Homöopedia Informationen zur Homöopathie |
Fernsehbeiträge zur Homöopathie - Die Wahrheit über Homöopathie
Dieser Artikel liefert einen Faktencheck für die Aussagen in der Reportage Die Wahrheit über… Homöopathie des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb).
⇒ Eine ausführliche Besprechung der Inhalte des begleitenden „Dossiers“ auf der Webseite des rbb findet sich im Hauptartikel „Fernsehbeiträge zur Homöopathie - Die Webseite des rbb“
Die Reportage Die Wahrheit über… Homöopathie ist ein vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) produzierter Beitrag der Sendereihe Die Wahrheit über… von Sven Oswald und Angelika Wörthmüller. Laut rbb beschäftigt sich der Moderator Sven Oswald in dieser Reihe „mit Wissenschaftsthemen, die uns im Alltag begegnen“.[2] Die Erstausstrahlung erfolgte im Mai 2020.[1] Zusammen und ergänzend zur Sendung erstellte der rbb ein „Dossier“[3] zum Thema auf seiner Webseite.
Sven Oswald outet sich im Laufe der Sendung mehrmals als überzeugter Anwender der Homöopathie. So berichtet er (Minute 25:40), dass er die für ihn beängstigende Situation einer Operation seiner Tochter wegen Paukenergüssen[B 1] vermied, weil er sie vom Heilpraktiker mit Globuli behandeln ließ. Auch an anderer Stelle sagt er, seine Meinung sei, dass „es klappt“ (Minute 21:10).
Die Journalistin Angelika Wörthmüller schreibt auf ihrer Webseite, ihr Motto sei: „Den Dingen auf den Grund gehen. Beharrlich bleiben.“[4] Diesem Motto folgt die Sendung jedoch nicht: Kritisches Nachfragen findet nicht statt. Die wissenschaftliche Gesamtevidenz wird nicht erklärt, fundierte Stellungnahmen wissenschaftlicher Gremien wie des European Academies Scientific Advisory Council (EASAC)[5] – der Dachorganisation Europäischer Wissenschaftsakademien – kommen im Beitrag nicht vor. Stattdessen wird die Kritik an der Homöopathie als aktuelle Kampagne „der Skeptikerbewegung“ dargestellt, deren Vertreter (Dr. Natalie Grams, Dr. Norbert Aust, Prof. Norbert Schmacke) nur mit sehr wenigen, einzelnen Sätzen ohne Begründung ihrer Standpunkte vorgestellt werden. Mit Dr. Irene Schlingensiepen, Prof. Harald Walach, Prof. Michael Frass und Paul Doesburg u. a. kommen Verfechter der Homöopathie dagegen sehr ausführlich zu Wort, wobei die getroffenen Aussagen ungeprüft an den Zuschauer weitergegeben werden. Die Ursache hierfür kann man dem Newsletter des BVhÄ, der Berliner Abteilung des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), entnehmen: „Der BVhÄ hat den RBB mit Ansprechpartnern und Informationen unterstützt.[6]“ Entsprechend positiv fiel die Reaktion homöopathischer Lobbyorganisationen auf den Beitrag aus.[7][8][9]
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe von Beiträgen auf der Homöopedia, die Fernsehsendungen zur Homöopathie und die darin genannten Ansichten und Argumente betrachtet. Er gibt eine Inhaltsübersicht, beleuchtet im Anschluss verschiedene Kernaussagen im Sendebeitrag genauer und stellt diesen wissenschaftliche Antworten gegenüber. Zudem wird angegeben, wo man auf der Homöopedia weiterführende Informationen zu einem Thema nachschlagen kann. Weil in diesem Sendebeitrag wiederholt wesentliche Aspekte eines angesprochenen Themas gar nicht erwähnt werden, soll – anders als bei den bisherigen Artikeln der Reihe – zusätzlich deutlich gemacht werden, welche Informationen zur Einordnung des Gesagten im Sendebeitrag fehlen.
Zur besseren Übersicht ist der Artikel hierzu in einzelne Kapitel unterteilt, die den Abschnitten der Sendung zwar folgen, im Sendebeitrag aber nicht explizit vorgegeben sind.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Inhalt des Sendebeitrags
- 1.1 Einleitung
- 1.2 Ein Junge mit Migräne
- 1.3 Erfolglose Behandlung einer Lungenentzündung
- 1.4 Besuch bei Irene Schlingensiepen
- 1.5 Kritiker der Homöopathie
- 1.6 Gesetzliche Sonderregelungen
- 1.7 Science meets Homeopathy
- 1.8 Wenn Placebos helfen
- 1.9 Homöopathie im Stall
- 1.10 Biokristallisation
- 1.11 Schlussbemerkung
- 2 Fazit des Informationsnetzwerks Homöopathie
Inhalt des Sendebeitrags
Einleitung
Die Sendung beginnt mit einem kurzen Teaser, in dem knappe Aussagen zur Homöopathie zusammengestellt sind. So äußert Natalie Grams, dass ein Wirkstoff, der nicht vorhanden sei, keine spezifische Wirksamkeit haben könne. Zwei dankbare Patienten sprechen dagegen von einem „Geschenk“ und einer „phänomenalen Wirkung“. Aus dem Off heißt es, Ärztekammern würden die Weiterbildungen in Homöopathie streichen, während neue Forschungsergebnisse zeigen würden, dass doch etwas wirke. (Minute 0:40) Sven Oswald fasst zusammen:
Bei der Homöopathie scheiden sich die Geister. Kein Wunder. Sie entzieht sich einer klaren Beurteilung. Einen klaren Weitblick auf das Thema gibt es nicht. (Minute 1:01)
Wissenschaftliche Antworten
Aussage | Wissenschaftliche Faktenlage und Querverweis auf andere Artikel |
Die Homöopathie entziehe sich einer klaren Beurteilung. Es gebe keinen klaren Überblick auf das Thema. Nur deshalb sei sie „umstritten“. | Das ist nicht korrekt.
Schon Samuel Hahnemann forderte im Organon die strikte Überprüfung seiner Arzneilehre, was belegt, dass er eine solche „klare Beurteilung“ sehr wohl für möglich hielt:
Homöopathie stellt sich dem Patienten gegenüber dar als eine Arzneimittellehre mit spezifisch und systematisch wirksamen Arzneien, die messbare und vom gewählten Mittel abhängige Effekte im Patienten hervorrufen sollen. Eine solche Aussage ist sehr wohl testbar und ausführlich getestet worden. Die randomisierte, mehrfach verblindete Vergleichsstudie ist genau das wissenschaftliche Werkzeug, das geeignet wäre, trotz völliger Unklarheit über den Wirkmechanismus einen Nachweis dafür zu führen, falls Homöopathika charakteristische und spezifische Wirkungen der eingesetzten Mittel über Placebo hinaus aufweisen sollten. Auch die individuelle Wahl des Homöopathikums stellt hier kein Hindernis dar. Schon im Jahr 2010, also Jahre vor der Erstausstrahlung der Sendung, erklärte dies Claudia Witt, damals Professorin für Komplementärmedizin an der Berliner Charité:
⇒ Siehe hierzu im Hauptartikel „Allgemeines über klinische Studien“ das Kapitel Mit einem statistischen Messinstrument - wie einer verblindeten Studie - kann man kein individuelles Verfahren wie die Homöopathie untersuchen. Dort wird diese Behauptung ausführlicher analysiert und widerlegt. Die australische nationale Gesundheitsbehörde untersuchte in ihrem Bericht über 50 Übersichtsarbeiten mit rund 200 darin enthaltenen Einzelstudien. In der Gesamtsicht fanden sich keine robusten und reproduzierbaren Belege eines Unterschiedes zwischen Homöopathika und anderen Placebos – wie in allen anderen Übersichtarbeiten, die die Homöopathie als Ganzes (über alle Anwendungsgebiete) untersuchten (Stand 2020). Zudem sind im Laufe der Zeit die Grundpfeiler der homöopathischen Lehre – wie etwa das Ähnlichkeitsprinzip, das Potenzieren und die homöopathische Arzneimittelprüfung (HAMP) – mehr und mehr in Widerspruch zu sich im Alltag bewährenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geraten.[12][13] Es ist also weder richtig, dass eine wissenschaftliche Beurteilung der Behauptungen der Homöopathie nicht möglich wäre, noch dass sie nicht vollumfänglich vorläge. Homöopathie ist „umstritten“, weil Homöopathen und die Anwender der Homöopathie die durch umfangreiche wissenschaftliche Daten gestützten Erkenntnisse zum Placebocharakter der Homöopathika[5][14][15][16][17][18] nicht akzeptieren wollen. Die Behauptung, die Homöopathie sei wissenschaftlich unzureichend geprüft oder gar von ihrem Wesen grundsätzlich nicht prüfbar, ist eine Immunisierungsbehauptung.[19][B 2] |
Ein Junge mit Migräne
Das Kamerateam begleitet einen Jungen, der unter Migräneanfällen leidet, in die Praxis des homöopathisch arbeitenden Arztes Dr. Günter Heck. Als Anlass, einen Homöopathen aufzusuchen, gibt der Sprecher an, dass sich die Häufigkeit der Migräneanfälle in der letzten Zeit deutlich gesteigert habe. In der Praxis sieht man, wie Dr. Heck mit dem Jungen spricht:
... Inzwischen habe ich jetzt ein Mittel ausgesucht, von dem ich denke, dass es Dir guttun wird. (Minute 2:38)
Danach wird gezeigt, wie Dr. Heck dem Jungen persönlich die für ihn ausgesuchten Globuli auf die Zunge gibt. Im anschließenden Interview betont Dr. Heck, dass das Mittel individuell, auch entsprechend der Persönlichkeit und der Lebensumstände des Jungen ausgesucht werde, die man im Zuge eines ausführlichen Anamnesegespräches besprochen habe. So sei in die Wahl des Homöopathikums auch eingeflossen, dass der Junge aufgeweckt und pflichtbewusst sei. Dr. Heck betont aber, dass er in seiner Praxis erst dann eine homöopathische Behandlung beginnt, nachdem er aufgrund medizinischer Diagnosemethoden sichergestellt hat, dass keine physiologischen Ursachen vorliegen, die akute medizinische Maßnahmen – wie etwa Operationen – erfordern.
Etwas später in der Sendung (Minute 6:20) sagt der Junge über sich, dass einige Monate später seine Migräneanfälle seltener geworden seien.
Wissenschaftliche Antworten
Es gibt keine stichhaltigen, reproduzierbaren wissenschaftlichen Belege dafür, dass Homöopathika bei Migräne Effekte über andere Placebos hinaus hätten. Dies ergeben übereinstimmend Systematische Reviews durch wissenschaftliche Einrichtungen[14][20] wie auch solche, die von Homöopathen durchgeführt wurden.[21]
Welche wichtigen Informationen fehlen hier?
Wie oft bei anekdotischer Berichterstattung liegt das Augenmerk hier ausschließlich auf der Homöopathie. Damit muss aber unklar bleiben, welche anderen Faktoren in der Situation des Jungen eine Rolle spielen: Welche praktischen Ratschläge bekommt der Junge mit auf den Weg? Nimmt er zusätzliche Medikamente ein? Wenn die Häufung der Migräneanfälle erst jüngst auftrat: Gibt es dafür eine nachvollziehbare Ursache – etwa mehr Stress durch einen Schulwechsel? Könnte die Häufung genauso plötzlich unabhängig von der Behandlung wieder zurückgegangen sein? Einen solchen statistisch nicht unwahrscheinlichen Rückgang einer zwischenzeitlichen ungewöhnlichen Verschlechterung bezeichnet man in der Medizin als „Regression zur Mitte“. Sie ist einer von vielen Faktoren, die in der Praxis zu Besserungen führen, die die Wirksamkeit einer inzwischen durchgeführten Behandlung vortäuschen können.[22] Gerade aus diesem Grund ist die anekdotische Darstellung von Einzelfällen zur Beurteilung eines Verfahrens nicht geeignet. Medizinischen Laien ist dies jedoch oft nicht bewusst. Dass der Sendebeitrag so häufig auf solche Einzelfälle setzt, ohne die existierenden, für die Homöopathie negativ ausgefallenen wissenschaftlichen Reviews zu den Anwendungsgebieten wenigstens zusätzlich zu erwähnen, ist also für sich genommen bereits problematisch. Das gilt umso mehr, weil die genannten Schwächen der anekdotischen Erzählweise nicht herausgearbeitet werden. Andere mögliche Faktoren als die Globuli werden gar nicht erst genannt.
Der Film zeigt beispielsweise die positive Erwartungshaltung des Jungen nach dem Gespräch mit dem Arzt, stellt aber nicht die Frage, inwiefern diese durch die Art der Gesprächsführung zustande kam: Die Formulierung, die Dr. Heck verwendet, erinnert stark an die Formulierung aus der klassischen Studie von Lee Park und Lino Covi von 1965[23] zum unverblindet eingesetzten Placebo. Auch in dieser Studie wurde den Patienten klar gesagt:
Obwohl Park und Covi mit ihren Patienten offen darüber sprachen, dass sie ihnen ein Placebo mitgeben, führte das überzeugte Auftreten des Behandlers dazu, dass viele Teilnehmer mit der Behandlung zufrieden waren. Ein Drittel wollte im Anschluss die Placebobehandlung beibehalten.[B 4] Die ursprüngliche Arbeit von Park und Covi ist sehr klein, der Effekt eines einfühlsam und zuversichtlich auftretenden Behandlers wurde aber umfassend bestätigt.[24] Obwohl der Effekt also seit über 50 Jahren ganz unabhängig von der Homöopathie bekannt ist und hier in geradezu klassischer Weise ausgenutzt wird, wird er in der Sendung nicht einmal erwähnt.
Zuletzt ist festzuhalten, dass die von Dr. Heck erklärte Zuordnung des individuellen Homöopathikums zur Persönlichkeit des Jungen gänzlich unhinterfragt bleibt. Anamnese und darauf beruhende Auswahl eines „individuell passenden Homöopathikums“ werden als fundierte, rational begründete Methodik dargestellt. Der Zuschauer erfährt nichts davon, …
- … dass die Homöopathie in einander widersprechende Strömungen zerfallen ist, die ganz unterschiedliche Ansichten darüber vertreten, nach welchen Kriterien das individuelle Mittel zu wählen ist. Für ein und denselben Patienten würden dementsprechend Homöopathen verschiedener Schulen ein ganz anderes Mittel als „das individuell Passende“ identifizieren, es dem Jungen mit derselben Überzeugung mitgeben – und über die Kollegen aussagen, dass diese „nicht die wahre Homöopathie“ anwenden würden. Es gibt keinen Konsens unter Homöopathen darüber, welche Strömung die richtige sei oder auch nur darüber, wie man das testen könnte. Die Fülle der inneren Widersprüche zwischen den verschiedenen Strömungen, das Fehlen einer innerdisziplinären Aufarbeitung solcher Probleme, sowie das Fehlen einer sich systematisch mit der Zeit entwickelnden und durch aussagekräftige Tests abgesicherten Theoriebildung sind typisch für ein nur scheinbar wissenschaftliches Verfahren, das nicht auf einem echten Naturphänomen beruht. Man beobachtet Ähnliches auch bei der Astrologie.[25][B 5]
- … dass die Listen, anhand derer die vom Patienten genannten Symptome den einzelnen Homöopathika zugeordnet werden, die sogenannten „Arzneimittelbilder“, aus wissenschaftlicher Sicht als Zufallsprodukte angesehen werden müssen. Sie beruhen auf einem Testverfahren, der Homöopathischen Arzneimittelprüfung, das anfällig für den „Post-Hoc-Fehlschluss“ ist. Verblindet und randomisiert scheitern Homöopathische Arzneimittelprüfungen in aller Regel daran, statistisch signifikante arzneispezifische Unterschiede zu Placebo hervorzurufen.[26][27]
- … dass es der wissenschaftliche Konsens ist, dass homöopathische Hochpotenzen untereinander nicht unterscheidbare Placebos sind[5][17][16][15][18][14][12] und es deshalb kein „individuell richtiges“ Homöopathikum gibt.
Erfolglose Behandlung einer Lungenentzündung
Überleitend zum nächsten Beitrag beschreibt eine Sprecherin aus dem Off die Globuli: Die Ausgangssubstanz werde stark verdünnt – oft so weit, dass kein Wirkstoff mehr messbar sei. Das Wirkprinzip sei bis heute ungeklärt. (Minute 4:26)
Die Patientin des folgenden Interviews wurde als Kind erfolglos homöopathisch behandelt, mit ernsten Folgen. Für den Patienten sei es ja nicht eindeutig zu erkennen, ob die Therapie anschlage oder nicht: Ein Husten habe sich wegen viel zu langer Behandlungsversuche mit Globuli verschlimmert: Eine lebensbedrohliche Lungenentzündung habe zuerst eine Behandlung beim Lungenfacharzt, dann auch einen Krankenhausaufenthalt notwendig gemacht. Im Gespräch wird deutlich, dass die junge Frau Homöopathie als Teil der Naturheilkunde sieht, von der sie nach wie vor eine gute Meinung hat:
Natürlich ist auch Homöopathie und Naturheilkunde im Allgemeinen darauf ausgelegt, dass die Menschen möglichst gut wieder gesund werden. (Minute 5:26)
Das Risiko, „zu spät zur Schulmedizin zu wechseln“ wird im Anschluss als größte Sorge der Kritiker der Homöopathie dargestellt und der Vortrag, den Natalie Grams zu dieser Gefahr auf dem Deutschen Krebskongress[28] hielt, als Beispiel angeführt. In einer kurzen Intervieweinblendung sagt Grams aus, dass die wirkstofffreien Globuli selbst nicht schaden würden, doch Schaden möglicherweise entstehen könne, wenn eine notwendige Therapie verzögert oder unterlassen wird. Über diese Gefahr müsse man aufklären. Aus dem Off weist die Sprecherin darauf hin, dass bei dem Jungen aus dem ersten Filmbeitrag zur Vermeidung dieses Risikos eine ausführliche Untersuchung der homöopathischen Behandlung vorausgegangen sei.
Wissenschaftliche Antworten
Aussage | Wissenschaftliche Faktenlage und Querverweis auf andere Artikel |
Für den Patienten sei überhaupt nicht erkennbar, ob die Therapie anschlage. | Das ist richtig, wird in der Sendung aber nur auf den Fall der erfolglosen Behandlung bezogen. Tatsächlich können auch im Falle einer Genesung weder Therapeut noch Patient erkennen, ob die gewählte Medikation – etwa die Globuli – ursächlich für die Besserung war.[22] Dass gerade aufgrund dieser Tatsache all die in der Sendung aufgeführten anekdotischen Berichte nichts zur Wirksamkeit des Verfahrens aussagen, hätte deutlich herausgearbeitet werden müssen. So schreibt etwa Prof. Dr. med. Manfred Anlauf 2015 mit mehreren Coautoren im German medical science : GMS e-journal:
Ein solcher Ansatz ist nur in sauber randomisierten, mehrfach verblindeten und placebokontrollierten Vergleichsstudien gegeben. In der Gesamtstudiensicht finden sich aber keine reproduzierbaren Unterschiede zwischen Homöopathika und Placebo. |
Die Ausgangssubstanz werde stark verdünnt – oft so weit, dass kein Wirkstoff mehr messbar sei. | Diese Darstellung ist sehr irreführend, weil der Zuschauer hier leicht den Eindruck gewinnen kann, vom Ausgangsmaterial könne durchaus noch etwas enthalten sein – halt so wenig, dass es unter „irgendwelche“ technisch bedingten, für die Wirksamkeit möglicherweise ja gar nicht bedeutsamen Messgrenzen falle.
Korrekter wäre es, deutlich zu sagen, dass in Hochpotenzen keine Moleküle des Ausgangsmaterials mehr im Endprodukt enthalten sind. Bereits lange bevor dies erreicht ist, übersteigt die Konzentration sämtlicher Verunreinigungen des Lösungsmittels selbst bei Ultra-Reinstwasser die Konzentration des Ausgangsstoffes. Bei für die Homöopathie eigentlich noch nicht einmal so hohen Verdünnungen wie etwa der häufig eingesetzten C30 liegt man bereits über dreißig Zehnerpotenzen über der Avogadrogrenze. Bei der C200 liegt man über 300 Größenordnungen unter der Verdünnung eines Wirkstoffteilchens auf die geschätzte Zahl der Atome im beobachtbaren Universum.[30] Oft werden noch deutlich mehr „Potenzierungsschritte“ durchgeführt – bis zur C1.000, C10.000 oder sogar noch höher – Verdünnungsgrade, die man mittels Verhältnissen zur Anzahl der Teilchen im beobachtbaren Universum nicht mehr veranschaulichen kann und die physikalisch entsprechend völlig sinnfrei sind. „Nicht mehr messbar“ ist deswegen eine irreführende Untertreibung. |
Das Wirkprinzip sei bis heute ungeklärt. | Dieser Satz ist sehr irreführend, denn er suggeriert, dass eine vorhandene, nachweisbare spezifische Wirksamkeit vorhanden sei, die einer Erklärung bedürfe. Das ist nicht der Fall.[5][14][15][16][17][18] Die Annahme einer spezifischen Wirksamkeit von Stoffen in deren Abwesenheit widerspricht nicht nur unserem Wissen der Naturwissenschaften, etwa der Physik, sondern auch dem, was wir im Alltag erfahren.[12][13] Die Kenntnisse der Naturwissenschaften über völlig banale Vorgänge wie „Verdünnen“ und „Schütteln“ müssten zudem extrem unvollständig oder falsch sein, ohne dass wir bei der Anwendung dieser Erkenntnisse auch nur das Geringste davon bemerken. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei Patienten beschriebene Besserungen auf andere bekannte Faktoren wie natürliche Krankheitsverläufe und Kontexteffekte zurückführen lassen, ist allein von daher wesentlich höher.
Wo trotz umfangreicher Studienlage kein Unterschied zu Placebo nachweisbar ist und aufgrund der Widersprüche zum sich im Alltag bewährenden Wissen auch kein solcher zu erwarten ist, ergibt sich keine Notwendigkeit, exotische Wirkprinzipien zu erfinden. Positive Erfahrungen von Patienten finden mit Placebo- und anderen Kontexteffekten (natürliche Krankheitsverläufe, Effekte anderer Maßnahmen und Änderungen im Umfeld der Patienten) vollkommen natürliche Erklärungen.[22] |
Homöopathie sei Naturheilkunde. | Nein, Homöopathie gehört nicht zu den Verfahren der Naturheilkunde.
