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Konstitutionstypen
Die Homöopathie besteht längst nicht mehr aus einem einzigen, einheitlichen therapeutischen Ansatz, der von allen Homöopathen gleichermaßen verwendet wird. Heute existieren zahlreiche Formen der Homöopathie nebeneinander.[1] Eine allgemeine Richtlinie oder Empfehlungen, welches Grundkonzept der Homöopathie angewandt werden soll, gibt es nicht. Verschiedene Therapeuten vertreten hierzu teils diametral entgegengesetzte Standpunkte. Einem homöopathisch behandelten Patienten kann es deshalb immer passieren, vom nächsten homöopathisch arbeitenden Therapeuten hören zu müssen, dass das bisher angewandte Verfahren gar keine „echte Homöopathie“ gewesen sei.
Gleich in mehreren Varianten der Homöopathie findet sich die Ansicht, dass Patienten gemäß der Summe ihrer körperbaulichen und seelischen Eigenschaften in, je nach Strömung, mehr oder wenige charakteristische „Typenklassen“ einsortierbar seien. Erfolge die Wahl des „ähnlichsten“ Homöopathikums entsprechend dieser typisierten Konstitution des Patienten, so wirke dieses Konstitutionsmittel beim Patienten nachhaltiger, zuverlässiger und tiefergreifend, als wäre die Arznei allein auf der Basis der aktuellen Symptome ausgewählt worden.
In diesem Artikel werden verschiedene Varianten der Homöopathie, die mit derartigen Konstitutionslehren arbeiten, sowie ihre Unterschiede und die Widersprüche zueinander vorgestellt.
Inhaltsverzeichnis
Begriffsklärung und medizinhistorische Typenlehren
Der Begriff der Konstitution ist sehr viel älter als die Homöopathie. Er lässt sich weit in der Medizingeschichte zurückverfolgen.[2] Die älteste bekannte Typenlehre ist die Temperamentenlehre, die sich bis in die Antike nachweisen lässt. Sowohl der Begriff als auch die Vorstellung weniger, klar unterscheidbarer Konstitutionstypen stammt also aus den auch im 19. und bis ins 20. Jahrhundert hinein verbreiteten Typenlehren und wurde von den Homöopathen dieser Zeit lediglich in die Homöopathie übernommen.
Konstitution
Medizinisch versteht man unter der Konstitution das dauerhafte körperliche und seelische Gesamtbild eines Menschen, wie es sich sowohl in den körperlichen Eigenschaften als auch den damit zusammenhängenden Reaktionsweisen (wie etwa der Widerstandsfähigkeit) äußert. Während ältere Definitionen die Konstitution auf die ererbten Eigenschaften beschränken, erkennen neuere Definitionen an, dass genetische und durch Reaktion auf Umwelteinflüsse erworbene Eigenschaften nicht vollständig voneinander trennbar sind und sehen die Konstitution deshalb als teils ererbt, teils erworben.[3][4]
In der Umgangssprache und auch innerhalb der Homöopathie wird der Begriff jedoch nicht selten unsauber in übertragener Bedeutung verwendet. So findet häufig eine Vermischung mit der eigentlich von der Konstitution zu unterscheidenden Disposition statt, unter der die – natürlich auch durch genetische Veranlagung und Umwelteinflüsse bestimmte – Anfälligkeit eines Patienten für verschiedene Krankheiten verstanden wird.[5]
Innerhalb der Homöopathie wird der Begriff der Konstitution ebenfalls unterschiedlich benutzt: In der Miasmentheorie Hahnemanns[B 1] und ähnlichen Ansätzen zur Behandlung chronischer Krankheiten wird er krankheitsbezogen eingesetzt und meint die Symptome des Patienten. Insofern verwendet Hahnemann den Konstitutionsbegriff also nicht in einer Weise, der für die Homöopathie eigenständig oder charakteristisch wäre. Er bezeichnet mit der körperlichen Konstitution ganz medizinisch eine Einschätzung etwa der Körperschwäche und verbindet den Begriff nicht mit spezifischen körperlichen oder psychischen Symptomen (die der Disposition zuzurechnen wären).[6]
Von James Tyler Kent und seinen Schülern wird der Begriff dagegen auf das Arzneimittelbild bezogen.[2] In dieser Umdeutung – die Konstitution als Liste von Symptomreihen aus einem Arzneimittelbild – ist sie ein speziell homöopathischer Ansatz und stellt sowohl homöopathische Diagnose als auch Therapie (im Sinne einer reinen „Arzneimitteldiagnose“, also „Repertorisation“) dar.[6] Die klinische Diagnose eines Patienten ist also für die Bestimmung seines Konstitutionsmittels weit weniger wichtig als die Zuordnung des Patienten zu einem Arzneimittelbild, wobei hier auch sein Aussehen und sein Charakter einbezogen werden. In einem rein homöopathischen Anamnesegespräch wird daher auch keine medizinische Diagnose erhoben oder betrachtet.[7]
Zudem finden sich auch Vermengungen beider Bedeutungen.[2][6]
Konstitutionstyp
Der Begriff der Konstitution führte medizinhistorisch zur Formulierung verschiedener Typenlehren. Demnach sollen sich als typisch eingestufte Gruppen unterschiedlicher Ausprägung der körperlichen und seelischen Merkmale festlegen lassen. Meist wird davon ausgegangen, dass diese gruppentypischen Eigenschaften angeboren sind.[8]
Ein Vorläufer dieser Vorstellung findet sich in Form der Vier Temperamente, die aus der antiken Humoralpathologie stammen. In der Humoralpathologie werden den in der Antike als grundlegend gedachten „Elementen“ Feuer, Wasser, Erde und Luft ebenfalls vier „Körpersäfte“ zugeordnet: Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim. Diese unter anderem von Aristoteles und Galenos[B 2] beschriebenen Thesen bestimmten bis über das Mittelalter hinaus medizinische Behandlungen, die vor allem auf das Herstellen eines „Gleichgewichtes“ zwischen diesen Körpersäften abzielten. Auf Galenos geht auch die Komplexionen- oder Temperamentenlehre innerhalb der Humoralpathologie zurück. Hiernach soll das Überwiegen eines der vier genannten Körpersäfte das Äußere, den Charakter und auch die Veranlagung zu verschiedenen Krankheiten bestimmen. Diese vier Archetypen der Temperamentenlehre sind:[9][10]
Typ | namensgebender zugeordneter Körpersaft | zugeordnete Eigenschaften |
Sanguiniker | Blut („sanguis“) | heiter, agil |
Choleriker | Gelbe Gallenflüssigkeit („cholé“) | aufbrausend |
Melancholiker | Schwarze Gallenflüssigkeit („melas cholé“) | schwermütig |
Phlegmatiker | Schleim („phlegma“) | ausgeglichen, unbeweglich |
Historisch wurden die vier Temperamente außerdem mit Planeten (Jupiter, Mars, Saturn, Mond – in der Antike wurde der Mond als Planet bezeichnet), den vier Elementen der Antike (Luft, Feuer, Erde, Wasser), den Jahreszeiten (Frühling, Sommer, Herbst, Winter) und anderen Begriffsgruppen in Verbindung gebracht.[9]
1921 veröffentlichte der deutsche Psychiater Ernst Kretschmer eine eigene Typenlehre. Darin beschreibt er drei für ihn grundlegende Archetypen und für diese wiederum Zusammenhänge zwischen der körperlichen Konstitution und bestimmten psychischen Erkrankungen.[11][12] Er unterscheidet:
- den hageren leptosomen Typ, der nach Kretschmer zu schizophrenen Störungen neigt,
- den kräftig muskulösen Athletiker, laut Kretschmer epileptisch bzw. zu Krämpfen neigend und
- den eher rundlich, mit schwachen Gliedmaßen gebauten Pykniker, dem er eine Neigung zur Depression zuspricht.[11]
Obwohl daneben noch weitere Typenlehren verfasst wurden,[B 3] spielt keine davon in der Medizin heute noch eine Rolle. So wird einerseits ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen der Konstitution und der Neigung zu verschiedenen Erkrankungen ganz allgemein angezweifelt.[13] Es ist heute anerkannt, dass wegen der hohen Variabilität der Merkmalausprägungen eine Reduktion auf wenige, archetypische Grundformen der Individualität der Menschen nicht gerecht wird. Körperbautypen bzw. Konstitutionstypen sind daher bestenfalls idealisierte Extreme, aber kein Abbild des Kontinuums menschlicher Konstitution.[13][11]
Während die moderne Medizin also von den Typenlehren abgekommen ist, gerade weil sie der Individualität des Patienten nicht gerecht werden können, hält die Homöopathie an ihrem speziellen Konstitutionsbegriff fest.[6] Die Zuordnung eines Konstitutionsmittels anhand der Symptomlisten wird nicht selten sogar gerade als Anzeichen einer „Ganzheitlichkeit“ oder Berücksichtigung der „Individualität“ bei der Betrachtung des Patienten dargestellt, was bei Kenntnis der Begrifflichkeiten widersinning erscheint.
