Homöopedia Informationen zur Homöopathie |
Avogadrogrenze
Mit dem Begriff Avogadrogrenze wird ausgedrückt, dass ab einer bestimmten Verdünnung rechnerisch kein Teilchen der Ausgangssubstanz mehr vorhanden ist. „Teilchen“ können dabei Atome eines chemischen Elements (z. B. Schwefel) oder Moleküle bzw. gelöste Ionen einer chemischen Verbindung (z. B. Kochsalz) sein.
Die Avogadrogrenze ist nicht als feste Grenze, sondern als Richtwert bzw. Größenordnung zu verstehen, da der Zahlenwert statistisch berechnet wird und das genaue Ergebnis von der gewählten Prozedur und der verwendeten Ausgangssubstanz abhängt.
Die Bezeichnung „Avogadrogrenze“ wurde unter anderem von dem Physiker Martin Lambeck in seinem Buch Irrt die Physik? geprägt[1] und leitet sich von der Avogadro-Konstante ab, die angibt, wie viele Atome bzw. Moleküle in einem Mol einer Substanz vorhanden sind.
Für die Homöopathie liegt die Bedeutung darin, dass jenseits der Avogadrogrenze im typischen 10-Gramm-Globuli-Fläschchen mit extrem großer Wahrscheinlichkeit keinerlei Teilchen aus der Urtinktur mehr vorhanden sind. Die einzelnen Präparate sind dann bis auf die zufälligen Verunreinigungen der Lösungsmittel und des Zuckers völlig identisch. Die Beschriftung des Fläschchens mit dem Wirkstoff und einem bestimmten Verdünnungsgrad („Potenz“) ist jenseits der Avogadrogrenze somit eigentlich irreführend: Sind – wie zu erwarten – keine Teilchen aus der Urtinktur enthalten, so ist die Wirkstoffbezeichnung auf der Packung ungerechtfertigt. Sind doch noch Teilchen des Wirkstoffes enthalten, dann stimmt die Angabe zur Verdünnung auf der Packung nicht.[2]
Die Avogadrogrenze darf dabei nicht als eine Grenze verstanden werden, ab der eine gezielte Wirksamkeit der Präparate unplausibel wird. Das ist bereits bei Größenordnungen darunter – beim Unterschreiten pharmakologisch relevanter Dosen – der Fall. Der Begriff versinnbildlicht vielmehr eine Extremsituation und stellt keine medizinisch relevante Grenze dar.
Inhaltsverzeichnis
Die Avogadro-Konstante
Bei jeder Substanz ist wegen des Aufbaus der Stoffe aus Atomen oder Molekülen die Anzahl der darin enthaltenen Teilchen zwar sehr groß, aber nicht unendlich groß.
Die Stoffmenge ist ein Maß für diese Anzahl von Teilchen: Die Maßeinheit für die Stoffmenge ist das Mol. Die Definition des Mols ist die Anzahl an Kohlenstoff-Atomen, welche in 12 g reinem Kohlenstoff des Isotops 12C enthalten sind.[3][B 1] Die Avogadro-Konstante gibt an, wie viele Teilchen dies sind:
NA ≈ 6,022 • 1023 [4]
Ein Mol eines Stoffes ist also immer die Menge, die man erhält, wenn man 6,022 • 1023 Teilchen davon hat.[B 2]
Homöopathische Globuli werden oft in Fläschchen mit 10 g der Streukügelchen verkauft. Die Trägersubstanz ist Saccharose, C12H22O11, von der ein Mol etwa 342 Gramm wiegt.[5] Ein typisches Fläschchen Globuli enthält deshalb etwa 10/342 g ≈ 0,0292 mol Saccharose oder 1,76 • 1022 Moleküle.
In einem derartigen Gläschen ist die kleinste herstellbare Verdünnung daher etwa 1:1022, ein einziges aus der Urtinktur verbliebenes Teilchen auf alle Saccharose-Moleküle. Entsprechend ist rein rechnerisch
- bei D-Potenzen etwa ab der D23 oder D24,
- bei C-Potenzen ab der C12 und
- bei Q- bzw. LM-Potenzen etwa ab der Q5
kein Teilchen der Urtinktur mehr enthalten.
