische Mittel gedeutet wird.[140] Oft kommen in der Quellenhomöopathie in anderen Strömungen sehr selten verwendete Homöopathika zum Einsatz. So beschreibt Irene Schlingensiepen-Brysch in ihren Büchern diverse Einzelfälle, die etwa mit „Sol“ (Sonnenlicht), „Positronium“[B 31] oder „Meteorit“ behandelt wurden.[141]
In der Methode der Quellenhomöopathie werden Repertorien und alles in der Homöopathie gesammelte Material also unwichtig. Der Patient allein sei der (unbewusst) Wissende. Nicht der Therapeut soll anhand der genannten Symptome entscheiden, welches Mittel der Patient braucht, sondern er soll lediglich den Patient begleiten, während sich dieser über Assoziationen an sein Heilmittel herantastet. Das Ähnlichkeitsprinzip gilt hier also nicht auf die Symptome des Patienten; das Quellenmittel entspreche vielmehr den „tiefsten inneren Bildern“ des Patienten.[140]
Therapeuten beschreiben, dass der Patient es als befriedigenden Moment empfindet, wenn seine „Quelle“ im Anamnesegespräch gefunden wird und es so mitunter bereits ohne Gabe homöopathischer Mittel zu Verbesserungen kommt.[140]
Obwohl die Schulungsräume den Namen Institut für wissenschaftlich orientierte Homöopathie tragen, existieren keine belastbaren wissenschaftlichen Belege für die Methode der Quellenhomöopathie. Vage bezieht sich Irene Schlingensiepen-Brysch an verschiedenen Stellen auf die Quantenphysik als angebliche Grundlage der Methode, jedoch ohne an einer dieser Stellen auf konkrete Experimente zu verweisen oder logisch stringente Zusammenhänge herauszuarbeiten.[138][141] Anstelle randomisierter, doppelt verblindeter Studien als Belege zur Wirksamkeit der Quellenhomöopathie werden von Irene Schlingensiepen-Brysch nur beispielhafte Einzelfälle aus ihrer Praxis genannt oder vage Aussagen, dass nachträgliches Auswerten der Fälle ergeben würde, dass die über die Quellenmethode bestimmten Mittel zu nachhaltigeren Besserungen geführt hätten. Wirklich quantitative Vergleiche etwa durch Auswertung randomisierter Vergleichsgruppen existieren nicht.[142][143] Der Beleg der Aussage, das Quellenmittel könne den Patienten im Idealfall ein Leben lang begleiten,[139] scheitert dabei nicht nur am Fehlen jedweder klinischer Vergleichsstudien, die diese Aussage stützen würden, sondern auch daran, dass die Quellenhomöopathie noch gar nicht lange genug existiert, um überhaupt Patienten ihr Leben lang begleitet zu haben. Dieses Versprechen entbehrt also allein auf der Basis, dass die Quellenhomöopathie eine erst in den letzten Jahrzehnten entstandene Variante der Homöopathie ist, echter Belege.
Resonanzhomöopathie
Die Resonanzhomöopathie ist eine Verbindung der „Elektroakupunktur“ mit der Homöopathie. Erfinder ist der deutsche Arzt Helmut Schimmel, das Verfahren entstand in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren. Die zur Diagnose und Repertorisation eingesetzten Geräte stellen eine Variante der Elektroakupunktur nach Voll (EAV) dar. Die Untersuchung wird von den Anwendern als vegetativer Resonanztest, V.R.T. oder auch Vega-Test bezeichnet.[144]
Bei der Elektroakupunktur wird über ein elektrisches Potential der Hautwiderstand zwischen „Akupunkturpunkten“ und einer Bezugselektrode gemessen. Wie in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) wird auch bei der Elektroakupunktur angenommen, dass bestimmte Punkte der Haut bestimmten Organen und ihrer Funktion zugeordnet werden können. Zusätzlich wird oft zwischen der Mess-Elektrode und dem Messinstrument eine Ampulle eingesetzt, in der sich je nach Anwendungszweck zum Beispiel ein Nahrungsmittelextrakt oder ein Pilz befinden kann. Ändert sich der Messwert des elektrischen Potentials eines Akupunkturpunktes durch das Einsetzen eines bestimmten Stoffes, so soll das ein Zeichen dafür sein, dass der Stoff in „Resonanz“ mit den Beschwerden des Patienten ist. Der Test soll in dieser Weise Allergien, Nahrungsunverträglichkeiten, Viren- oder Pilzinfektionen nachweisen können.[144]
Der vegetative Resonanztest nach Schimmel unterscheidet sich hiervon dadurch, dass er davon ausgeht, diese Akupunkturpunkte zu testen, wenn er bestimmte homöopathische Mittel oder Nosoden (aus Krankheitserregern oder erkranktem Gewebe hergestellte Homöopathika) in den Stromkreis einsetzt. Die hierzu verwendeten Homöopathika werden „Filter“ genannt.[145] Laut Schimmel zeigt sich eine Erhöhung des Körperwiderstandes, wenn der Patient beispielsweise allergisch gegen den gerade eingesetzten Stoff ist. Das Einsetzen eines geeigneten Heilmittels soll den Messwert wieder normalisieren.[145]
Auf diese Weise erfolgt durch die Untersuchung mit dem Resonanztestgerät auch gleich die Repertorisation: Die Normalisierung des Messwertes wird dahingehend gedeutet, dass das so bestimmte Mittel mit den Beschwerden des Patienten in „Resonanz“ ist. Die Resonanzhomöopathie ist also die Anwendung homöopathischer Arzneimittel nach Vorstellungen der Elektroakupunktur; das Kriterium für die Mittelwahl sind die dort angenommenen Resonanzprinzipien und nicht das Ähnlichkeitsprinzip. Schimmel schreibt:[146]
Durch Schwingungen der Zellmembran sollen Toxine eliminiert und Mikroorganismen zum Zerfall gebracht werden.