Wissenschaftliche Einschätzung
Alle Typenlehren haben gemeinsam, dass sie den Eindruck erwecken, sie würden die Welt vereinfachen. Sie vermitteln die Illusion und damit das gute Gefühl, man habe komplexe Zusammenhänge durchschaut und könne sie auf wenige einfache Archetypen reduzieren.[14]
Der Versuch, die Vielfalt menschlicher Persönlichkeitsausprägungen durch wenige ausgeprägte Typen einer Typenlehre zu beschreiben, wurde seit der Antike immer wieder versucht, auch durch ideologisch motivierte Autoren. Heute haben diese Ansätze innerhalb der Psychologie und der Medizin lediglich noch historische Bedeutung. Wissenschaftlich arbeitende Disziplinen sind längst zu der Erkenntnis gekommen, dass alle Lehren, die nur wenige Persönlichkeits-Archetypen betrachten, zu stark vereinfachen. Sie wurden deshalb durch differenziertere Persönlichkeitspsychologie ersetzt.[15] Letztlich sind Typenlehren nicht besser als Vorurteile.[14]
In der homöopathischen Praxis hält sich die Vorstellung wohldefinierbarer Grundtypen über die Arzneimittelbilder. Der Gedanke nur weniger Archetypen gibt scheinbar eine Erklärung für die praktische Erfahrung vieler Homöopathen, bei ihren Verschreibungen mit sehr viel weniger als den tausenden in der Homöopathie verwendeten Arzneien auszukommen: Der Gedanke der „Polychreste“, also der vielseitigen Mittel, die „ihrem Patienten-Typ“ oft oder zumindest mehrmals helfen, scheint sich für sie in der Praxis zu bestätigen. Wissenschaftlich erklärbar wird dieser Umstand aber nur über den Placebocharakter der Arzneien: Der Behandlungskontext und die der Arznei zugesprochene Bedeutung helfen dem Patienten. Hinzu kommen noch die Besserungen aufgrund natürlicher Krankheitsverläufe, natürliche Schwankungen der Beschwerden, Effekte anderer Behandlungen und Maßnahmen, die den Lebensstil des Patienten betreffen. Der Homöopath braucht in seiner Praxis nicht zigtausende Mittel,[16] weil diese Mittel letztlich als Placebos alle gleich sind.[17] Sind aber alle Mittel gleichwertige Placebos, gibt es „das richtige Mittel“ gar nicht, bzw. es sind alle gleichermaßen „richtig“.
Dass sich die in der Praxis eines entsprechenden Therapeuten einfindenden Patienten dennoch oft in die Typenlehren einordnen zu lassen scheinen, liegt an der wenig trennscharfen Natur dieser Beschreibungen.
Die Persönlichkeitsbeschreibungen der verschiedenen Typenlehren in der Homöopathie erfüllen einige Eigenschaften sogenannter „Barnum-Texte“. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Inhalte und Formulierungen dazu führen, dass sich viele Menschen mit den darin beschriebenen Persönlichkeitsprofilen identifizieren können. Barnum-Texte enthalten oft positiv besetzte Charaktereigenschaften – wer würde etwa explizit abstreiten, „mitfühlend“ zu sein? Daneben werden Ängste und Bedürfnisse genannt, die einfach sehr viele Menschen zumindest zeitweise empfinden. Als Identifikationsmerkmale homöopathischer Typen gelten beispielsweise allgemeine Versagensängste wie beispielsweise die Sorge, im Beruf Fehler zu machen. Fast jeder wird auf Nachfragen des Homöopathen in gewissen Umfang bejahen, sich zumindest gelegentlich mit derartigen Ängsten auseinandergesetzt zu haben. Auch die für Barnum-Texte typischerweise nur sehr vagen Beschreibungen sind gegeben: Wie lebhaft ist „lebhaft“? Was bedeutet die Formulierung „Sinn fürs Detail“ zu haben in der Praxis, und was muss ein Patient im Anamnesegespräch antworten, damit der Homöopath ihm diesen abspricht? Eine weitere Ähnlichkeit zu Barnum-Texten stellt die Verwendung von „Sowohl-als-auch“-Formulierungen dar. Die Aussagen werden so nicht selten bewusst mehrdeutig, was es noch weiter erleichtert, dass ein Patient scheinbar in ein bestimmtes, schlussendlich aber beliebiges Schema passt.[18][B 4]
Homöopathische Persönlichkeitsprofile enthalten meist mehr negativ besetzte Charaktereigenschaften als Barnum-Texte. Anders als diese sind sie aber auch nicht primär dafür geschrieben, dass der Patient selbst sich mit ihnen identifiziert, sondern der Therapeut sortiert den Patienten zu. Deshalb können die Charakterschwächen des Patienten hier umfangreich vertreten sein, ohne dass es die Barnum-Qualität der Texte stören würde. Tatsächlich bestätigen Homöopathen mitunter, dass sich Patienten mit dem ihnen zugeordneten Mitteltyp aufgrund dieser negativen Eigenschaften oft nicht identifizieren können, wenn sie ihn im Anschluss an ein Anamnesegespräch nachschlagen. Beispielsweise berichtet der homöopathische Arzt Ralf Werner in einem seiner Bücher:
Es kam aber gar nicht so selten vor, dass einzelne Patienten die „konstitutionelle Schublade“ als Kränkung erlebt haben.[19]
In den Beschreibungen von Körperbau und Charakter der homöopathischen Konstitutionstypen finden sich einige auffällige Beispiele für Aussagen, die ihre Herkunft aus der Signaturenlehre nicht verleugnen können,[20] die in der Antike entstand. Oft wird die mythische Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos als Quelle angeführt.[21] Von der Antike wurde sie ins mittelalterliche Gedankengut übernommen und spielt bis heute in der Volksmedizin, vor allem aber in der Esoterik eine Rolle. Zentral ist die Vorstellung der „äußeren Zeichen“, also der Annahme, dass die Natur durch Formen, Farben und andere äußere Eigenschaften Hinweise bereitstellt, welche Pflanze oder welcher Stoff bei welcher Krankheit als Heilmittel eingesetzt werden könnten. Blütenfarben, Blattformen, Wurzelstrukturen, überall sollen analoge äußere Strukturen Hinweise auf angeblich innere Zusammenhänge geben – weshalb die Signaturenlehre auch unter dem Begriff „analoges Denken“ bekannt ist. Spätestens seit dem Mittelalter ist diese Annahme mit der religiösen Vorstellung verknüpft, diese Signaturen seien das Werk Gottes.[21]