Bei der Herstellung der Globuli werden diese mit der jeweiligen Verdünnung im Verhältnis 1:100 betropft und getrocknet.[6] Die Verdünnung ist also noch einmal um einen Faktor 100 größer als die Potenz es angibt. Die Avogadrogrenze wird entsprechend früher überschritten.
Dies ist allerdings eine idealisierte Rechnung. In der Praxis hängt das reale Absinken der Konzentration von weiteren Faktoren ab. So bewirkt beispielsweise die Adhäsion – die Neigung eines Stoffes, sich an Oberflächen anzuhaften – einen hiervon abhängigen und für verschiedene Substanzen unterschiedlichen realen Konzentrationsabfall des Wirkstoffes im Laufe der Potenzierungsschritte. Auch die beim Schütteln eingebrachten Luftbläschen können beeinflussen, wie schnell nun genau die Konzentration absinkt. Die wahre Konzentration in den homöopathischen Arzneien ist daher de facto unkalkulierbar, wobei in den wirklich hohen Potenzen Teilchen aus der Urtinktur nur noch mit extrem kleinen Wahrscheinlichkeiten zu erwarten sind. Somit sind sicher zu wenige Teilchen vorhanden, um eine pharmakologische Wirksamkeit möglich zu machen.
Rechenbeispiel
Angenommen, es wird Weißes Arsen (Arsenicum Album, Arsen(III)-oxid, As2O3) als Urstoff verwendet, das zu D-Potenzen verarbeitet werden soll. Dabei wird ein Teil Urstoff mit neun Teilen Lösungsmittel verdünnt. Somit enthält 1 kg fertige Lösung D1 – etwa 1 Liter – dann 100 g Arsenicum Album.
Ein Mol ist die Molekülmasse in Gramm. 1 Mol Arsen(III)-oxid hat eine Masse von rund 198 g.[7] Die Avogadro-Konstante gibt an, dass in einem Mol 6,022 • 1023 Teilchen enthalten sind. 100 g Arsen(III)-oxid – und damit der Liter D1-Lösung – enthalten demnach (100 • 6,022 • 1023 / 198 ) = 3,04 • 1023 Teilchen.
Bei jedem Potenzierungsschritt wird ein Teil der Lösung mit neun Teilen frischen Lösungsmittels verdünnt. Dabei werden neun Teile des Urstoffs mit der alten Lösung weggeschüttet, nur ein Zehntel wird in das nächste Gefäß überführt. Dort ist die Anzahl also um den Faktor 10 geringer, in der D2 zum Beispiel nur noch 3,04 • 1022.
Wenn man dies weitere 22 Male ausführt, dann sind im 24. Gefäß rechnerisch nur noch drei Arsen(III)-oxidmoleküle zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Moleküle in das nächste Gefäß gelangen, beträgt nur noch 1:10 und wird von Schritt zu Schritt um den Faktor 10 geringer. Hier liegt die Avogadrogrenze folglich bei der Potenz D24. Wären 100 g Arsen(III)-oxid zu C-Potenzen verarbeitet worden (also mit Verdünnungsschritten von 1:100 statt 1:10), dann läge diese Grenze bei C12.
Ein typisches Globuli-Fläschchen mit 10 Gramm Saccharose-Kügelchen wird nur mit etwa 0,1 g der jeweiligen Lösung besprüht.[6] Die eben durchgeführte Rechnung gilt aber noch für einen ganzen Liter (also etwa 1000 g) der jeweiligen Potenz. Im Globulifläschchen ist also nur rund ein Zehntausendstel der eben berechneten Lösung enthalten. Deswegen wird die Avogadrogrenze im Endprodukt entsprechend schon im Schritt zur D21 (bzw. von der C10 zur C11) überschritten.