In der Naturheilkunde werden natürliche Phänomene oder naturbelassene Materialien eingesetzt. Tierische Produkte oder Pflanzenteile werden dabei aber in ausreichender Menge verwendet, um eine pharmazeutische Wirkung hervorzurufen. Daraus ergibt sich eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung für die Präparate der Phytotherapie. Die Anwendungsgebiete beruhen zwar oft auf tradiertem Erfahrungswissen, erfolgen heute aber nach den bekannten Anwendungsgebieten ihrer Inhaltsstoffe in Abhängigkeit einer medizinischen Diagnose. Davon unterscheidet sich die Homöopathie grundlegend:
Wolfgang Löscher, Professor für Pharmakologie und Toxikologie, erklärt die Abgrenzung der Homöopathie von der Naturheilkunde und der Pflanzenheilkunde entsprechend folgendermaßen:
⇒ Siehe hierzu auch auf der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie (INH) den Artikel „Einwand: Homöopathie ist doch Naturheilkunde!“ |
Eine einer homöopathischen Behandlung vorausgehende ausführliche medizinische Diagnose durch einen homöopathisch arbeitenden Arzt gewährleiste, dass das Risiko der Verzögerung oder Unterlassung einer notwendigen medizinischen Behandlung nicht besteht. | Das ist leider nicht korrekt. Hält der Therapeut entgegen der wissenschaftlichen Evidenz die Globuli für spezifisch wirksam, dann ergibt sich allein hieraus das Risiko der Verzögerung einer medizinisch notwendigen Therapie: Wer glaubt, mit Homöopathika medizinisch wirksam zu behandeln, der stellt sich die Frage, ob eine Placebobehandlung überhaupt ausreichend ist, gar nicht erst. Der Arzt, der die Homöopathie für eine wirksame Alternative hält, wird kein Risiko darin sehen, Homöopathie anstatt evidenzbasierter Therapien einzusetzen.
Entsprechend finden sich in der homöopathischen Literatur immer wieder Beispiele, in denen Patienten von homöopathischen Ärzten trotz des Vorliegens von ernsten Diagnosen, wie etwa einer Krebserkrankung, zu Verzögerungen notwendiger Therapien zugunsten einer vorab durchzuführenden homöopathischen Behandlung geraten wurde.[35][36] |
Welche wichtigen Informationen fehlen hier?
Es fehlt der Hinweis, dass es wissenschaftliche Gremien wie das European Academies Scientific Advisory Council (EASAC) sind, die bei der Überschätzung der Homöopathie die Gefahr der Verzögerung einer notwendigen wirksamen Behandlung sehen. Es fehlt auch der Hinweis, dass diese Gremien als weiteres Problem sehen, dass zur Bewerbung der Homöopathie unwissenschaftliches und antiwissenschaftliches Gedankengut verbreitet wird. Und vor allem fehlt die Begründung dieser Bedenken: Dass die wissenschaftliche Gesamtevidenz darauf hinausläuft, dass Homöopathika Placebos sind – und eben keine spezifisch wirksamen oder unterschiedlichen Arzneien.[5]
Es fehlt die wichtige Einsicht, dass es für den Therapeuten zur Beurteilung, ob eine Behandlung ausschließlich mit Placebo im jeweiligen Falle medizinisch und ethisch vertretbar ist, eine Grundvoraussetzung ist, dass er selbst um den Placebocharakter des Verfahrens weiß und ihn anerkennt. Wird ein Placebo irrtümlich für eine spezifisch wirksame Behandlung gehalten, wird sich unvermeidbar das Risiko ergeben, dass später auf eine wirksame Behandlung gewechselt wird, als wenn sich der Therapeut des Placebocharakters bewusst gewesen wäre.
Es fehlt zudem grundsätzlich ein Hinterfragen, ob ein Verfahren wirklich Patienten erst gefährden muss, damit man fordern darf, dass Patienten über den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu diesem Verfahren korrekt und vollumfänglich aufgeklärt werden.
Besuch bei Irene Schlingensiepen
Sven Oswald sucht Dr. Irene Schlingensiepen auf, um mit einer „Expertin“ (Minute 6:50) die homöopathischen Arzneimittel genauer zu beleuchten. Von der „veritablen Wissenschaftlerin“ (Minute 7:07) lässt er sich hierzu zeigen, wie Homöopathika hergestellt werden – „so, wie sie es normalerweise Studenten erklärt“ (Minute 7:45). Vor der Kamera verdünnt und verschüttelt Sven Oswald hierzu unter der Anleitung von Frau Schlingensiepen eine C-Potenz. Auf die Frage, ob der Wirkstoff etwa in einer C30, bei der der vorgeführte Verdünnungsschritt 30 Mal durchgeführt wird, noch nachweisbar sei, antwortet Frau Schlingensiepen:
Also atomar ist ab der C12 nichts mehr drin. Aber bei der Untersuchung von verschüttelten und verdünnten Substanzen zeigen sich da interessante Phänomene, eine Zunahme von Nano-Strukturen, die jenseits dieser atomaren Reaktion sind. (Minute 9:10)
Aus dem Off heißt es anschließend, Wissenschaftler mehrerer Nationen hätten sogenannte „Nanobubbles“ in homöopathischen Mitteln nachgewiesen.
Im Anschluss an den Herstellungsprozess zeigt der Beitrag ein weiteres Behandlungsbeispiel: Eine langjährige Patientin von Frau Dr. Schlingensiepen erzählt, dass sie seit einem traumatischen Erlebnis vor Jahren unter schweren Schlafstörungen leide. (Minute 10:05) Auch ärztliche Behandlung und Psychotherapie hätten ihr nicht geholfen. (Minute 12:15) Frau Schlingensiepen erklärt, entsprechend der von ihr betriebenen Strömung innerhalb der Homöopathie, der Quellenhomöopathie, dass sie vor allem die Wortwahl der Patientin bei der Wahl des passenden Mittels benutzt: Die „Eigentümlichkeit im gesprochenen Wort“ (Minute 13:05) leite sie zur Besonderheit der Patientin. Als solche identifiziert wird schließlich die Sehnsucht, wieder „das fröhliche, immer hüpfende Mädchen von früher“ zu sein, weshalb für die Patientin Delfinmilch in extremer Hochpotenz gewählt wird, weil diese Tiere „mit Leichtigkeit springen“. Anhand dieser Verschreibung wird aus dem Off das zentrale Verordnungsprinzip der Homöopathie, das „Ähnlichkeitsprinzip“ erläutert:
Zur Wesensart des Patienten sucht die Homöopathie Ähnlichkeiten in der Natur. (…) Ähnliches mit Ähnlichem zu behandeln ist das Prinzip der Homöopathie. (Minute 13:15)
Das Mittel habe der Patientin schnell geholfen und wird ihr auch diesmal, in anderer Potenz, verordnet.
Wissenschaftliche Antworten
Aussage | Wissenschaftliche Faktenlage und Querverweis auf andere Artikel |
Nanostrukturen seien „jenseits atomarer Reaktionen“. | Das Bundesumweltamt beschreibt Nanopartikel wie folgt:
In der Liste dieser chemischen und physikalischen Eigenschaften nennt das Umweltbundesamt explizit sogar eine „höhere chemische Reaktivität“ und eine „stärkere katalytische Wirksamkeit“. Das ist physikalisch auch leicht nachvollziehbar, weil in Nanopartikeln der Prozentsatz von an der Oberfläche befindlichen Atomen größer ist als bei makroskopischen Objekten, und weil sich zudem wegen der kleinen Objektmaße mögliche Reaktionspartner leichter sehr nahekommen können. Von „jenseits atomarer Reaktionen“ kann also keine Rede sein. Dass Nanostrukturen nicht anders als makroskopische Objekte unseres Alltags aus Atomen aufgebaut sind und deswegen auch entsprechenden Reaktionen unterliegen müssen, dürften bereits die meisten Schüler noch vor dem Erreichen der Abschlussjahrgänge wissen. Dass hier eine solch grotesk falsche Aussage vollkommen unhinterfragt und unkommentiert an die Zuschauer weitergegeben wurde, zeigt nur allzu deutlich, wie unkritisch die Moderatoren des Sendebeitrages mit den Aussagen ihrer homöopathischen Interviewpartner umgegangen sind. |
Wissenschaftler mehrerer Nationen hätten eine Zunahme von „Nano-Strukturen“ oder „Nanobubbles“ mit höherer Potenzierung nachgewiesen. | In der herunterladbaren Mitschrift[1] der Sendung wird als Quelle für diese Aussage ein Kongressbeitrag der Faculty of Homeopathy von Ichiro Otsuka angegeben, der nur aus einem knappen „Abstract“ besteht.[38] Es existiert bis Oktober 2020 kein Fachartikel, in dem man die Messungen einsehen und beurteilen könnte. Bereits aus dieser kurzen Zusammenfassung ist ersichtlich, dass das Experiment keine spektakulären Ergebnisse hat. Die Untersuchung hat zudem nichts mit dem typischen Herstellungsprozess von Homöopathika zu tun:
Zunächst ist festzuhalten, dass die Aussage der Sendung, man beobachte eine systematische Zunahme der Nanostrukturen bei homöopathischen Hochpotenzen, durch diese Arbeit nicht gestützt wird: erstens weil sie etwas ganz anderes untersucht hat, zweitens weil sie letztlich von einer Abnahme berichtet. Die Erkenntnisse dieser Arbeit sind zudem unspektakulär: Durch Schütteln entstehen Bläschen im Wasser. Mischt man Lösungen mit Bläschen miteinander reagierender Gase, ergeben sich zeitliche Änderungen in der Größe dieser Bläschen. Worin die Bedeutung dieser eigentlich trivialen Aussagen für die Homöopathie liegen soll, bleibt das Geheimnis der Moderatoren vom rbb, denn die Mitschrift der Sendung enthält hierzu ebenso wenig weitere Aussagen wie auch das Abstract der Arbeit von Ichiro Otsuka. Auch andere Veröffentlichungen zum Thema der Nanobläschen, wie etwa die Untersuchungen von Jean-Louis Demangeat[39] aus dem Jahr 2015, belegen keine systematische oder gar für die jeweiligen Mittel oder Potenzen charakteristische Zunahme von Nanobläschen in Hochpotenzen. Andere Autoren weisen auf die Problematik der konditionierten Erwartungshaltung bei der Durchführung solcher Experimente hin.[40] Keine dieser Arbeiten enthält zudem eine logische Erklärung, welche Bedeutung die Luftbläschen der verschüttelten Lösung nach dem Verdunsten der Lösung auf den letztlich ja vollkommen trockenen Globuli haben sollen. Nicht einmal diese sich aufdrängende Frage wird im Sendebeitrag aufgeworfen. Aus wissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage nach den Nanopartikeln eigentlich gar nicht:
⇒ Siehe hierzu den Hauptartikel Nanopartikel |
Zur Wesensart des Patienten suche die Homöopathie Ähnlichkeiten in der Natur. | Die Wahl des Homöopathikums entsprechend des homöopathischen Ähnlichkeitsprinzips wird im Sendebeitrag als eine feste, eindeutige und empirisch fundierte Handlungsanweisung dargestellt. Eine genauere Betrachtung zeigt aber, dass dem nicht so ist:
Gerade das im Sendebeitrag verordnete Mittel „Lac delphinum“ (Delfinmilch) liefert ein gutes Beispiel für die Willkürlichkeit der homöopathischen Arzneimittelprüfungen und Verordnungspraxis. Zu Lac delphinum existieren überhaupt nur sehr wenige Arzneimittelprüfungen. Diese Prüfungen liefern aber unterschiedliche Ergebnisse:
Im Sendebeitrag verordnet Irene Schlingensiepen das Mittel aber vor allem nach den Regeln der von ihr selbst vertretenen Strömung, der Quellenhomöopathie. Im Rahmen dieser Lehre sind Wortwahl und Gestik des Patienten ein entscheidendes Merkmal, das den Homöopathen zum zu verordnenden Mittel führen soll. Im Film betont Schlingensiepen dies mehrmals mit dem Verweis auf das Bild des springenden Mädchens, das sie zu den ebenso springenden Delfinen geführt habe. Das Symptom der Schlaflosigkeit aufgrund eines traumatisierenden Erlebnisses wird dagegen in beiden Arzneimittelprüfungen nicht genannt. Warum aber wählt Frau Schlingensiepen einen springenden Delfin und nicht etwa einen einen springenden Steinbock, einen springenden Frosch oder ein fröhlich herumspringendes Zicklein? Es gibt viele Tiere, die springen. Wäre der Bewegungsablauf eines Kängurus, das auf zwei Beinen hüpft, nicht noch viel ähnlicher als der Delfin? Diese Willkürlichkeit dessen, was nun zwischen Patient und Mittel die „Ähnlichkeit“ ausmachen soll, bleibt im Sendebeitrag unerwähnt. Der Zuschauer erhält eher den Eindruck einer zweckrationalen, empirisch begründeten Vorgehensweise, über die sich Homöopathen auch einig sind. All dies ist jedoch, wie gezeigt, nicht der Fall. Man hätte hier – wie bereits in der Schilderung der nach den Regeln einer anderen Variante der Homöopathie erfolgten Mittelwahl bei der Behandlung des an Migräne leidenden Kindes – viel genauer nachfragen und die Willkürlichkeit der Verordnungsregeln für den Zuschauer transparent machen müssen. |
Welche wichtigen Informationen fehlen hier?
Dr. Schlingensiepen wird im Filmbeitrag als „veritable Wissenschaftlerin“ vorgestellt, wenngleich sich von ihr auf der großen Datenbank von PubMed[B 9] aus den letzten 20 Jahren keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus dem Themenkreis der Medizin finden.[42] Der Titel dürfte eher ein Verweis auf ihre bis in die 90er Jahre hinein andauernde Tätigkeit am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen[43][B 10] und die in diesem Zusammenhang erfolgte Veröffentlichungstätigkeit sein. Dies ist insofern irreführend, weil die Einstufung als Wissenschaftlerin beim Zuschauer durchaus den Eindruck erwecken kann (oder vielleicht sogar soll), dass Frau Schlingensiepen noch immer als Wissenschaftlerin tätig sei und ihre Aussagen entsprechend als wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Homöopathie anzusehen seien. Der Verweis auf „ihre Studenten“ durch Frau Schlingensiepen verstärkt diese irreführende Darstellung noch weiter, denn beim Zuschauer kann so leicht der Eindruck entstehen, Irene Schlingensiepen sei als Dozentin an einer Universität tätig. Das ist aber nicht der Fall. Gemeint sind die Teilnehmer der Kurse an der von Irene Schlingensiepen gegründeten Homöopathieschule,[44] deren Adresse identisch ist mit der Adresse ihrer Praxisräume.[45] Es wäre hier wichtig gewesen, für den Zuschauer transparent zu machen, dass man einfach eine andere Homöopathin interviewt, ohne irgendeine Wissenschaftlichkeit der Aussagen zu suggerieren.
Die Quellenhomöopathie interpretiert das Ähnlichkeitsprinzip anders als die klassische Homöopathie. Diese Willkür in der Interpretation des zentralen Prinzips der Homöopathie wird nicht erwähnt.
Es wird nicht diskutiert, inwiefern sich die Beschwerden der Patientin in den wochenlangen Abständen zwischen den Sitzungen nicht ohnehin verändern. Allein dass seit dem traumatischen Erlebnis mittlerweile Jahre vergangen sind, könnte zur Folge haben, dass die Patientin zwischen besseren und schlechteren Phasen ihrer Schlafstörungen schwankt. Auch die Frage, ob die Patientin die psychiatrische Unterstützung als stigmatisierend empfand, wird nicht aufgeworfen. Es gibt immer wieder Patienten, die aufgrund solcher Stigmatisierung wenig Nutzen aus einer solchen Behandlung ziehen, während sie das homöopathische Gespräch, das der Mittelfindung dienen soll, nicht so wahrnehmen und sich entsprechend wesentlich mehr öffnen.[46] Studien zeigen bei anderen Beschwerden, dass der Nutzen, den Patienten aus homöopathischen Behandlungen ziehen, in den Gesprächen zu suchen ist und nicht in den verordneten Mitteln.[47] Die wichtige Frage, ob man Patienten mit spezifisch wirksamen Therapien aber nicht besser und dauerhafter helfen kann – die Patientin kommt ja gerade in die Praxis, weil sich ihr Jahre altes Problem wieder einmal verschlechtert hat – stellt der Filmbeitrag erst gar nicht.
Kritiker der Homöopathie
Im Sendebeitrag dient ein kurzer Blick auf die Geschichte der Homöopathie als Überleitung zum nächsten Thema: Aus dem Off beschreibt der Sprecher den Selbstversuch Samuel Hahnemanns mit Chinarinde als Ausgangspunkt der Homöopathie. (Minute 14:05) Nach seiner Habilitation habe er die Homöopathie in Leipzig gelehrt. Bei der Choleraepidemie 1831/32 habe die Homöopathie „überraschende Heilerfolge“ erzielt, was sie „weltweit populär“ gemacht habe. (Minute 14:50) Um das Jahr 1900 habe es in den USA etwa 140 homöopathisch arbeitende Krankenhäuser gegeben. Nach und nach seien aber Schließungen „zugunsten der modernen Schulmedizin“ erfolgt. (Minute 15:02) In Deutschland hätten 1997 rund 2.800 homöopathische Ärzte praktiziert, heute würden etwa 7.000 der über 390.000 Ärzte und mehrere tausend Heilpraktiker mit Homöopathie behandeln. In Indien, wo die Homöopathie eine staatlich geförderte Heilmethode sei, würden heute 300.000 homöopathische Ärzte arbeiten. (Minute 15:11) Sven Oswald wirft anschließend die Frage auf:
Seit über 200 Jahren gibt es die Homöopathie. Wenn sie kompletter Humbug wäre, dann hätte sie sich längst erledigt, könnte man sagen. Andererseits hätte die Homöopathie es in dieser langen Zeit auch schaffen können, wirklich zu überzeugen. Selbst die Kritiker. (…) Ist sie einfach eine schwache Methode? Oder spielt am Ende Lobbyismus eine Rolle? (Minute 15:36)
Während im Bild eine 10:23-Aktion gezeigt wird, erklärt der Sprecher aus dem Off, dass „die Skeptiker“ eine weltweite Bewegung seien, die „alles in Frage stellt, was nicht wissenschaftlich bewiesen ist.“ (Minute 16:04) Im Anschluss werden drei kurze Aussagen von Kritikern eingeblendet: Dr. Norbert Aust, Professor Norbert Schmacke[48] und Dr. Natalie Grams. Zum Teil handelt es sich bei diesen kurzen, ohne ihre ausführlichen Begründungen zitierten Aussagen um aus anderen Sendebeiträgen übernommenes Archivmaterial.[49] Natalie Grams wird – als ehemalig homöopathisch arbeitende Ärztin – etwas genauer vorgestellt. In einem weiteren kurzen Interviewausschnitt erzählt sie, dass sie heute davon ausgeht, dass sie ihren Patienten oft deshalb helfen konnte, weil ihr die homöopathische Praxisstruktur die Möglichkeit zu ausführlichen Patientengesprächen gab, die in einer normalen Kassenarztpraxis nicht gegeben sind. Sie habe aber erkannt, dass es keine wissenschaftlichen Argumente für spezifische arzneiliche Wirkungen, besonders in den Hochpotenzen, gebe. (Minute 16:40)
Aus dem Off erklärt die Sprecherin, dass auch die Bundesärztekammer die „Homöopathie heute kritisch“ sehe. Mehrere Landesärztekammern hätten die „Weiterbildung zum Homöopathen“ gestrichen. Die Begründung sei, dass die Zusatzbezeichnung Homöopathie zu geringe Nachfrage habe und dass die Homöopathie zu unplausibel und zu unwissenschaftlich sei. (Minute 17:22) Dr. Heidrun Gitter, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer Berlin, sagt hierzu im Interview, dass sie mit der Homöopathie Studenten über eine „Glaubenslehre“ prüfen müsse, was „mit Medizin nichts zu tun“ habe. (Minute 17:40)
Die Sprecherin meint, bisher sei die Homöopathie doch eine geduldete Randerscheinung der Medizin gewesen; einige Mittel hätten sogar „Einzug in die Praxen von Zahnärzten und Orthopäden“ geschafft. (Minute 18:12) Die Frage, woher diese aktuelle Kritik an der Homöopathie komme, wird von Prof. Harald Walach im nächsten Interviewausschnitt wie folgt beantwortet:
Ich denke, dass Lobbyismus durchaus eine Rolle spielt. Es wurde durch Kampagnen in der letzten Zeit so weit gestreut, Homöopathie ist unwirksam, Homöopathie ist unwirksam, Homöopathie ist unwirksam, Homöopathie ist unwirksam, dass es jeder glaubt. Hinter der Kampagne steckt im Wesentlichen eine Gruppe von Leuten, die sich gern die Skeptiker nennen, die das Weltbild vertreten, in dem nur bestimmte materielle Wirkungen vorkommen dürfen, und für die natürlich Homöopathie schon lange ein Ärgernis ist. (Minute 18:25)
Die Sprecherin ergänzt hierzu, dass laut Walach die „tatsächliche Faktenlage“ durch die Kritiker „ignoriert“ werde. (Minute 18:39) Bei der Kritik der Homöopathie gehe es – laut Walach – um den „Kampf zweier Weltanschauungen“:
Der Glaube an die Beweise der Wissenschaft stehe gegen den Glauben an die Existenz unerklärlicher Phänomene wie bei der Homöopathie. (Minute 19:14)
Sven Oswald resümiert, dass angesichts solcher „unbeantworteter Fragen“ auf der Strecke bleibe, was der Patient wolle. Um diesen Patientenwillen herauszufinden, stellt er anschließend einigen Passanten in einer Berliner Markthalle die Frage: „Was denken Sie über Homöopathie?“ Nicht wenige der in der Sendung präsentierten Passanten sehen beobachtete Effekte der Homöopathika jedoch im Glauben an die Mittel begründet, während sich vor allem Sven Oswald selbst für das Funktionieren des Verfahrens ausspricht:
Sven Oswald: Ich hab da auch eine ganz eigene Meinung dazu, nämlich, kann ja alles gar nicht funktionieren. Huch, es klappt aber.
Passantin: Der halbe Zauber ist, wenn jemand da ist, der das überzeugend vertritt und der einen da so ein bisschen mitnehmen kann. Das ist Psychologie.
Passant: Wer Globuli will, soll sie nehmen, aber soll nicht erwarten, dass das von allen bezahlt wird. (Ab Minute 21:08)
Die letzte Bemerkung dient zur Überleitung zur Thematik der gesetzlichen Sonderregelungen, von denen die Homöopathie profitiert.