In der Homöopathie finden sich derartige Analogien an vielen Stellen der Typenbilder. So sollen Menschen vom „Phosphor-Typ“ sehr leicht für etwas zu begeistern sein – „leicht entflammbar wie Phosphor“[22] – und werden in verschiedenen Quellen als oftmals rothaarig (Streichholz!) beschrieben. So findet man beispielsweise in den Weiterbildungsunterlagen des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) die Aussage, die dem aus Quarz gewonnenen Mittel Silicea entsprechenden Persönlichkeiten würden nach Perfektion streben – ähnlich der perfekten Anordnung der Atome in Kristallgittern.
Quarz strebt nach Organisation. Das Ziel dieser Organisation ist in der Reinheit des Kristalls symbolisiert. (…) Es handelt sich also grundsätzlich um Menschen, die zu Höherem streben, ihr Lebensziel ist „Vollkommenheit in Klarheit“.[23]
Die Signaturenlehre muss heute als naturwissenschaftlich widerlegt angesehen werden.[21] Der Philosoph und Politikwissenschaftler Jörg Auf dem Hövel schreibt hierzu:
Aus unserer heutigen Sicht handelt es sich bei der ursprünglichen Signaturenlehre um eine magische Praktik, weil sie vom Wirken und der Handhabung paranormaler Zusammenhänge ausgeht. Die Vorstellung, dass bei unterschiedlichen Dingen das Auftreten als übereinstimmend betrachteter äußerlicher Eigenschaften innere Wesenszusammenhänge und „Sympathien“ beweisen würden, ist naturwissenschaftlich nicht haltbar.[20]
In der Homöopathie finden diese vorwissenschaftlichen Analogievorstellungen über die Konstitutionstypen nach wie vor Eingang in die offiziellen Lehrbücher.
Die Behauptung, dass konstitutionell gewählte Homöopathika dem Patienten öfter, tiefergreifend oder zuverlässiger „helfen“ würden als andere Strömungen innerhalb der Homöopathie oder als Placebobehandlungen, ist nicht durch Ergebnisse hochwertiger Studien belegt. Die Unhaltbarkeit der dahinterstehenden Lehren und die naturwissenschaftlichen Unplausibilität der Homöopathie ergänzen sich auch für konstitutionell gewählte Homöopathika mit der fehlenden Überlegenheit gegen Placebo in der Studienpraxis zu einem stimmigen Gesamtbild.[17][24]
Klassische Homöopathie
Historisches
Hahnemann
Samuel Hahnemann beschreibt in seinem Grundlagenwerk, dem Organon, keine Konstitutionstypen. Auch soll sich die Anamnese und die Wahl des „ähnlichsten Mittels“ nicht an einer vom Therapeuten zugeordneten „Konstitution“ orientieren. In den §§ 153 und 154 des Organons legt Hahnemann vielmehr fest, dass die Mittelwahl allein auf Basis der Symptome des Patienten zu treffen ist, nicht anhand seines Körperbaus oder anderer erblicher Merkmale (Hervorhebung durch Homöopedia):
Bei dieser Aufsuchung eines homöopathisch specifischen Heilmittels, das ist, bei dieser Gegeneinanderhaltung des Zeichen-Inbegriffs der natürlichen Krankheit gegen die Symptomenreihen der vorhandenen Arzneien um unter diesen eine, dem zu heilenden Uebel in Aehnlichkeit entsprechende Kunstkrankheits-Potenz zu finden, sind die auffallenden, sonderlichen, ungewöhnlichen und eigenheitlichen (charakteristischen) Zeichen und Symptome des Krankheitsfalles, besonders und fast einzig fest in’s Auge zu fassen…[25]
Insofern passt das Ähnlichkeitsprinzip Hahnemanns eigentlich grundsätzlich nicht zum Konzept einer auf Konstitution basierenden Typologie.[2]
Dennoch finden sich bereits in Hahnemanns Reiner Arzneimittellehre einzelne konstitutionelle Aussagen. Hahnemann sowie den anderen Homöopathen bis ins 20. Jahrhundert hinein waren konstitutionelle Typenlehren von außerhalb der Homöopathie bekannt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass derartige Vorstellungen schon früh in die homöopathischen Schriften eindrangen, auch wenn sie über Ähnlichkeitsprinzip und Organon nicht zu rechtfertigen sind.
So schreibt Hahnemann in der Reinen Arzneimittellehre zur Pulsatilla (Kuhschelle, eine Pflanzengattung in der Familie der Hahnenfußgewächse):
Es wird daher auch der arzneiliche Gebrauch der Pulsatille um desto hülfreicher seyn, wenn in Uebeln, zu denen in Rücksicht der Körperzufälle dieses Kraut passt, zugleich ein schüchternes, weinerliches, zu innerlicher Kränkung und stiller Aergerniss geneigtes, wenigstens mildes und nachgiebiges Gemüth im Kranken zugegen ist (...). Vorzüglich passen daher dazu langsame, phlegmatische Temperamente, dagegen am wenigsten Menschen von schneller Entschliessung und rascher Beweglichkeit, wenn sie auch gutmütig zu seyn scheinen.[26]
Und zur Nux vomica (Brechnuss):
Hierher gehört, dass diejenigen Personen sie öfter bedürfen, welche sehr sorgfältigen, eifrigen, feurigen, hitzigen Temperamentes sind, oder tückischen, boshaften, zornigen Gemüths.[27]
Oft wird der Begriff der Konstitution auch mit Hahnemanns Miasmenlehre begründet. Doch auch hier verwendet Hahnemann den Begriff der Konstitution nicht im Sinne einer Typologie: Hahnemanns Patienten hatten die zu seiner Zeit gar nicht so seltenen Krankheiten Psora, Sykose und Syphilis[B 5] in aller Regel tatsächlich durchgemacht. Hahnemann betrachtet seine Miasmen entsprechend als vom Patienten erworbene, reale Vorbelastung und nicht als konstitutionelle Eigenschaft.[2] Hahnemanns Miasmenlehre ist in ihrer ursprünglichen Formulierung bei Hahnemann weit eher eine Infektionstheorie als eine Konstitutionslehre.