Extrembeispiele
Wie im Rechenbeispiel zu sehen, ist die Avogadrogrenze genaugenommen kein fester Zahlenwert, sondern davon abhängig, wie viele Teilchen Urstoff oder Urtinktur verarbeitet werden und welche molekulare Masse der Stoff hat, also „wie schwer er ist“. Je mehr Urstoff verarbeitet wird, desto mehr Verdünnungsschritte sind nötig und desto höher wird damit der Zahlenwert der Potenz (z. B. D23), bis die Lösung die Avogadrogrenze überschreitet. Je höher die molare Masse des Urstoffs ist, desto niedriger ist die Potenz an der Avogadrogrenze. Für die in obigem Rechenbeispiel verarbeitete Menge von 100 g Urstoff ergeben sich für verschiedene Stoffe deshalb unterschiedliche Werte der Avogadrogrenze:
- Aconitum napellus: Der Blaue Eisenhut enthält als pharmakologisch relevanten Bestandteil das Aconitin C34H47NO11 mit einer Molekülmasse von rund 646 g/Mol.[8]
In einem Liter einer D24-Lösung wäre hier rein rechnerisch nur noch ein Molekül zu erwarten. Im einzelnen 10-Gramm-Fläschchen wird also schon bei der D21 bzw. C11 die Avogadrogrenze überschritten. Tatsächlich ist schon vorher kein Aconitin mehr in der Verdünnung zu erwarten, da als Ausgangsprodukt hier der Pflanzensud verwendet wird und dieser ja selbst schon eine Lösung der verschiedenen Pflanzeninhaltsstoffe ist.
- Lithium hat eine geringe Atommasse von nur 7g/Mol.[9]
Verarbeitet man 100 g Lithium, so sind in einem Liter einer D1-Lösung rund 8,6 • 1024 Atome enthalten. Ein Liter der D25 kann deshalb noch die letzten Lithiumatome enthalten. Im 10-Gramm-Fläschchen würde die Avogadrogrenze erst bei der D22 überschritten werden.
- Bei einigen homöopathischen Arzneien ist bereits in der Urtinktur kein Teilchen der Ausgangssubstanz enthalten. Das gilt zum Beispiel für die Imponderabilien[B 3] wie Positronium,[10] Kugelblitz[11] oder Magnetischer Südpol.[12] In gewissem Sinne liegt bei diesen Mitteln deshalb die Avogadrogrenze schon bei der Urtinktur, doch ist es einheitlicher, auch hier die Potenz als Avogadrogrenze anzusehen, bei der rechnerisch die Moleküle der Urtinktur aus der Lösung verdünnt werden. Auch das Lösungsmittel wird ja beim schrittweisen Verdünnen nach und nach ausgetauscht.
Historisches
Amedeo Avogadro (1776–1865) erkannte als erster, dass gleiche Volumina idealer Gase bei gleichen äußeren Bedingungen gleich viele Teilchen enthalten, konnte aber diese von ihm postulierte Zahl nicht bestimmen.[B 4][13]
Bereits zu Hahnemanns Lebzeiten gingen die meisten Wissenschaftler von einem atomaren Aufbau der Materie aus und rechneten mit den praktischen molaren Größen, ohne jedoch die zugehörige Teilchenanzahl zu kennen. Die erste gute quantitative Abschätzung des Mols gelang Josef Loschmidt 1865, 22 Jahre nach Hahnemanns Tod.[13][B 5]
Während Hahnemann also bei der Niederschrift der ersten Ausgaben des Organons keine Kenntnis der ungefähren Anzahl der Moleküle in einer bestimmten Stoffmenge haben und entsprechend nicht wissen konnte, ab wann er rein statistisch alle Teilchen der Urtinktur wegverdünnt hatte, war diese Zahl den Homöopathen, die nach 1865 geboren sind, bekannt. Als Reaktion auf diese Tatsache entstanden in der Homöopathie zwei einander widersprechende Richtungen:
- Die Tiefpotenzler lehnen Verdünnungen jenseits der Avogadro-Grenze ab und verwenden Niedrigpotenzen, bei denen die Wirkstoffe oft so wenig verdünnt sind, dass eine pharmakologische Wirksamkeit grundsätzlich nicht auszuschließen ist.
