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Atemwegserkrankungen und Ohrenschmerzen - Studie von Haidvogl et al.
Die Studie von Max Haidvogl et al.[1] vergleicht konventionelle hausärztliche Therapien mit homöopathischen Therapien bei akuten Atemwegs- und Ohrbeschwerden. Die Studie wurde zwischen 1998 und 2000 durchgeführt. Sie wurde bei BioMed Central Ltd.[B 1] am 19.09.2006 eingereicht, am 02.03.2007 akzeptiert und veröffentlicht. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, homöopathische Therapien seien nicht schlechter als konventionelle hausärztliche Therapien. Insbesondere seien homöopathische Behandlungen geeignet, den Einsatz von Antibiotika zu senken.
Inhaltsverzeichnis
Rezeption durch die Homöopathie
Der Verband klassischer Homöopathen Deutschlands e. V. (VKHD) kritisiert einen zu häufigen Einsatz von Antibiotika, der zu einer angespannten Resistenzlage führe. Um den Antibiotikaverbrauch zu senken, empfiehlt der VKHD, anstelle von Antibiotika Homöopathika zu verwenden.[2] Auf Nachfrage[3] beruft sich der VKHD unter anderem auf die Studie von Haidvogl, die angeblich zeigen soll, dass Homöopathika und Antibiotika gleichwertig sind.
Es ist korrekt, den hohen Verbrauch von Antibiotika kritisch zu sehen. Auch die wissenschaftliche Medizin steht einem ungezielten Einsatz von Antibiotika ablehnend gegenüber und bietet Fortbildungsveranstaltungen an, die Ärzten den angemessenen Umgang mit Antibiotika nahebringen sollen. Im Gegensatz zum VKHD sieht die wissenschaftliche Medizin jedoch in der homöopathischen Therapie keine Option zur Senkung des Antibiotikaverbrauchs.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Studie von Haidvogl nicht geeignet ist, die Behauptung der Gleichwertigkeit von Homöopathika und Antibiotika zu stützen.
Methode
Die Studie ist als internationale multizentrische vergleichende Kohorten-Studie[4] angelegt. 1577 Patienten wurden von 57 Ärzten der Primärversorgung („Hausärzten“) in acht Ländern rekrutiert (Österreich: acht teilnehmende Ärzte, Deutschland: acht teilnehmende Ärzte, Niederlande: sieben teilnehmende Ärzte, Russland: sechs teilnehmende Ärzte, Spanien: sechs teilnehmende Ärzte, Ukraine: vier teilnehmende Ärzte, United Kingdom: zehn teilnehmende Ärzte, USA: acht teilnehmende Ärzte). Die Patienten wurden darüber informiert, dass sie an einer Studie teilnehmen und mussten ihre Einwilligung dazu erklären.
Die Studie vergleicht homöopathisch behandelte Patienten mit konventionell behandelten Patienten bei akuten Atemwegserkrankungen und Ohrenschmerzen.[B 2] Patienten, die die Einschlusskriterien erfüllten, wurden zum Zeitpunkt des Einschlusses in die Studie (Startpunkt) anhand eines „Scores“ beobachtet sowie 14 Tage (für den primären Endpunkt) als auch sieben Tage und 28 Tage (für sekundäre Endpunkte) nach dem Startpunkt. Die Ergebnisse 14 Tage, sieben Tage und 28 Tage nach Beginn der Beobachtung (es handelt sich um eine „Beobachtungsstudie“ oder „Kohortenstudie“) wurden nicht anhand eines Scores ermittelt, sondern es wurde die Selbsteinschätzung der Patienten abgefragt.
Es gibt drei Studienarme: Einen homöopathischen Arm, einen konventionellen Arm und einen „Misch-Arm“.
Die Patienten – Erwachsene und Kinder (bzw. deren Eltern) – wurden nach den von ihnen bevorzugten Behandlungsarten befragt:
- Homöopathie-Arm: 81 % der Patienten bevorzugen Homöopathie, 18 % keine Präferenzen.