Wissenschaftliche Antworten
Aussage | Wissenschaftliche Faktenlage und Querverweis auf andere Artikel |
Im Chinarindenexperiment habe Samuel Hahnemann ein allgemeines Naturprinzip entdeckt, das Ähnlichkeitsprinzip. | Das Ergebnis von Hahnemanns Experiment konnte nie reproduziert werden.[50] In Wiederholungen stellten sich keine Malariasymptome bei den Teilnehmern ein. Wir wissen heute auch aus anderen Befunden, dass Chinin bei Gesunden keine Malariasymptome auslöst. Nur deshalb, weil der Chinarindenversuch Hahnemanns nicht verallgemeinerbar ist, kann Chinin bis heute in Erfrischungsgetränken wie Tonic Water und den fruchtsafthaltigen Limonaden Bitter-Orange und Bitter-Lemon eingesetzt[51] und von einer breiten Masse konsumiert werden – ohne das Auftreten von Malariasymptomen. Selbst Homöopathen bezeichnen den Chinarindenversuch heute als zeitbedingten Irrtum.[50]
Vermutlich hatten Hahnemanns Symptome eine andere Ursache: denkbar wären eine allergische Reaktion oder eine Erkrankung. Es kann nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden, dass Hahnemann wirklich an erhöhter Temperatur gelitten hat, wie sie für Malaria typisch ist: Zu Hahnemanns Zeit stand der Begriff „Fieber“ nicht wie heute für einen Temperaturanstieg, sondern allgemein für das Auftreten von Krankheitssymptomen – und Hahnemann verwendet ihn des Öfteren in dieser Weise in seinen Werken. Zudem stand Hahnemann beim Chinarindenversuch noch kein Fieberthermometer zur Verfügung, es wurde erst Jahrzehnte später erfunden; die von ihm beschriebenen Symptome sind jedoch eher ungewöhnlich für Fieber.[52] Spätestens aber die Verallgemeinerung eines einzelnen, nicht reproduzierbaren Experimentes an einer einzigen Person mit einer einzigen Substanz auf das Postulat eines allgemeingültigen Naturprinzips ist unzulässig. Im Gegenteil wissen wir heute, dass es kein „Ähnlichkeitsprinzip“ als allgemeines Phänomen in der Natur gibt. So werden beispielsweise Vergiftungszustände nicht dadurch geheilt, dass man dem Kranken weitere Dosen des Giftes gibt, egal in welcher Verdünnung. Auch weitere Gaben aller Krankheitserreger (Bakterien, Viren, etc.) führen offensichtlich nicht zu einer Genesung. Die allermeisten krankheitsverursachenden Stoffe heilen keineswegs, wenn man sie einem Kranken verabreicht. Für uns harmlose Stoffe rufen dagegen bei gesunden Personen beim Verzehr keine Symptome hervor. Es mag lediglich einzelne Fälle geben, die bei oberflächlicher Betrachtung im Sinne eines „Ähnlichkeitsprinzips“ interpretierbar erscheinen. Zudem liegt der Begriff der „Ähnlichkeit“ im Auge des Betrachters und ist daher willkürlich.[53] Das zeigt sich auch darin, dass zwischen den diversen homöopathischen Strömungen keine Einigkeit darüber herrscht, was mit der im Ähnlichkeitsprinzip beschworenen „Ähnlichkeit“ nun genau gemeint ist. ⇒ Siehe hierzu ausführlich den Hauptartikel Chinarindenversuch |
Die Homöopathie habe überraschende Heilerfolge bei der Choleraepidemie 1831/32 erzielt | Diese Darstellung ist deshalb sehr irreführend, weil die von Hahnemann empfohlene – und später von Kollegen gewürdigte – Therapieempfehlung nichts mit Homöopathie zu tun hatte.
Die Vorgabe Hahnemanns sah kräftige Speisen und Getränke vor, sowie die Einnahme von „Kampferspiritus“, einem Gemisch von Kampfer in Weingeist im Verhältnis 1:12.[54] Dieses Mittel sollte alle paar Minuten tropfenweise eingenommen und auch zum Einreiben der Haut verwendet werden. Ebenso sollte Kampfer auf einem heißen Blech verdampft oder als Einlauf verwendet werden. Von den die Homöopathie kennzeichnenden Merkmalen – nämlich die Verordnung der Mittel nach dem Ähnlichkeitsprinzip oder die Verwendung von durch Potenzieren hergestellten Präparaten – ist hier gar nicht die Rede. Hahnemann empfahl Homöopathika erst für spätere Krankheitsstadien. Ganz im Gegenteil passt die Grundtherapie Hahnemanns eher zu heutigen Antibiotika:
⇒ Siehe hierzu das Kapitel Cholera im Hauptartikel Homöopathie bei Epidemien. |
Seit über 200 Jahren gebe es die Homöopathie. Wenn sie kompletter Humbug wäre, dann hätte sie sich längst erledigt. | Auch Regentänze und Horoskope gibt es schon sehr lange. Die „Vier-Säfte-Lehre“, die alle Krankheiten als gestörte Verhältnisse der Körpersäfte Blut, Schleim, schwarzer und gelber Galle deutete und die oft zur Verordnung von Quecksilber und anderen giftigen Substanzen führte, wurde von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit praktiziert, also erheblich länger als die Homöopathie – und hat sich dennoch als falsch erwiesen.[56] Erst wissenschaftliche kontrollierte Untersuchungen widerlegten sie und sorgten für das Verschwinden solcher für den Patienten gefährlicher Verfahren aus der evidenzbasierten Medizin.[B 11]
Im vielbeschworenen „alten Wissen“ finden sich gerade beim Thema Medizin gleichermaßen Schätze und völlig Falsches. Das liegt daran, dass es in historischer Zeit keine systematischen und aussagekräftigen Methoden gab, zu überprüfen, ob die angewendete Methode wirklich die Ursache eines nachher eingetretenen Ereignisses war. Man betrachtete jede Besserung – fast schon allein jedes Überleben eines Patienten – als Bestätigung der angewendeten Verfahren. Erst im Lauf der letzten 150 Jahre begann man zu verstehen, dass es eine ganze Reihe von Faktoren außerhalb der erfolgten Behandlungen gibt, die zu Besserungen führen können, selbst wenn Patienten mit nutzlosen oder gar schädlichen Methoden behandelt wurden.[22] Mit der Entwicklung der randomisierten und mehrfach verblindeten placebokontrollierten Vergleichsstudie hatte man ein Werkzeug in der Hand, das aufzeigen konnte, wie viele der beobachteten Besserungen auf diese Begleitumstände zurückzuführen sind: Während diese in beiden Vergleichsgruppen gleichermaßen auftreten, zeigen sich echte, der jeweils untersuchten Therapie geschuldeten Effekte nur einer Gruppe – oder es zeigt sich, dass keine Unterschiede zu Placebo zu finden sind. Diese Berufung darauf, dass man „das schon immer (oder sehr lange) so gemacht habe“, ist deshalb als „Traditionsargument“ oder „Argument des Althergebrachten“ ein bekannter logischer Fehlschluss.[57][58] Nur weil etwas auf eine lange Tradition zurückblickt, sagt das über seine Sinnhaftigkeit nichts aus. Der Verweis auf die Tradition ist deshalb in der Medizin – nicht anders als bei gesellschaftlichen Themen wie beispielsweise der Emanzipation – ein Immunisierungsversuch gegen ein Infragestellen des Althergebrachten und ein Versuch, eine stichhaltige Überprüfung der Sinnhaftigkeit überlieferter Ritualhandlungen zu verhindern. Gerade bei medizinischen Themen darf aber die Frage nach der Wirksamkeit bzw. danach, ob ein Verfahren hält, was es verspricht, nicht einem festgefahrenen Traditionsdenken geopfert werden. ⇒ Siehe hierzu Hauptartikel Logische Fehlschlüsse - Traditionsargument
|
Die Homöopathie werde nur kritisiert von denen, die ein materielles Weltbild vertreten, weil für diese Personen die Homöopathie schon lange ein Ärgernis sei. | Dass Homöopathika Placebos sind, ist die Schlussfolgerung, die sich übereinstimmend aus einer ganzen Reihe wissenschaftlicher Daten ergibt – und wird nicht aus einem „bestimmten Weltbild“ heraus postuliert:
Entsprechend sind verschiedene wissenschaftliche Gremien[5][14][15][59] in den letzten Jahren übereinstimmend zur Einschätzung der Homöopathika als Placebos gelangt. Es ist nicht einmal korrekt, dass der Materialismus heute noch die philosophische Grundlage der Naturwissenschaft wäre. Dies ist vielmehr der „schwache ontologische Naturalismus. So schreibt der studierte Chemiker und Wissenschaftsphilosoph Martin Neukamm:
Dieser Geschlossenheitsthese ordnet letztlich Hahnemann selbst seine Homöopathie unter, wenn er in § 144 seines Organons fordert, aus der Homöopathie „sei alles Vermuthete, bloß Behauptete, oder gar Erdichtete gänzlich ausgeschlossen; es sei alles reine Sprache der sorgfältig und redlich befragten Natur.“[10] Es ist die eindeutig von Homöopathen vertretene Ansicht, dass die Auswahl des „richtigen Mittels“ gesetzmäßigen Regeln folge; Gesetzmäßigkeiten sind aber von ihrem Wesen her wissenschaftlich testbar: Fieber, Heftigkeit und Häufigkeit von Kopfschmerzen und anderen Beschwerden – all das sind klar wissenschaftlich messbare Größen. Die Frage, ob Homöopathika hier charakteristische und spezifische Wirkungen der eingesetzten Mittel über Placebo hinaus erzeugen können, ist also vollkommen unabhängig vom zugrunde gelegten Weltbild wissenschaftlich testbar. Und sie wurde getestet mit dem wieder und wieder erhaltenen Gesamtergebnis, dass sich keine reproduzierbaren Belege eines Unterschieds zwischen Homöopathika und anderen Placebos nachweisen lassen. Der Verweis auf ein bestimmtes Weltbild ist daher nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver von den wissenschaftlichen Ergebnissen.[B 12] |
Kritik an der Homöopathie erfolge nur durch Gruppierungen, die sich „Skeptiker“ nennen. | Das ist nicht korrekt. Diese Darstellung ist auf eine ans Verschwörungstheoretische grenzende Weise falsch und irreführend.
Vereine wie die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP)[61] kommunizieren lediglich wissenschaftliche Ergebnisse zu verschiedenen Themen und machen Verbraucher auf in diesem Sinne unfundierte Produktbehauptungen aufmerksam. Der wissenschaftliche Hintergrund dieser Kritik – wie etwa die Existenz einer auf umfangreichen wissenschaftlichen Daten basierenden Stellungnahme des European Academies Scientific Advisory Council (EASAC),[5] die die wesentlichen Kritikpunkte und Empfehlungen zusammenfasst – bleibt in der Sendung unerwähnt. Dass man dem Zuschauer diese wissenschaftlichen Quellen einfach nicht nennt, bedeutet aber nicht, dass sie nicht existieren oder Ausgangspunkt der Kritik sind. Tatsächlich folgten in den letzten Jahren mehrere Europäische Regierungen und Gesundheitsbehörden[62][63][64] und mittlerweile (Stand Oktober 2020) 10 deutsche Ärztekammern[65] diesen wissenschaftlichen Ergebnissen – und keineswegs den Forderungen skeptischer Vereine. Der Versuch, der Öffentlichkeit gegenüber vorzugaukeln, die Kritik stamme allein von nicht wissenschaftlich tätigen „Skeptikern“, ist ein seit Jahren von homöopathischer Seite praktizierter Immunisierungs- und Diskreditierungsversuch, dem der rbb hier mit seiner unkritischen Wiederholung Vorschub geleistet hat. |
Kritik an der Homöopathie sei einem Lobbyismus geschuldet. | Die Behauptung wird mehrmals in der Sendung aufgeworfen.
Wie dargestellt beruht die Kritik an der Homöopathie auf der übereinstimmenden Einschätzung der Homöopathie durch verschiedene unabhängig tätige wissenschaftliche Gremien.[5][14][15] Das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) kommuniziert lediglich diese Ergebnisse, ist von Privatpersonen gegründet, die ehrenamtlich für das INH tätig sind.[66][67] Das INH ist zwar ein Gremium der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) im Sinne der Satzung, inhaltlich und personell jedoch von der GWUP unabhängig. Die GWUP selbst ist als gemeinnütziger Verein zur Förderung der Volksbildung anerkannt, denn sie …
Die wissenschaftliche und verbraucherschutzrechtliche Basis der Kritik an der Homöopathie wird in der Sendung nicht verdeutlicht; der mehrmals von homöopathischer Seite geäußerten, aber unbelegten Lobbyismusbehauptung, die beim Zuschauer leicht den Eindruck einer finanziellen Verstrickung hinterlassen kann, wird nicht widersprochen. Gleichzeitig wird der Zuschauer nirgends klar auf die realen beruflichen Interessenskonflikte nahezu aller in der Sendung auftretenden Homöopathen aufmerksam gemacht: So hatte beispielsweise Harald Walach in der Vergangenheit eine Stiftungsprofessur an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, die über die Finanzierung durch die Homöopathiefirma Heel ermöglicht worden war. Die Hochschulstrukturkommission des Landes Brandenburg übte 2012 Kritik an „der Aufstellung und der Konzeption“ und empfahl, die Fortführung des von Walach geführten Instituts zu beenden.[69] Im Sendebeitrag wird für Walach die Universität Witten/Herdecke als Referenz angegeben, an der er in seinem Lebenslauf eine Tätigkeit (zum Sendezeitpunkt) als Gastdozent anführt.[70] Auch die Universität Witten/Herdecke ist als Privatuniversität auf Fördermittel angewiesen. Ein Teil dieser Fördermittel stammt aus anthroposophischen Stiftungen.[71][72] Die anthroposophische Medizin profitiert von denselben gesetzlichen Sonderregelungen, wie z. B. die Befreiung von Wirksamkeitsnachweisen für die jeweiligen „Arzneien“, die auch die Homöopathie begünstigen. Berufliche Interessenskonflikte betreffen in derselben Weise auch andere, im Sendebeitrag auftretende homöopathische Ärzte wie Dr. Schlingensiepen und Dr. Heck oder die später auftretende Apothekerin Frau Deerberg und den Tierarzt Dr. Fidelak. Hier wäre bei einem Wegfall der gesetzlichen Sonderbehandlung – wie sie die EASAC[5] anrät – entsprechend mit Umsatz- und Imageeinbußen zu rechnen. Vor allem aber wird der große Umfang an Lobbyismusarbeit, den Verbände der pharmazeutischen Industrie und verschiedene Stiftungen für die Homöopathie leisten, in der Sendung nirgends angesprochen. ⇒ Siehe hierzu den Hauptartikel „Branchenverbände (Deutschland)“ ⇒ Siehe hierzu auch auf der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie (INH) den Artikel „Unterdrückt die mächtige Pharmaindustrie die Homöopathie ?“ |
Die tatsächliche Faktenlage werde durch die Kritiker ignoriert. Es gebe viele Studien zur Homöopathie, die Effekte über Placebo hinaus aufzeigen würden. Doch diese Ergebnisse würden die Kritiker einfach nicht anerkennen. | Den aussagekräftigsten und verlässlichsten Überblick über die Evidenz bekommt man nur in der Betrachtung möglichst aller Fakten zu einem Verfahren. Zusätzlich ist hierbei wichtig, dass die Qualität und die mögliche Irrtumsanfälligkeit von erhobenen Untersuchungen in die Bewertung der Evidenz einfließen. Um einen solchen Überblick bemüht man sich bei der wissenschaftlichen Bewertung eines Verfahrens. Wer nur die positiven Ergebnisse herausgreift und alles andere unter den Tisch fallen lässt, ist in Wahrheit der, der Fakten ignoriert.
Eine wissenschaftliche Gesamtsicht auf die Evidenz betrachtet deshalb die gesamte Studienlage, so wie sie sich in Systematischen Reviews und anderen Analysen aller Studien darstellt – aber nicht nur. Zusätzlich werden noch weitere Aspekte für das Gesamtbild benötigt: die Frage nach der stabilen Reproduzierbarkeit der Ergebnisse und die Frage nach der naturwissenschaftlichen Plausibilität und nach inneren Widersprüchen im Verfahren. Zuletzt gehört zu einer wissenschaftlichen Einschätzung auch, wie die Protagonisten eines Verfahrens fehlende Evidenz und Zerfall in einander widersprechende Strömungen innerdisziplinär und gegenüber Patient und Politik handhaben. In dieser Gesamtsicht zeigt sich: Es gibt keine stichhaltigen Argumente dafür, dass Homöopathika etwas anderes als Placebos sind. Dies wird im folgenden kurz erläutert: Zum ersten sind die Konzepte der Homöopathie im Laufe der seit Hahnemann verstrichenen Zeit mehr und mehr in Widerspruch zum anwachsenden Wissen der Naturwissenschaften geraten.[12][73] Auch die inneren Widersprüche der Homöopathie und der Zerfall in einander widersprechende Strömungen sind bereits deutliche Hinweise, dass sie nicht auf echten Naturphänomenen beruht. Obwohl bereits die naturwissenschaftliche Unplausibilität für sich genommen ein sehr starkes Argument darstellt, bekam die Homöopathie aufgrund ihrer Beliebtheit bei Patienten durch die Untersuchung in klinischen Studien quasi eine zweite Chance. Klinische Studien hätten auch bei einem unverstandenen Wirkmechanismus reproduzierbar Unterschiede zu Placebo messen können. In der Gesamtsicht der Studienlage von mittlerweile über 200 klinischen Vergleichsstudien ergeben sich jedoch in Übereinstimmung mit der naturwissenschaftlichen Vorhersage keine stichhaltigen Argumente dafür, dass Homöopathika etwas anderes sind als Placebos. Alle systematischen Reviews zur Homöopathie insgesamt bemängeln die schlechte Qualität der Einzelstudien, die leicht dazu führen kann, ein Verfahren zu überschätzen. Immer wieder stellen die Autoren fest, dass kleine statistische Effekte weiter zurückgehen oder ganz verschwinden, wenn man sich auf die qualitativ besseren Arbeiten beschränkt. Bei keinem einzigen Krankheitsbild berichtet auch nur einer der Reviews von stichhaltigen oder in Reproduktionen robusten Belegen einer Überlegenheit gegen Placebo. Zu diesem Ergebnis kamen auch verschiedene Gesundheitsbehörden, etwa die amerikanische Food and Drug Administration (FDA)[74] oder der britische National Health Service (NHS)[15]. Dies wird noch einmal aussagekräftiger durch den Umstand, dass die meisten Studien von Homöopathen selbst durchgeführt wurden – und dies vor allem, um externe Anerkennung zu bekommen. Innerhalb der Lehre braucht man dieses Instrument nicht: die Ergebnisse der Studien haben auf die homöopathische Behandlungspraxis keinen Einfluss. Daraus ist zu folgern, dass die Studien wahrscheinlich bei Indikationen durchgeführt wurden, von denen man annahm, dass sie besonders gut die Wirksamkeit des Verfahrens demonstrieren – siehe etwa die Münchner Kopfschmerzstudie. Wenn das dann selbst dort nicht klappt, dann sagt das Scheitern des Nachweises einer Wirksamkeit sehr viel aus. Zusätzlich wurde die Studienlage bisher (Stand Ende 2020) zweimal mit einer weiteren Methode, der sogenannten „p-Kurven-Analyse“ gesichtet. Bei diesem Verfahren wird die Verteilung der p-Werte – der Prozentsatz, mit dem die statistische Signifikanz der Ergebnisse angegeben wird – der Einzelstudien betrachtet, also ob und wie häufig diese eher nahe an der Signifikanzgrenze lagen. Bei statistischen Artefakten ergeben sich für die Ergebnisse andere Verteilungen als bei Ergebnissen, die auf echten Naturphänomenen beruhen. Die Ergebnisse beider unabhängigen Analysen haben die Systematischen Reviews eindrucksvoll bestätigt: Homöopathika sind Placebos.[17][16] Basierend auf dieser Gesamtevidenz hat das European Academies Scientific Advisory Council (EASAC) – eine Dachorganisation Europäischer Wissenschaftsakademien – eine Stellungnahme zur Homöopathie verfasst. Sie schreibt darin:
Kritiker der Homöopathie stellen die wissenschaftlichen Ergebnisse deshalb korrekt dar, anstatt wie Homöopathieverbände auf einzelne positive Arbeiten zu verweisen. Positive Ergebnisse werden also nicht ignoriert, sie werden aber – wie es wissenschaftlich sinnvoll ist – unter Berücksichtigung der anderen vorliegenden Fakten bewertet. |
Der Glaube an die Beweise der Wissenschaft stehe gegen den Glauben an die Existenz unerklärlicher Phänomene wie bei der Homöopathie. | Nein, das ist ein Versuch, sich gegen die aussagekräftigen wissenschaftlichen Ergebnisse zu immunisieren. Zudem wird die Existenz eines unerklärlichen Phänomens bei der Homöopathie postuliert. Tatsächlich zeigt der Blick auf die Gesamtevidenz[5][12][13][14][15][16][17][18][75] keineswegs ein solches Phänomen auf, sondern zeigt, dass Homöopathika nicht schneller oder öfter zu Besserungen führen, wie sie unter gleichem Behandlungssetting auch mit (anderen) Placebos auftreten.[47]
Der Arzt, Autor und Fernsehmoderator Dr. med. Eckart von Hirschhausen hat die Sache mit dem „Glauben“ deutlich treffender formuliert als der rbb: „Die Wissenschaft hat die Magie aus der Medizin vertrieben, aber nicht aus uns Menschen.“[76] Dass sein Glaube und sein Vertrauen in die Behandlung für die Aussichten eines Patienten auf den Behandlungserfolg eine Rolle spielen, weiß man auch in der evidenzbasierten Medizin. Ärzte und Wissenschaftler dürfen Therapieempfehlungen aber keinen Glauben zugrunde legen, sondern sind dazu verpflichtet, die bekannten Fakten zu einem Verfahren nicht zu ignorieren. Während ein wenig magisches Denken auf der Seite des Patienten zum medizinischen Alltag gehört und in gewissem Umfang auch legitim ausgenutzt werden kann, wird es für den Patienten gefährlich, wenn der Therapeut bei seiner Beratung unbelegte Phänomene anpreist – besonders dann, wenn dies durch einen pseudowissenschaftlichen Überbau für den Patienten nicht einmal transparent wird. Denn ein solcher Glaube macht aus Homöopathika keine spezifisch wirksamen Arzneien. |
Moderator Sven Oswald: „Ich hab da auch eine ganz eigene Meinung dazu, nämlich, kann ja alles gar nicht funktionieren. Huch, es klappt aber.“ | Sven Oswald formuliert hier in geradezu klassischer Weise den „Post-hoc-ergo-propter-hoc“-Fehlschluss, die unzulässige Gleichsetzung von „danach“ und „deshalb“. Die Aussage zeigt auch, wie die Unplausibilität der Homöopathie diesen Fehlschluss in geradezu fataler Weise sogar noch verstärkt: Wer über die Unplausibilität des Verfahrens grundsätzlich Bescheid weiß, erwartet nur allzu leicht etwas, das auch unter Placebo nicht wahrscheinlich wäre: Keinerlei Veränderungen der Beschwerden nach der Gabe von Globuli. Gerade wenn die Homöopathie bei leichten Beschwerden angewendet wird, die meist von selbst ausheilen, sind Besserungen irgendwann nach der Einnahme fast unvermeidbar. Auch bei chronischen Beschwerden treten unter den sich über Wochen und Monate hinziehenden homöopathischen Behandlungszeiträumen oft Veränderungen auf, die auch hier in Wahrheit der verstrichenen Zeit und den Begleitumständen geschuldet sind. Eine Linderung der Beschwerden irgendwann nach einer Einnahme bedeutet eben gerade nicht, dass das Verfahren „klappt“. Es bedeutet leider nicht einmal in allen Fällen, dass sich der medizinische Befund verbessert hat.[77] Es ist bedenklich, dass der Sendebeitrag diesen eigentlich medizinisch lange als relevant bekannten Fehlschluss durch derartige unkommentierte Aussagen propagiert. Viel besser wäre es gewesen, dem Zuschauer zu erklären, dass und warum aus „danach“ kein „deshalb“ zu folgern ist.