Die therapeutisch eingesetzten Homöopathika sollen nach Schimmel über Resonanz Viren oder Giftstoffe aus den Zellen eliminieren können. Oft werden in der Behandlung neben dem Homöopathikum, das diese Resonanz aufweisen soll, zusätzlich sogenannte „Drainagemittel“ verordnet. Hierbei handelt es sich ebenfalls um Homöopathika, oft in D3 oder D4, die gewährleisten sollen, dass die vom Hauptmittel freigesetzten Giftstoffe auch zuverlässig über Leber und Nieren ausgeschieden werden.[147]
Der vegetative Resonanztest oder Vega-Test konnte in randomisierten, verblindeten Studien Allergiker nicht von gesunden Testpersonen unterscheiden und gilt deshalb als ungeeignet zur Diagnose von Allergien.[144][148][149] Für die Verordnung homöopathischer Mittel nach dem Vega-Test und die Resonanzhomöopathie insgesamt gibt es gar keine klinischen Studien und somit auch keinen Wirksamkeitsnachweis. Fachleute weisen darauf hin, dass es schwer vorstellbar ist, wie das Verfahren funktionieren soll. Verdünnungen von D4 (1:10.000) und höher sind üblich. Die Substanzen befinden sich zudem in Glasbehältern und kommen mit dem Stromkreis nicht in Berührung, selbst wenn sie sich in der entsprechenden Vorrichtung (die oft als „Honigwabe“ bezeichnet wird) befinden. Außerdem ist bekannt, dass das Ergebnis der Messung allein mit dem Druck, mit dem die Elektrode auf die Haut gesetzt wird, erheblich schwankt.[145]
Synergetische Homöopathie
Kernaussagen
Die Synergetische Homöopathie wurde von der als Heilpraktikerin tätigen Impfgegnerin Angelika Zimmermann entwickelt. Charakteristisch für die Synergetische Homöopathie ist, dass die Arzneimittelwahl über einen kinesiologischen Muskeltest erfolgt, der hier als „direkte Körperbefragung“ bezeichnet wird.[150]
Nach Auffassung der Synergetischen Homöopathie ergänzen sich bestimmte Homöopathika und ermöglichen es so, „innere Belastungen“, die hier als Krankheitsauslöser betrachtet werden, „auszuleiten“. Die „Reinigung von inneren Belastungen“ ist also das eigentliche Behandlungsziel der Synergetischen Homöopathie. Verschiedene innere Belastungen sollen im Laufe des Lebens nahezu unvermeidlich erworben werden. Dazu zählt Frau Zimmermann verschiedene Krankheitserreger (wie Herpes-Viren, Borrelien oder multiresistente Keime), alle Impfungen, Parasiten (Würmer oder Läuse), Medikamente (beispielsweise Betäubungsmittel, Penicillin oder Cortison), schädliche Strahlen (Röntgenstrahlen) oder emotionale Belastungen, Schockzustände und negative Denkmuster (Selbstzweifel). Andererseits soll es laut der Synergetischen Homöopathie auch möglich sein, derartige innere Belastungen bereits ab der Geburt über Vererbung in sich zu tragen, etwa wenn die Eltern miasmatische Erkrankungen wie Tuberkulose oder Krebs durchgemacht haben. Die Vererbung der Belastungen ist aber in diesem Bild nicht auf Krankheiten beschränkt, sondern liege auch vor, wenn zwar nicht der Patient, wohl aber seine Eltern oft geröntgt wurden.[151]
Die „direkte Körperbefragung“ hat als Ergebnis eine Kombination verschiedener Homöopathika, die in der Synergetischen Homöopathie „Arzneimittel-Komplexe“ genannt werden.[152]