Trotzdem berufen sich Homöopathen, wenn sie den Einsatz eines „Konstitutionsmittels“ quasi als „Krone der Homöopathie“ ansehen, nicht selten auf Hahnemann und seine antipsorischen Mittel aus der Miasmenlehre.[28] Außer den beiden eben zitierten kurzen Bezügen auf das Temperament in der Reinen Arzneimittellehre finden sich jedoch in den Grundlagenwerken Hahnemanns keinerlei Aussagen, die eine echte konstitutionelle Auslegung homöopathischer Mittelwahl rechtfertigen würden. Der ehemalige Vorsitzende des DZVhÄ Willibald Gawlik schreibt in seinem von vielen Homöopathen zitierten Buch Arzneimittelbild und Persönlichkeitsportrait hierzu:
Wie wenig Hahnemann dennoch den ‚Typ‘ bei der Arzneimittellehre berücksichtigt hat, geht daraus hervor, dass man in seinem umfangreichen und voluminösen Werk nur zwei Sätze findet, die sich darauf beziehen. Sie sind allerdings die historischen Angelpunkte, an denen die späteren homöopathischen Arztgenerationen das konstitutionelle Denken der Homöopathie Hahnemanns verankerten.[29]
Karl Eduard von Grauvogl
Karl Eduard von Grauvogl war ein ab 1850 auch homöopathisch arbeitender Arzt, der im Gegensatz zu Hahnemann der Ansicht war, dass sich medizinische und homöopathische Therapien ergänzen müssten und gemeinsam einsetzbar seien.[2] Er veröffentlichte 1866 ein umfangreiches Lehrbuch der Homöopathie,[30] in dem er im zweiten Band auch eine eigene Konstitutionslehre vorstellt. Basis ist die mittlerweile medizinisch überholte Ansicht, die Konzentrationen von Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff und Stickstoff seien für die Gesundheit essentiell.[31]
Entsprechend unterscheidet Grauvogl folgende drei Konstitutionstypen, die er vor allen an ihren Modalitäten kennzeichnet:
Hydrogenoide Konstitution
Bei diesen Patienten vermutet Grauvogl einen Überschuss an Wasserstoff im Körper. In diese Kategorie fallen seiner Ansicht nach alle Patienten, deren Beschwerden sich durch nasskaltes Wetter verschlimmern oder die Kälte ganz allgemein schlecht vertragen. Als Konstitutionsmittel empfiehlt Grauvogl hier oft Natriumsulfat (Natrium sulphuricum).[2]
Oxygenoide Konstitution
Nach Grauvogl handelt es sich hierbei um untergewichtige Patienten, die aber dennoch einen Hang zu fettreichem Essen haben. Ihre Beschwerden sollen sich bei windigem oder stürmischem Wetter verschlechtern, bei beginnendem Regen jedoch besser werden. Außerdem soll es ihnen gut tun, wenn „das elektrische Gleichgewicht wiederhergestellt wird“. Als Mittel der Wahl empfiehlt Grauvogl Kaliumjodid (Kalium iodatum).[2]
Carbonitrogene Konstitution
Diese Patienten neigen laut Grauvogl zum Schwitzen und zeigen Kurzatmigkeit oder hohe Pulsraten. Häufig sollen sie von Durchfällen, Verstopfung oder Blähungen, Gicht oder Schwindel geplagt werden. Grauvogl beschreibt sie als geprägt von Reizbarkeit und außergewöhnlicher Ungeduld. Kennzeichnend sei die Verschlechterung der Beschwerden durch Ruhe, sexuelle Exzesse, Ärger oder Blutverlust. Grauvogl empfiehlt für sie Ozon oder verschiedene Homöopathika, die seiner Ansicht nach die Spaltung von Kohlenwasserstoffen und die Abgabe von Sauerstoff ins Gewebe erleichtern, etwa Schwefel oder Kupfer.[2][28]
Im Vergleich entspricht Grauvogls hydrogenoide Konstitution in etwa dem von Hahnemann beschriebenen Miasma der Sykose (Feigwarzenkrankheit oder Gonorrhoe, umgangssprachlich auch „Tripper“), die oxygenoide Konstitution etwa dem der Syphilis, und die carbonitrogene Konstitution erinnert an Hahnemanns Beschreibungen der Psora (Krätze).[2] Überraschend ist jedoch, dass Hahnemann die Psora als das wichtigste und grundlegendste Miasma beschreibt, während Grauvogl die hydrogenoide Konstitution als die wichtigste ansieht – und nicht die carbonitrogene Konstitution. Der Widerspruch wird in der Literatur nicht diskutiert.[2]
In den Beschreibungen Grauvogls zeigt sich bereits deutlich die Abkehr vom Arzneimittelbild und der darüber erfolgenden Bestimmung eines „Simile“, also eines ähnlichsten Mittels, und die Hinwendung zum Konstitutionstyp, der das Mittel bestimmt.[28]
Die amerikanischen Homöopathen
Sicher ist, dass die amerikanischen Homöopathen, die mit ihrem Einfluss zentral waren für die Entwicklung der klassischen Homöopathie, auch den Begriff des Konstitutionstyps und seine Bedeutung für die Homöopathie wesentlich geprägt haben. Schwerer ist es, festzulegen, wer genau zu dieser Entwicklung welchen Beitrag geleistet hat.