⇒ Siehe hierzu den Abschnitt „Mir hat es geholfen“ im Hauptartikel „Oft gehörte Argumente - Hinweise auf persönliche Erfahrungen, Beliebtheit und Wohlfühlcharakter“ |
Welche wichtigen Informationen fehlen hier?
In diesem Abschnitt widerspricht sich der Sendebeitrag selbst deutlich, ohne dass das thematisiert wird: Während Frau Schlingensiepen im vorhergehenden Abschnitt Nanopartikel – also kleine, aber vollkommen materielle Strukturen – für angebliche Effekte der Homöopathika verantwortlich macht, lässt man ab Minute 19:15 Harald Walach aussagen, dass eine eventuelle Wirksamkeit der Homöopathika wohl kaum materieller Art sein könne und es den „Skeptikern“ ja gerade deshalb um einen „Kampf der Weltanschauungen“ gehe. Weder weist man den Zuschauer deutlich auf diesen direkten Widerspruch der Darstellungen hin, noch werden den Interviewpartnern entsprechend kritische Nachfragen gestellt.
Die Kritik an der Homöopathie wird ausschließlich auf Aussagen der „Skeptiker“ reduziert. Dass weltweit alle außerhalb der homöopathischen Lobby stehenden wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich mit der Homöopathie beschäftigt haben, übereinstimmend zum Ergebnis kommen, dass es keine stichhaltigen Argumente für einen Unterschied von Homöopathika zu anderen Placebos gibt, bleibt unerwähnt. Dass die EASAC bereits 2017 eine entsprechende Stellungnahme verfasst hat, erfährt der Zuschauer nicht.
Gesetzliche Sonderregelungen
Sven Oswald wirft als nächstes die Frage auf, wieviel Einfluss die Politik auf die Homöopathie hat, sowie die, was Änderungen der gesetzlichen Sonderregelungen, von denen die Homöopathie profitiert, bedeuten würden.
Aus dem Off erklärt die Sprecherin zunächst, dass es für die Homöopathie, die anthroposophische Medizin und die Pflanzenheilkunde derartige Sonderregelungen gibt. Statt eines wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweises wird für diese drei Gruppen nur sogenanntes „Erkenntnismaterial“ aus der jeweiligen Therapierichtung in speziellen Kommissionen gesammelt. Das solle dem „Wissenschaftspluralismus“ gerecht werden. (Minute 21:40) Die Sprecherin betont, dass die gesetzliche Sonderbehandlung aber keine Ausnahme von der strengen Überwachung des Herstellungsprozesses beinhalte. Dies minimiere die Gefahr, dass es bei uns zu tödlichen Vergiftungen durch fehlerhaft produzierte Homöopathika komme, wie es in den USA geschah. Ein Wegfall der Registrierung oder gar Zulassung als Arzneimittel durch das Streichen der gesetzlichen Sonderregelungen ginge auch mit dem Wegfall der strengen Auflagen für die Arzneimittelsicherheit einher.
Die Sprecherin erklärt weiter, dass Homöopathie nicht zum normalen Leistungskatalog gehöre, von vielen Kassen aber als Zusatzleistung angeboten werde. Würde diese Möglichkeit wegfallen – wie Kritiker fordern – so könne man damit aber nur sehr wenig einsparen. So lägen die Ausgaben bei der Techniker Krankenkasse für Homöopathie unter 0,1 Prozent ihres Gesamtbudgets, bei anderen Kassen zum Teil noch darunter.
Anschließend besucht Sven Oswald eine Berliner Apotheke, um mit der Apothekerin, Frau Deerberg, über die Apothekenpflicht der Homöopathika zu sprechen. Christine Deerberg sagt vor der Kamera, dass sie sich über die aktuelle Welle der Kritik ärgere, weil sie überzeugt sei, dass Homöopathie wirke. Sie meint auch, dass es ohnehin für sie leichter sei, …
… ein chemisches Medikament zu verkaufen, weil da viel Werbung gemacht wird, die Industrie dahinter steht. In der Homöopathie ist das anders. (Minute 24:20)
Zudem meint sie, die homöopathischen Mittel hätten keine Packungsbeilage. Ohne ihre Erklärungen wisse der Patient also gar nicht, wie die Mittel einzunehmen oder wofür die Mittel überhaupt seien. Zum Kritikpunkt, Apotheken würden an den verkauften Homöopathika gut verdienen, sagt sie:
Na ja, wenn man den Aufwand sieht und den Gesamtpreis, dann finde ich das witzig. Weil, das ist natürlich nicht der Fall. Man verdient am teuren Medikament natürlich viel mehr als an einem preiswerten Medikament. (Minute 25:20)
Sven Oswald erzählt, wie bei seiner Tochter ein Paukenerguss[B 1] nach einer Gabe von Globuli verschwand. Frau Deerberg erklärt hierzu, solche Beispiele seien typisch für die Homöopathie, weil damit die Selbstheilung angeregt werde. (Minute 26:10)
Wissenschaftliche Antworten
Aussage | Wissenschaftliche Faktenlage und Querverweis auf andere Artikel |
In der Apotheke sei es viel leichter, ein chemisches Medikament zu verkaufen, weil dafür von Seiten der Industrie viel Werbung gemacht werde. In der Homöopathie sei das anders. | Dieser Satz ist sehr irreführend. Unterschiede macht das Heilmittelwerbegesetz nicht zwischen „chemischen Medikamenten“ und Homöopathika, sondern zwischen verschreibungspflichtigen, nicht rezeptpflichtigen und sogar frei verkäuflichen Produkten einerseits und zwischen zugelassenen und nur registrierten Arzneimitteln andererseits. Eine Apothekerin müsste das eigentlich wissen und korrekt wiedergeben können.
Das Heilmittelwerbegesetz verbietet explizit in § 10 die aktive Bewerbung von verschreibungspflichtigen Medikamenten gegenüber dem medizinischen Laien:
Werbung in Presse, Fernsehen oder Radio ist dem Patienten gegenüber also ohnehin nur bei nicht rezeptpflichtigen Präparaten erlaubt. Hier findet sie aber umfangreich und in gleicher Weise auch für Homöopathika statt: Homöopathische Präparate, die über die gesetzlichen Sonderbehandlungen und das darin beschriebene erleichterte Zulassungsverfahren als Arzneimittel zugelassen sind, werden von Seiten der Industrie genauso beworben wie andere Mittel. Dazu zählen beispielsweise Meditonsin,[79] Neurexan[80][81] oder Traumeel.[82] Auch in und über Apotheken finden solche Kampagnen umfangreich Verbreitung:
Homöopathika, die den Marktzugang auf der Basis der gesetzlichen Sonderbehandlung als sogenannte „registrierte Arzneimittel“ erhalten haben, dürfen entsprechend § 5 des Heilmittelwerbegesetzes nicht mit bestimmten Anwendungsgebieten beworben werden.[83] Die Werbung erfolgt hier jedoch auf anderem Wege: So lancieren Hersteller Kampagnen für die Homöopathie als Verfahren.[84] Verbände[85] und eine umfangreiche, völlig unkritische „Ratgeberliteratur“[86][87][88] verbreiten Mittelempfehlungen für lediglich registrierte Mittel und Potenzen bei verschiedenen Anwendungsgebieten. Beim Patienten entsteht hierdurch der Eindruck geprüfter Anwendungsregeln. Diese Darstellung gegenüber der Öffentlichkeit forcieren auch Apotheken über Werbevorträge zur Homöopathie.[89][90][91] Die Darstellung, dass hinter der Homöopathie nicht ebenso umfangreiche und geschickte Werbekampagnen stünden wie hinter anderen Präparaten, ist also grundlegend irreführend. |
Homöopathika hätten keine Packungsbeilage. Ohne Erklärungen des Apothekers wisse der Patient also gar nicht, wie die Mittel einzunehmen oder wofür die Mittel überhaupt seien. | Zunächst einmal ist die Behauptung, dass Homöopathika allgemein keine Packungsbeilage hätten, schlicht falsch. Dies gilt sowohl für zugelassene Komplexmittel[92] als auch für wirkstofffreie Globuli in höheren „Potenzen“.[93][94][95] Das Produkt „Bryonia C30“ des Herstellers Deutsche Homöopathie Union (DHU), das Frau Deerberg als Beispiel für die angeblich fehlende Packungsbeilage bei Minute 24:31 herausgreift, aber nicht öffnet, macht hier keine Ausnahme.[96]
Richtig ist vielmehr, dass die durchaus beigelegten Zettel bei lediglich registrierten Mitteln keine Anwendungsgebiete und keine Dosierungsvorschriften enthalten dürfen. Der Begriff der „Registrierung“ bedeutet, dass das Mittel gemäß § 38 des Arzneimittelgesetzes „in ein bei der zuständigen Bundesoberbehörde zu führendes Register für homöopathische Arzneimittel eingetragen“ wurde.[97]§ 38 beschreibt weiter, dass für den Eintrag „Angaben über die Wirkungen und Anwendungsgebiete, für die Unterlagen und Gutachten über die klinische Prüfung“ nicht beizufügen sind. Auch Unterlagen über eine pharmakologisch-toxikologische Prüfung sind unnötig, wenn sich die Unbedenklichkeit „durch einen angemessen hohen Verdünnungsgrad ergibt“.[97] Eine darüber hinausgehende Zulassung besitzen solche Präparate nicht. Gemäß § 5 Heilmittelwerbegesetz dürfen registrierte homöopathische Arzneimittel nicht mit der Angabe von Anwendungsgebieten beworben werden.[98] Der Bundesgerichtshof hat bei Urteilen um Verstöße gegen diese Vorschrift die Absicht des Gesetzgebers auch klar herausgestellt:
Bei den Anwendungsgebieten heißt es in den Packungsbeilagen deswegen: „Registriertes homöopathisches Arzneimittel, daher ohne Angabe einer therapeutischen Indikation.“ Der Gesetzgeber will den Patienten also mit diesem Satz auf das Fehlen von Nachweisen einer Wirksamkeit des Mittels bei irgendeiner Anwendung aufmerksam machen: Das Produkt ist eben nicht als Arzneimittel zugelassen und darf deswegen auch nicht als bei bestimmten Anwendungsgebieten wirksam beworben werden. Es konterkariert die Intention des Gesetzgebers deswegen in fataler Weise, wenn Apotheker die unfundierten Wirkbehauptungen und Einnahmeregeln, deren Abdrucken im Beipackzettel der Gesetzgeber extra untersagt hat, mündlich wieder mit dem Mittel zusammenführt. Durch die zelebrierte Wahl eines vorgeblich „richtigen Mittels“ und die ausführlichen Beschreibungen komplizierter Einnahmerituale[B 14] entsteht beim Patienten nur allzu leicht der gegenteilige Eindruck einer wissenschaftlichen und empirischen Fundiertheit der Aussagen, weil Apotheker durch ihre Ausbildung Ansehen als Fachleute genießen. Anstatt hier also eine angebliche Notwendigkeit abzunicken, unfundierte Behauptungen an den Kunden weiterzugeben, hätte man die Ausführungen hier kritisch hinterfragen müssen, indem man etwa nachhakt, warum der Gesetzgeber hier untersagt hat, diese Aussagen in die Packungsbeilage zu schreiben. |
Ein Verkauf der Homöopathika in der Apotheke sei deshalb sinnvoll, weil Patienten nur dort eine fachmännische und fundierte Beratung zu den Produkten bekämen. | Dieses Argument wäre der stärkste Grund für eine Beibehaltung der Apothekenpflicht, wenn Patienten bezüglich der Homöopathika in Apotheken tatsächlich korrekt und fundiert informiert werden würden. Stichprobenuntersuchungen ergeben jedoch, dass das nur in den seltensten Fällen in der Beratungspraxis so erfolgt:
Der Sendebeitrag untergräbt hier also den Hinweis auf die fachmännische Beratung in Apotheken selbst, weil unmittelbar zuvor die Apothekerin noch erzählte, dass sie Patienten der homöopathischen Lehre entsprechend die Mittel „erklären“ müsse. Tatsächlich enthält die Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung – Information und Beratung des Patienten bei der Abgabe von Arzneimitteln – Selbstmedikation[101] explizit den Hinweis, dass bei der Beratung die „Beurteilung der Wirksamkeit von Präparaten nach pharmakologisch-toxikologischen Kriterien“ zu erfolgen habe. Da der Patient auch genau dies erwartet, ist eine unkritische Wiedergabe wissenschaftlich unfundierter Wirkbehauptungen für den Patienten entsprechend irreführend und kann leicht den Eindruck erwecken, „wenn es Apotheker so sagen, müsse doch was dran sein“. Diese scheinbare Adelung der Mittel steht im Mittelpunkt der Kritik an der Apothekenpflicht.[102] |
Apotheken könnten an Homöopathika eh nicht viel verdienen. | Die Apothekerzuschläge für rezeptpflichtige Medikamente sind gesetzlich vorgeschrieben und liegen (zum Sendezeitpunkt) bei drei Prozent auf den Apothekereinkaufspreis plus 8,35 Euro.[103] Apotheker haben entsprechend kaum Einfluss darauf, wie viel sie an verschreibungspflichtigen Medikamenten verdienen.
Der Wettbewerb unter den Apotheken und die zum Überleben der Apotheken oft notwendigen Zusatzeinnahmen finden daher über das Beratungsangebot und die sogenannten „over the counter“ – also „über den Verkaufstisch“ – erfolgenden Abverkäufe nicht rezeptpflichtiger Arzneien und von Wellnessprodukten statt. Dies ist der einzige Anteil der Produktpalette, auf deren Umsatzsteigerung Apotheker entsprechend durch aktive Empfehlung Einfluss nehmen können,[102] zumal ihnen der Gesetzgeber im Bereich der Selbstmedikation erlaubt hat, den Verkaufspreis aus marktwirtschaftlichen Überlegungen selbst zu bestimmen.[103] 2019 lag der Umsatz apothekenpflichtiger, aber nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel bei 4,6 Milliarden Euro.[104] Homöopathika machen einen nicht unerheblichen Teil dieser für Apotheker wichtigen Produktgruppe aus:
Die Bedeutung der Homöopathie für Apotheker liegt also in dem Anteil, den diese Produktgruppe an den über Beratungen und Empfehlungen erzielbaren Zusatzumsatz zum Rezeptgeschäft bei Selbstmedikation des Patienten hat. Dieser Anteil ist alles andere als vernachlässigbar klein. Dies gilt besonders bei Apotheken, die sich regelrecht mit Homöopathie gegenüber der Konkurrenz zu profilieren versuchen. |
Ein Wegfall der Registrierung oder gar Zulassung als Arzneimittel durch das Streichen der gesetzlichen Sonderregelungen ginge auch mit dem Wegfall der strengen Auflagen für die Arzneimittelsicherheit einher. Fälle von Vergiftungen durch fehlerhaft produzierte Homöopathika wie in den USA seien dann auch bei uns nicht mehr auszuschließen. | Es ist richtig, dass mit dem Wegfall der Einstufung als Arzneimittel auch die Auflagen und Kontrollen für Arzneimittelsicherheit möglicherweise nicht mehr gelten würden. Dies ist durchaus ein Argument für eine Beibehaltung der Apothekenpflicht. Mit dem Verweis auf die in den USA verstorbenen Kinder wird es allerdings in unangemessener Weise dramatisiert und emotionalisiert.
Deutschland verfügt zum Einen auch noch über Gesetze zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit.[106] Auch hierüber ist eine Qualitätsüberwachung gewährleistet. Zum Anderen fällt hier das wesentliche Argument gegen die Apothekenpflicht unter den Tisch, nämlich dass viele Eltern ihren Kindern überhaupt nur deshalb Homöopathika geben, weil die Produkte in Apotheken angeboten und beworben werden: Wenn diese Mittel neben anderen Arzneimitteln in der Apotheke stehen, so der Fehlschluss, dann müsse doch etwas an der Homöopathie dran sein. Würde die fehlende spezifische Wirksamkeit solcher Produkte sauber kommuniziert, würde es keine Babys geben, denen ihre Eltern Tollkirsche, Arsen oder andere Giftstoffe in homöopathischen Dosen einflößen. Die traurige Tatsache, dass in den USA Kinder unnötig gestorben sind, weil ihre Eltern ein normalerweise nutzloses, aber durch einen Produktionsfehler gefährliches Produkt angewendet haben, ist kein Argument dafür, dass Arzneimittelgesetze dazu dienen sollten, dass man Eltern unter falschen Wirksamkeitsversprechen nutzlose, aber gewährleistet harmlose Produkte andrehen kann. Das Arzneimittelgesetz hat nicht die Aufgabe zu gewährleisten, dass falsche Therapiewahl aufgrund gesetzlich erlaubten Vorgaukelns unbelegter Wirksamkeitsbehauptungen wenigstens nicht aktiv schädlich sei. Es dient nicht dazu, für die Hersteller eine Schutzzone zu erzeugen, die es überhaupt erst begünstigt, dass Eltern aufgrund unhaltbarer Wirkversprechen zu diesen Produkten greifen. Die eigentliche Ursache der Todesfälle lag in den unbegründeten Wirkversprechen. Hier ist deshalb anzusetzen. |
Vom Gesamtumsatz an homöopathischen Mitteln werde nur ein kleiner Teil von den Kassen erstattet. Viel Ersparnis brächte ein Erstattungsstopp also nicht. | Es ist richtig, dass die meisten Packungen an Homöopathika für die Selbstmedikation verkauft werden und deshalb nicht erstattet werden. Trotzdem lenkt diese Darstellung vom eigentlichen Problem ab und erwähnt die Argumente der Kritiker nicht einmal.
Den wissenschaftlichen Kritikern der Homöopathie geht es bei der Forderung nach dem Ende der gesetzlichen Sonderregelungen weniger um die Summe möglicher Einsparungen. Es geht um die Problematik einer falschen Signalwirkung für die Patienten. Es suggeriert, „es müsse was dran sein“, wenn es als scheinbar gleichwertiges Arzneimittel in der Apotheke steht. Gerade weil die meisten Patienten nicht um die gesetzlichen Sonderregelungen wissen, wird durch die bestehenden Regelungen intransparent, dass hier Präparate mit einem wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis neben solchen stehen, die wissenschaftlich unplausibel sind und die von einem solchen Nachweis sogar vom Gesetzgeber befreit wurden. Das Arzneimittelgesetz sollte es den Patienten aber nicht gezielt erschweren, solche Unterschiede zu erkennen. Das European Academies Scientific Advisory Council (EASAC) formuliert dies in ihrer Stellungnahme wie folgt:
Außerdem gibt es ohnehin keine Grenze, an der Geldverschwendung keine solche mehr ist. Auch 20 Millionen Euro, die man den Sozialkassen für unplausible und unwissenschaftliche Verfahren entnommen hat, könnten – an anderer Stelle eingesetzt – den Patienten mehr helfen. Egal, wie wenig: Es bleibt problematisch, die Erstattung wissenschaftlich widerlegter, esoterischer Verfahren zu erhalten, während bei nachweislich wirksamen und notwendigen Maßnahmen – darunter auch Brillen, Zahnersatz, … – wegen leerer Kassen hohe Zuzahlungen vom Patienten verlangt werden. ⇒ Siehe hierzu auch auf der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie (INH) den Gastbeitrag von Pharmaökonomin Prof. Dr. Tina Salomon „Von wegen, ‚so okay‘, Herr Spahn!“ |
Die Homöopathie rege die Selbstheilung an. | Problematisch ist eine solche Darstellung, wenn sie entweder den Eindruck erzeugt, die Homöopathie leiste hier etwas, was Medizin nicht kann, oder den Eindruck, ohne ein solches „Anregen“ würde das Immunsystem vielleicht gar nicht richtig arbeiten.
Außer bei Menschen, die von einer schweren Grunderkrankung betroffen sind, arbeitet unser Immunsystem immer, weil wir ununterbrochen mit allen möglichen Erregern in Kontakt kommen. Eine normal gesunde Lebensweise und eine Ernährung, die genügend Vitamine enthält, ist als Basis für ein funktionierendes Immunsystem vollkommen ausreichend. Wissenschaftlich ist nicht einmal klar definiert, was ein „aktiviertes Immunsystem“ oder ein „starkes Immunsystem“ denn sein soll.[107][B 16] Es sollte auch nicht übersehen werden, dass ein allzu aktives Immunsystem sogar in Form der Autoimmunerkrankungen zum Problem für den Körper werden kann und daher ein ständiges „Anregen“ des Immunsystems gar nicht erstrebenswert wäre.[108] Ein Vorteil sogenannter „homöopathischer Immuntherapie“ gegenüber Placebo ist aber ohnehin nicht nachweisbar.[109] Natürlich verbessert allein die Behandlungssituation und das mit ihr verbundene Vertrauen des Patienten seine Zuversicht und kann so zur Genesung beitragen. Diesen Effekt bekommt der Patient aber keineswegs nur über Placebos und erst recht nicht nur über die Homöopathie. Jede Behandlung, die der Patient zuversichtlich beginnt, hat auch die Chance, Placeboeffekte zu erzeugen.[110] Bei einer nachweislich wirksamen Therapie bekommen die Patienten dies alles also ebenfalls – und zusätzlich noch die spezifischen Effekte der Behandlung. Daher sollte man ihnen nicht einreden, die Homöopathie leiste irgendetwas „Besonderes“ für ihre Regeneration. Schon 1997 haben Rainer Wolf und Jürgen Windeler, seit 2010 Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), in einem Essay zum Placeboeffekt hierzu geschrieben:
|
Science meets Homeopathy
Sven Oswald stellt die Tagung Science meets Homeopathy[B 17] vor als den Versuch, die Lücke der bislang fehlenden wissenschaftlichen „Beweise“ schließen zu wollen. Aus dem Off heißt es dazu:
Aus Brasilien, Israel, Österreich, Holland und der Schweiz sind sie angereist, um in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften neue Studienergebnisse vorzustellen. (Minute 26:30)
Beispielhaft werden zwei der auf dieser Tagung gehaltenen Vorträge vorgestellt: Der israelische Arzt Menachem Oberbaum berichtet über Beobachtungen in Südindien, bei denen Kinder in den ersten eineinhalb Lebensjahren entweder fast ausschließlich homöopathische Mittel und nur im Notfall Antibiotika bekamen, während eine weitere Gruppe Kinder durchgehend medizinisch behandelt wurde. Dr. Oberbaum sagt aus, man habe in dieser Untersuchung gesehen, dass homöopathisch behandelte Kinder weniger krank seien. Auch sei der Antibiotikagebrauch bei den homöopathisch behandelten Kindern geringer gewesen als bei den konventionell behandelten Kindern. Prof. Michael Frass sagt, seine auf der Intensivstation durchgeführte Studie an COPD-Patienten[B 18] zeige, wie die zusätzlich homöopathisch behandelten Patienten früher vom Beatmungsschlauch befreit werden und die Intensivstation verlassen konnten.