Jeder „Arzneimittel-Komplex“ beinhaltet Nosoden (aus Krankheitserregern oder erkranktem Gewebe hergestellte Homöopathika), „Hauptmittel“, „Helfermittel“, „Traumamittel“ und „zusätzliche“ Mittel.[151] Die Nosoden sollen im Bild der Synergetischen Homöopathie dem Körper mitteilen, mit welcher „Krankheitsbelastung“ er sich auseinandersetzen und diese „ausleiten“ soll. Als Hauptmittel kommen oft Homöopathika zum Einsatz, denen ein umfangreiches Wirkspektrum auf emotionaler oder mentaler Ebene zugesprochen wird. Sie sollen den Körper auf diesen Ebenen auf die „Reinigungs- und Ausleitungsprozesse“ vorbereiten, während die Helfermittel ihre Wirkung eher auf der körperlichen Ebene entfalten sollen und diese Prozesse anstoßen sollen. Hierbei sollen Traumamittel unterstützen und ggf. zusätzliche Mittel weitere „Entgiftung“ bzw. „Auseinandersetzung“ mit einzelnen Stoffen anregen.[151]
Die Kombination verschiedener Homöopathika steht wie der Weg der Mittelbestimmung im Widerspruch zum Vorgehen Hahnemanns und auch der klassisch arbeitenden Homöopathen. Sowohl das Verständnis der Krankheitsentstehung über „innere Belastungen“ und deren Behandlung durch „Ausleitung“ sind wissenschaftlich nicht haltbar. Die Wirksamkeit von Nosoden in Hochpotenz ist ebensowenig plausibel oder nachgewiesen wie bei anderen hochverdünnten Homöopathika.[19] Wirksamkeitsbelege speziell für die Synergetische Homöopathie liegen genauso wenig vor wie für die Homöopathie insgesamt.
Kinesiologischer Muskeltest
Beim kinesiologischen Muskeltest wird der Patient üblicherweise gebeten, seinen Arm oder seine Hand auszustrecken. Der Patient bekommt im Testverlauf verschiedene Substanzen zu halten, auf die getestet werden soll. Im Falle der Synergetischen Homöopathie sind das die in Frage kommenden homöopathischen Arzneimittel. Der Therapeut übt nun auf die Hand des Patienten einen nach unten gerichteten Druck aus und deutet den Gegendruck, den der Patient entgegensetzen kann, als Körperreaktion auf die jeweilige vom Patienten gehaltene homöopathische Arznei. Relative Unterschiede in der Fähigkeit des Patienten, dem Druck standzuhalten, werden so als Hinweise darauf gewertet, welches Mittel der Patient gerade „braucht“.[153]
Die Kinesiologie ist ein pseudowissenschaftliches Gedankengebäude ohne wissenschaftliche Basis.[154][B 32] Speziell der Muskeltest hat sich in Studien zu Diagnosezwecken wiederholt als unbrauchbar herausgestellt.[155][156][B 33][157][B 34][158][B 35][159][B 36][160]
Vorstellung der Impfbelastung
Frau Zimmermann vertritt in ihren Büchern einige häufig von Impfgegnern verbreitete Thesen. So unterstellt sie laut eigener Aussage in ihrer Praxis, dass eine „Impfbelastung“ alle möglichen gesundheitlichen Probleme zur Folge habe. In ihren Büchern schreibt sie,[151] sie gebe jedem Patienten mehrfach Impfnosoden, und zwar von jeder Impfung, die er irgendwann bekommen hat.
Sie vertritt die Ansicht, dass Impfungen deshalb schädlich seien, weil sie laut Impfplan stattfinden würden – während andernfalls die „Lebenskraft“ selbst bestimmen würde, wann sie sich mit der Krankheit auseinandersetzen möchte. Dabei unterstellt sie, dass Krankheiten von Natur aus einer „inneren Notwendigkeit“ entspringen und daher einem „inneren Plan“ folgend auftreten würden. Kinderkrankheiten wie Mumps, Röteln, Masern, Keuchhusten oder Windpocken seien nichts anderes als der Versuch der „Lebenskraft“, ererbte Krankheitsbelastungen „auszuleiten“. Gerade deshalb sei es so wichtig, diese Kinderkrankheiten ohne Störung durchzumachen – der Organismus erfahre dadurch eine tiefe Reinigung, die „oft zu einem großen körperlichen und geistig-emotionalen Entwicklungsschub des Kindes“ führe.[151] Es würden zudem zum Zwecke der Durchimpfung der Bevölkerung unnötige Ängste vor eigentlich harmlosen Erkrankungen wie den Windpocken geschürt.
Wissenschaftlich sind diese Vorstellungen über Impfungen nicht haltbar.
