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Klassische Homöopathie
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Die von Pierre Schmidt beschriebene typische Abfolge, in der Kent von hohen zu immer höheren Potenzen wechselte, wenn er keine Effekte mehr beim Patienten sah, ist heute als [[Artikel:Potenzen#C-Potenzen|''Kent’sche Reihe'']] oder ''Kent’sche Skala'' bekannt. Danach werden die Potenzen beginnend mit der C30 immer weiter gesteigert, von der C200 zur C1.000, C10.000, C100.000 und bis zur zuletzt eingeführten C1.000.000.<ref name="Bleul_Kent"></ref> | Die von Pierre Schmidt beschriebene typische Abfolge, in der Kent von hohen zu immer höheren Potenzen wechselte, wenn er keine Effekte mehr beim Patienten sah, ist heute als [[Artikel:Potenzen#C-Potenzen|''Kent’sche Reihe'']] oder ''Kent’sche Skala'' bekannt. Danach werden die Potenzen beginnend mit der C30 immer weiter gesteigert, von der C200 zur C1.000, C10.000, C100.000 und bis zur zuletzt eingeführten C1.000.000.<ref name="Bleul_Kent"></ref> |
Version vom 20. Februar 2018, 16:16 Uhr
Die Homöopathie besteht längst nicht mehr aus einem einzigen einheitlichen therapeutischen Ansatz, der von allen Homöopathen gleichermaßen verwendet wird. Heute existieren zahlreiche Formen der Homöopathie nebeneinander.[1] Eine allgemeine Richtlinie oder Empfehlungen, welches Grundkonzept der Homöopathie angewendet werden soll, gibt es nicht. Verschiedene Therapeuten vertreten hier teils diametral entgegengesetzte Standpunkte. Einem homöopathisch behandelten Patienten kann deshalb immer passieren, dass ihm ein anderer homöopathisch arbeitender Therapeut sagt, das bisher angewendete Verfahren sei gar keine „echte Homöopathie“ gewesen.
Die klassische Homöopathie[B 1] gehört zu diesen Varianten der Homöopathie und hier wiederum zu denjenigen Strömungen, die sich als direkte Umsetzung der Anweisungen Hahnemanns verstehen.
Inhaltsverzeichnis
Überblick und Historisches
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts breitete sich die Homöopathie recht erfolgreich auch im angloamerikanischen Raum aus. Von dort stammt auch die Bezeichnung „klassisch“ – „classical homoeopaths“.[2] Zum einen lag aber den amerikanischen Homöopathen nur die 5. Auflage des Organons vor – Hahnemanns letzte Ausgabe mit den Q-Potenzen erschien erst lange nach seinem Tod. Zum anderen deuteten einige von ihnen bestimmte Passagen und Paragraphen anders als die heute als „genuine Homöopathie“ bekannte Hahnemannsche Schule. Allein hieraus ergeben sich große Widersprüche zwischen diesen beiden Varianten, obwohl sich beide als unmittelbar nach Hahnemann arbeitend bezeichnen.
Besonders großen Einfluss auf die „klassische“ Homöopathie hatte James Tyler Kent, der mit seinen Schriften, vor allem den Lectures on Homeopathic Philosophy und seinem Repertorium auch die Grundlagenwerke der klassischen Homöopathie schrieb. Das 1897 veröffentlichte Repertorium von Kent wird noch heute oft bei der Arzneimittelwahl in der klassischen homöopathischen Praxis benutzt.[3][B 2] Zur Verbreitung der Methode trug vor allem Pierre Schmidt bei, der sie einige Jahre nach Kents Tod aus den USA nach Europa mitbrachte. Daneben praktizierten sie auch einige andere bekannte Homöopathen wie Adolf Voegeli, Rudolf Flury-Lemberg oder Jost Künzli von Fimmelsberg. Heute ist die Methode nach Kent unter allen existierenden Strömungen der Homöopathie auf der ganzen Welt die am meisten Verbreitete.[3] Im Zuge dieser häufigen Anwendung in der Praxis haben sich auch innerhalb der klassischen Homöopathie schon unterschiedliche Strömungen und Deutungen entwickelt.[4] Dieser Artikel bleibt deshalb auf die zentralen Punkte beschränkt.