Die Sprecherin meint, es gebe sogar „hunderte von Studien zur Homöopathie – Beobachtungsstudien mit Tausenden von Patienten und auch einige wissenschaftliche Untersuchungen, die Wirksamkeits-Nachweise liefern“. Doch diese Ergebnisse würden die Kritiker einfach nicht anerkennen. Im Bild sieht man anschließend Dr. Natalie Grams, wie sie einen ganzen Stapel vorgelegter Studien durchblättert und dazu erklärt, dass für die Aussagekraft einer Studie auch deren Methodik und Qualität entscheidend sei und bei den Studien, die einen Effekt über Placebo hinaus gemessen hätten, oft methodische Mängel bestünden. (Minute 29:10) Aus dem Off bestätigt die Sprecherin zwar, dass bekanntermaßen fehlende oder schlechte Randomisierung oder Verblindung „Spielraum für eine Verzerrung der Ergebnisse“ böten, doch gäbe es solche Mängel schließlich nicht nur bei Studien zur Homöopathie. Dann resümiert sie:
Weltweit geht der Streit um die Homöopathie-Studienlage. Aus Australien liegen zwei widersprüchliche Berichte vor. Ein offizieller von 2015, der feststellt: Es gibt keinen Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie, und ein nicht offizieller Entwurf, der eine ermutigende Evidenz für die Homöopathie besagt. Offiziell – nicht offiziell: kein Ende des Konflikts in Sicht. (Minute 29:50)
Wissenschaftliche Antworten
Aussage | Wissenschaftliche Faktenlage und Querverweis auf andere Artikel |
Menachem Oberbaum habe in einer in Indien durchgeführten Studie nachgewiesen, dass Kinder, die in den ersten Lebensjahren rein homöopathisch betreut werden, weniger krank wären. Auch sei der Antibiotikagebrauch bei den homöopathisch behandelten Kindern geringer gewesen als bei den konventionell behandelten Kindern. | Zum Stand August 2020 – also Monate nach der Aufnahme des Sendebeitrags – existiert auf der großen Medizindatenbank PubMed keine solche Studie von Menachem Oberbaum.[112] Daten, über deren Umfang, Art der Erhebung und Fehleranfälligkeit man der wissenschaftlichen Gemeinschaft keine Auskunft gibt, können kein Beleg für oder gegen irgendetwas sein. Streng genommen kann man nicht einmal von einer Studie oder den Studienautoren sprechen.
Abgesehen davon wird „die Studie“ im Sendebeitrag als multizentrische Beobachtungsstudie beschrieben. Solche Arbeiten haben meist keine randomisierte, mehrfach verblindete Kontrollgruppe, die Placebos an Stelle der verordneten Medikation einnahm. Auch die Schilderung in der Sendung lässt nicht darauf schließen, dass das hier der Fall gewesen sein könnte. Zur Frage nach der Wirksamkeit über Placebos hinaus kann eine Studie ohne Placebokontrolle gar keine Aussage machen. Leider kommt es in der alternativmedizinischen Szene immer wieder vor, dass auch Autoren solcher Arbeiten ihre Ergebnisse so darstellen, als könnten oder würden sie eine Wirksamkeit des Verfahrens über Placebo hinaus belegen.[113] Auch bezüglich der konkret gemachten Aussage zur Einsparbarkeit von Antibiotika bleiben in der knappen Beschreibung in der Sendung viele für die Aussagekraft der Ergebnisse essentielle Fragen offen:
Dass die unterschiedlich behandelten Kinder unterschiedlich oft krank waren, kann also viele Ursachen haben. Auf die verschiedenen Gründe, warum das so ist, hätte eine gut recherchierte Sendung eigentlich hinweisen müssen – genauso wie auf den Umstand, dass es zum Sendezeitpunkt gar keine entsprechende Veröffentlichung gibt. ⇒ Siehe zur hier diskutierten Problematik auch den Hauptartikel „Atemwegserkrankungen und Ohrenschmerzen - Studie von Haidvogl et al.“ |
Eine Studie von Michael Frass belege die Wirksamkeit der Homöopathika selbst bei schwerstkranken, künstlich beatmeten Patienten auf der Intensivstation. | Anders als die Darstellung des Sendebeitrages es suggeriert, handelt es sich hier keineswegs um „neue Ergebnisse“. Die Veröffentlichung von Prof. Michael Frass zur homöopathischen Behandlung von COPD-Patienten stammt aus dem Jahr 2005 und war zum Sendezeitpunkt schon 15 Jahre alt.[115] Die Studie weist methodische Mängel auf, die die Aussagekraft stark einschränken. Sie wurde von Fachkreisen heftig kritisiert.[116][117] Aufgrund der in der Arbeit an vielen Stellen nur sehr vagen Angaben muss unklar bleiben, inwieweit die unterschiedlich behandelten Patientengruppen überhaupt vergleichbar waren, wie sich die Menge des abgesaugten Sekrets tatsächlich veränderte und in welchem Zusammenhang dies überhaupt etwas mit dem Verlassen der Intensivstation zu tun hat. Die Ergebnisse wurden zudem nie unabhängig wiederholt.
⇒ Siehe hierzu auch den Abschnitt „COPD-Studie von Michael Frass“ im Hauptartikel Oft gehörte Argumente – Verweise auf konkrete Studien und Experimente |
Es gebe sogar hunderte von Studien zur Homöopathie, die Wirksamkeits-Nachweise liefern würden. | Auch bei Mitteln ohne spezifische Wirksamkeit ist bei einer großen Anzahl durchgeführter Studien ein gewisser Anteil von Arbeiten zu erwarten, der statistisch signifikante Ergebnisse liefert. Dieser Anteil ist umso größer, je schlechter die Qualität der Studien ist.
Klinische Vergleichsstudien sind statistische Messinstrumente. Man hat zwei (oder mehr) Patientengruppen, in denen die Teilnehmer möglichst ähnliche Ausgangsbedingungen haben sollten. Diese beiden Patientengruppen werden dann verblindet mit verschiedenen Verfahren behandelt. In placebokontrollierten Studien bekommt eine der beiden Gruppen ohne ihr Wissen Placebo, die andere Gruppe – „Verumgruppe“ genannt – das zu testende Verfahren, zum Beispiel individuell ausgewählte Homöopathika. Am Ende des Studienzeitraums wird geprüft, ob sich Unterschiede bei der Genesung zwischen den Gruppen ergeben haben. Von einem „signifikanten Ergebnis“ spricht man dann, wenn ein auf der Basis der Teilnehmer der Studie gefundener Unterschied mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit (oft 95 %) nicht zufällig zustande gekommen ist. In der Praxis hat man aber nie „ideale“ Teilnehmergruppen: Patienten sind nicht alle gleich. Zu kleine oder von Beginn an ungleiche Gruppen, keine oder nicht ausreichende Randomisierung oder Verblindung oder andere, selbst minimale Fehler führen leicht dazu, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein Ergebnis irrtümlich als signifikant einstufen, weiter steigt. ⇒ Siehe hierzu Hauptartikel Statistische Signifikanz Einzelne Studien können daher gar nicht „beweisen“, ob ein Verfahren wirklich besser oder schlechter als Placebo ist, weil sie immer nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage auf der Basis einer begrenzten Personenzahl darstellen. Und das wohlgemerkt auch dann, wenn die Autoren der Arbeit alles richtig gemacht haben. Aussagekräftig sind deswegen nicht einzelne, nach dem Wunschergebnis ausgesuchte Arbeiten, sondern die Gesamtevidenz aus allen wissenschaftlichen Untersuchungen eines Verfahrens. → Diese findet sich ausführlich beschrieben im vorigen Kapitel Kritiker der Homöopathie im Abschnitt „Die tatsächliche Faktenlage werde durch die Kritiker ignoriert…“ Hinweise auf den Placebocharakter der Homöopathika von wissenschaftlicher Seite ignorieren also weder die Studien mit für die Homöopathie positivem Ergebnis noch die anekdotischen Einzelfallschilderungen; sie ignorieren lediglich nicht die qualitativen Mängel dieser Arbeiten oder die umfangreiche anderslautende Evidenz: das übereinstimmende Ergebnis aller bislang (Stand 2020) elf indikationsübergreifenden Systematischen Reviews zur Homöopathie, in denen keine robusten Belege eines Unterschiedes zu Placebo nachweisbar waren; plus die naturwissenschaftliche Einschätzung und der Zerfall der Homöopathie in einander widersprechende Strömungen. In dieser Gesamtsicht zeigt sich: Es gibt keine stichhaltigen Argumente dafür, dass Homöopathika etwas anderes als Placebos sind. → Siehe hierzu Hauptartikel Systematische Reviews zur Homöopathie - Übersicht |
Natalie Grams sagt aus: Studie sei nicht gleich Studie. | Im Laufe der Medizingeschichte hat sich herauskristallisiert, dass nicht jede Form von Evidenz gleich zuverlässig oder für jede medizinische Fragestellung gleich gut geeignet ist. Der Grad der Aussagekraft eines Belegs hängt davon ab, wie gut dabei die Effekte, die tatsächlich von der untersuchten Behandlung herkommen, von den Faktoren unterschieden werden können, die unvermeidlich ebenfalls „im Spiel“ sind: Natürliche Krankheitsverläufe, Schwankungen bei der Heftigkeit der Symptome, Effekte anderer Behandlungen oder von Verhaltensänderungen (Bettruhe, Diät, Schonen, …).[22]
Wissenschaftler wissen um die unterschiedliche Zuverlässigkeit von verschiedenen Evidenzquellen. Den verschiedenen Quellen wurden deshalb ganz unabhängig von der Homöopathie Klassen unterschiedlich guter Evidenz zugeordnet.[118] Meinungen und Erfahrungen bilden dabei die unterste Evidenzklasse, systematische Übersichtsarbeiten über alle klinischen Studien zu einer Forschungsfrage die höchste Evidenzklasse. Selbst innerhalb dieser Klassen wird noch einmal die Qualität der vorgelegten Daten und das damit verbundene Risiko einer Fehlinterpretation anhand möglichst objektiver Kriterien geprüft.
Beobachtungsstudien oder multizentrische Beobachtungsstudien,[B 19] auf deren große Zahl die Sprecherin in der Sendung verweist, gehören in eine untere Evidenzklasse. Das ist deshalb der Fall, weil diese in aller Regel lediglich Ergebnisse protokollieren und oft keine randomisierte oder verblindete Vergleichsgruppe enthalten; noch seltener enthalten sie eine Placebokontrollgruppe. Arbeiten ohne eine solche Placebokontrolle können durch ihr Studiendesign aus Prinzip nichts zur Frage beitragen, ob Homöopathika spezifische Effekte über Placebo hinaus entfalten können: Wo kein Vergleich mit Placebo stattgefunden hat, wäre es irreführend, aus den Daten etwas dazu abzuleiten.[113] In solchen Beobachtungsstudien ohne Placebokontrolle dokumentierte Besserungen können aus allen möglichen Gründen erfolgt sein: Sie können mit dem Behandlungssetting und den einfühlsamen Patientengesprächen zu tun haben, mit eventuell erfolgten anderen Behandlungen, mit Verhaltensänderungen oder bei Langzeitstudien auch mit Gewöhnungseffekten oder anderen Bewältigungsstrategien; selbst das zunehmende Alter kann bei langjährig beobachteten Kindern Auswirkungen auf die Schwere der Probleme haben. Es ist deswegen irreführend, es so darzustellen, als könnten solche Veröffentlichungen überhaupt etwas zur Frage, ob Homöopathika charakteristische und spezifische Wirkungen über Placebo hinaus erzeugen, beitragen. Wo keine Placebokontrollgruppe vorhanden war, kann eine Studie von ihrem Wesen her nichts zur Placebofrage sagen. Das Design einer Studie muss immer der Forschungsfrage entsprechend gewählt sein. Wie bei jedem anderen Verfahren haben deswegen auch bei der Homöopathie Studien ohne Randomisierung oder ohne unzureichende Verblindung nicht dieselbe Belegkraft wie hochwertige Studien oder Übersichtsarbeiten. Arbeiten ganz ohne placebokontrollierte Vergleichsgruppe können schlecht etwas zur Frage des Vergleichs zwischen Homöopathika und Placebo beitragen.[B 20] Es ist irreführend, Patienten gegenüber – meist wissenschaftliche Laien, für die dieses Thema schwer durchschaubar ist – Studien verschiedensten Designs als gleichwertig darzustellen oder Qualitätsmängel in einzelnen Arbeiten herunterzuspielen. Wird die Gesamtevidenz wissenschaftlich nüchtern ausgewertet, finden sich keine stichhaltigen, replizierbaren Belege dafür, dass Homöopathika mehr sind als Placebo.[5][14][15][16][17][18] ⇒ Siehe hierzu auch den Hauptartikel Systematische Reviews zur Homöopathie - Methodik |
Auch Studien zur „Schulmedizin“ würden ähnliche Mängel aufweisen wie die zur Homöopathie. | Richtig ist, dass schlecht gemachte Studien und eine unzureichende Beleglage auch in der evidenzbasierten Medizin ein Problem sind. Falsch ist, zu suggerieren, in der evidenzbasierten Medizin läge deshalb eine ganz ähnliche Situation wie in der Homöopathie vor.
Diesem Vergleich haftet ein systematischer Fehler an: Es ist weniger das Problem, wenn man beim Betrachten verschiedener Therapien auch solche entdeckt, bei denen die Beleglage schlecht ist. Entscheidend ist vielmehr, was passiert, nachdem diese Ergebnisse vorliegen. Durch Institute wie die Cochrane Collaboration[119] oder das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)[120] finden unabhängige kritische Bewertungen der Evidenzlage statt. Mangelnde Evidenz wird als Problem ernst genommen. Immer wieder werden Verfahren und Dosierungen an neue, bessere Ergebnisse angepasst und Präparate auch vom Markt genommen. Homöopathische Lobbyverbände diskreditieren dagegen wissenschaftliche Arbeiten, die auf die fehlende Evidenz hinweisen, und betreiben ihrerseits Rosinenpickerei, indem einzelne handverlesene Arbeiten eine gar nicht so schlechte Evidenzlage zugunsten der Homöopathie vorgaukeln sollen.[113][121] Anders als in der evidenzbasierten Medizin hat die fehlende Evidenz in der Homöopathie keine Auswirkungen auf die Behandlungspraxis und die ausgesprochenen Wirkbehauptungen, etwa indem nach Vorliegen negativer oder ergebnisloser Studien die homöopathische Behandlung bestimmter Krankheitsbilder eingestellt oder Präparate vom Markt genommen werden. Stattdessen werden solche Studien ignoriert oder diskreditiert, während vereinzelte „positive“ Studien regelmäßig als Nachweis der Wirksamkeit der gesamten Homöopathie (für alle Mittel und alle Krankheitsbilder) ausgegeben werden. In der „Schulmedizin“ wäre dies undenkbar. Hinzu kommt, dass wir für kein Verfahren der evidenzbasierten Medizin postulieren müssen, dass unsere sich im Alltag bewährende Physik grundlegend falsch oder unzureichend ist, wie das bei der Homöopathie der Fall ist. Die Widersprüche zum gesicherten Wissen und der interne Zerfall in einander widersprechende Strömungen sind handfeste Argumente gegen die Annahme einer Wirksamkeit der Homöopathika über Placebo hinaus. Die Frage nach der Studienlage allein blendet hier also schon einen großen Teil der wissenschaftlichen Einwände gegen die Homöopathie aus, die es so bei medizinischen Verfahren von vorneherein nicht gibt. Außerdem gilt grundsätzlich: Egal, wie sich nun die Evidenzlage der evidenzbasierten Medizin präsentiert: Sie ändert nichts an der Situation der Homöopathie. Von daher ist der Fingerzeig auf die Evidenzlage bei anderen Verfahren nichts als ein Ablenkungsmanöver, ein „Tu-quoque-Fehlschluss“, manchmal auch als „Whataboutism“[122][B 21] bezeichnet. |
Aus Australien lägen zwei widersprüchliche Berichte vor: Ein offizieller, der keinen Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie feststelle, und ein nicht offizieller Entwurf, der eine „ermutigende“ Evidenz für die Homöopathie ergebe. Deswegen sei kein Ende des Konfliktes in Sicht. | Diese Darstellung ist nicht korrekt: Der Unterschied zwischen den beiden Dokumenten ist nicht „offiziell – nicht offiziell“, sondern „alle qualitätssichernden Maßnahmen durchlaufen und veröffentlicht – wegen Mängeln nicht weiter verfolgter erster Entwurf“.
Dass es sich bei dem Papier von 2012 um einen aufgrund mehrerer Mängel nicht weiter verfolgten ersten Entwurf („Draft“) handelt, stellt die Geschäftsführerin des verantwortlichen National Health and Medical Research Council (NHMRC), Prof. Anne Kelso, im Begleitschreiben, das zusammen mit dem kommentierten Entwurf veröffentlicht wurde, sehr deutlich fest:
Zu den damaligen Kritikpunkten – das geht aus den umfangreichen an den Text angefügten Anmerkungen klar hervor – gehörte auch die Verwendung des nicht näher definierten Begriffes der „ermutigenden Evidenz“:
Das Komitee des NHMRC hatte also gerade an dieser zentralen Stelle gewichtige Einwände: Die Bedeutung der „Evidenz vom Grad C“ wurde im Draft-Report nirgends sauber definiert. Zum Teil auf ein und derselben Textseite stand der Begriff „Grad C“ bei einigen Indikationen für „ermutigende Evidenz“, bei anderen Indikationen schloss man aus demselben „Grad C“, dass keine überzeugende Evidenz vorlag. Zudem wurde in den Auswertungen der einzelnen Krankheitsbilder das Risiko eines das Ergebnis verzerrenden Bias nicht abgeschätzt. Es ist nicht einmal die in der Sendung von der Sprecherin vorgetragene Behauptung korrekt, dass der erste Entwurf „ermutigende Evidenz für die Homöopathie“ gefunden hätte: Dieser Begriff wird auch im Draft-Report nicht auf die gesamte Homöopathie bezogen, sondern lediglich auf fünf Anwendungsgebiete. Diese waren Fibromyalgie („Weichteilrheuma“), Mittelohrentzündung, postoperativer Darmverschluss, Infektionen der Atemwege und die Behandlung der Nebenwirkungen von Krebstherapien. Für alle anderen Anwendungsgebiete – und damit auch für die im Sendebeitrag in Patientenbeispielen erwähnten Erkrankungen – Migräne, Schlafstörungen, Neurodermitis und Mastitis am Rind – ist nicht einmal das der Fall. Bei allen außer diesen fünf Anwendungsgebieten stimmen beide Berichte im Wesentlichen überein. Für die fünf fraglichen Indikationen spricht hingegen auch der Draft-Report nirgends von stichhaltiger, belastbarer oder reproduzierbarer Evidenz. Die Unterschiede im Ergebnis sind zwischen den beiden Dokumenten also marginal und geben keinen Anlass dazu, die Evidenzlage als unklar zu beschreiben, wie dies in der Sendung erfolgte. Problematisch ist, dass der Sendebeitrag mit der Formulierung „offiziell – nicht offiziell“ auf eine ans Verschwörungstheoretische grenzende Weise in den Raum stellt, man halte den einen Bericht mutwillig zurück. Gleichzeitig stellt man die Ergebnisse dieses Berichtes falsch dar (nämlich den Begriff der „ermutigenden Evidenz“ unzulässig verallgemeinert auf die gesamte Homöopathie) und erwähnt weder das Begleitschreiben von Anne Kelso oder seinen Inhalt noch die umfangreichen Kritikpunkte, die man bei der Durchsicht des Entwurfes 2012 gefunden und angemerkt hat. ⇒ Siehe hierzu den Hauptartikel Artikel:NHMRC Draft Report |
Auch hochwertige Studien würden der Homöopathie eine Überlegenheit gegen Placebo bescheinigen: Eine Metaanalyse von Mathie et. al. käme bei der Betrachtung von 32 Studien zu dem Schluss, dass drei den strengen Kriterien (nach Chochrane) entsprechen. (Aussage aus der Mitschrift der Sendung, Quellenangabe „16“) |
Das ist falsch, wie man der Originalarbeit von Robert Mathie et al. von 2014 direkt entnehmen kann:
In einem 2013 veröffentlichten Protokoll zu ihrer Vorgehensweise[124] führen die Autoren auf Seite 11 tatsächlich die Cochrane-Bewertungskriterien zur Einteilung des „Risk of Bias“ an. In der Metaanalyse 2014[125] erfüllte nach Ansicht der Autoren jedoch keine der untersuchten klinischen Studien die Kriterien für ein niedriges Biasrisiko. Mathie et al. schreiben dies klar in ihrer Arbeit:
Weil man also keine Studie als niedriges Biasrisiko eingestuft hatte, wichen die Autoren vom im Protokoll vorgesehenen Vorgehen ab: Sie erklärten die drei Studien, die nur in einer von sieben Kriterien als „unsicher“ bewertet worden waren, zur sogenannten „zuverlässigen Evidenz“ („reliable evidence“):
Dieser Schritt war im Protokoll von 2013 nie vorgesehen und entspricht auch nicht den Richtlinien der Cochrane Collaboration, in denen die Kategorie „zuverlässige Evidenz“ gar nicht aufgeführt wird. Die Darstellung in der Mitschrift zur Sendung gibt diesen Sachverhalt eindeutig nicht korrekt wieder und kann eigentlich nicht nach einem Blick in die als Quelle (16)[125] angeführte Originalliteratur zustande gekommen sein. Wo sie tatsächlich herkam, bleibt unklar. Zusätzlich ist festzuhalten, dass auch die restliche Beschreibung die Ergebnisse von Mathies Übersichtsarbeit sehr stark beschönigt wiedergibt. Denn dieser Review kann keineswegs „der Homöopathie eine Überlegenheit gegen Placebo bescheinigen“. Die Ergebnisse werden von Mathie et al. erheblich zurückhaltender bewertet:
Selbst dieses höchst zurückhaltende Ergebnis erreichen Mathie et al. in ihrem Review auch nur deshalb, weil zwei von verschiedenen anderen Autoren als hochwertig klassifizierte Arbeiten mit für die Homöopathie negativen Ergebnissen bei Mathie zum Teil ohne Angabe von Gründen als „hohes Biasrisiko“ eingestuft worden waren und man zudem Pilotstudien, die eigentlich nur vorläufige Untersuchungen darstellen, zur zuverlässigsten Evidenz erklärt. ⇒ Siehe hierzu ausführlich den Hauptartikel Systematische Reviews zur Homöopathie - Mathie (2014) |
Welche wichtigen Informationen fehlen hier?