- Die Hochpotenzler verwenden trotz ihres Wissens um die Verdünnungsgrenze hohe und höchste Potenzen weit über die Avogadrogrenze hinaus. Potenzen bis zur C100.000 sind weit verbreitet.[14] Dabei wird postuliert, dass durch die Schüttelschläge ein „Energieeintrag“ erfolgt, der die „geistartigen Arzneikräfte“ von ihrem materiellen Träger lösen und so den materiellen Träger überflüssig machen soll. Derartige „geistartige“ Kräfte haben jedoch bis heute keine physikalische Entsprechung. Vielmehr führt das Konzept zu einem inneren Widerspruch: Einerseits sollen Schüttelschläge geistartige Arzneikräfte von materiellen Trägern lösen, weswegen das Verschütteln im Organon als „Dynamisierung“ bezeichnet wird. Andererseits sollen Schüttelschläge bewirken, dass sich geistartige Kräfte an materielle Träger binden (wahlweise Wasser, Alkohol oder ein Gemisch aus beidem in der Potenzierungsflüssigkeit), denn sonst verblieben sie nicht in der Lösung. Völlig unerklärt bleibt ohnehin, warum dieser Vorgang nur die erwünschten Kräfte und nicht die unerwünschten Eigenschaften der Ausgangssubstanz betreffen soll oder warum nur die Urtinktur potenziert wird, nicht jedoch die im Lösungsmittel unvermeidlich vorhandenen Verunreinigungen (z. B. Chlor- und Nitratspuren, die sogar in destilliertem Wasser enthalten sind).
Auch unter Homöopathen leugnet man die Tatsache, dass in den Hochpotenzen keinerlei Wirkstoffe enthalten sind, heute nicht mehr.
Die Einteilung in Tief-, Mittel- und Hochpotenzen ist jedoch nicht sehr präzise und auch nicht einheitlich definiert. Pharmakologische Effekte sind bei homöopathischen Tiefstpotenzen nicht allein über die Verdünnung auszuschließen, besonders dann, wenn sie sogar nicht vernachlässigbare Mengen der Urtinktur enthalten.[B 6] Naturwissenschaftlich unplausibel vom Aspekt der Verdünnung her werden Homöopathika erst mit mittleren bis hohen Potenzen. Vorgelegte Erklärungsmodelle durch die Vertreter der Homöopathie („energetische Natur“, „Gedächtnis des Wassers“, „Nanopartikel“, …) sind weder naturwissenschaftlich schlüssig, noch sind sie widerspruchsfrei ausgearbeitet formuliert oder durch Experimente abgesichert.[15][16]
Weitere Aspekte und Bedeutung der Avogadrogrenze
Die Avogadrogrenze ist nicht die Grenze der pharmakologischen Wirksamkeit
Eine pharmakologische Wirksamkeit verschwindet nicht erst mit dem letzten Teilchen aus der Urtinktur, sondern bereits dann, wenn die (wirkstoffabhängige) Minimaldosis deutlich unterschritten wird. Wie weit die Wirkstoffkonzentrationen wirksamer Medikamente von der Avogadrogrenze entfernt sind, sollen die folgenden Beispiele veranschaulichen:
Wirkstoff | Enthaltener Wirkstoff pro Einheit | Gewicht einer Einnahmeeinheit (z. B. Tablette) | Verdünnungsfaktor (ungefährer Wert) |
Amoxicillin | 1000 mg | 1,30 g | D0 |
Anastozol | 1 mg | 0,10 g | D2 |
Acetylsalicylsäure | 500 mg | 0,61 g | D0 |
Buprenorphin | 2 mg | 0,10 g | D2 |
Quelle: AMSE – Arzneimittel-Schnellerkennung[B 7]