Die klassische Homöopathie wird von ihren Anwendern als ein allgemein für alle Krankheiten geeignetes Verfahren angesehen und nicht als auf bestimmte Indikationen oder Erkrankungen der Patienten beschränkt.[3]
Kernaussagen
Die wesentlichen Merkmale der klassischen Homöopathie sind
- die Einbeziehung der gesamten Krankheitsgeschichte des Patienten und seiner Persönlichkeit in die Mittelwahl: Die klassische Homöopathie ist eine „Konstitutions“-Homöopathie
- die Behandlung mit Einzelmitteln in hohen und höchsten Potenzen
- die klare Hierarchisierung der Symptome
- die Vorgaben der Verlaufsbeurteilungen
Die Anamnese erfasst möglichst vollständig alle aktuellen Symptome und Empfindungen des Patienten. Ausgangspunkt der Anamnese sind die in §§ 153 und 154 beschriebenen charakteristischen Symptome des Patienten:
Bei dieser Aufsuchung eines homöopathisch specifischen Heilmittels, das ist, bei dieser Gegeneinanderhaltung des Zeichen-Inbegriffs der natürlichen Krankheit gegen die Symptomenreihen der vorhandenen Arzneien um unter diesen eine, dem zu heilenden Uebel in Aehnlichkeit entsprechende Kunstkrankheits-Potenz zu finden, sind die auffallenden, sonderlichen, ungewöhnlichen und eigenheitlichen (charakteristischen) Zeichen und Symptome des Krankheitsfalles, besonders und fast einzig fest in’s Auge zu fassen…[5]
In Anlehnung an § 211 des Organons spricht die klassische Homöopathie aber den Geistes- und Gemütssymptomen bei der Wahl des passendsten Arzneimittels die größte Bedeutung zu:
Dieß geht so weit, daß bei homöopathischer Wahl eines Heilmittels, der Gemüthszustand des Kranken oft am meisten den Ausschlag gibt, als Zeichen von bestimmter Eigenheit, welches dem genau beobachtenden Arzte unter allen am wenigsten verborgen bleiben kann.[6]
Bei Kent erfolgt eine klare Hierarchisierung aller erhobenen Symptome, bei der den Gemütssymptomen in der Wichtung für die Arzneiwahl zunächst die Allgemeinsymptome (also solche, die den ganzen Körper und nicht nur einzelne Organe betreffen) und zuletzt die Lokalsymptome (alle lokalen Veränderungen am Körper, die man tasten oder sehen kann) nachgestellt werden. Sichtbare Veränderungen am Körper wie zum Beispiel Entzündungen oder Ausschläge werden in der klassischen Homöopathie als Endresultat eines gestörten Ablaufes gesehen, so dass sie für die homöopathische Mittelwahl den geringsten Wert haben.[3]
In der Fallanalyse der klassischen Homöopathie wird die gesamte Krankengeschichte des Patienten, seine Persönlichkeit, sein Wesen, vergangene Ereignisse und sein Lebensumfeld betrachtet. Gesucht wird das eine Mittel, das zur gesamten Konstitution des Patienten passt. Im Bild der klassischen Homöopathie ist es diese Konstitution, die zu den aktuellen Beschwerden führt und die deshalb mit dem passend zum Patienten (und nicht allein den aktuellen Symptomen) gewählten Konstitutionsmittel zu behandeln ist.[2]