Die Darstellung im Filmbeitrag ist sehr irreführend. Wenn die Sprecherin sagt, die Vortragenden wären weit angereist, um „in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften neue Studienergebnisse vorzustellen“, während die Gruppe Homöopathen um Frau Dr. Schlingensiepen das Veranstaltungsgebäude der Akademie betritt, entsteht beim Zuschauer leicht der Eindruck, es handele sich um eine von dieser Akademie veranstaltete wissenschaftliche Fachtagung. Das ist jedoch nicht der Fall: Science meets Homeopathy wird von einem homöopathischen Verein organisiert.[126][127] Eine wissenschaftlich kritische Auseinandersetzung mit der Homöopathie findet innerhalb dieses Zusammentreffens nicht statt.[128] Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften führt die Veranstaltung nicht einmal auf,[129] zum Thema Homöopathie findet sich auf ihrer Webseite nur eine kritische Veranstaltung zu den gesetzlichen Sonderregelungen aus dem Jahr 2018.[130] In dem im Filmbeitrag gezeigten Gebäude können auch Firmen oder Vereine Veranstaltungsräume anmieten.[131] In der Vergangenheit mietete man sich anderswo Räumlichkeiten, etwa 2015 an der Urania.[132] Dass man hier keineswegs von der Homöopathie unabhängige, wissenschaftliche Fachkreise betritt, wird im Sendebeitrag nicht deutlich gemacht.
Die vorgestellte Untersuchung von Menachem Oberbaum ist bis heute (Stand Herbst 2020) nicht veröffentlicht. Die im Filmbeitrag erläuterte Studie von Michael Frass an schwerkranken Lungenpatienten ist – anders als im Filmbeitrag suggeriert – keineswegs neu, sondern stammt aus dem Jahr 2005 und wurde von Kollegen wegen ihrer Methodik heftig kritisiert.
Aus Australien liegen keine „zwei Berichte“ vor. Hier erzeugt das Bild (bei Minute 30:06) zweier Dokumente – links das NHMRC Informationspapier von 2015, rechts der unvollständige Entwurf – einen völlig unberechtigten Eindruck einer Gleichwertigkeit. Hätte man den im Bild rechts zu sehenden Papierstapel für den Zuschauer aufgeschlagen, wäre deutlich geworden, dass der Text dieser Entwurfsversion umfangreich mit Notizen und Anmerkungen der Reviewer versehen ist, die beim Durchblättern nachvollziehbar machen, wo welche Mängel gesehen wurden. Auch von der klaren Stellungnahme der Geschäftsführerin des NHMRC, Prof. Anne Kelso, erfährt der Zuschauer in der Sendung nichts. Im Gegenteil: dieses den Sachverhalt klarstellende Schreiben, das in der vom NHMRC veröffentlichten Datei dem gezeigten Deckblatt bewusst vorgelagert ist, wurde für die Aufnahme im Sendebeitrag kommentarlos entfernt.[123]
Wenn Placebos helfen
Sven Oswald weist darauf hin, dass neuere Forschungsergebnisse zeigen würden, dass Placebos durchaus nicht „nutzlos“ sind. (Minute 30:25) Im Filmbeitrag wird anschließend der Nürnberger Kochsalzversuch dargestellt: 1835 stellten Kritiker in Nürnberg verblindet eine Homöopathische Arzneimittelprüfung nach. Dazu nahm ein Teil der gesunden Probanden randomisiert und doppelt verblindet homöopathisch verdünntes Salzwasser ein, die zweite Gruppe reines Schneewasser.
In beiden Gruppen spürten Probanden eine Reaktion. Für die Kritiker war das ein Beweis für die Wirkungslosigkeit der Homöopathie. (Minute 31:00)
Zusammen mit Dr. Tom Bschor, Chefarzt für Psychiatrie in der Schlosspark-Klinik in Berlin, wird die Methode der Doppelblindstudie am Beispiel der Antidepressiva nun genauer betrachtet. Bschor sagt aus, dass bei vielen Antidepressiva die Evidenzlage sehr schlecht sei. In vielen Studien hätten die Präparate nicht besser abgeschnitten als Placebo. Über viele Jahrzehnte sei es so gelaufen, dass ein Teil der nicht erfolgreichen Studien in Schubladen verschwunden sei (ein als „Publication Bias“ bekanntes Problem) – und nur das habe oftmals die Zulassung ermöglicht. Der Sprecher bestätigt, dass man dieser Praxis heute einen Riegel vorgeschoben habe, indem gefordert wird, dass alle Studien angemeldet werden müssen. Dennoch gebe es immer noch zugelassene Präparate mit einer unbefriedigenden Evidenzlage. Dr. Bschor kläre seine Patienten deswegen hierüber auf. Von Homöopathie halte er trotzdem nicht viel, denn dort sei „die Studienlage noch viel schlechter“. (Minute 32:45) Bschor meint allerdings anschließend im Interview:
Aber ich halte es für kein überzeugendes Argument zu sagen, da ist ja nichts drin, deshalb kann es nicht wirken. Vor 200 Jahren kannten wir auch die Radioaktivität nicht und konnten uns das nicht vorstellen, trotzdem hat sie starke Wirkungen gehabt, und wir sollten uns mal bloß nicht einbilden, dass wir jetzt an der Schwelle stehen, wo wir alles entdeckt haben, und es wird nichts Neues mehr gefunden. (Minute 32:50)
Der Sprecher wiederholt die Frage, ob Placebo gleichbedeutend mit unwirksam sei. Am Beispiel einer Schmerzpatientin, die an einer Studie mit offenen Placebos[B 27] teilnahm, wird erklärt, dass dem nicht so ist. Prof. Ulrike Bingel sagt vor der Kamera, dass Placebos helfen könnten, die körpereigene Schmerzbremse zu aktivieren. Aus dem Off heißt es als Überleitung zum nächsten geschilderten Einzelfall:
Nicht besser als Placebo – für die wissenschaftliche Medizin ist das ein echtes KO-Argument, aber nicht unbedingt für Patienten. (Minute 34:40)
(Hinweis Homöopedia: Rechtschreibung aus der Mitschrift der Sendung[1] übernommen.)
Der Musiker Christian Hoeppner habe jahrelang unter Neurodermitis gelitten. Er berichtet, dass er nun seit einigen Jahren bei einer homöopathischen Ärztin sei und es ihm inzwischen sehr gut gehe. Es sei ihm egal, welche Rolle der Placeboeffekt dabei gespielt habe. Zur Debatte um die Wirksamkeit der Homöopathie sagt er deshalb:
Insgesamt ist das ein gesellschaftliches Thema, dass wir alles tausendmal bewiesen haben wollen, in Zahlen und Fakten. Das Wichtige ist, dass die Medizin wirkt. Dieser Grundsatz, dass Medizin wirken soll, dieser eigentlich selbstverständliche Grundsatz, der geht meines Erachtens in diesem vollkommen überheizten Diskurs etwas verloren. (Minute 36:00)
Wissenschaftliche Antworten
Aussage | Wissenschaftliche Faktenlage und Querverweis auf andere Artikel |
Beim Nürnberger Kochsalzversuch spürten Probanden in beiden Gruppen eine Reaktion. | Die Sendung gibt die Ergebnisse des Versuchs sehr verkürzt und daher missverständlich wieder. Tatsächlich meldeten in beiden Gruppen die allermeisten Teilnehmer gar keine Befindlichkeitsänderungen, insgesamt 42 Personen (19 (Kochsalz) und 23 (Wasser)).[133] Die insgesamt nur neun Teilnehmer, die Symptome berichteten, beschrieben ähnliche und gleichermaßen unspezifische Unpässlichkeiten wie Schnupfensymptome und Magenverstimmung. Weil sie in beiden Gruppen auftraten und einfache andere Erklärungen vorlagen (etwa das kalte Februarwetter zur Erklärung der aufgetretenen Erkältungen), folgerte man, dass sie gerade keine Folge der eingenommenen Mittel, sondern äußerer Umstände waren:
Anders als in der Sendung dargestellt, kam man also zu dem Schluss, dass es in beiden Gruppen keine Reaktion auf die eingenommene Dosis gegeben hatte. ⇒ Siehe hierzu den Hauptartikel NürnbergerKochsalzversuch In diesem Zusammenhang sollte man erwähnen, wie sehr man mit der Erwähnung des Nürnberger Kochsalzversuches die mehrfach in der Sendung vorgetragene Behauptung untergräbt, die Kritik an der Homöopathie sei ein aktueller „Trend“, eine dem Lobbyismus geschuldete „Welle“. Tatsächlich zeigt der Nürnberger Kochsalzversuch, dass die Homöopathie schon zu Hahnemanns Lebzeiten von wissenschaftlich ausgebildeten Ärzten aufgrund der Unplausibilität ihrer Grundpfeiler kritisiert wurde und in praktischen Tests scheiterte. Mit ihrem Versuch waren die Nürnberger nicht einmal die ersten: Bereits in den Jahren 1829 und 1830 hatten in St. Petersburg Untersuchungen mit für die Homöopathie negativem Ergebnis stattgefunden.[134] |
Auch in der Medizin hätten viele Präparate ihre Zulassung nur einem „Publication Bias“ verdanken, bei dem unerwünschte Ergebnisse unveröffentlicht bleiben. | Problematisch ist, dass diese eigentlich themenfremde Behauptung hier angeführt wird, als könne man die Situation der Homöopathie damit vergleichen oder relativieren.
Als „Publication Bias“ oder „Schubladenproblem“ wird der Effekt bezeichnet, dass Studien mit negativem Ergebnis öfter nicht veröffentlicht werden („in der Schublade“ verbleiben) als solche mit positiven Resultaten. Dies hat zur Folge, dass die veröffentlichten Arbeiten in Summe ein zu positives Bild ergeben. In der evidenzbasierten Medizin ist man sich jedoch dieses die Ergebnisse verzerrenden Effektes bewusst und bemüht sich aktiv, ihn loszuwerden. So gibt es die im Film erwähnte Initiative „All trials“,[135] die eine Anmeldung aller geplanten klinischen Untersuchungen fordert, so dass ein Fehlen einer nachfolgenden Veröffentlichung auffallen würde. Bei genauer Betrachtung zeigt sich hier sogar sehr deutlich der Unterschied zwischen echtem wissenschaftlichen Vorgehen und dem der Homöopathen: Wissenschaftler suchen beim Erkennen eines Effektes, der dazu führt, dass die Ergebnisse positiver erscheinen als sie es eigentlich sind, nach Maßnahmen, die diesen Effekt ausschalten. Ziel ist also, einen möglichst unverfälschten Blick auf die Situation zu bekommen. In der Homöopathie geht man genau anders herum vor und erhebt den Publication Bias zur erfolgversprechenden Strategie zur „Verifikation“ des Verfahrens: Man fordert einander auf, wirklich nur die erfolgreichen Fälle zu publizieren:
Ein echter, wissenschaftlich aussagekräftiger Test wird auf diese Weise vermieden, denn ein Scheitern einer Hypothese ist nicht möglich, wenn immer nur die erfolgreichen Fälle betrachtet werden. Leider verpasst es der Sendebeitrag, diesen Unterschied herauszuarbeiten, genauso, wie nicht ausreichend betont wird, dass Dr. Bschor seine Patienten ausdrücklich auf die Zweifel an der Wirksamkeit aufmerksam macht – während Homöopathen genau diese Zweifel nicht zulassen. |
Es sei kein überzeugendes Argument, einfach zu sagen, da ist ja nichts drin, deshalb könne es nicht wirken. Vor 200 Jahren habe man auch die Radioaktivität nicht gekannt. Trotzdem habe sie starke Wirkungen gehabt. Man solle sich nicht einbilden, dass man alles entdeckt habe. | Der Vorwurf unterstellt der Homöopathiekritik einen logischen Fehlschluss, den sogenannten „Fehlschluss aus Unwissenheit“:[137] Weil man nicht wisse, wie Homöopathie funktionieren könne, postuliere man, dass sie gar nicht funktioniert. Tatsächlich wird dieser Vorwurf jedoch zu unrecht erhoben. Die Unplausibilität des Verfahrens ist lediglich ein Baustein der Argumente, die in der Summe ein stimmiges Gesamtbild ergeben: Die Unplausibilität, der Zerfall in widersprüchliche Strömungen, das Scheitern eines Nachweises eines Effektes über Placebo hinaus und die Existenz bekannter Faktoren, die die kursierenden Erfolgsmeldungen bestens erklären.
Im Ignorieren der weiteren Argumente gegen die Homöopathie begeht der Verweis auf unbekannte Phänomene genau den Fehlschluss aus Unwissenheit, den er den Kritikern vorwerfen möchte: Es spricht viel gegen Aussage A. Über die von A unabhängige Aussage B hat man lange nichts gewusst, nun weiss man, dass B zutrifft. Doch daraus folgt für die Plausibilität von Aussage A leider überhaupt nichts. Ein Beispiel hierfür wäre das Higgs-Boson. Dieses Elementarteilchen wurde von François Englert und Peter Higgs in den 1960er Jahren postuliert, um die Massen der Elementarteilchen erklären zu können. Lange wusste man nicht, ob es existiert. 2012 gelang der Nachweis des Higgs-Bosons am CERN.[138] Wird dadurch plausibler, dass Zauberei funktioniert? Ergibt sich hieraus eine Erkenntnis zur Homöopathie? Beides ist zu verneinen. Problematisch ist also vor allem, dass im Sendebeitrag mehrfach suggeriert wird, dies wäre das einzige Argument der Kritiker, während man gleichzeitig behauptet, die restliche wissenschaftliche Evidenz würde für eine spezifische Wirksamkeit der Homöopathika sprechen, was Kritiker ignorieren würden.[B 28] Das ist aber nicht der Fall. Die Einschätzung der Homöopathika als Placebos beruht vielmehr auf der Betrachtung der gesamten wissenschaftlichen Evidenz, die neben der naturwissenschaftlichen Unplausibilität[12][13] auch noch die Gesamtstudienlage[5][14][15][16][17][18] und die inneren Widersprüche der Homöopathie mitbetrachtet. Der Hinweis auf das Fehlen von Wirkstoffen ist also nur ein Teil der Argumentation – der keineswegs so schwach ist, wie er hier von einem Nicht-Naturwissenschaftler dargestellt wird. Es sollte hier nicht vergessen werden, dass wir beim sogenannten „Potenzieren“ von völlig alltäglichen Vorgängen sprechen: Verdünnen und Schütteln. Beides passiert überall in unserem Alltag und in der Natur um uns herum. Und dennoch wurden dabei nirgends gezielte Wirksamkeiten von chemischen Stoffen in ihrer Abwesenheit entdeckt. Im Gegenteil hängen unsere Stoffwechselprozesse empfindlich an der An- oder Abwesenheit zum Beispiel verschiedener Enzyme. Der Verweis auf physikalische Phänomene wie Radioaktivität hinkt allein aus diesem Grund: Alle Effekte dieser Phänomene ließen sich stets reproduzierbar beobachten und zuverlässig anwenden. Genau das ist und war bei der Homöopathie nie der Fall. Zudem ist es streng genommen nicht einmal korrekt, hier von Phänomenen zu sprechen, die unabhängig von Materie wären, denn Radioaktivität beruht auf radioaktiven Atomkernen, und elektromagnetische Felder entstehen über bewegte Ladungen. Entscheidend ist aber: Die Naturwissenschaft behauptet gar nicht, alles zu wissen oder alles erklären zu können. Aber wo aufgrund physikalischer Unplausibilität[13][139] kein Effekt zu erwarten war, wo sich eine Vorstellung sogar in logische Widersprüche verstrickt[B 29], und wo man prompt in hunderten Studien keinen Effekt nachweisen konnte, braucht man keine exotischen Phänomene zu postulieren und sollte sie entsprechend Patienten gegenüber nicht behaupten. Man muss auch nicht auf ewig Studien durchführen, um immer und immer wieder zu prüfen, ob Zucker aus pharmakologischer Sicht etwas anderes sei als ein Placebo. Homöopathie ist eben nicht in der Situation der Radioaktivität vor langer Zeit, denn es gab nie Daten, die gegen das Phänomen der Radioaktivität gesprochen hätten. Vielmehr waren entsprechende gesundheitsschädliche Auswirkungen mancher Regionen lange Zeit vor der Entdeckung der Radioaktivität bekannt.[140] Die Kritik von Dr. Bschor am „Nichts drin“-Argument wäre also nur dann berechtigt, wenn es noch nie saubere Studien zur Homöopathie gegeben hätte, wenn es keine einfachen Erklärungen für beobachtete Besserungen gäbe und wenn die Homöopathie nicht in einander widersprechende Strömungen zerfallen würde. Nach über 200 Studien und elf Systematischen Reviews, die in der Summe keine stichhaltigen Belege eines Unterschieds zu (anderen) Placebos liefern, darf man aber durchaus sagen: „Ja, das war schließlich auch zu erwarten.“ Deswegen darf die naturwissenschaftliche Unplausibilität der Homöopathie bei der Betrachtung der Evidenz nicht unberücksichtigt bleiben. ⇒ Siehe hierzu auch auf der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie (INH) die beiden offenen Briefe des INH an Dr. Bschor: „Die Wahrheit… über Homöopathie (rbb) – Nix drin, na und?“ und „Gilt im ganzen Universum: Nichts bewirkt nichts!“ |
Nicht besser als Placebo – das sei für die wissenschaftliche Medizin ein echtes KO-Argument. | Im Sendebeitrag soll der Abschnitt zum Placeboeffekt vor allem aufzeigen, dass Patienten auch vom Placeboeffekt profitieren können. Dass dies in der Medizin bestritten oder ignoriert würde, ist allerdings falsch – was eigentlich die unmittelbar zuvor gezeigte Forschung am Placeboeffekt durch Prof. Ulrike Bingel schon belegt. Diese und weitere umfangreiche Untersuchungen[141][142] finden seit Jahrzehnten statt, weil man den Placeboeffekt noch besser verstehen und ausnutzen möchte. Dies fände alles nicht statt, wäre Placebo ein „KO-Argument“, wie es im Sendebeitrag behauptet wird. „Nicht besser als Placebo“ bedeutet vielmehr: keine spezifischen Effekte, die das Mittel den unspezifischen Placeboeffekten hinzufügen kann.
Der Versuch, die Homöopathie über den Nutzen, den Patienten zweifellos aus dem Placeboeffekt ziehen können, zu rechtfertigen, muss indes aus verschiedenen Gründen scheitern. „Nicht besser als Placebo“ bedeutet für die Homöopathie: anders als von Homöopathen behauptet, arbeitet man nicht mit spezifisch wirksamen Arzneimitteln. Potenzierung, das Abfragen der Symptomlisten und die daraus resultierende Wahl des angeblich passenden Mittels sind mit dem Placebocharakter der Globuli als reines, sinnentleertes Ritual enttarnt. „Nicht besser als Placebo“ bedeutet, dass es weder eine ärztliche Weiterbildung zur „Zusatzbezeichnung Homöopathie“ noch eine Beforschung der Zuckerkügelchen braucht. „Nicht besser als Placebo“ bedeutet, dass man entsprechend des Placebocharakters in der Praxis handeln muss. Diesen Punkt betonen Michele Antonelli und Davide Donelli in ihrem indikationsübergreifenden Systematischen Review zur Homöopathie von 2019:
Arbeitet man mit Placebos, dann sind die Einsatzmöglichkeiten an die ethischen Richtlinien[143] zum Einsatz von Placebos gebunden.[B 31] Die Anwendung von Placebo ist hierbei explizit als ethisch nicht vertretbar eingestuft, wenn bei den Beschwerden des Patienten eine Therapie notwendig und bekannt ist, die nachweisbar besser als Placebo ist. Die Homöopathie wird aber keineswegs nur für solche Fälle empfohlen. Dabei muss man noch nicht einmal auf Behauptungen wie die „Auflösung von Krebsgewebe durch homöopathische Arzneigaben“[144] blicken: die Richtlinie wird bereits bei Empfehlungen verschiedener Globuligaben für schwer an Husten erkrankte Kinder[145][B 32] verletzt. Man darf hier nicht vergessen, dass auf einschlägigen Webseiten und in bunter Ratgeberliteratur verteilte derartige Ratschläge bei Eltern gezielt und völlig unkritisch den Eindruck erwecken, sie würden mit Globuli zur Selbstbehandlung ihrer Kinder mit spezifisch wirksamen Arzneien befähigt. Eine Sinnhaftigkeit der Homöopathie damit zu begründen, dass Placebos Patienten unter gewissen Umständen tatsächlich helfen können, scheitert also vor allem daran, dass Homöopathen nicht handeln, als hätten sie ein Placebo in der Hand. Dies zeigt sich einerseits wie eben beschrieben in der therapeutischen Praxis, andererseits in der zu oft erfolgenden zu positiven Darstellung der Studienlage gegenüber der Öffentlichkeit und in scheinwissenschaftlichen Erklärungsversuchen der Homöopathie. Letzteres zeigt sich sehr deutlich in der Sendung, wenn die eine Homöopathin zuerst mitteilt, Homöopathika würden über Nanopartikel wirken, während der andere Homöopath anschließend erklärt, dass die Wirkung keineswegs materiell sein könne, weshalb es um einen Streit der Weltanschauungen gehe – und man danach allen Zuschauern, denen die Pseudowissenschaftlichkeit solcher Darstellungen auffällt, im völligen Widerspruch zu den bisherigen Aussagen mitgeben will, dass die Globuli ja auch als Placebos nicht wirkungslos und deshalb sinnvoll einzusetzen wären. Auch wegen dieses pseudowissenschaftlichen Überbaus sehen Wissenschaftler[146][113][5] die Rechtfertigung der Homöopathie und anderer sogenannter „alternativmedizinischer“ Verfahren über den dabei auftretenden Placeboeffekt sehr kritisch. Der italienische Placeboforscher Fabrizio Benedetti spricht sogar von der „gefährlichen Seite der Placeboforschung“ und warnt vor deren Missbrauch:
|
Dabei, dass wir alles in Zahlen und Fakten bewiesen haben wollen, gehe der Grundsatz verloren, dass Medizin wirken soll. | Das Gegenteil ist der Fall, was auch leicht nachvollziehbar ist:
Der einzelne, genesene Patient kann sich leicht den Luxus leisten, nicht wissen zu müssen, ob seine Genesung wirklich kausal mit dem angewendeten Verfahren zusammenhing – oder durch andere Faktoren verursacht wurde.[139][B 34][22] Es muss ihn nicht interessieren, wie oft das Verfahren nicht half und ob andere Patienten unnötig lang oder viel litten, weil sie zu spät auf eine wirklich wirksame Therapie umstiegen. Nicht trotz, sondern weil der Grundsatz gilt, dass Patienten stets nach dem fachlich anerkannten Standard[148] behandelt werden sollen, muss es objektive Kriterien für die Therapiewahl geben. Deswegen müssen sich Ärzte und Wissenschaftler genau für diese Fragen interessieren: Was half dem Patienten wirklich? War es wirklich das Mittel oder etwas anderes? Was war unnützes Beiwerk an der Behandlung? Was schadete vielleicht sogar? Wie oft kam es zu keinen Besserungen oder sogar zu Verschlechterungen? Dies alles in statistisch aussagekräftige Zahlen und Fakten zu gießen, ist wichtig für die Therapiewahl bei zukünftigen Patienten:
Studien werden also nicht, wie in der Sendung behauptet, gefordert, weil man die Frage nach dem Patienten und den für ihn zu erwartenden Nutzen einer Behandlung aus dem Auge verlöre, sondern um diese zentrale Frage zu klären: Hält ein Verfahren, was es verspricht? Gerade weil man Patienten begründet das Verfahren empfehlen möchte, das die besten Chancen auf Besserungen bietet, ist die Evidenz dafür so wichtig. Aus demselben Grund ist es auch falsch, Patienten gegenüber die Evidenz falsch darzustellen oder zu verschweigen, wenn die Belege gegen eine Überlegenheit gegenüber Placebo sprechen. Studien zeigen zudem die Effekte der in homöopathischen Praxen üblichen ausführlichen Anamnesegespräche, in denen sich der Patient aussprechen kann und in denen ihm empathisch zugehört wird.[47] Auch wird die homöopathische Anamnese vom Patienten oft als weniger stigmatisierend empfunden als die Konsultation eines Psychologen.[46] Letztlich behindert das Aufrechterhalten der Behauptung, reiner Zucker würde alle Krankheiten heilen können, hier sogar die Erforschung der Frage, ob man aus genauer Untersuchung der Art, wie homöopathische Anamnesegespräche geführt werden, nützliche Erkenntnisse für bessere Beratungsgespräche innerhalb der evidenzbasierten Medizin gewinnen könnte. In diese Richtung haben sich auch zwei Wissenschaftler geäußert, deren Studien auf der Webseite zur Sendung als angebliche Nachweise einer Überlegenheit der Homöopathika gegenüber Placebo angeführt wurden: So schreibt Klaus Linde, Erstautor zweier indikationsübergreifender Systematischer Reviews gemeinsam mit Kollegen im Gesundheitsmonitor 2014:
Sogar Claudia Witt meint im Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger:
Hier sieht man deutlich, dass man keineswegs den Patientennutzen aus den Augen verliert, sondern vielmehr genau darauf abzielt, wenn man fordert, nicht länger Zeit und Forschungsgelder zu vergeuden, um trotz des Vorliegens umfangreicher gescheiterter Untersuchungen ewig weiter zu testen, ob Zucker etwas anderes ist als Zucker. |
Homöopathie im Stall
Sven Oswald besucht eine homöopathische Buchhandlung. Dort erzählt er, dass die Anwendung der Homöopathie sogar am Tier erforscht werde – „manchmal ohne Erfolg, manchmal auch mit erstaunlichen Ergebnissen“.