Zunächst scheint James Tyler Kent hierfür hauptverantwortlich zu sein.[2] Seine Vorlesungen zur homöopathischen Materia Medica[32] enthalten an vielen Stellen eindeutig konstitutionelle Aussagen. Beispiele finden sich etwa bei Sepia (Tintenfischtinte):
Sepia eignet sich für große, schlanke Frauen mit schmalem Becken und schwachen Fasern und Muskeln; solch eine Frau ist als Frau nicht gut gebaut. (…) Ein derartiger Körperbau ist ein Sepia-Bau, sehr groß, schlank, schmal, gerade von den Schultern bis ganz nach unten.[B 6][33]
Oder bei Pulsatilla (Kuhschelle):
Es soll eine sehr gute Medizin für Frauen sein, für blonde Frauen, besonders für weinerliche Blondinen.[B 7][34]
Kent spricht hier auch vom „Arsenicum-Patienten“ und beschreibt ihn als pedantisch.[35] Allein in dieser Formulierung zeigt sich sprachlich der Bedeutungswechsel: Eine grundlegende Idee Hahnemanns war es, Patienten nicht nach ihren Krankheiten zu kategorisieren; sie sollten vielmehr als Einzelfall erfasst und betrachtet werden. Kents Formulierungen zeigen nun, dass man abweichend hiervon zu der Praxis gelangt war, Patienten stattdessen nach dem Heilmittel, das sie zu benötigen schienen, zu klassifizieren. Man bezeichnete die Person nicht mehr als „einen Grippe-Patienten“, sondern als „Arsenicum-Patienten“ oder „Bryonia-Fall“.[2]
Die Beispiele zeigen, wie weit man sich hier von Hahnemanns ursprünglichen Vorgaben im Organon entfernt hat, denn die hier gegebenen Beschreibungen stammen ganz offensichtlich nicht aus Arzneimittelprüfungen. Eine gesunde Frau wird kaum nach Einnahme von Pulsatilla im Rahmen einer solchen Prüfung erblonden oder ihren Körperbau verändern. Ebenso widerspricht eine solche Denkweise aber auch Hahnemanns Miasmentheorie: Im Rahmen dieser war Hahnemann davon ausgegangen, dass die „Konstitution“ seines Patienten dadurch bedingt ist, dass dieser bestimmte Vorerkrankungen durchgemacht hat. Doch Haarfarbe oder Körperbau passen auch nicht mehr zu dieser Deutung des Konstitutionsbegriffes. Die Aussagen, die man hier bei Kent findet, sind eindeutig Beschreibungen im Sinne einer genetischen Konstitution.[2]
Und doch hat Kent eine derart gedeutete Konstitution an anderer Stelle entschieden abgelehnt.[2] So schreibt er in seinen Vorlesungen über Hahnemanns Organon:[36]
Dieser Kranke hätte das betreffende Mittel in Wahrheit schon seit seiner Kindheit haben sollen, und schon damals hätte man es bestimmen können, nach den damals vorhandenen Symptomen, die schon das Abweichen vom Gesunden zeigten (…). Der Kranke braucht auch heute noch dasselbe Mittel, dieselbe Behandlung, die schon seit seiner Kindheit indiziert ist.
Und damit meint Kent eben nicht die genetischen Körpermerkmale, sondern die durch eine Vorerkrankung bedingten Symptome.[37] An anderer Stelle wird er sogar noch deutlicher:
Wenn dunkles Haar kein Krankheitssymptom ist, wie kann das dann irgendein Arzt als einzelnes Symptom in einer bestimmten Mittelwahl verwenden?
Wenn es sich um einen natürlichen Zustand handelt, warum sollte man es dann als eines derjenigen Elemente behandeln, die bei einer Verschreibung berücksichtigt werden müssen? Wenn das Haar rot sein muss, um ein Unterscheidungssymptom zu sein, wie rot muss es sein, damit das Mittel klar angezeigt ist; oder wenn das Haar nur ein bisschen rötlich ist, welche anderen Heilmittel wären dann wegen dieses leichten Unterschieds in der Haarfarbe abzuwägen?
Die wahre Grundlage eines homöopathischen Mittels ist die Sammlung von Zeichen und Symptomen, und diese müssen krankhaft sein – dies war die Lehre von Hahnemann und seiner fähigsten Nachfolger.
(...) Die Temperamente werden nicht durch Arzneimittelprüfungen verursacht und sie werden durch unsere Mittel in keiner Weise verändert, wie gut diese Mittel durch die Symptome bei Personen mit entsprechendem Temperament auch angezeigt gewesen sein mögen.
Diese Temperamente in unsere Pathogenese, Symptomatologie oder Pathologie einzuarbeiten ist nichts als ein Missverständnis unserer homöopathischen Prinzipien.[B 8][38]
Hier zeigt sich Kent also ganz in der Tradition Hahnemanns, wenn er auf die ausschließliche Bedeutung der in Arzneimittelprüfungen gewonnenen Symptome für die Mittelwahl hinweist und die Betrachtung unveränderlicher Eigenschaften wie Haarfarbe, Körperbau oder Temperament als Irrweg zurückweist. Letztlich ist die Vorstellung einer Mittelwahl entsprechend dieser Kriterien mit dem von Hahnemann formulierten Ähnlichkeitsprinzip nicht vereinbar. Der Widerspruch, den Kent hier allerdings zu seinen eigenen Aussagen in den Arzneimittelbildern erzeugt, bleibt von ihm unaufgelöst. Kent selbst macht Constantin Hering[B 9] für die Einführung der Konstitution in die Homöopathie verantwortlich:[2]
Natürliche Temperamente spielen keine Rolle. Hering führte Temperamente in die Materia Medica ein, aber Temperamente kommen nicht in den Prüfungen vor.[B 10][39]
Obwohl Kents Position zur Konstitution also gänzlich inkonsistent ist, haben vor allem seine Schüler wie Margaret Tyler der Konstitution und dem Begriff des Konstitutionstyps zu einer zentralen Position innerhalb der Homöopathie verholfen.[2]
Konstitutionstypen der klassischen Homöopathie
Das Konstitutionsmittel
Erfolgt die Verordnung des Homöopathikums nach der Konstitution des Patienten, so sprechen Homöopathen vom „Konstitutionsmittel“. Wie oben schon dargestellt, ist die Bedeutung dieser Begriffe innerhalb der Homöopathie nicht einheitlich definiert.[40] In aller Regel ist jedoch ein individuell bestimmtes Mittel gemeint, das als noch enger mit den Symptomen des Patienten verbunden verstanden wird als es Hahnemann mit den „antipsorischen“ Verordnungen seiner Miasmenlehre meinte.[6]
Einige Autoren[41] geben an, dass das Konstitutionsmittel nur das Mittel sein kann, das das gesamte Symptombild eines Patienten abdeckt, also seine körperlichen, emotionalen und geistigen Symptome beinhaltet. Andere[40] schreiben, dass es durchaus vorkomme, dass das Konstitutionsmittel nur über ein einziges Symptom gewählt wird, wenn dieses auffällig ist. Die restlichen Symptome wären in solchen Fällen bei der Mittelwahl unwichtig.
Mitunter wird die Definition des Konstitutionsmittels auch rückwirkend formuliert:[40] Das Konstitutionsmittel eines Patienten sei das Mittel, das bei ihm schon mehrmals seinen Gemütszustand ganz allgemein verbessert habe oder nach dessen Gabe zumindest leichte Verbesserungen der beschriebenen Symptomatik aufgetreten sei. Andere Kriterien seien es, wenn das Mittel einem Patienten grundsätzlich mehrmals in seinem Leben helfe oder die Symptome in der Reihenfolge der „Heringschen Regel“ verschwänden.
Weil das Konstitutionsmittel dem Patienten in dieser Vorstellung bei einer Vielzahl von Beschwerden helfen kann und viele Homöopathen in der Praxis zudem nur mit relativ wenigen verschiedenen Homöopathika in ihren Verordnungen auskommen, werden die am häufigsten verordneten Konstitutionsmittel als äußerst vielseitig anwendbare Mittel eingestuft und entsprechend als „Polychreste“ bezeichnet.