In Bezug auf die Konstitutionsmittel gibt es innerhalb der klassischen Homöopathie verschiedene Unterströmungen, die sich ihrerseits wiederum widersprechen. So schreibt zwar Kent, dass es keine starren „Konstitutionstypen“ gäbe. Bei ihm ist das Konstitutionsmittel aus der Kombination allgemeiner Eigenschaften des Patienten und seinen charakteristischen Symptomen zu bestimmen.[7] Andere Homöopathen gehen von festen, von Geburt an angelegten Konstitutionstypen aus. Meist werden zwölf Grundtypen genannt, die nach den zugeordneten homöopathischen Arzneien benannt sind. So gibt es beispielsweise „Pulsatilla-Menschen“ oder den „Sulphur-Typ“. Hier geht man davon aus, dass ein Patient im Falle einer Erkrankung immer auf „sein“ Konstitutionsmittel reagieren wird – und das ganz unabhängig von der gerade aktuellen Symptomatik.[8][B 3]
In beiden Untervarianten ist diese Ausweitung der Anamnese über die aktuellen Krankheitssymptome hinaus auf den Charakter und die gesamte Biographie des Patienten in der klassischen Homöopathie aber ein wesentlicher Unterschied zur genuinen Homöopathie.[4]
Chronische Krankheiten
Nach Kent existieren in Anlehnung an die Hering'sche Regel zwölf unterschiedliche Verlaufsbeschreibungen, für die Kent jeweils genaue Anweisungen gibt, wie der behandelnde Homöopath auf die Veränderungen reagieren sollte, also ob die Mittelgabe in derselben oder einer anderen Potenz wiederholt werden sollte.[3]
Verlauf | Von Kent empfohlene weitere Behandlung |
Lange Verschlimmerung bis zum Tod | Wahl niedriger Potenzen; ggf. Antidotieren, falls der Homöopath befürchtet, ein falsches Mittel oder eine zu hohe Potenz eingesetzt zu haben |
Lange Verschlimmerung, erst danach Besserung | Abwarten. Falls nach der Besserung eine neue Verschlimmerung eintritt: Wiederholung des Mittels in niedrigerer Potenz |
Kurze deutliche Verschlimmerung, dann dauerhafte Besserung | Abwarten. Falls ähnliche Symptome zurückkehren: Wiederholung des Mittels in derselben Potenz; bei anderen Symptomen neue Mittelwahl |
Besserung ohne Erstverschlimmerung | Idealfall. Falls ähnliche Symptome zurückkehren: Wiederholung des Mittels in derselben Potenz |
Besserung, danach aber Verschlechterung | Entweder Wiederholung des Mittels in derselben Potenz oder neue Mittelwahl, wenn der Verdacht besteht, das Mittel sei falsch gewählt worden |
Sehr kurz anhaltende Besserung | Prüfen, ob das Mittel gestört wurde (Kaffee, Konflikte, etc.); danach Wiederholung des Mittels in derselben oder einer höheren Potenz |
Besserung nur einzelner Symptome, weiterhin schlechter Allgemeinzustand | Verdacht, dass das Mittel falsch gewählt war. Deswegen neue Mittelwahl, es sei denn, dem Patienten fehlen wichtige Organe; dann Wiederholung desselben Mittels |
Patient reagiert mit Prüfsymptomen | Nur mittlere Potenzen; Globuli in Wasser auflösen und auf diese Weise weiter verdünnen |
Arzneimittelprüfung beim Gesunden | Sonderfall |
Auftreten neuer Symptome | Traten die neuen Symptome noch nie beim Patienten auf, war das Mittel falsch gewählt, deswegen neue Mittelwahl. Sind es nur ältere Symptome: Abwarten (siehe nächster Verlauf) |
Auftreten alter Symptome | Heilungsverlauf nach der Hering'schen Regel; abwarten oder das Mittel in derselben Potenz wiederholen |
Rückkehr von Symptomen innen oder höher liegender Organe | Verlauf widerspricht der Hering'schen Regel, deswegen war das Mittel falsch gewählt. Neue Mittelwahl |