- Konventioneller-Arm: 55 % der Patienten bevorzugen konventionelle Medizin, 2 % Homöopathie, 43 % haben keine Präferenzen.
- Patienten im Misch-Arm wurden außerdem gefragt, ob sie einer zufälligen Zuteilung in den „Verum-Arm“ oder in den „Kontroll-Arm“ zustimmen: 68,1 % der Patienten wollten dies nicht.
Einschlusskriterium war mindestens eines von fünf Hauptsymptomen, die nicht länger als sieben Tage bestehen durften:
- Laufende Nase
- Rauer Hals
- Ohrenschmerzen
- Schmerz in den Nebenhöhlen
- Husten[B 3]
Jedes dieser Hauptsymptome umfasste fünf bis neun individuelle Symptome, die vom Therapeuten mit einem Symptom-Score beziffert wurden: Von 0 = „nicht vorhanden“ bis 4 = „sehr heftig“.
Um welche individuellen Symptome es sich dabei handelt, wird nicht mitgeteilt. Die Punkte wurden zu einem Gesamt-Score zusammengefasst, der die Schwere der Erkrankung beschreibt und als Ausgangspunkt („Baseline“) dient.
Für die homöopathische Therapie wurden zehn verschiedene Homöopathika verwendet. Die Behandlung der Erwachsenen erfolgte mit folgenden Homöopathika (in absteigender Häufigkeit):
- Hepar sulphuris
- Belladonna
- Bryonia alba
- Lycopodium clavatum
- Kalium bichromicum
- Mercurius solubilis
- Allium cepa
- Phosphorus
- Causticum
- Gelsemium sempervirens
Die Kinder wurden mit folgenden Homöopathika behandelt (in absteigender Häufigkeit):
- Belladonna
- Pulsatilla
- Hepar sulphuris
- Mercurius solubilis
- Phosphorus
- Bryonia alba
- Calcarea carbonica
- Lycopodium clavatum
- Sulphur
- Phytolacca decandra
Für die konventionelle Therapie wurden fünf verschiedene Behandlungsformen gewählt.
Behandlungsform | Kinder | Erwachsene |
Antibakteriell wirkende Medikamente („Antibacterials“) | 28,8 % | 39,4 % |
Lokaltherapeutika für die Nase | 22,6 % | 15,2 % |
Analgetika | 12,7 % | 9,5 % |
Lokaltherapeutika für Mund- und Rachenschleimhaut | 8,7 % | 5,2 % |
Anti-Asthma-Mittel | 5,6 % | ---- |
Husten-/Erkältungsmittel | ---- | 8,7 % |
Es fällt auf, dass die Studie den allgemeinen Ausdruck „Antibacterials“ verwendet und nicht explicit von „Antibiotics“ spricht. Diese Wortwahl erlaubt keine Rückschlüsse darüber, ob außer Antibiotika noch andere antibakteriell wirkende Medikamente (zum Beispiel Schleimhaut-Desinfektionsmittel) verwendet wurden. Sollte das der Fall sein, kann es Überschneidungen geben mit der Gruppe der „Lokaltherapeutika für Mund- und Rachenschleimhaut“, die oftmals Schleimhautdesinfektionsmittel enthalten.
Ergebnis der Studie
Primärer Endpunkt der Studie ist die Response nach 14 Tagen, aber auch nach sieben Tagen und nach 28 Tagen. Unter „Response“ verstehen die Autoren das prozentuale Verhältnis derjenigen Patienten, die sich selbst als „vollkommen geheilt“ („completely recovered“) einschätzen, zu denjenigen Patienten, die sich selbst als „nahezu geheilt“ („major improved“) einschätzen.