Vom Konstitutionsmittel zum Konstitutionstyp
Einig sind sich die Beschreibungen in der homöopathischen Literatur dahingehend, dass das Konstitutionsmittel nur über eine ausführliche Fallaufnahme („Anamnese“) gefunden werden kann. Zu diesem Gespräch gehört dann oft nicht nur die aktuelle Symptomatik, sondern eine Betrachtung der gesamten Krankengeschichte des Patienten und seiner gesamten Lebenssituation. Außerdem wird der Homöopath auch das Äußere des Patienten und seinen Charakter mitbetrachten:
Um dieses Konstitutionsmittel zu finden, nimmt der Homöopath nicht nur Schmerzempfindungen, pathologische Symptome und ähnliches auf, sondern auch, wie der Patient aussieht und wie er sich verhält, wenn er gesund ist, was er sagt, wie er antwortet, sein Temperament und seine Art, seine Stärken und Schwächen. Nachdem er diese charakteristischen Eigenschaften gesammelt, geordnet und bewertet hat, sucht er durch Vergleiche das Mittel, das am besten die „Gesamtheit“ des Patienten ausdrückt.[41]
Die Betrachtung des Temperamentes des gesunden Patienten und sein Aussehen sind also für den „klassischen Homöopathen“ notwendiger Teil der Bestimmung der Konstitutionsmerkmale. Entsprechend ergibt sich die Vorstellung vom Konstitutionstyp als die Gruppe der Kranken, bei denen die erhobenen Symptome in dasselbe Arzneimittelbild fallen:
Die therapeutische Nutzung temperamentmäßiger, charakterlicher und konstitutionell vorhandener Gegebenheiten gehört zu den Hauptleistungen der Homöopathie, die aber gerade dadurch für Außenstehende oft unverständlich wird. Bei einer solchen Ganzheitsbetrachtung finden wir plötzlich die Zugehörigkeit bestimmter Arzneimittel zu bestimmten Menschentypen.[7]
Kent schreibt zwar, dass es keine starren „Konstitutionstypen“ gebe und das Konstitutionsmittel aus der Kombination allgemeiner Eigenschaften des Patienten und seinen charakteristischen Symptomen zu bestimmen sei.[42] Dennoch haben besonders seine Schüler den Begriff des Konstitutionstyps geprägt.
Die exakte Anzahl der unterschiedenen Konstitutionstypen schwankt in der homöopathischen Literatur. Mitunter finden sich fünfzehn Haupttypen, andere Autoren beschreiben nur zehn, oft werden zwölf Grundtypen genannt, die nach den zugeordneten homöopathischen Arzneien benannt sind. So gibt es beispielsweise „Pulsatilla-Menschen“ oder den „Sulphur-Typ“.[43]
Klassisch arbeitende Homöopathen gehen davon aus, dass der individuellen Arzneimittelkonstitution eines Patienten über mindestens eine längere Zeit hinweg nur ein einziges Mittel entspricht.[6] Es ist aber unter Homöopathen umstritten, ob der Konstitutionstyp eines Patienten ihn sein Leben lang begleitet. Anders als in der historischen Einschätzung findet sich heute eher die Haltung, dass ein Patient zwar grundsätzlich ein Leben lang denselben Konstitutionstyp beibehalten kann, dass dies aber nicht notwendig oder die Regel ist.
So schreibt etwa der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) im Herbst 2003 in seiner Publikums-Zeitschrift Homöopathie:
Es werden bei jedem Konstitutionstyp deutliche Merkmale hervorgehoben, was aber nicht absolute Gültigkeit hat. Viele charakteristische Eigenschaften verschiedener Arzneimittel überschneiden sich und einmal einem bestimmten Typ zu entsprechen heißt nicht, diesem für immer anzugehören. Zwar kann ein Arzneimittel für die gesamte Lebensspanne zutreffen, die Regel ist es nicht. Wahrscheinlicher ist, dass im Laufe des Lebens vier oder fünf verschiedene Mittel ihre Zeit haben. Und alles hat zwei Seiten: Zu den typischen Eigenschaften des Konstitutionsmittels gehören auch seine Kehrseiten. Pulsatilla ist nicht nur liebenswürdig und sonnig, sie kann auch mürrisch und launisch sein.[44]
Georgos Vithoulkas spricht davon, dass die lebenslang gültige konstitutionelle Arznei vor allem deshalb heute nicht mehr gegeben sei, weil der Gesundheitszustand der Menschen heute durch die moderne Zivilation „degeneriert“ sei. Früher hätten die Menschen gesünder gelebt und daher wäre das bei allen Beschwerden helfende Konstitutionsmittel sehr viel häufiger ein Leben lang dasselbe gewesen.[45]
Beispiele
Häufig genannte Eigenschaften der Konstitutionstypen verschiedener „Polychreste“:[43][46][7][41]
Homöopathikum | Dem „Konstitutionstyp“ zugeordneter Charakter und/oder Körperbau |
Arsenicum album (Arsen) | ordentlich, pedantisch, penibel, intolerant gegen andere Meinungen, ehrgeizig, intelligent, lehrerhaft[47] oft aristokratisch schlanker Körperbau; bei Männern auffallend blaue Augen und stechender Blick, Adlernase; Frauen dagegen klein und zierlich mit zarteren Gesichtszügen[46] |
Argentum nitricum (Silbernitrat) | extrovertiert, leicht beeindruckbar, nervös, ständig in Eile, hektisch, gutes Gedächtnis, gute Schauspieler, sehr schlank bis knochig[48][49] |
Calcium carbonicum (Austernschalenkalk) | Ruhig, schüchtern, zuverlässig, fleißig, lernt langsam, wirkt abwesend, ist leicht beeinflussbar; vom Körperbau her schlaff, nicht selten leicht übergewichtig, Kopf wirkt oft zu groß; oft dichtes, lockiges Haar[46][50] |
Graphites (Graphit) | einfach, schlichtes Gemüt, langsam im Denken, oft unentschlossen; unkultiviert und nicht selten ungepflegt; unsensibel, faul, träge und oft übergewichtig bis fettleibig; dunkle Haare[51][52] |
Ignatia (Ignatiusbohne) | empfindsam, emotional unausgewogen, hysterisch, starke Stimmungsschwankungen; menschenscheu; dunkle Haare, sehr schlank, Gesicht eingefallen[53] |
Lachesis (Buschmeisterschlange) | scharfzüngig, schlagfertig, taktlos, Neigung zum Sarkasmus; wissbegierig, ehrgeizig; eifersüchtig; entweder übergewichtig oder sehr schlank bis abgemagert; rötlicher Teint[54][55] |