So wird etwa die These, Kinderkrankheiten würden einem inneren Plan nach auftreten, wenn der Körper die Notwendigkeit habe, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, allein dadurch widerlegt, dass sich Kinderkrankheiten schnell epidemisch verbreiten. Demnach müssten rein zufällig stets alle ungeimpften Kinder einer Gruppe gleichzeitig die innere Notwendigkeit verspüren, sich mit Masern oder Windpocken „auseinanderzusetzen“. Tatsächlich ist das Bild, dass Krankheiten allgemein oder Kinderkrankheiten im Besonderen einen Reinigungsprozess darstellen würden, eine rein esoterische Denkweise, die mit den heutigen Kenntnissen über Viren, Bakterien und die Wege der Krankheitsentstehung unvereinbar ist. Hier werden anstelle sauber nachgewiesener Infektionsmechanismen mittelalterliche Vorstellungen von Versündigung und Läuterung in die Krankheiten hineininterpretiert.
Die Behauptung, Kinder würden nach durchgemachten Kinderkrankheiten Entwicklungssprünge zeigen oder ein insgesamt besseres Immunsystem besitzen, hält sich hartnäckig in Impfgegnerkreisen. Tatsächlich zeigen Studien, dass Kinder, die die Masern durchmachen mussten, danach mehrere Monate unter höherer Infektanfälligkeit und anderen Folgen leiden.[161] Da auch Impfungen das Immunsystem trainieren, ist es schon von daher nicht plausibel, warum geimpfte Kinder eine schlechtere Immunabwehr besitzen sollten. Vielmehr besteht beim Durchmachen der Kinderkrankheiten immer ein gegenüber der entsprechenden Impfung vielfach höheres Risiko von Komplikationen, die die Kinder gesundheitlich schwer belasten und in ihrer Entwicklung zurückwerfen können, wenn sie nicht sogar lebensbedrohlich werden. Außerdem weist das Robert Koch Institut darauf hin, dass Entwicklungssprünge nach dem Durchmachen von Kinderkrankheiten nie in Studien nachgewiesen wurden.[162]
Der Eindruck eines Entwicklungssprunges nach einer Kinderkrankheit wird dagegen dadurch vorgetäuscht, dass das Kind während es Beschwerden hat, weniger lebhaft ist und weniger Interesse an seiner Umgebung hat und entsprechend während der Erkrankung weniger Fortschritte zeigt. Bessert sich sein Zustand, lebt das Kind wieder auf. Allein das normale Verhalten nach einer Erkrankung erscheint so als großer Unterschied zu vorher. Zudem machen sich erst dann alle Entwicklungen der letzten Tage und Wochen bemerkbar, was mitunter in der Summe dann wie ein regelrechter Sprung erscheint.[163]
So verkennt auch die Verharmlosung mancher Kinderkrankheiten wie den Windpocken deren mitunter schwere Verläufe. Dadurch, dass die Impfung die Häufigkeit der Windpocken zurückdrängte, gingen auch die Fälle mit schweren Komplikationen zurück (von jährlich etwa 100 Fällen auf unter zehn nach Einführung der Impfung).[164][B 37] Zudem besteht für Schwangere, die sich im ersten Schwangerschaftsdrittel mit den Windpocken anstecken, die Gefahr, dass es beim ungeborenen Kind zum „fetalen Varizellensyndrom“ kommt. Auch eine Ansteckung der Mutter kurz vor der Geburt bringt für das Neugeborene schwere Risiken mit sich.[165] Dass die Impfung auf diese Weise auch für Dritte und Ungeborene einen Schutz bedeutet, wird in den Texten der Impfgegner nicht berücksichtigt.
Systemische Homöopathie
Bei der Systemischen Homöopathie wird die homöopathische Behandlung mit einer Familienaufstellung kombiniert.