Folgende Ergebnisse wurden erzielt:
Kinder | Homöopathische Therapie | Konventionelle Therapie |
Nach 7 Tagen | 68,8 % | 64,3 % |
Nach 14 Tagen | 88,5 % | 84,5 % |
Nach 28 Tagen | 93,1 % | 92,5 % |
Erwachsene | Homöopathische Therapie | Konventionelle Therapie |
Nach 7 Tagen | 71,2 % | 68,8 % |
Nach 14 Tagen | 85,6 % | 86,6 % |
Nach 28 Tagen | 93,9 % | 95,9 % |
Die Zusammenfassung der Autoren lautet:
Das primäre Auswertekriterium (der Therapieerfolg nach 14 Tagen) war bei Kindern nach homöopathischer und nach konventioneller Behandlung nicht unterschiedlich. Auch bei Erwachsenen zeigte sich kein signifikanter Unterschied der Response-Rate.[B 4]
Die Autoren haben weiter die Therapieerfolge in den ersten sieben Tagen nach einzelnen Behandlungstagen aufgeschlüsselt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass in den ersten sieben Behandlungstagen bei täglicher Kontrolle der Therapieerfolg bei homöopathischer Behandlung signifikant höher war als in der konventionellen Gruppe.
Kritik
Untersucht werden Patienten mit ähnlichen Symptomen, die einem von fünf Symptomen bei Atemwegserkrankungen ähnlich sind. Die diese Symptome verursachenden Krankheiten (Diagnosen) können vollkommen unterschiedlich sein, die tatsächlichen Diagnosen werden in der Veröffentlichung jedoch nicht mitgeteilt.
Zu allen in der Studie genannten und untersuchten Symptomen gibt es eine Vielzahl von Diagnosen, die jede für sich eine andere Therapie erfordert:
Symptome | Beispiele möglicher Diagnosen |
„Laufende Nase“ |
|
„Rauer Hals“ | |
„Ohrschmerz“ | |
„Schmerz der Nasennebenhöhlen“ | |
„Husten“ |
Die Gruppe der eingeschlossenen Erkrankungen ist ganz offensichtlich sehr inhomogen.
Ebenso ist die konventionelle Therapie bei den in der Studie genannten Symptomen keineswegs eine „definierte“ Standardtherapie. Die verwendeten Medikamente werden in der Studie nicht genannt, lediglich die Gruppen von Therapeutika. Jeder Therapeut hat die Freiheit, die Medikamente einzusetzen, die er bevorzugt. Bei diesem Studiendesign muss man davon ausgehen, dass Patienten unterschiedlicher Therapeuten mit unterschiedlichen Medikamenten behandelt worden sind, obwohl sie zur gleichen Gruppe gehören.
Für die Therapie wurden sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen am häufigsten antibakteriell wirkende Medikamente angesetzt. Ob es sich bei diesen Medikamenten um Antibiotika im engeren Sinne gehandelt hat, wird nicht mitgeteilt. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den vergleichend behandelten Krankheiten überwiegend um Virusinfekte gehandelt hat. Antibakteriell wirkende Medikamente sind jedoch nur gegen Bakterien, nicht aber gegen Viren wirksam. Antibakteriell wirkende Medikamente haben bei Virusinfekten keine spezifische pharmakologische Wirkung. Im Hinblick auf Virusinfekte sind „Antibacterials“ reine Placebomedikamente.[7][16] Welche antibakteriell wirkenden Medikamente verabreicht wurden, wird nicht mitgeteilt.
Für die Linderung der Schmerzen oder zur Abschwellung von Schleimhäuten – es sei auf die Einschlusskriterien verwiesen – sind Analgetika (symptomatisch wirkende Schmerzmittel ohne Wirkung auf die Erkrankung selbst) und Nasensprays am wirksamsten; diese wurden bei Kindern aber nur in gut einem Drittel der konventionellen Behandlungen eingesetzt, bei Erwachsenen in weniger als einem Viertel der Fälle.
Aber auch im Bereich der Analgetika und Nasensprays gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Präparaten mit unterschiedlicher Wirkart und -stärke.
- Analgetika: Zu dieser großen Gruppe gehören Acetylslicylsäure (ASS, bekanntester Handelsname: Aspirin) und Paracetamol als eher wirkschwache Medikamente, Novaminsulfon und nicht-steroidale Antirheumatika im mittleren Wirkbereich bis hin zu Opiaten als sehr wirkstarke Medikamente.