Ein Wechsel zu einem anderen Homöopathikum kommt nur dann in Frage, wenn der Homöopath den Eindruck hat, nicht das richtige Konstitutionsmittel des Patienten gefunden zu haben. Es ist also nicht (wie bei der genuinen Homöopathie) die veränderte Symptomatik, die ein neues Simile erforderlich macht, sondern der Homöopath wechselt das Mittel, weil der Verlauf der Beschwerden bei ihm den Eindruck entstehen ließ, es sei von vornherein das falsche Mittel verabreicht worden. So lange der klassisch arbeitende Homöopath den Eindruck hat, das richtige Konstitutionsmittel des Patienten gefunden zu haben, wird nicht das Mittel gewechselt, sondern die Potenz, auch dann, wenn sich im Laufe nicht selten mehrmonatiger Behandlungen die Symptome verändern.[3]
Eingesetzte Potenzen
Die Behandlung des Patienten erfolgt in der klassischen Homöopathie immer mit einem Einzelmittel, gerade bei chronischen Beschwerden mit dem Konstitutionsmittel des Patienten. Charakteristisch für die klassische Homöopathie ist die seltene Gabe sehr hoher bis ultrahoher Potenzen, allesamt jenseits der Avogadrogrenze.
Die von Pierre Schmidt beschriebene typische Abfolge, in der Kent von hohen zu immer höheren Potenzen wechselte, wenn er keine Effekte mehr beim Patienten sah, ist heute als Kent’sche Reihe oder Kent’sche Skala bekannt. Danach werden die Potenzen beginnend mit der C30 immer weiter gesteigert, von der C200 zur C1.000, C10.000, C100.000 und bis zur zuletzt eingeführten C1.000.000.[3]
Niedrigere Potenzen werden nur vereinzelt bei akuten Verläufen eingesetzt. Q-Potenzen kennt die Kent'sche Schule nicht, da die sechste Auflage des Organons, in der diese Potenzreihe beschrieben ist, erst nach Kents Tod Verbreitung fand.[3] Bis heute spielen sie bei den Nachfolgern Kents eine geringe Rolle.
Zusammenfassender Vergleich mit der genuinen Homöopathie
Genuine Homöopathie und klassische Homöopathie unterscheiden sich an neuralgischen Punkten diametral, obwohl sich beide Strömungen auf Hahnemann berufen.
- Beide Methoden bewerten völlig unterschiedlich, was für die Arzneimittelwahl entscheidend ist (sich durchziehende Symptomelemente vs. Gemütssymptome).
- Beide Methoden ermitteln in der Fallanalyse komplett verschieden das Charakteristische des Symptombildes (die aktuellen Krankheitssymptome vs. die gesamte Krankengeschichte des Patienten).
- Beide Methoden werten die Bedeutung der augenscheinlichen aktuellen körperlichen Symptome für die Mittelwahl deutlich unterschiedlich (als „einzig denkbare Gestalt der Krankheit“[9] vs. Endresultat der gesamten Krankheitsgeschichte und ihrer zugrunde liegenden „Urübel“).
- Die Persönlichkeit des Patienten spielt in beiden Verfahren eine gänzlich unterschiedliche Rolle.
- Die klassische Homöopathie arbeitet mit Repertorien, oft mit dem Kent'schen Repertorium oder einem daran angelehnten neueren Werk. Da die genuine Homöopathie nur Symptome aus Arzneimittelprüfungen zur Anwendung des Ähnlichkeitsprinzips heranzieht, hält diese ein Repertorium als alleinige Grundlage der Mittelwahl für ungeeignet, weil darin auch Symptome aus klinischen Verläufen gelistet sind.
- Die genuine Homöopathie wechselt bei der Behandlung chronischer Krankheiten bei einer Veränderung der Symptomatik das Mittel im Zuge einer neuen Anamnese. Die klassische Homöopathie wechselt die Potenz des Konstitutionsmittels.
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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