Bei der „Familienaufstellung“ handelt es sich um ein vor allem durch Bert Hellinger bekannt gewordenes Verfahren, das es ermöglichen soll, unbewusste Wahrnehmungen und Gefühle bewusst zu machen, indem die Beziehungen zwischen Familienmitgliedern bildhaft dargestellt werden. Der Patient ordnet die Familienmitglieder so im Raum an, dass ihre Position für ihn intuitiv ihre Beziehung zueinander wiedergibt. Sowohl Patient und Familienmitglieder beschreiben anschließend ihre Gefühle in der ihnen zugewiesenen Position. Typisch für die Familienaufstellung ist, dass mitunter nicht die Familienmitglieder selbst an der Aufstellung teilnehmen, sondern eine beliebige Personengruppe, aus der dann „Stellvertreter“ die Rolle der aufzustellenden Familienmitglieder übernehmen.[166]
Speziell die „Familienaufstellung nach Hellinger“ verknüpft die Beziehungen innerhalb der Familie mit dem Entstehen von Erkrankungen bei den Familienmitgliedern. Hellinger geht von der konservativen Vorstellung aus, dass eine Familie eine naturgegebene hierarchische Ordnung habe, wobei der Mann die höchste Position innehat, gefolgt von seiner Frau und den Kindern, deren Rang im Familiengefüge sich aus der Reihenfolge ihrer Geburt ergibt. Abweichungen von diesen natürlichen Beziehungen sollen laut Hellinger psychische Probleme und Krankheiten bei den beteiligten Personen zur Folge haben. Krankheiten seien also in gewisser Weise eine Strafe für die Störung der „Familienseele“.[167]
Die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) distanzierte sich 2003 von der „Familienaufstellung nach Hellinger“. Kritisiert wurde der wenig einheitliche Ausbildungsstand der Therapeuten, die teilweise öffentliche Zurschaustellung der Klienten, dass Erkrankten mitunter eine Schuld an ihrer Erkrankung zugewiesen wird sowie dass das Verfahren als eine Art „Schnelldurchgang“ durch die familiären Beziehungen eine ausführliche Psychotherapie nicht ersetzen kann.[168][167] Colin Goldner kritisierte Hellingers wissenschaftlich nicht haltbare Vorstellung des „wissenden Feldes“. Dieses Konzept geht davon aus, dass Konflikte oder Störungen der Familienhierarchie auch noch über den Tod der Betroffenen hinaus wirksam seien. Hellinger beschreibt diese Felder sogar als eine Ursache für Krebs.[169]
Angehenden Heilpraktikern für Psychotherapie wird explizit in der Literatur zur Vorbereitung auf die Heilpraktikerprüfung vor dem Gesundheitsamt geraten, es bei dieser nicht zu erwähnen, dass sie Kurse zur Familienaufstellung besucht haben und eventuell planen, dieses Verfahren in ihrer Praxis einzusetzen – dieser Rat bezieht sich auch auf Astrologie, Numerologie, Aura-Reading oder Reinkarnationstherapie. Begründet wird dies damit, dass bei diesen Verfahren die fehlenden Nachweise in der Literatur gut dokumentiert seien und deren Erwähnung deshalb die Chancen auf ein Erlangen der Zulassung durch das Gesundheitsamt schmälern würden.[170]
Verschiedene Therapeuten haben die Familienaufstellung dennoch mit der Homöopathie kombiniert, darunter Friedrich Wiest, Matthias Varga von Kibéd oder Michael Knorr und Tanja Vieten. Mit dem Mittel der Aufstellungsarbeit wird versucht, Auslöser für Krankheiten und die passenden homöopathischen Mittel herauszufinden. Die homöopathisch arbeitenden Therapeuten versprechen sich aus dieser Kombination unterstützende Impulse aus der Familienaufstellung. Zudem sehen sie neue Ideen zur Arzneimittelfindung.[171] Die Repertorisation erfolgt über die Familienaufstellung, die die systemische Verbindung des Patienten und seine Bedürfnisse aufzeigen soll.
Zur Überprüfung, ob ein so bestimmtes Homöopathikum passt, wird es mitunter durch einen Stellvertreter mit in den Personenkreis aufgestellt; die „Wirkung“ der Arznei soll so unmittelbar sichtbar zu machen sein.[71] Einige Therapeuten lassen den Patienten die so bestimmte Arznei in der Folge gar nicht einnehmen, sondern man lässt allein die mit der Arznei erfolgte Aufstellung „nachwirken“. Homöopathische Arzneien werden in diesem Zusammenhang als „wissende heilende Felder“ verstanden, die in der Aufstellungsarbeit wirksam werden.[171]
Daneben gibt es andere Varianten der homöopathischen Familienaufstellung. Bei der Patientensymptomaufstellung wählt der Patient einige ihm bedeutsam erscheinende Symptome und stellt diese für die Aufstellung durch Personen dar. Auch das Homöopathikum selbst soll mit dem Verfahren untersuchbar sein. Hierzu dient die Arzneimittelbildaufstellung, bei der einige Leitsymptome gewählt und mit Personen besetzt aufgestellt werden; ergänzend kann eine Person mit aufgestellt werden, die den Patienten darstellt, für den dies ein geeignetes Mittel wäre.[71]