- Zur Gruppe der Nasensprays gehören Salzlösungen als wirkschwache Medikamente, lokale Vasokonstriktoren wie „Xylometazolin“ und Verwandte, lokale Antihistaminika sowie Atropinabkömmlinge („Ipratropium“)[17] im mittleren Wirkbereich bis hin zu lokalen Steroiden diverser Wirkstärken.
Ähnliches gilt für die Behandlung von Husten: Das Medikamentenspektrum reicht von pflanzlichen Mucolytika (schleimlösende Präparate) über synthetische Mucolytika bis hin zu Hustenstillern und Hustenblockern auf Opiatbasis.[18]
In der Studie wird für den Kontrollarm „konventionelle Therapie“ keine einheitliche Standardtherapie angegeben, sondern lediglich eine vage und diffuse Nennung einiger Medikamentengruppen, die mehr oder weniger zur Therapie der in der Studie genannten Symptome geeignet sind. Jeder Therapeut hat die Freiheit, Medikamente seiner Wahl einzusetzen. Eine Vergleichbarkeit ist nicht gegeben.
Korrekt im Sinne der Fragestellung der Studie ist, dass nicht die Verkürzung der Erkrankung zum Endpunkt gewählt wurde, sondern die Linderung der Beschwerden. Zur Erläuterung: In der Studie wollte man offenbar „harmlose Erkältungskrankheiten“ untersuchen. Die Zusammenstellung der fünf Hauptsymptome legt diesen Schluss nahe. Dass möglicherweise auch andere, gravierendere Erkrankungen mit in die Studie eingeschlossen wurden, kann man der (unvollständigen) Liste der möglichen Diagnosen entnehmen, die ähnliche Symptome zeigen wie harmlose Erkältungskrankheiten. Der Einschluss dieser Erkrankungen wird durch die Auswahl der Symptome bewusst (oder unbewusst) in Kauf genommen.
Harmlose Erkältungskrankheiten lassen sich medikamentös nicht verkürzen, jedenfalls nicht zu gesundheitspolitisch akzeptablen Kosten. Bei einem Vergleich der Erkrankungsdauer würden die Ergebnisse beider Studienarme gleich ausfallen, wenn tatsächlich nur harmlose Erkältungskrankheiten in die Studie eingeschlossen wären. Sobald schwerer wiegende Erkrankungen eingeschlossen wären, was durchaus wahrscheinlich ist, wenn man nur Symptome, nicht aber Diagnosen berücksichtigt, würden die Ergebnisse ungünstig für die Homöopathie ausfallen, da bei einigen schwerwiegenden Diagnosen eine kausale konventionelle Therapie möglich ist.
Viel schwerer wiegend ist aber die fehlende Randomisierung einzuschätzen, die von den Autoren selbst mitgeteilt wurde:
IIPCOS-2 ist eine internationale, multizentrische vergleichende Kohorten-Studie mit nicht-randomisiertem Design... [B 5]
Die Randomisierung – die zufällige Zuteilung der Patienten zum „Verum-Arm“ oder zum „Kontroll-Arm“ – ist aber eine essenzielle Bedingung, um echte Erkenntnis gewinnen zu können. Ohne diese Bedingung können Scheineffekte (Scheinerfolge) auftreten: Die Wirksamkeit der getesteten Substanzen wird deutlich überschätzt.[19]
Was die Autoren jedoch nicht expressis verbis, sondern nur indirekt mitteilen, ist die Tatsache, dass zusätzlich zur fehlenden Randomisierung nicht einmal eine einfache Verblindung vorgelegen hat. Die Behandler waren entweder homöopathisch oder konventionell orientiert. Die Patienten wurden befragt, welche Präferenzen sie haben. Homöopathisch orientierte Patienten haben überwiegend diejenigen Behandler aufgesucht, von denen sie wussten, dass sie bei ihnen homöopathisch behandelt werden (81 %) und konventionell orientierte Patienten haben überwiegend diejenigen Behandler aufgesucht, von denen sie wussten, dass sie bei ihnen konventionell behandelt werden (55 %). Patienten, die ihren Behandler nach ihren eigenen Präferenzen auswählen, können kein Interesse daran haben, für eine Studie randomisiert zu werden: 68,1 % der Patienten hat eine Randomisierung verweigert. Die Studie gilt als „nicht randomisiert“ (siehe oben).