Lycopodium clavatum (Bärlapp) | Aufgeblähtes Ego, selbstbewusstes Auftreten, überspielt innere Unsicherheit; intelligent, aber ohne emotionale Reife; Zeichen des Alterungsprozesses früh sichtbar, hohe Stirn, Falten, ausgeprägte Augenbrauen; magerer Körperbau[46][56] |
Mercurius solubilis (Quecksilber) | Introvertiert, Emotionen dringen kaum nach außen; hochnäsig, intolerant auf Widerspruch reagierend; ordnungsliebend, konservativ, misstrauisch gegen Fremde und Fremdes; häufig Frauen, blonde oder hellbraune Haare, blaue Augen, blasser Teint[57][58] |
Natrium chloratum (Kochsalz) | hilfsbereit; empfindsam, verletzlich, weinerlich; geistig unbeweglich, „erstarrt“; kann Kummer oder Kränkungen nicht vergessen, zieht sich emotional zurück; dunkelblond, Gesicht aufgedunsen, Figur quadratisch oder birnenförmig[59][46] |
Phosphorus (Phosphor) | offen, herzlich, ausdrucksstark, kreativ, mitfühlend, optimistisch; steht gerne im Mittelpunkt, Interesse, Faszination und Mitgefühl jedoch schnelllebig, nicht anhaltend; gibt schnell auf; groß und schlank; zarte bis durchscheinende Haut; Haare dunkel[60] oder rothaarig[46] |
Pulsatilla pratensis (Wiesenkuhschelle) | freundlich, schüchtern, weinerlich, nachgiebig, zu innerlicher Kränkung neigend; langsam, phlegmatisch; wechselhaft, launisch; Frauen mit Neigung zu Übergewicht, blass, blond, blaue Augen[61][46] |
Sepia officinalis (Tintenfischtinte) | Neigung zu Wutausbrüchen oder gehässigen Bemerkungen; selbständig, frigide, Kontrollzwang schlank, knochig, dunkler Teint, dunkelhaarig; bei Frauen kleiner Busen, starke Körperbehaarung, oft unweiblicher Körperbau[46][62] |
Silicea terra (Siliziumdioxid) | eigensinnig, unentschlossen, perfektionistisch; wenig Selbstvertrauen, Tatkraft, Mut oder Ausdauer feingliedrig; dünnes, auffällig glattes Haar; bei Kindern: auffallend großer Kopf[63][64] |
Strychnos Nux vomica (Brechnuss) | angespannt, ehrgeizig, aktiv; Managertyp; verträgt keine Kritik, kritisiert andere; aufbrausend, jähzornig blass, dunkle Augenringe;[65] robust gebaut, muskulös[66] |
Sulfur (Schwefel) | nervös, fahrig; unpünktlich, schlampig, schmutzig, unreinlich, faul; intelligent; hängende Schultern, gebückter Gang, schmuddeliges Haar[67][68] |
Während die Medizin also von den Typenlehren Abstand genommen hat, weil sie der Individualität des Patienten nicht gerecht werden, hält die Homöopathie an ihrem speziellen Konstitutionsbegriff fest.[6] Betrachtet man aber die Liste hier oder die hierfür von verschiedenen Homöopathen zitierten Grundlagenwerke wie das schon erwähnte Buch Arzneimittelbild und Persönlichkeitsportrait von Willibald Gawlik, dann wird klar, dass auch die „Arzneimitteltypen“ der klassischen Homöopathie eine schubladenhafte Kategorisierung des Patienten darstellen – also etwas, was die Homöopathie der Medizin oft explizit vorwirft.
Enneagramm-Homöopathie
Kernaussagen
Auch die Enneagramm-Homöopathie ist eine konstitutionelle Typenlehre, die parallel zu der der oben beschriebenen klassischen Homöopathie existiert. An die Stelle der von Kent und seinen Nachfolgern beschriebenen Arzneimittelportraits treten hier die Persönlichkeitstypen der Enneagrammlehre.
Das Enneagramm ist eine überlieferte Typenlehre, nach der jeder Mensch einem von neun grundsätzlichen Persönlichkeitstypen zuzuordnen sein soll, εννέα ist das griechische Wort für Neun.[69] Die neun Persönlichkeitstypen sollen dadurch entstehen, dass ein Mensch in einer bestimmten Emotion fixiert ist, was ihn daran hindert, sich weiter zu entwickeln und sein volles Potential als Mensch zu erreichen.[70]
Die Enneagramm-Homöopathie verknüpft das spirituelle System der Enneagrammlehre mit der Homöopathie. Jedem der neun Persönlichkeitstypen des Enneagramms wird ein homöopathisches Mittel zugeordnet. Die Enneagramm-Homöopathie arbeitet deswegen ebenfalls nur mit insgesamt neun verschiedenen Arzneien:
- Platinum metallicum (Platin)
- Hyoscyamus (Bilsenkraut)
- Tarentula hispanica (auch „Tarantula“, spanische Wolfspinne)
- Ignatia (Ignatius-Brechnuss)
- Stramonium (Stechapfel)
- Opium
- Belladonna (Tollkirsche)
- Veratrum album (Nieswurz)
- Cannabis (Hanf)
Weil für die Mittelwahl allein die Enneagrammlehre ausschlaggebend ist, wird es in der Enneagramm-Homöopathie als unwichtig erachtet, ob der Patient körperlich oder psychisch, akut oder chronisch erkrankt ist. Der Patient bekommt entweder das Mittel, das seinem grundlegenden Gemütszustand im Enneagramm zugeordnet ist, oder der Therapeut deutet den aktuellen Zustand als den eines „Flügels“ – also eines benachbarten Zustandes – und verordnet das dem veränderten Gemütszustand zugeordnete Mittel.[71]
Erfinder der Methode ist der Arzt Peter Hegemann. Verbreitet wird die Methode aber auch durch den Heilpraktiker Detlef Rathmer, der zahlreiche Bücher zum Thema verfasst. Die Enneagramm-Homöopathie versteht sich selbst als Fortsetzung der Sehgal-Methode.[72] Einen Hinweis darauf, dass die „gemütsorientierte Homöopathie nach Sehgal“ den Unterbau seiner Methode darstellt, sieht Rathmer darin, dass die zentralen Arzneien, die Sehgal nach eigener Aussage bei rund der Hälfte seiner Patienten anwendete, vier der in der Enneagramm-Methode verwendeten Mittel sind (Bilsenkraut, Stechapfel, Opium und Tollkirsche).[73] Zudem wird die Enneagramm-Homöopathie als Teil der Psychologischen Homöopathie gesehen.
Wissenschaftliche Einschätzung der Enneagrammlehre
Die Enneagramm-Typenlehre ist kein wissenschaftlich untermauertes Konzept.