Zusammenfassung
Die Homöopathie ist kein einheitlich klar definiertes Verfahren mit unter allen Homöopathen anerkannten und durch Evidenz gestützten Vorgehensregeln. Sie ist vielmehr zerfallen in eine Vielzahl mehr oder weniger verbreiteter Varianten und Strömungen, die sich zum Teil diametral widersprechen. Die strittigen Punkte betreffen dabei praktisch alle, auch die zentralsten Thesen der homöopathischen Lehre. Josef M. Schmidt, Herausgeber einer 1992 erschienen, von ihm bearbeiteten und erweiterten Fassung der 6. Auflage des Organon, schreibt:
Tatsächlich verbirgt sich, wissenschaftshistorisch betrachtet, hinter jedem Prinzip der Homöopathie eine eigene Tradition von Kontroversen: Hochpotenzler versus Tiefpotenzler, Einzelmittel- gegen Komplexmittel-Verordner, Homöopathen gegen Isopathen, Puristen gegen Eklektiker, Verschreiben nur nach phänomenologischen Symptomen oder auch nach pathologischen Gesichtspunkten, Beschränkung nur auf Arzneimittelprüfungs-Symptome oder auch Verwendung von klinisch verifizierten Heilwirkungen, höhere Bewertung von Geistessymptomen oder von Körpersymptomen, von Allgemeinsymptomen oder von Lokalsymptomen, Einbeziehung auch gesunder Konstitutionsmerkmale oder nur Beachtung krankhafter Veränderungen, Berücksichtigung der Miasmentheorie oder ihre Ablehnung, der einen oder anderen Auslegung usw. Bis heute ist – mangels allgemein anerkannter Standards – streng genommen jeder dieser Punkte strittig und damit hintergehbar, ist das Simile-Prinzip eine Gleichung mit Hunderten von Unbekannten auf beiden Seiten geblieben. Selbst über den Status der Homöopathie als Ganzer reichen die Positionen derzeit vom Vorschlag eines Vierstufenprogramms zur Umsetzung einer Evidenzbasierten Homöopathie bis zur Empfehlung eines selbstbewussten öffentlichen Bekenntnisses der Homöopathie (analog des Coming-out von Homosexuellen), nicht zur modernen Wissenschaft, sondern zur hermetischen Tradition der Alchemie und des Schamanismus zu gehören.[172]
Als Beispiel dafür, wie widersprüchlich selbst zentralste Hypothesen der Homöopathie ausgelegt werden, sei hier tabellarisch aufgelistet, wie und ob die einzelnen Strömungen das Ähnlichkeitsprinzip anwenden. Da das Verständnis, woran man das „ähnlichste Mittel“ erkennt, unmittelbare Auswirkungen auf die Repertorisation (die Wahl des besten Mittels) hat, bedeutet diese Widersprüchlichkeit, dass ein und derselbe Patient – je nachdem, welche homöopathische Praxis er betritt – vollkommen unterschiedliche „Simile“ verordnet bekommt. Es handelt sich also um eine Willkür des Ergebnisses und weder um die Folge einer Individualisierung noch um eine vom jeweiligen Fall abhängige Wahl des Verfahrens.
Die Tabelle ist alphabetisch sortiert.
Strömung | Verständnis des Ähnlichkeitsprinzips |
Astrologische Homöopathie | Das passende Mittel bzw. die passende Kombination mehrerer Mittel ergibt sich aus dem Horoskop des Patienten bzw. aus den zu seiner astrologischen Konstellation gehörenden Homöopathika. |
Boger | Das passende Mittel erkennt man an Symptomen, die nicht nur aktuell vorliegen, sondern im Leben des Patienten schon mehrmals eine Rolle spielten. Dieses Betrachten der Vorgeschichte bezieht im Idealfall sogar bis zu zwei Generationen in der familiären Krankengeschichte mit ein: Entscheidend sind Symptome dann, wenn sie auf diese Weise „verankert“ sind. |
Bönninghausen | Das „charakteristische Zeichen“ (nach § 153) – als „Genius“ bezeichnet – erkennt man als sich deutlich durchziehendes Merkmal. Den „Genius“ macht Bönninghausen vor allem an den Modalitäten fest, die verschiedene Prüfer in gleicher Weise, durchaus auch in verschiedenen Körperteilen beschreiben. |
C4-Homöopathie | Das vollständige Wesen der Arzneien ist nur über ein besonderes Verreibungsverfahren in Abweichung von der üblichen Herstellung von Homöopathika freisetz- und erkennbar. Das passende Mittel kann deshalb zuverlässig nur gefunden werden, wenn die nur so erschlossenen Symptome (oft Empfindungen, Assoziationen und Träume) bei der Mittelwahl berücksichtigt werden. |
Elektrohomöopathie | Wirksam nach dem Ähnlichkeitsprinzip sind nur Mittel, die nach einem an die Spagyrik angelehnten Verfahren hergestellt wurden. Eine Individualisierung ist nicht erforderlich. |