Die Autoren schreiben dazu in der Diskussion:
Die Haupteinschränkung der vorliegenden Studie besteht darin, dass die Patienten nicht zufällig ihrer Behandlungsgruppe zugeordnet wurden. Die Mehrzahl der Patienten in der homöopathischen Gruppe hatte eine starke Präferenz für diese Behandlung und war deshalb nicht bereit, randomisiert zu werden. Eine ähnliche Abneigung gegenüber der Randomisierung wurde an anderer Stelle auch von Patienten, die anthroposophische Therapie bevorzugten, berichtet. Diese Ergebnisse offenbaren eine erhebliche Einschränkung der Eignung der Durchführung großer randomisierter kontrollierter Studien zur Wirksamkeit der Homöopathie in der Primärversorgung.[B 6]
In ihrer Schlussfolgerung schreiben die Autoren:
Diese vergleichende Kohortenstudie, in der mehr als 1500 Patienten in der Primärversorgung aus mindestens sechs verschiedenen europäischen Ländern beteiligt waren, zeigt, dass die homöopathische Behandlung von akuten Atemwegsinfekten und Ohrenschmerzen der herkömmlichen Behandlung nicht unterlegen war. Dennoch können daraus keine sicheren Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung gezogen werden... (Hervorhebung durch Homöopedia)[B 7]
Die Autoren selbst sehen also die Aussagekraft ihrer Studie als „limitiert“ an – und sie wissen auch genau, warum.
Medizinische Einschätzung der Studienergebnisse und ihrer Aussagekraft
Die Studie untersucht Patienten mit Symptomen, die überwiegend im Zusammenhang mit Bagatellerkrankungen auftreten, aber durchaus auch bei ernsthaften Erkrankungen. Es erfolgt lediglich eine Differenzierung nach Symptomen, nicht nach Diagnosen. Im „Verum-Arm“ werden die Patienten mit zehn unterschiedlichen Homöopathika behandelt, die durch Behandler mit Kenntnissen in der Homöopathie ausgewählt werden. Im „Kontroll-Arm“ werden die Patienten durch Ärzte der Primärversorgung behandelt. Zum Einsatz kommen fünf Gruppen symptomatisch wirkender Medikamente. Ein Vergleich der Behandlungen im „Kontroll-Arm“ ist nicht möglich: Medikamente werden nicht vorgegeben. Der Medikamenteneinsatz liegt im Ermessen des Behandlers. Die „Antibacterials“, die im „Kontroll-Arm“ zur Anwendung kommen, haben jedoch lediglich bei bakteriellen Infekten eine kausale Wirkung. Bei den in der Studie untersuchten Bagatellerkrankungen ist von einer Virusgenese auszugehen; Antibiotika können bei Virusinfekten lediglich als Placebo wirken, nicht jedoch kausal.
Für das Einschlusskriterium wird ein Punktescore berechnet, der die unterschiedlichen Schweregrade der fünf Hauptsymptome, unterteilt nach fünf bis neun Untersymptomen, berücksichtigt. Als primärer Endpunkt der Studie wird jedoch keineswegs der gleiche Punktescore verwendet, sondern es wird die Selbsteinschätzung der Patienten abgefragt. Diese Selbsteinschätzung – sie wird nicht durch objektive Befunde erhärtet – ist in hohem Maße unzuverlässig, insbesondere wenn die Patienten ihren Vorlieben gemäß behandelt wurden und darüber informiert waren, ob sie dem „Verum-Arm“ oder dem „Kontroll-Arm“ zugeteilt waren.