Typische Medikamente liegen in ihren Wirkstoffkonzentrationen also um mehrere Größenordnungen von der Avogadrogrenze entfernt. Sie würden schon weit vor der Avogadrogrenze nicht mehr richtig wirken. Natürlich hängt die Wirksamkeit einer Arznei nicht nur am Wirkstoffgehalt einer Tablette, sondern auch an der täglich einzunehmenden Dosis. Doch ändert die Betrachtung der maximalen Tagesdosis nichts daran, dass Globuli bereits in sehr niedrigen Potenzen viel zu wenig Wirkstoff für eine pharmakologische Wirksamkeit enthalten. Die empfohlenen Tagesdosen niedriger Potenzen sind unter Homöopathen nicht ganz einheitlich. Hersteller wie die DHU empfehlen für niedrige Potenzen die Einnahme von bis zu 30 Globuli täglich.[17] Das sind rund 0,25 g.[B 8] Diese werden im Verhältnis 1:100 mit der Dilution benetzt,[6] also mit 0,0025 g = 2,5 mg der verdünnten Lösung. Selbst in der Urtinktur kommt man bei bestimmungsgemäßem Gebrauch also nicht über eine Tagesdosis von 2,5 mg hinaus. Sogar das ganze 10-Gramm-Fläschchen enthielte dann nur 100 mg Urtinktur, und auch das nur, wenn die Urtinktur zu 100 Prozent aus Wirkstoff bestünde, was bei den alkoholischen Auszügen bei organischem Material bei weitem nicht der Fall ist. Zum Beispiel wird für Apis mellifica (Honigbiene) für die Urtinktur nach HAB[B 9] auf 10 g Alkohol 1 g (ganze) Biene verarbeitet, die jedoch nur wenige Milligramm an Bienengift enthält.
Bei vielen homöopathischen Urstoffen handelt es sich zudem um Substanzen, die wir mit unserer täglichen Nahrung ohnehin in – im Verhältnis – großer Menge zu uns nehmen. Ein typisches Beispiel hierfür ist Kochsalz (Natrium Muriaticum), aber auch andere immer im Wasser gelöste Mineralien. Die Schwankung der täglich mit der Nahrung aufgenommenen Menge dieser Stoffe ist um viele Größenordnungen gravierender als durch ein Homöopathikum beeinflusst, selbst dann, wenn seine Verdünnung noch unterhalb der Avogadrogrenze liegt (etwa in Natrium Muriaticum D12).
Das gilt aber auch für weniger häufige und sogar giftige Stoffe. Die Trinkwasserverordnung legt fest, wie hoch die Konzentration bestimmter Stoffe in unserem Trinkwasser maximal sein darf, um auch bei langfristiger Nutzung keine Auswirkungen auf den Körper zu haben. So ist zum Beispiel eine Konzentration von Arsen im Trinkwasser von 0,01 mg/l unbedenklich, also wirkungslos.[18] Die Menge von 0,01 mg pro Liter entspricht etwa der D8. Selbst bei Arsen verschwindet also die pharmakologische Wirksamkeit schon viele Größenordnungen unterhalb der Avogadrogrenze.
Ein weiterer Aspekt hierbei ist, dass es sich bei vielen Ursubstanzen gar nicht um chemische Reinstoffe, sondern um Stoffgemische handelt. Es gibt z. B. nicht „das Arnika-Molekül“; vielmehr enthalten Pflanzen verschiedene Wirkstoffe in schwankender Zusammensetzung. Arnika enthält beispielsweise ätherisches Öl (0,04 bis 0,14 %), den Bitterstoff Arnicin und Gerbstoffe.[19] Verdünnt man wässrige Lösungen dieser Pflanzenauszüge, dann verschwinden die einzelnen Alkaloide, Öle, Bitterstoffe und andere wirksame Bestandteile verschieden schnell aus der Lösung. Weder ist es für Gemische nicht immer gleichbleibender Zusammensetzung möglich, eine feste Avogadrogrenze anzugeben, noch hat die Zusammensetzung der letzten verbliebenen Teilchen aus der Urtinktur noch irgend etwas mit der ursprünglichen Zusammensetzung der Wirkstoffe zu tun.
Wenn also in der Diskussion um homöopathische Hochpotenzen oft vom Überschreiten der Avogadrogrenze die Rede ist, so ist damit doch nicht gemeint, dass eine gezielte Wirksamkeit erst ab dieser Schwelle unplausibel wird.