Empfindungsmethode nach Sankaran | Zum ähnlichsten Mittel führt die Vitalempfindung des Patienten: das ist die zentrale Empfindung, die diesen ganzen Menschen in seiner Wahrnehmung, in seinen Worten und Gesten, in den von ihm gewählten Metaphern und seinen Träumen prägt. |
Enneagramm-Homöopathie | Für die Wahl des Homöopathikums ist allein die Einordnung der Persönlichkeit innerhalb der nach dieser Lehre neun Persönlichkeitstypen ausschlaggebend, nicht die homöopathische Anamnese und nicht die medizinische Diagnose. Der Enneagramm-Homöopathie genügen deshalb nur neun verschiedene Homöopathika. |
Genuine Homöopathie | Nur Symptome des aktuellen Krankheitszustandes sind Grundlage der Mittelfindung; entscheidend sind § 6 Organon und §§ 153, 154. |
Gienow-Methode | Um die richtige Mittelwahl treffen zu können, braucht der Therapeut das Miasmatische Taschenbuch von Peter Gienow. Es soll dem Behandler ermöglichen, aus wenigen „miasmatisch“ relevanten Symptomen das jeweils aktive Miasma zu erkennen und das zugehörige Mittel zu wählen. |
Gruppenanalyse nach Scholten | Das passende Mittel ergibt sich aus der Lebenssituation und dem zugehörigen bestimmenden Thema sowie aus dem Periodensystem der Elemente bzw. der Taxonomie bei Mitteln pflanzlichen Ursprungs |
Homöosiniatrie | Das passende Homöopathikum – oft ein Komplexmittel – verfeinert die Stimulation eines Akupunkturpunktes und erzielt etwa kühlende oder erwärmende Effekte auf die dem Akupunkturpunkt zugeordneten Organe. Die Meridianlehre aus der Akupunktur bestimmt deshalb die Wahl des Mittels und liefert die Zusammenhänge zwischen Krankheiten, „Therapieblockaden“ oder „Störfeldern“. |
Homotoxikologie | Krankheiten entstehen allein durch mangelndes Ausleiten von Schadstoffen aus dem Körper; das passende Mittel ist deshalb möglichst ähnlich zum vermutlich auszuleitenden Schadstoff zu wählen. |
Klassische Homöopathie | Zur Mittelfindung wird die gesamte Krankheitsgeschichte des Patienten, seine Persönlichkeit und Lebenssituation – oft als „Konstitution“ bezeichnet – benötigt. Nach § 211 haben hierbei die Geistes- und Gemütssymptome das größte Gewicht, die aktuellen Lokalsymptome werden als Folge der gesamten Entwicklung gesehen und sind deswegen zur Mittelwahl nicht ausschlaggebend |
Komplexmittelhomöopathie | Homöopathische Mittel werden nicht individuell und einzeln, sondern in einheitlich gefertigten Mischungen indikationsbezogen verabreicht; bei der Zusammenstellung der Mischung werden Ähnlichkeiten in den Arzneimittelbildern berücksichtigt. Eine ausführliche homöopathische Anamnese ist hierfür unnötig. |
Miasmatische Homöopathie | Chronische Erkrankungen werden als Folge eines seit langem im Patienten vorhandenen, nicht aktuell sichtbaren oder erkennbaren „Ur-Übels“ verstanden, das bei der Wahl des Mittels zu berücksichtigen ist. |
Naturwissenschaftlich-kritische Homöopathie | Meist keine individuelle Mittelwahl, sondern nach der Krankheit des Patienten. Eine ausführliche homöopathische Anamnese, wie von Hahnemann gefordert, wird als unnötig erachtet. |
Neue Homöopathie nach Körbler | Anstelle von einzunehmenden Homöopathika kommen auf die Haut des Patienten aufgemalte Symbole zum Einsatz. Diese funktionieren jedoch nicht als „Simile“ („Ähnliches“), sondern als „Contrarium“, weil angenommen wird, dass sie in der Lage sind, die „Information“ eines Systems umzukehren. |
Predictive Homeopathy | Zu finden ist das „genetische Simillimum“ („Genetic Constitutional Similimum (GCS)“): Bei der Mittelwahl werden daher auch die Statur und Gesichtsform der Patienten, ihr Durstverhalten und ihr Charakter bewertet. |
Prozessorientierte Homöopathie | Symptome sind alle erkennbaren Anzeichen einer Auseinandersetzung eines Menschen mit einem zuerst noch unbekannten inneren Konflikt. Zu den relevanten Symptomen zählen deshalb auch Träume, Verhalten und Denken der Patienten, oft nur in speziellen Gruppenprüfungen zu bestimmen. Das Simile soll den Patienten im psychologischen Prozess unterstützen, den Auslöser seiner inneren Bereitschaft für die jeweiligen Beschwerden zu erkennen und zu überwinden. |
Psychologische Homöopathie | Charakterzüge und Gemütszustand des Patienten sind für die Mittelwahl ausschlaggebend; der Homöopath muss den seelischen „Archetyp des Patienten“, sein „Lebensthema“, erkennen. |
Quantenlogische Homöopathie | Zum Simile führt ein Symptom, wenn es eine „polare Zweiheit“ darstellt: ein Symptom oder Verhalten des Patienten, das zwischen zwei verschiedenen, unvereinbar wirkenden Extremen variiert. Derartige Symptome entstünden in logischer Folge aus nicht gelebten oder gestörten „Quantenfunktionen“. |