Anschließend besucht man das Landgut Pretschen. Tierarzt Dr. Fidelak behandelt dort die Euterentzündungen („Mastitis“) der Milchkühe bevorzugt homöopathisch. Zur Frage der Einsparungsmöglichkeit von Antibiotika bei der Behandlung der Entzündungen sagt er:
Nur ist es so, dass 30 bis 40 Prozent der Euterentzündungen gar nicht mit einer bakteriellen Infektion einhergehen, da macht natürlich auch ein Antibiotikum keinen Sinn. Also wo wir solche Fälle hatten, auch in den Studien, die wir gemacht haben, sind Homöopathie und Antibiotikum tatsächlich gleichwertig in den Heilungsraten, die wir messen können. (Minute 37:56)
Aus dem Off heißt es hierzu, dass es Studien gebe, die homöopathische Mittel mit Placebo verglichen hätten, ohne eine Überlegenheit der Homöopathie belegen zu können. Dennoch würden viele Tierärzte Homöopathika anwenden. Die Sprecherin sagt abschließend:
Homöopathie ist offizielle Therapie-Empfehlung der EU-Öko-Verordnung für Bio-Fleisch. Denn sie erspart uns Antibiotika auf dem Teller. (Minute 39:30)
Wissenschaftliche Antworten
Aussage | Wissenschaftliche Faktenlage und Querverweis auf andere Artikel |
Es gebe Studien, die auch am Tier homöopathische Mittel mit Placebo verglichen hätten. | Das ist korrekt. Unverständlich ist allerdings, warum diese Aussage in der Mitschrift der Sendung nur auf die Behandlung von Euterentzündungen bezogen und unzureichend belegt wird. Als Quelle „20“ werden hier lediglich eine 2003 an der Freien Universität Berlin durchgeführte Dissertation[152] sowie eine nur als Vortragsfassung einsehbare Arbeit von Christian Fidelak et al.[153] angeführt. Die beiden vorhandenen Meta-Analysen zur Tierhomöopathie und weitere Arbeiten zur Behandlung der Mastitis bleiben dagegen unerwähnt.[154][155][156][157][158][159] In der Gesamtsicht dieser umfangreichen Daten finden sich keine stichhaltigen Argumente für eine Überlegenheit der Homöopathika gegenüber Placebo in der Veterinärmedizin, sowohl allgemein als auch speziell bei der Behandlung der Mastitis am Rind. Der Vortragstext des in der Sendung ausführlich vorgestellten Tierarztes Christian Fidelak führt den wissenschaftlichen Sinn seiner doppelblind durchgeführten Placebokontrollstudie zudem eindrucksvoll ad absurdum: Alles, was Fidelak zur Placebokontrolle zu sagen hat, ist:
Warum die Autoren der Sendung sich entschlossen haben, gerade diesen Text bei der Frage nach der Überlegenheit gegenüber Placebo als Quelle anzuführen, bleibt ihr Geheimnis. Auch zur Rechtfertigung der Behauptung der Einsparung von Antibiotika durch den Einsatz von Homöopathika bei Mastitis kann diese Quelle nicht dienen: Dies suggeriert zwar der Titel des Vortrags, doch nicht die beschriebene Vorgehensweise. Laut Vortrag behandelte man in der Herde aufgetretene Euterentzündungen zunächst homöopathisch. In den Fällen, in denen nach sieben Tagen keine Besserung eingetreten war, gab man Antibiotika.[B 35] Ein solches Vorgehen ohne Betrachtung eines Vergleiches mit Placebo kann aber von der Methodik her grundsätzlich nicht die Schlussfolgerung rechtfertigen, man habe notwendige Antibiotika eingespart, weil man keine Vergleichsmöglichkeit hat, anhand derer man beurteilen könnte, wie viele der Entzündungen sich nach sieben Tagen ohne das Homöopathikum nicht genauso gebessert hätten. Hört man jedoch genau zu, was Fidelak vor der Kamera eigentlich sagt, dann wird klar, dass von der Einsparung notwendiger Antibiotika gar nicht die Rede ist: In den Fällen, in denen Euterentzündungen nicht mit einer bakteriologischen Infektion einhergehen, habe er ähnliche Heilungsraten mit Antibiotika wie mit Homöopathika gefunden. In diesen Fällen sind Antibiotika aber medizinisch überhaupt nicht indiziert. Fidelak vergleicht in der in der Sendung getroffenen Aussage den Einsatz der Homöopathika mit einer Vergleichsgruppe, in der der Einsatz eines Antibiotikums wegen des Fehlens einer bakteriellen Infektion den ärztlichen Behandlungsleitlinien widerspricht. Die Moderation hätte diesen Sachverhalt unbedingt für den Zuschauer deutlich hervorheben und auf die aussagekräftigen Reviews hinweisen müssen. Diese finden allerdings keine Nachweise für Unterschiede zwischen Homöopathika und Placebo und können den Ersatz von Antibiotika durch Homöopathika folgerichtig auch nicht empfehlen.[154][155][156][157][158][159] Der Vortrag von Christian Fidelak[153] betont durchaus im Einklang mit anderen Studien die große Bedeutung von bakteriologischen Untersuchungen für den verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika. Zudem wird der Zusammenhang von Mängeln in der Haltungshygiene und gehäuften Rückfällen und Neuerkrankungen erwähnt. Hierbei handelt es sich um tatsächlich sinnvolle Hinweise zur Einsparung von Antibiotika – diese fallen in der Sendung leider zugunsten ungerechtfertigter Aussagen zur Homöopathie unter den Tisch. Einen umfangreicheren Blick in die vorhandene wissenschaftliche Literatur zur homöopathischen Behandlung der Mastitis sowie zur Tierhomöopathie allgemein findet sich auf der Homöopedia ⇒ im Kapitel Studienlage im Hauptartikel Tierhomöopathie. |
Homöopathie sei die offizielle Therapie-Empfehlung der EU-Öko-Verordnung für Bio-Fleisch. | Das ist falsch.
In der Mitschrift der Sendung wird hierzu zwar als Quelle „21“ ein entsprechender „Auszug aus der EU-Öko-Verordnung“ präsentiert, doch statt selbst in der EU-Öko-Verordnung nachzuschlagen, zitiert man hier eine Sekundärquelle, die Verbraucherzentrale Hamburg.[160] Den Autoren des Sendebeitrags fiel nicht auf, dass die Webseite der Verbraucherzentrale die EU-Verordnung Nr. 889/2008 unvollständig und in Bezug auf die Homöopathie leider auch sinnverzerrend zitiert: Bei der Verbraucherzentrale heißt es:In § 24 (2) der EU-Verordnung Nr. 889/2008 heißt es allerdings vollständig:
Diese wichtige Einschränkung findet sich unverändert in der Neuauflage der „EU-Öko-Verordnung“ 2018/848,[163] die ab Januar 2021 in Kraft tritt. Prof. Dr. Albert Sundrum und Caroline Doehring[155] kommen in ihrer Metaanalyse zur Homöopathie in der Nutztierhaltung 2016 nicht zu dem Ergebnis, dass die Homöopathie dies erfülle:
Auch eine andere – und neuere als die in der Mitschrift der Sendung zitierte – Dissertation aus dem Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin kommt zu dem Ergebnis (ab S. 141):[164]
Die in der Sendung getroffene Aussage ist damit eindeutig nicht durch die EU-Verordnung gedeckt. Es ist bedauerlich, dass für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Tätige bei der Recherche die Durchsicht der Originalquellen und der zum Thema vorliegenden Reviews und neueren Veröffentlichungen unterlassen haben. Dabei hätte der Fehler auffallen können. |
Homöopathie in der Milchwirtschaft verhindere, dass Antibiotika auf unserem Teller landen. | Das ist eine völlig unhaltbare Aussage, die zudem eine höchst problematische Emotionalisierung der Debatte durch die Erzeugung von Verbraucherängsten darstellt:
Niemand bestreitet, dass auch die Forschung nach wirksamen Behandlungsalternativen zu den sinnvollen Maßnahmen gehört. Nicht tragbar sind jedoch Studien, bei denen einem Teil der Kontrollgruppe Antibiotika auch in den Fällen gegeben wird, in denen diese aufgrund des Laborbefundes nicht indiziert sind. Ebenso ergibt der Einsatz von Produkten, die bereits vorher keine Überlegenheit gegenüber Placebo nachweisen können, keinen Sinn.[154][155][156][157][158][159] Deswegen wurden auch ethische Bedenken zum Vorhaben der Bayrischen Regierung geäußert, die Reduktionsmöglichkeit von Antibiotika durch Homöopathika in einer weiteren Studie zu untersuchen.[170] ⇒ Siehe hierzu das Kapitel Versprechen der Reduktion von Antibiotika in der Nutztierhaltung im Hauptartikel Tierhomöopathie. |
Welche wichtigen Informationen fehlen hier?
Man hätte am Rande erwähnen können, dass das Landgut Pretschen nicht nach „modernen ökologischen“ Gesichtspunkten wirtschaftet, sondern dem anthroposophischen demeter-Verband angehört und dementsprechend nach den von Rudolf Steiner 1924 verfassten Schriften betrieben werden muss.[171][172] Die anthroposophische Lehre liefert für den Landbau keineswegs wissenschaftlich oder rational begründete Richtlinien, sondern argumentiert ihre streng einzuhaltenden Regeln über magisches Analogdenken und postulierte „astralische“ oder „ätherische“ Eigenschaften der Dinge.[B 38][173] Das wäre insofern relevant gewesen, weil die Anthroposophen in gleicher Weise wie die Homöopathen die Nutznießer der aktuellen gesetzlichen Sonderregelungen für die „besonderen Therapierichtungen“ sind.
Viel problematischer ist im Sendebeitrag allerdings, dass die EU-Öko-Verordnung sinnentfremdend unvollständig zitiert wird. Es fehlt die wichtige Aussage des Gesetzestextes, dass Homöopathika nur dann bevorzugt eingesetzt werden sollen, sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist.[163] Das ist bei keinem Anwendungsgebiet der Fall, auch nicht bei der Behandlung von Euterentzündungen. Keine der hierzu als wissenschaftliche Evidenz vorhandenen Übersichtsarbeiten wird im Sendebeitrag erwähnt oder unter den Quellenangaben der Mitschrift der Sendung angeführt.[154][155][156][B 39][157][158]
Die von der Sprecherin vorgetragene Behauptung, die Homöopathie erspare uns Antibiotika auf dem Teller (Minute 39:30), wird deswegen nicht durch die vorhandene wissenschaftliche Evidenz gestützt. Dass hier im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf derart unbegründete Weise Verbraucherängste befeuert werden, ist problematisch genug. Besonders schwer wiegt in diesem Fall, dass es in der Sendung so formuliert wird, als wäre es eine für den Gesetzestext als Begründung einer Therapieempfehlung gesicherte Erkenntnis, dass Homöopathika Antibiotikarückstände in der Milch verhindern würden („Homöopathie ist offizielle Therapie-Empfehlung der EU-Öko-Verordnung für Bio-Fleisch. Denn sie erspart uns Antibiotika auf dem Teller.“ (Hervorhebung Homöopedia)). Sowohl Gesetzestext als auch Evidenz besagen wie gezeigt etwas ganz anderes. Die Formulierung in der Sendung ist daher grob falsch und irreführend für den Verbraucher.
Biokristallisation
Die Sprecherin leitet über zu Paul Doesburg, den Zuschauern zuerst als Biochemiker (Minute 39:48) und danach als Molekularbiologe (Minute 40:08) vorgestellt. Anschließend erklärt die Sprecherin aus dem Off seine Experimente mit homöopathisch verdünntem Zinn, die sogenannte „Biokristallisation“: Kressesamen würden entweder in klarem Wasser oder in homöopathisch über die Avogadrogrenze hinaus verdünntem Zinn („Stannum“) keimen. Die Keime beider Gruppen lasse man mehrere Tage wachsen. Anschließend würden sie getrennt mit Wasser vermischt, im Mörser vermahlen und mit Kupferchlorid versetzt. Das Gemisch werde jeweils in Petrischalen getröpfelt. In den folgenden Stunden würden die flüssigen Bestandteile verdunsten, so dass das Kupferchlorid auskristallisiere. Die eigentliche Messung bestünde im Vergleich der dabei entstehenden Kristallmuster. Die Sprecherin meint, auch bei der Qualitätsmessung von Bio-Lebensmitteln werde diese Methode angewendet (Minute 41:33).
Bei Minute 42:01 zeigt der Filmbeitrag zwei deutlich unterschiedlich aussehende Ergebnisse. Die Sprecherin erklärt dazu:
So sieht das von Kresse aus, wenn sie normal in Wasser wächst. Und so das aus der homöopathischen D-30-Lösung – ein augenfälliger Unterschied (Minute 42:01).
Paul Doesburg zeigt den Unterschied noch einmal, auf der rechten Seite habe man klar zwei Kristallisations-Zentren, links – wo die Kresse nur in reinem Wasser gewachsen sei – nur eines. Er meint, das Kristallisationsmuster sei verändert: es wäre besser organisiert, wenn die Kressesamen in Wasser wuchsen als in der homöopathischen Zinnlösung. Die Sprecherin erzählt, Paul Doesburg und seine Kollegen hätten den Versuch 40 Mal wiederholt. Eine Veröffentlichung sei jedoch schwierig gewesen. Zunächst hätten drei Fachblätter den Abdruck abgelehnt. Erst im vierten Versuch wäre eine Veröffentlichung beim Europäischen Journal für pharmazeutische Wissenschaft gelungen. Paul Doesburg meint dazu, es wäre sehr wichtig, dass Homöopathie mehr Akzeptanz fände, damit die Ergebnisse der Wissenschaftler auch veröffentlicht würden.
Wissenschaftliche Antworten
Aussage | Wissenschaftliche Faktenlage und Querverweis auf andere Artikel |
Auch bei der Qualitätsmessung von Bio-Lebensmitteln werde die Methode der Biokristallisation angewendet. | Das ist nicht korrekt. Das Verfahren wird von anthroposophischen Kreisen dafür angepriesen. Eine wissenschaftliche Anerkennung fehlt.