Die Avogadrogrenze ist eine rein rechnerische Wahrscheinlichkeitsaussage
Eine andere Schwierigkeit des Begriffs „Avogadrogrenze“ besteht darin, dass die strikte Abnahme der Zahl der Moleküle mit der Zahl der Verdünnungsgrade nur eine vereinfachende Modellvorstellung ist, die aber in der Realität nicht genau gegeben ist. Rechenbeispiele wie das obige unterliegen also immer der Annahme einer idealisierten Verdünnung, also nur unter der Annahme einer gleichmäßigen Verteilung und gleichmäßigen Abnahme der ursprünglichen Moleküle. Dabei werden keine Verunreinigungen des Lösungsmittels und auch keine komplizierten Effekte wie das Anreichern mit Aerosolen oder Ablagerungen an den Gefäßwänden berücksichtigt.
Letztlich ist die Anzahl der in der verdünnten Lösung eventuell noch enthaltenen Teilchen aus der Urtinktur nicht bestimmbar. Allein die Frage, ob C-Potenzen nach der Einglas- oder Mehrglasmethode hergestellt werden, verursacht große Unterschiede in der tatsächlich enthaltenen Konzentration.[20] Obwohl der genaue Zahlenwert der Avogadrogrenze unbekannt ist, hat es sich eingebürgert, angelehnt an die Avogadro-Konstante von D23/C12 als der Avogadrogrenze zu sprechen.
Der Hinweis auf die Avogadrogrenze verweist also nur darauf, dass es mit zunehmender Verdünnung immer unwahrscheinlicher wird, dass überhaupt Teilchen der Urtinktur noch im verkauften Produkt enthalten sind.
Die Avogadrogrenze kann bei im Lösungsmittel enthaltenen Stoffen nicht erreicht werden
Viele der in der Homöopathie eingesetzten Stoffe sind in gewisser Konzentration im eingesetzten Lösungsmittel (Wasser, Ethanol oder ein Gemisch aus beidem) enthalten. Während die Zahl der ursprünglich aus der Urtinktur stammenden Teilchen dieser Wirkstoffe zwar mit jedem Potenzierungsschritt abnimmt, kann die Konzentration dieser Stoffe niemals unter den im Lösungsmittel enthaltenen Anteil sinken. Mit jedem Verdünnungsschritt werden mit dem Lösungsmittel neue Teilchen zugefügt, so dass die Konzentration nicht weiter abnimmt. Wirklich „wirkstofffreie“ Verdünnungen dieser Stoffe (wie Kochsalz, aber auch seltenere Stoffe wie Arsen, Gold, …) sind nicht herstellbar.
Beispiel: Selbst Gold ist im Meerwasser mit 0,01 bis 0,03 mg / m³ enthalten, das ist etwa D10 bis D11.[21] Selbst bei der Wasseraufbereitung verschwindet das Gold nicht vollständig aus dem Wasser, was selbst bei einem so seltenen Stoff wie Gold die Herstellung einer Verdünnung, wie sie die homöopathischen Hochpotenzen benötigen, unmöglich macht.
Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass auch keine „Reinpotenz“ im Sinne der Homöopathie herstellbar ist, denn die fertige Arznei setzt sich immer aus der genannten und allen darunter liegenden Potenzen zusammen.
Die 10:23-Aktionen
Im Rahmen der 10:23-Aktionen nehmen Kritiker der Homöopathie öffentlich große Mengen homöopathischer Hochpotenzen zu sich, um zu demonstrieren, dass die nach der Homöopathie zu erwartenden Prüfsymptome nicht eintreten. Der Name der Aktion ist eine Anspielung auf die Avogadro-Konstante (NA = 6,022 • 1023) und soll darauf hinweisen, dass sich ab Verdünnungen über die Avogadro-Konstante hinaus kein einziges Molekül der Ursubstanz mehr in den homöopathischen Arzneimitteln befindet.[22][23]
Quellen- und Literaturangaben |
---|
|
Anmerkungen und Originalzitate |
---|
|