Quellenhomöopathie | Das Wissen um das passende Mittel trägt der Patient tief im Unterbewusstsein verankert in sich. Die Beschreibung der Symptome – egal, ob körperliche, emotionale oder geistige – ist also mehr ein Mittel zum Zweck, die Auffälligkeiten in der Beschreibung selbst herauszuhören. Zum Mittel führen nicht die Symptome selbst, sondern die Sprache, die Gesten und Assoziationen, mit denen ein Patient sich ausdrückt. |
Resonanzhomöopathie | Die Resonanzhomöopathie ist die Anwendung homöopathischer Arzneimittel nach Vorstellungen der Elektroakupunktur; das Kriterium für die Mittelwahl sind die dort angenommenen Resonanzprinzipien (also die Änderungen der Messwerte des elektrischen Potentials eines Akupunkturpunktes durch das Einsetzen eines bestimmten Stoffes) und nicht das Ähnlichkeitsprinzip. |
Revolutionierte Homöopathie nach Sehgal | Nur der aktuell beobachtbare Geist-Gemütszustand wird zur Arzneimittelwahl herangezogen; der Therapeut interpretiert hierzu nebensächlich erscheinende Äußerungen, Ausdrucksweisen und Verhalten des Patienten während der Fallaufnahme. Körperliche Symptome, beschriebene Beschwerden, ihre Lokalisation, Modalitäten und Empfindungen werden für die Wahl des Mittels auf keinen Fall berücksichtigt. |
Synergetische Homöopathie | Die Arzneimittelwahl erfolgt ausschließlich über einen kinesiologischen Muskeltest, der hier als „direkte Körperbefragung“ verstanden wird. |
Systemische Homöopathie | Die Mittelwahl erfolgt über die Familienaufstellung, die die systemische Verbindung des Patienten und seine Bedürfnisse aufzeigen soll. |
Verfahren der bewährten Indikationen | Die Mittelwahl erfolgt ohne ausführliche Anamnese auf der Basis der medizinischen Diagnose und wenigen homöopathischen Leitsymptomen. Hierzu wird das Ähnlichkeitsprinzip organotrop ausgelegt, das „Eigenartige und Charakteristische“ fände sich hiernach also allein in den aktuellen Lokalsymptomen. |
Die Ursachen für diesen Zerfall liegen aus wissenschaftlicher Sicht …
- in dem bereits in sich widersprüchlichen Gesamtwerk Hahnemanns.
- in der nicht wissenschaftlichen Vorgehensweise der Homöopathen, die es verhindert, dass nicht haltbare Aussagen aus dem Verfahren ausgemustert werden. Dies führt dazu, dass immer nur weitere Denkweisen dem Gesamtgebäude hinzugefügt, nie aber widerlegte aussortiert werden.
- im Placebocharakter der Mittel, weswegen es keine objektiv „richtige“ Anwendungsweise gibt: Von Therapeut und Patient wird vielmehr subjektiv das als richtig empfunden, was in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Besserungen beobachtet wurde (Skinner-Tauben-Effekt,[173] Stichwort: „Illusion der Kontrolle)“.[174][B 38][175][B 39]
- in der Vermischung der Homöopathie mit anderen, meist ebenfalls nicht wissenschaftlich anerkennbaren Verfahren oder esoterischen Vorstellungen, abhängig jeweils von den spirituellen Neigungen der jeweiligen Erfinder.
Der Zerfall der Homöopathie in einander widersprechende und dennoch gleichzeitig und parallel angewandte Einzelströmungen ist erkenntnistheoretisch ähnlich zu verstehen wie der Zerfall der Astrologie in einzelne „Schulen“. Hier wie dort hat man es nicht mit der Weiterentwicklung einer wissenschaftlichen Disziplin zu tun, weil weder als fehlerhaft erkannte Aussagen ausgemustert noch neue in das Gedankengebäude aufgrund gesicherter und reproduzierbarer Daten aufgenommen werden. Es werden lediglich die vorhandenen Handlungsrituale mit anderen Glaubensüberzeugungen vermischt und dann so stehengelassen, wie der jeweilige Autor sie als zweckdienlich empfunden hat. Hier wie dort[176][B 40] zeigt die Beliebigkeit der praktizierten Vorgehensweisen, dass der Lehre kein echtes Naturphänomen zugrunde liegt.
Die Aufspaltung stellt in der Praxis auch eine willkommene Immunisierung gegen Kritik von außen dar. Wo nicht mehr gesagt werden kann, was eigentlich für die Homöopathie wichtig ist (die Diskrepanzen betreffen schließlich zentrale homöopathische Themen wie Ähnlichkeitsprinzip, Potenzierung und Repertorisation), wo also uneindeutig wird, was die homöopathische Lehre eigentlich ausmacht, kann bei Kritik von außen immer einfach entgegnet werden, dass die Kritik an der „wahren Lehre“ vorbeigehe. Das Gebilde „Homöopathie“ wird (wiederum wie die Astrologie) nicht falsifizierbar, weil es keine durchgehend von allen Homöopathen als notwendig akzeptierte Grundlage gibt.
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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