Kupferchloridkristallisation, auch als Biokristallisation bezeichnet, ist ein auf anthroposophischen Vorstellungswelten basierendes und darin so genanntes „bildschaffendes Verfahren“. Bei der Biokristallisation wird flüssiges Kupferchlorid zusammen mit verriebenen pflanzlichen Substanzen in wässriger Lösung in einer Petrischale zum Verdunsten stehengelassen. Beim Vertrocknen kristallisiert das Kupferchlorid aus. Dabei bilden die in der Schale entstehenden Kristalle farnartig auffächernde Muster. Die Anwender des Verfahrens nehmen an, dass sich die dabei entstehenden Muster unterscheiden, je nachdem mit welcher Pflanze die Lösung versetzt wird oder welche Qualität sie hat. Es wurde in den 1920ern von dem anthroposophisch geprägten Chemiker Ehrenfried Pfeiffer auf Anregung von Rudolf Steiner entwickelt:
Nach dem anthroposophischen Glauben soll die Methode durch die Verbindung eines Metallsalzes (Kupferchlorid) mit der wässrigen Lösung einer „lebendigen“ Substanz in der Lage sein, die „ätherischen Kräfte“ nachzuweisen, die in der anthroposophischen Lehre allem Lebendigen zugrunde liegen.[175] Deswegen soll die wissenschaftliche Analyse der Inhaltsstoffe von Lebensmitteln deren Qualität nur unzureichend erfassen: die postulierte „Vitalqualität“ oder „Lebenskraft“ von Lebensmitteln sei damit nicht beschreibbar. Die Biokristallisation soll dagegen die „Selbstorganisationsfähigkeit“ der Probe darstellen und so diese vermutete Lücke schließen:
Diese Vorstellungswelt steht im Widerspruch zur naturwissenschaftlichen Beschreibung der Wirklichkeit: „Selbstorganisation“ bedeutet weder „lebend“ noch benötigt sie irgendeine geheimnisvolle „Lebenskraft“. Vorgänge der Selbstorganisation finden sich überall auch in der unbelebten Natur. Der Nobelpreisträger Ilya Prigogine hat in seinen Arbeiten dargelegt, wie in „dissipativen Strukturen“[178] – Strukturen fern vom thermodynamischen Gleichgewicht – spontan neue Strukturtypen entstehen können. Kristalle haben nichts „Lebendiges“ an sich. Somit misst die Biokristallisation mit den ätherischen „Bildekräften“ bzw. der „Vitalität“ eines Lebensmittels Begriffe, die es in der naturwissenschaftlichen Beschreibung der Qualität von Lebensmitteln gar nicht gibt und die hier auch nicht benötigt werden, weil nicht einmal klar ist, welche Bedeutung diese Begriffe für die objektive Qualität eines Lebensmittels haben sollen. Entsprechend spielt das Verfahren bei wissenschaftlichen Qualitätsbestimmungen keine Rolle. Die Anwendung ist in aller Regel auf anthroposophisch beeinflusste Einrichtungen und Personengruppen beschränkt. Darüber hinaus zeigt das Verfahren auch in anthroposophischen Einrichtungen oft eine mangelnde Reproduzierbarkeit ihrer Ergebnisse. Diese widersprechen zudem oft denen anderer Untersuchungen oder zeigen eine starke Abhängigkeit von der Interpretation des Betrachters.[179][176][B 40] Tatsächlich wurde bereits 2006 die Sinnhaftigkeit des Einsatzes der Biokristallisation zur Beurteilung der Qualität von Lebensmitteln im Laborjournal wohlbegründet in Frage gestellt:
Davon, dass es sich bei der Biokristallisation keineswegs um ein wissenschaftlich anerkanntes, sondern um ein außerhalb anthroposophischer Kreise irrelevantes und nie verifiziertes Verfahren handelt, erfährt der Zuschauer in der Sendung nichts. Vielmehr lässt die Formulierung, Biokristallisation werde bei der „Qualitätsmessung von Bio-Lebensmitteln“ eingesetzt, nur allzu leicht den Eindruck entstehen, das Gegenteil sei der Fall. |
Bei den Biokristallisationsexperimenten von Paul Doesburg würden sich „augenfällige Unterschiede“ in den Mustern ergeben, je nachdem, ob die zermahlene Kresse normal in Wasser oder in einer homöopathischen D30-Lösung gewachsen war. (Minute 42:01 und Minute 42:11) | Das zu dieser Aussage gezeigte Bild zeigt zwei Petrischalen mit den farnartig aufgefächerten Kristallmustern, links eine Schale aus der Vergleichsgruppe mit Wasser, rechts aus der Gruppe, in der die Kressesamen vor dem Zermahlen in Stannum D30 wuchsen. Die Sprecherin sagt zu diesem Bild aus dem Off: „So sieht das [Muster] von Kresse aus, wenn sie normal in Wasser wächst. Und so das aus der homöopathischen D-30-Lösung – ein augenfälliger Unterschied.“ In der Mitschrift der Sendung[1] wird als Quelle für diese Aussage die Veröffentlichung von Paul Doesburg von 2019[181] genannt. Tatsächlich wird diese Darstellung in der Sendung durch die Veröffentlichungen von Paul Doesburg zum Thema nicht gestützt. Vielmehr wird in der vorausgegangenen Veröffentlichung von Stephan Baumgartner und Paul Doesburg aus dem Jahr 2012 klar gesagt, dass rein optisch die Unterschiede zwischen den Gruppen kleiner waren als zwischen den Replikationsversuchen:
Es gab also gerade keinen augenfälligen Unterschied. In beiden Veröffentlichungen – der eben zitierten von 2012 und der in der Mitschrift der Sendung angeführten von 2019 – erfolgt die Auswertung auch nicht durch Betrachten der Petrischalen, sondern computergesteuert: In der Arbeit von 2019 heißt es hierzu, dass für die Charakterisierung der Struktur eines Bildes eine Software verwendet wird, die lediglich …
In der Veröffentlichung von 2019 schreiben die Autoren nichts davon, dass sich die Verumgruppe wenigstens statistisch signifikant häufiger durch zwei oder mehr Keimbildungsstellen auszeichnen würde, während man in der Kontrollgruppe in der Regel nur ein solches Zentrum erhalten würde. Stattdessen diskutiert man die Lage der primären Keimbildungszelle, die aber in den Gruppen keine signifikanten Unterschiede zeigte:
Da man sicher davon ausgehen kann, dass Paul Doesburg et al. in ihrer Veröffentlichung darauf hingewiesen hätten, wenn sich tatsächlich „augenfällige Unterschiede“ zwischen den unterschiedlich präparierten Schälchen ergeben hätten, kann man aus dem Fehlen einer solchen Aussage bzgl. der Anzahl der Kristallkeimzellen schließen, dass es diesbezüglich keine statistisch signifikanten Unterschiede gab. Ganz im Gegenteil zitiert man im Text sogar eine Vorstudie des anthroposophischen Lehrstuhls der Universität Kassel.[183] In dieser älteren Arbeit heißt es explizit, dort habe man Proben mit mehreren Kristallisationszentren als fehlerhaft ausgemustert: Der Zuschauer erhält deswegen durch die für die Sendung erfolgte Auswahl zweier optisch stark unterschiedlicher Petrischalen und das mehrfache verbale Hinweisen auf die unterschiedliche Anzahl der Keimzentren einen falschen Eindruck von der Vorgehensweise und der Deutlichkeit eines Unterschiedes in den Ergebnissen. Wenn Paul Doesburg in der Sendung den Unterschied in der Anzahl der Keimzentren hervorhebt und die Sprecherin aus dem Off anschließend betont, man habe das Experiment 40 Mal wiederholt, dann erzeugt das den irreführenden Eindruck, dass der gezeigte Unterschied dabei 40 Mal reproduziert worden wäre. Dies behauptet aber nicht einmal die Veröffentlichung selbst. Dass man für die Sendung dennoch Petrischalen mit „augenfälligen Unterschieden“ hergenommen hat, passt besser zu einer Einschätzung der Biokristallisation aus einer Habilitationsschrift zum Thema am anthroposophischen Lehrstuhl der Universität in Kassel:
Die Untersuchung von Doesburg et al. sucht und findet also statt solchen „augenfälligen Unterschieden“ nur statistisch signifikante Beziehungen in der von der Software pro Bild gelieferten großen Menge an Werten. Hierbei zeigen einige von über einem Dutzend untersuchten Kriterien für die Analyse der Texturen statistisch signifikante Korrelationen. Was dem wissenschaftlichen Laien oft nicht bewusst ist, ist, dass solche Korrelationen sehr viel weniger belegen, als man meint. Vor allem belegen sie für sich genommen noch keinen Kausalzusammenhang. Das wird leicht verständlich, wenn man hört, was für sicherlich vollkommen unabhängige Zahlenreihen korrelieren. So korrelierte beispielsweise zwischen 1999 und 2009 die Zahl der Eheschließungen in Kentucky mit der Anzahl der Menschen, die ertranken, weil sie von einem Fischerboot über Bord gingen. Im selben Jahrzehnt korrelierte dagegen die jährliche Anzahl der Menschen, die in einem Swimmingpool ertranken, mit der Zahl der jeweils in diesem Jahr erschienenen Anzahl von Filmen mit Nicolas Cage.[185] Über ein solches Überinterpretieren statistischer Signifikanzen in großen, unübersichtlichen Datenmengen hat der Physiker Florian Aigner schon vor Jahren auf seinem Wissenschaftsblog na klar geschrieben:
Nach genau einer solchen Überinterpretation klingt aber die Veröffentlichung von Doesburg et al. aus mehreren Gründen. Dass aufgetretene Korrelationen in den Kristallmustern kausal durch die D30-Gaben verursachte Effekte wären, wird unkritisch durch die Verwendung des Begriffes „Behandlungseffekt“ suggeriert.[182] Auch andere Punkte lassen Zweifel daran aufkommen, ob die Autoren angemessen distanziert mit ihren Ergebnissen umgehen: Zunächst fällt auf, dass man im „Abstract“ des Artikels behauptet, man habe im Experiment „biologische Effekte“ von Stannum D30 beobachtet.[B 45] Dabei ist Kristallisation überhaupt kein biologischer Vorgang. Weiterhin enthält die Arbeit für die Fülle an Daten, die bei einer solchen computergesteuerten Bildauswertung angefallen sein muss, eigentlich kaum konkrete Werte. Der Leser findet vor allem die ermittelten P-Werte für die statistische Signifikanz. Die Richtung und die Größenordnung der Effekte ist der Arbeit von Doesburg praktisch nicht zu entnehmen. Das macht es aber für einen Leser der Arbeit unmöglich, nachzuvollziehen, was in der Arbeit behauptet wird: Die erfolgreiche Replikation der Ergebnisse. Eine Darstellung in der Zusammenfassung der Arbeit wird ebenfalls in keiner Weise durch die enthaltenen Daten gestützt: dass man hier vom Nachweis „spezifischer Effekte von Stannum D30“ spricht.[B 46][182] Ein solcher Nachweis läge nur vor, wenn es wiederholt gelungen wäre, zu zeigen, dass man die Muster von Stannum D30 verblindet und randomisiert von denen anderer Homöopathika und Placebo sicher unterscheiden kann bzw. sogar verblindet Homöopathika anhand der Muster identifizieren kann. Einen solchen Test beinhalten die durchgeführten Experimente aber nicht – nicht einmal gegen Placebo. Auch ist nicht angegeben, inwiefern die enthaltenen statistisch signifikanten Werte für Stannum D30 „spezifisch“ sein sollen. All dies erfährt der Zuschauer im Sendebeitrag nicht. Das ist deswegen so problematisch, weil man am Ende des Filmbeitrages so deutlich betont, dass drei renommierte Fachzeitschriften die Veröffentlichung abgelehnt hatten, bevor dies endlich gelang. Die Information, dass Biokristallisation überhaupt kein wissenschaftliches Verfahren ist und dass Diskrepanzen bestehen zwischen enthaltenen Daten und postulierten Aussagen („spezifische“, „biologische“ Effekte), hätte es verständlich gemacht, dass beides einem kritischen Lektor einer Fachzeitschrift wahrscheinlich aufgefallen wäre und warum dies zur begründeten Zurückweisung geführt haben könnte. Ohne diese Hinweise entsteht beim Zuschauer aber leicht der den wissenschaftlichen Betrieb diskreditierende Eindruck, man hätte von Doesburgs Ergebnissen einfach nichts wissen wollen. Eine öffentlich-rechtliche Wissenschaftsredaktion sollte wissenschaftliche Arbeitsweise für den Zuschauer transparent machen. Dazu gehört eben auch, relevante Fakten zur Beurteilung der vorgestellten Aussagen nicht einfach auszulassen – besonders nicht, wenn dies in einer ans Verschwörungstheoretische grenzenden Weise den Peer-Review von Fachzeitschriften diskreditiert. |
Welche wichtigen Informationen fehlen hier?
Nirgends wird erwähnt, dass die Biokristallisation ein anthroposophisches, wissenschaftlich nicht anerkanntes Verfahren ist. Obwohl sich die Anthroposophie selbst als Geisteswissenschaft bezeichnet, erfüllt sie die erkenntnistheoretischen Kriterien einer Wissenschaft nicht. Sie ist vielmehr eine okkulte, esoterische Lehre, die auf den Österreicher Rudolf Steiner (1861–1925) zurückgeht.[187][188] Dass man hier ein wissenschaftlich nicht plausibles Verfahren (Homöopathie) mit einem anderen wissenschaftlich weder anerkannten noch plausiblen Verfahren (Biokristallisation) nachzuweisen versucht, hätte unbedingt klargestellt werden müssen.
Die Vorstudien zur Biokristallisation entstanden größtenteils an einem zunächst durch anthroposophische Stiftungen finanzierten Lehrstuhl an der Universität Kassel. Dieser Lehrstuhl wurde seit seiner Einrichtung immer wieder heftig für unwissenschaftliche Arbeitsweise und Themenwahl kritisiert.[189][180]
Finanziert haben den Lehrstuhl anthroposophisch geprägte Firmen wie der Biolebensmittel-Hersteller Alnatura und die Stiftung der Darmstädter Software AG. (…) In Kassel wollte die Universität das Treiben des Anthroposophen-Professors nach sechs Jahren eigentlich unterbinden: Die Evaluation habe gezeigt, so Hochschulpräsident Rolf-Dieter Postlep, dass die biologisch-dynamische Landwirtschaft nur begrenzt mit universitären Forschungsstandards zu vereinbaren sei. Vernichtender kann ein Urteil kaum ausfallen. Bloß hatten in der Zwischenzeit viele Studenten Gefallen an der Zauberlehre gefunden und zu Protestzügen aufgerufen. Die Universität scheute den Konflikt, man einigte sich: Die biologisch-dynamische Landwirtschaft soll künftig mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter in Forschung und Lehre vertreten bleiben…[190]
Neben der Biokristallisation wurde dort beispielsweise eine Diplomarbeit über „landwirtschaftsrelevante Bezüge von Naturwesen“ wie Elfen oder Gnome angefertigt, in der Interviewpartner über „eigene Erfahrungen mit Elementarwesen“ sprachen.[191] Von diesem Hintergrund erfährt der Zuschauer nichts. Stattdessen vermittelt man den Eindruck eines wissenschaftlich anerkannten Verfahrens und eine Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen.
Schlussbemerkung
Sven Oswald bekennt sich in der Abmoderation mit umfassendem Lob überschwänglich zur Homöopathie: Die verursachten Kosten seien „verschwindend gering“. Es gäbe „Wirkungsnachweise, nur eben noch viel zu wenige“. Man müsse der Homöopathie und ihren Vertretern Respekt zollen, denn das Verfahren sei schließlich schon 200 Jahre alt. Und für sich selbst sagt er als Schlusswort:
Bei der Behandlung ist mir persönlich relativ egal, ob sie bewiesen ist, wichtig ist mir, dass sie funktioniert. Und wenn mir kleine weiße Kügelchen helfen, dann nehm ich sie halt.
Welche wichtigen Informationen fehlen hier?
Was hier fehlt, ist dasselbe wie in der gesamten Sendung: Ein Betrachten, Erklären und Vermitteln der Tatsache, dass und warum alle wissenschaftlichen Gremien[5][14][15][16][18][75] keine stichhaltigen Argumente für eine Überlegenheit von Globuli gegenüber anderen Placebos finden und naturwissenschaftliche Unplausibilität[12][13] und innere Widersprüche auch keinen Anlass geben, solche Nachweise zu erwarten. Da man in der gesamten Sendung die auf der Sichtung dieser Daten beruhenden Stellungnahmen dieser Gremien ausgeblendet hat, ist die Zusammenfassung folgerichtig. Folgerichtigkeit bedeutet aber nicht, dass sie den wissenschaftlichen Fakten gerecht würde.
Besonders problematisch ist die Darstellung, das Funktionieren eines Verfahrens sei völlig unabhängig von der wissenschaftlichen Evidenz dazu, weshalb man wissenschaftliche Ergebnisse, wo immer man sie nicht wahrhaben will, getrost beiseite schieben könne. Die Frage, was passiert, „wenn mir kleine weiße Kügelchen“ nicht helfen, man aber wertvolle Zeit damit vergeudet hat, fällt unter den Tisch. Sich nicht darum zu scheren, dass ein Verfahren nach bestem Wissen eben nicht besser funktioniert als andere Placebos, ist ein sehr schlechter und höchst antiwissenschaftlicher Rat an den Zuschauer. Das European Academies Scientific Advisory Council (EASAC)[5] betont aus gutem Grund genau dieses Problem in seiner Stellungnahme zur Homöopathie:
Propagieren der Homöopathie - wir stellen fest, dass dies dem Patienten erheblichen Schaden zufügen kann, wenn es zu Verzögerungen beim Aufsuchen evidenzbasierter medizinischer Versorgung kommt, und dass generell die Gefahr besteht, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Art und den Wert wissenschaftlicher Erkenntnisse zu untergraben. (Hervorhebung Homöopedia)[B 47][5]
Fazit des Informationsnetzwerks Homöopathie
Kurz nach der Erstausstrahlung im Mai 2020 erhielt die Redaktion des rbb einen sehr kritischen Leserbrief, der nicht von einem Mitglied des Informationsnetzwerks Homöopathie (INH) geschrieben worden war, aber auf der Webseite des INH zu lesen ist.[192] In einem knappen Antwortschreiben verweist man unter anderem darauf, dass man für den Sendebeitrag auch Zuschauerpost mit „überschwänglichem Dank“ erhalten habe. Auf den Webseiten mehrerer homöopathischer Lobbyverbände wird der Beitrag tatsächlich gefeiert und wärmstens weiterempfohlen.[8][193] Dies erstaunt wenig, hat man doch bezüglich Ansprechpartnern und Informationen mit der Berliner Abteilung des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (BVhÄ) zusammengearbeitet.[6] Die Aussagen dieser homöopathischen Gesprächspartner werden in der Sendung ohne kritisches Nachfragen an den Zuschauer weitergegeben – egal, wie absurd, widersprüchlich oder offensichtlich falsch sie auch sein mögen:
- Wie kann es passieren, dass ein inhaltlicher Fauxpas, der jeden Abiturienten stutzen lassen würde – dass Nanopartikel jenseits atomarer Reaktionen wären – von der gesamten Redaktion unbeanstandet durchgewunken wurde?
- Wie kommt es, dass niemandem aufgefallen ist, wie sehr sich die Sendung selbst mehrfach widerspricht: So wird dem Zuschauer zuerst der Begriff der Nanostrukturen als Erklärung einer Wirksamkeit angeboten, nur um im nächsten Beitrag eine ganz sicher nicht materielle Wirksamkeit zu postulieren – nur deshalb gäbe es ja den Streit der Weltanschauungen. Gleich darauf beschäftigt man sich doch wieder mit Placebos, um eine Daseinsberechtigung für die Homöopathie zu konstruieren, selbst dann, wenn sie nur mit Placebos arbeite. Ist denn niemandem aufgefallen, dass man hier ein buntes Potpourri an einander widersprechender Erklärungswillkür zusammensetzt? Ein Widerspruch zum materiellen Weltbild wäre hinfällig, wenn Nanopartikel am Werk wären – und eine Rechtfertigung des Verfahrens über den Nutzen, den Patienten über Placeboeffekte haben können, bräuchte es dann auch nicht … und umgekehrt. Hat man selbst in den gelieferten Behauptungen den Überblick verloren oder wollte man erreichen, dass bei so viel Auswahl an sich widersprechenden Angeboten wirklich jeder Zuschauer eine Scheinerklärung findet, die er schlucken möchte?
- Warum fallen wichtige Informationen so oft unter den Tisch? Warum erfährt der Zuschauer nicht, dass „Biokristallisation“ keineswegs ein wissenschaftlich anerkanntes Messverfahren ist? Warum fehlt im Zitat der EU-Öko-Verordnung die entscheidende, von der Homöopathie nicht erfüllte Bedingung, an die der Gesetzgeber wohlweislich seine Empfehlung gebunden hat?
- Wie kann es sein, dass man in einer von einer Wissenschaftsredaktion verantworteten Sendung kein wissenschaftliches Gremium zum Thema befragt? Wie kann es sein, dass der Inhalt der Stellungnahmen dieser Gremien zur Homöopathie – wie etwa des European Academies Scientific Advisory Council (EASAC)[5] – in der Sendung überhaupt nicht vorkommt? Laut rbb hatte der Beitrag das Ziel, „das Thema von möglichst vielen Seiten zu beleuchten: sachlich auf dem Stand von 2020, unvoreingenommen, verständlich für eine breite Zuschauerklientel.“[192] Wie kann es sein, dass eine Wissenschaftsredaktion das Gefühl hatte, diesem Anspruch gerecht geworden zu sein, ohne die wissenschaftliche Einschätzung des Verfahrens überhaupt ausführlich dargestellt, erklärt und belegt zu haben? Wollte man den Vorwurf einer „Fairness-Falle“ oder false balance[194][B 48] vermeiden, indem man die wissenschaftliche Einschätzung des Verfahrens erst gar nicht benennt? Oder ist dies der Redaktion gar nicht aufgefallen, weil man Ansprechpartner und Informationen ja durch den BVhÄ empfohlen bekommen hatte?
- Wieso übernimmt ein öffentlich-rechtlicher Sender vollkommen unkritisch homöopathische Verschwörungsbehauptungen? Wie konnte es dazu kommen, einerseits Stellungnahmen von Gremien wie dem European Academies Scientific Advisory Council (EASAC)[5], der amerikanischen Federal Trade Commission (FTC)[59] und dem Britischen National Health Service[15] unter den Tisch fallen zu lassen, dann aber zu behaupten, die Kritik käme von außerhalb des Wissenschaftsbetriebes von einer kleinen Gruppe „Skeptiker“? Wieso spricht man beim großen Bericht der australischen Gesundheitsbehörden von einer „offiziellen“ und „inoffiziellen“ Version, aber nicht über die methodischen Mängel des nicht weiter verfolgten Entwurfs? Wieso zitiert man die Ergebnisse des zurückgezogenen Entwurfes in genau der Weise falsch, wie es auf den Webseiten homöopathischer Lobbygruppen passiert: nämlich unzulässig verallgemeinert als „eine ermutigende Evidenz für die Homöopathie“,[195] während selbst der Draft-Report diese Formulierung für nur fünf der betrachteten Indikationen verwendet?[123]
Wie schon bei der Webseite zur Sendung müssen wir deshalb auf den Bildungsauftrag verweisen, den das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Gegensatz zu den privaten Fernsehsendern hat und diesen auch als Rechtfertigungsgrund anführt:
Der Mehrwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liegt insbesondere darin, auch Angebote zur Verfügung zu stellen, die der private Rundfunk aufgrund seiner kommerziellen Ausrichtung weder in gleicher Quantität noch Qualität anbieten kann. Insbesondere starke Informationsangebote sind die Markenzeichen der ARD und bieten den Menschen verlässliche und vertrauenswürdige Orientierungspunkte in einer zunehmend unübersichtlich werdenden Medienwelt.[196]
Diesem Anspruch (und seinem eigenen Titel: „Die Wahrheit über …“) wird der Sendebeitrag in keiner Weise gerecht. Der hohe Grad der Übereinstimmung der Ergebnisse der Systematischen Reviews untereinander sowie mit der naturwissenschaftlichen Unplausibilität und der darauf aufbauende internationale wissenschaftliche Konsens zur Homöopathie bleiben unerwähnt. Weder erfährt der Leser von der Existenz der Stellungnahme der Dachorganisation Europäischer Wissenschaftsakademien (EASAC) zur Homöopathie,[5] noch von ihrem Inhalt, noch von der Einschätzung verschiedener wissenschaftlicher Gremien, auf die er sich stützt. Stattdessen zeigt man emotionsgeladene, aber wissenschaftlich nicht belastbare Einzelfälle. Man zitiert handverlesene einzelne Studien, ohne deren begrenzte Aussagekraft und interne Qualitätsmängel zu thematisieren. Man zitiert Arbeiten, die überhaupt noch nicht erschienen sind und deren Aussagekraft man allein deshalb mit Sicherheit nicht kritisch bewertet haben kann. Interessenskonflikte der homöopathischen Gesprächspartner bleiben unklar, während man etwa durch das Zeigen des Veranstaltungsortes der homöopathischen Konferenz einen offiziellen wissenschaftlichen Anerkennungsstatus der Veranstaltung suggeriert, den diese nicht hat. Der Gesetzestext der EU-Öko-Verordnung[163] wird in verfälschender Weise verkürzt zitiert und in einer Weise begründet, die durch die wissenschaftliche Evidenz nicht gedeckt ist.[155] Die Liste der irreführenden Punkte ist – wie im Artikel gezeigt – noch wesentlich länger.
Die viel zu positive Darstellung der Homöopathie ist besonders deshalb problematisch, weil man im Sendebeitrag immer wieder auf die Beliebtheit des Verfahrens in der Bevölkerung verweist. Eine großangelegte Umfrage in Spanien lieferte Hinweise auf die Rolle der Medien im Teufelskreis aus Desinformation des Patienten und der Beliebtheit unbelegter Verfahren:
Unsere Studie identifiziert die sozialen Faktoren, die das Vertrauen einer Person in alternative Therapien wie Homöopathie oder Akupunktur bestimmen, und zieht Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der Nationalen Spanischen Umfrage über die soziale Wahrnehmung von Wissenschaft und Technologie (N=6.357). Wir zeigen, dass sich das Vertrauen in die Wirksamkeit von CAM-Therapien und der Glaube an die Wissenschaft für die breite Öffentlichkeit nicht gegenseitig ausschließen, was auf ein gewisses Maß an Desinformation hindeutet. (…) Schließlich argumentieren wir, dass Medien und Apotheken einen Einfluss auf die wissenschaftsähnliche Wahrnehmung von CAM-Therapien haben können, indem sie zur sozialen Vertrauensbildung in ihre Wirksamkeit beitragen. Daher könnte die weit verbreitete Verwirrung über die wissenschaftliche Validierung der Homöopathie einer der Hauptfaktoren für ihre erfolgreiche Verbreitung als Praxis sein.[B 49][197]
Es ist also keine Rechtfertigung des Inhalts des Sendebeitrages, wenn Homöopathen nach der Erstausstrahlung mit „überschwänglichem Dank“ reagierten. Vielleicht sollte sich die Wissenschaftsredaktion des rbb für zukünftige Beiträge der Reportage „Die Wahrheit über…“ die Worte des Dokumentarfilmers Dirk Steffens zum Thema „Wie sollten die Medien mit Meinungen umgehen, denen gesicherte Erkenntnisse entgegenstehen?“ zu Herzen nehmen, die er im Interview „Die Wahrheit liegt allein in der Wahrheit“ findet:
Zu glauben, man müsse auch abseitigen Ansichten eine Plattform bieten, ist ein journalistischer Kernfehler. (…) Wir können als Journalistinnen und Journalisten nicht verschweigen, was uns begegnet. Wir haben jedoch manchmal eine bedenkliche Lust daran, über Abseitiges zu berichten, weil das interessante Geschichten sind, die gerne gelesen und angeschaut werden. Wir geben dieser Neigung zu oft nach. Da schließe ich mich ausdrücklich mit ein. Wir sollten häufiger abwägen, ob wir dafür die Wahrheit opfern wollen. (…) Journalistinnen und Journalisten können nicht objektiv sein, auch ich nicht. Man muss sich immer wieder klarmachen, was die eigene Überzeugung ist – und dass sie falsch sein kann. Ich kann mich irren, und dann muss ich mich korrigieren. Das ist eine wichtige Haltung im Journalismus, weil er öffentlich wirkt und viele Menschen erreicht. Darin liegt allerdings auch ein Problem. Viele Verschwörungstheoretiker halten sich für unabhängige, kritische Denker. Das Anzweifeln ist zutiefst wissenschaftlich, aber auch zutiefst verschwörungstheoretisch. Der Unterschied: In der Wissenschaft ist Zweifel eine Methode, und das Ergebnis ist offen. Es setzt sich durch, was belegt und nicht falsifiziert werden kann. Bei der Verschwörungstheorie ist das Ergebnis vorgegeben, und die Fakten werden angepasst.[198]
Quellen- und Literaturangaben |
---|
|
Anmerkungen und Originalzitate |
---|
|