Die Bagatellerkrankungen, die durch die Auswahl der fünf Hauptsymptome definiert sind, sind allesamt selbst-limitierend (sie heilen spontan aus). Der primäre Endpunkt der Studie, die Selbsteinschätzung der Patienten 14 Tage nach Erkrankungsbeginn, fällt mit der zu erwartenden spontanen Ausheilung zusammen. Unterschiede zwischen der Verumgruppe und der Kontrollgruppe sind dann nicht zu erwarten und in der Studie auch nicht aufgetreten. Gleiches gilt für die Selbsteinschätzung 28 Tage nach Erkrankungsbeginn. Lediglich bis zu sieben Tagen nach Erkrankungsbeginn ist bei einem Teil der Patienten noch mit relevanten Beschwerden zu rechnen. Der prozentuale Anteil der Patienten, die sich selbst als „völlig ausgeheilt“ bezeichnen, ist sieben Tage nach Erkrankungsbeginn in beiden Gruppen niedriger als 14 Tage nach Erkrankungsbeginn.
Für den sekundären Endpunkt „Selbsteinschätzung sieben Tage nach Krankheitsbeginn“ haben die Autoren einen signifikanten Unterschied zwischen der Verumgruppe (Behandlung mit Homöopathika) und der Kontrollgruppe (konventionelle, symptomatische Behandlung) gefunden. Das bedeutet, der gefundene Unterschied in den Daten beider Gruppen ist zwar überzufällig (signifikant). Ein signifikanter Unterschied ist aber zu erwarten, wenn die Zuteilung der Patienten zu den Studienarmen nicht randomisiert wird und wenn nicht mal eine einfache Verblindung vorliegt. Unter diesen Umständen ist selbst ein signifikanter Unterschied als wertlos zu betrachten, insbesondere, wenn der gefundene Unterschied – die „Effektstärke“ – klein ist.
Die Autoren selbst sehen die Aussagekraft ihrer Studie als „limitiert“ an, was nichts anderes bedeutet, als dass die Studie gescheitert ist. Dennoch resümieren sie, die homöopathische Behandlung bei „akuten Atemwegs- und Ohrbeschwerden“[B 8][1] sei nicht schlechter als die konventionelle Therapie. Und: „obwohl keine konkreten Schlussfolgerungen gezogen werden können“,[B 9][1] sehen die Autoren ihre Studienergebnisse als weitere Hinweise für eine wachsende Evidenz der Homöopathie. Diese Schlussfolgerung ist nicht nachvollziehbar. Der Schlusssatz jedoch enthält sogar noch eine Erweiterung und Überinterpretation: Homöopathie sei „eine sichere und vorteilhafte Strategie für die Behandlung akuter Erkrankungen in der Primärversorgung“.[B 10][1]
Die Studie untersucht lediglich Beschwerden. Die Ergebnisse der Studie sind niederschmetternd. Dennoch werden die schlechten Ergebnisse schöngeredet und es wird darüber hinaus empfohlen, die Homöopathie, die in dieser Studie schon bei harmlosen Beschwerden versagt hat, bei „akuten Erkrankungen“ anzuwenden. Diese Empfehlung geht weit über die Ergebnisse der Studie hinaus. Sie sind nicht nur durch nichts zu rechtfertigen, sondern auch als höchst bedenklich und gefährlich einzustufen.
Fazit
Die Studie weist so viele Mängel auf, dass sie nicht geeignet ist, den Nachweis zu erbringen, dass eine homöopathische Behandlung Vorteile oder zumindest keine Nachteile gegenüber einer konventionellen Behandlungsmethode hat. Sie ist keinesfalls in der Lage, die Behauptung des VKHD zu belegen, Homöopathika seien eine „erste Option bei einfachen bakteriellen Infekten“.[2] Auch die Schlussfolgerung des VKHD, den Antibiotikaverbrauch zu senken, indem man Homöopathika nehmen soll anstatt nicht indizierter Antibiotika, ist durch die Studie nicht zu rechtfertigen. Überflüssige und bei unnötigem Einsatz schädliche Medikamente durch ebenfalls überflüssige, aber vermeintlich unschädliche Medikamente zu ersetzen, ist weder nachvollziehbar noch zu rechtfertigen. Bei fehlender Indikation sind Antibiotika zu vermeiden, eine wirkungslose Alternative ist nicht erforderlich.
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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