Moderne Darstellungen dieses Systems gehen zurück auf den Bolivianer Oscar Ichazo und den chilenischen Psychologen Claudio Naranjo. Einige Quellen gehen davon aus, dass die Entstehung des Enneagramms durch die theologischen Lehren Georgi Iwanowitsch Gjurdschijews[B 11] beeinflusst war. Andere Quellen wollen antike Sufi-Lehren als Ursprung des Modells sehen, mit denen Ichazo bei seinen Reisen in den Orient in Kontakt gekommen sein soll.[69][74][70] Tatsächlich lassen sich vor Gjurdschijew jedoch keine Hinweise auf das Enneagramm ausfindig machen.[75][76] Zwar finden sich gelegentliche Hinweise auf ähnliche Figurenzeichnungen, jedoch niemals im Kontext einer Typisierung von Persönlichkeiten. In seiner Dissertation schreibt Johannes Bartels hierzu auf Seite 15:
Alle Versuche, das fertige Enneagramm schon bei den Derwischen des Mittelalters, bei den Wüstenvätern oder gar bei den Chaldäern nachzuweisen, basieren auf einer mangelnden Unterscheidung zwischen Parallele, Vorstufe und Resultat.[75]
Letztlich lässt sich nicht einmal nachweisen, dass Gjurdschijew das Enneagramm schon mit Persönlichkeitstypen in Verbindung gebracht hat. Diese Verknüpfung findet sich erstmals bei Rodney Collin, einem von Gjurdschijew beeinflussten britischen Autor spiritueller Bücher, der dieses Konzept laut eigener Aussage auf der Basis eigener Überlegungen entwarf. Über die Bücher von Collin kam Ichazo sehr wahrscheinlich in den 1950er Jahren in Kontakt mit dieser Deutung der Figur.[75][76] Bartels' Rekonstruktion der historischen Ereignisse kommt entsprechend zu dem Ergebnis (Seite 70):
… das Aufrufen alter Zeugen kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das Enneagramm erst nachträglich zur Charakterlehre umgedeutet worden ist – und zwar willkürlich. Die Prinzipien der Typologie folgen also nicht aus ihrem Gegenstand, der menschlichen Persönlichkeit, sondern aus dem vorgegebenen Zeichen. (…) Und weil das Enneagramm ursprünglich nicht als typologisches Raster konzipiert war, ist auch eine konsensfähige Interpretation so gut wie unmöglich. Stattdessen wird in immer neuen und häufig widersprüchlichen Varianten versucht, Analogien zwischen dem Neuneck und dem Spektrum menschlicher Persönlichkeitsmuster aufzuspüren. Es ist schon erstaunlich, wie – nachdem einmal festgelegt worden ist, dass es sich dabei um altes, heiliges Wissen über die Geheimnisse der Seele handelt – dem Enneagramm zugetraut wird, bis ins subtilste Detail hinein das Dichten und Trachten des Menschen zu erschließen.[75]
Bartels äußert die Vermutung, dass der Mythos vom hohen Alter des Enneagramms dem Zweck dient, eine fehlende wissenschaftliche Verankerung durch tradierte spirituelle Mythen zu ersetzen.[75][76] Hierzu passend beschreiben Bruce Thyer und Monica Pignotti die wissenschaftlichen Überprüfungen des Modells als äußerst ernüchternd.[B 12][70] Zudem sind die Beschreibungen und Bezeichnungen der verschiedenen Persönlichkeitstypen bei verschiedenen Autoren uneinheitlich.[69] Oft sind die Beschreibungen auch vage und erinnern an Barnum-Texte.[77][18][B 13]
Die Unwissenschaftlichkeit der Enneagrammlehre an sich entzieht der Enneagramm-Homöopathie bereits an der Basis jeden Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.
Wirksamkeitsnachweise in Form speziell mit der Enneagramm-Homöopathie durchgeführter, stabil reproduzierter, sauber randomisierter und mehrfach verblindeter klinischer Studien gibt es nicht. Dieses Fehlen von Wirksamkeitsnachweisen, die Unplausibilität des Verfahrens und der auch hier eingesetzten Hochpotenzen, die bereits allgemein bei der Homöopathie wesentlicher Gegenstand wissenschaftlicher Kritik sind,[17] treffen auch hier vollumfänglich zu.
Auffällig sind die Widersprüche zur Konstitutions-Typenlehre der klassischen Homöopathie: Von den von den jeweiligen Vertretern als wichtigste Mittel gelisteten Homöopathika findet sich gerade ein einziges gemeinsam genanntes Mittel: Ignatia (Brechnuss). Alle anderen Mittel finden sich entweder nur in der einen oder der anderen Liste. Dass sich hier so wenig Überschneidung findet, ist ein klarer Hinweis auf den Placebocharakter der Arzneien: Wären bestimmte Mittel wirklich so grundlegend, wie es die Konstitutionslehren darstellen, dann hätten alle Homöopathen diese Erfahrung machen müssen. Zu nahezu gänzlich unterschiedlichen Listen kann es nur kommen, weil alle Listen lediglich Placebos enthalten.
Astrologische Homöopathie
Der Konstitutionsbegriff in der astrologischen Homöopathie
Astrologisch arbeitende Homöopathen bezeichnen den Konstitutionsbegriff der Homöopathie insgesamt als unbefriedigend. Sie empfinden die Deutung des astrologischen Geburtsbildes als wesentlich schlüssiger.
Der astrologische Persönlichkeitstyp wird also in der astrologischen Homöopathie als Alternative zum Konstitutionstyp der klassischen Homöopathie angesehen. Gesund sei der Patient dann, wenn er in seinem Leben seine astrologische Bestimmung erfüllen und sein Horoskop „ausleben“ könne. Krankheit ist in diesem Bild entsprechend eine Störung, hervorgerufen dadurch, dass der Mensch seiner Bestimmung nicht folgt oder folgen kann.[78] Ziel einer Behandlung mit astrologischer Homöopathie sei es, den Patienten vor allem psychosomatisch in einem Wandlungsprozess zu unterstützen, der ihm ermöglichen soll, die astrologische Bestimmung seines Geburtshoroskopes auszuleben.[79]
Es gibt keine offizielle oder einheitliche „astrologische Homöopathie“.[79] Wie Astrologie und Homöopathie insgesamt ist die astrologische Homöopathie selbst zerfallen in unterschiedliche, einander widersprechende Strömungen. Ihre Gemeinsamkeit liegt lediglich darin, dass medizinische Diagnosen nur als zweitrangige Kriterien zur Wahl des Mittels betrachtet werden. Ebenso werden allerdings auch die reinen Symptomsammlungen der Repertorien als rein phänomenologische und daher „zu vordergründige“ Beschreibungen als nicht umfassend genug angesehen. Die astrologische Homöopathie geht davon aus, dass nur in Form des Horoskops eine wirklich vollständige Gesamtschau auf den Patienten möglich sei.[79]
Entsprechend der unterschiedlichen Varianten der astrologischen Homöopathie gibt es einige Therapeuten, die von festen Konstitutionstypen ausgehen, und andere, die davon gänzlich abweichende Regeln aufstellen.
Nach Gerhard Miller, Autor des Buches Homöopathie und Astrologie: Homöopathische Typen anhand des Horoskops erkennen, gehört zu einem bestimmten homöopathischen Konstitutionstyp die Neigung zu bestimmten Erkrankungen. Da die Konstitution des Patienten als angeborene Eigenschaft gesehen wird, seien diese Konstitutionskrankheiten auch im Geburtshoroskop bestimmbar, über das dann auch das zugehörige homöopathische Mittel bestimmt werden könne.[80]
Andere Astrologen wie Wolfgang Döbereiner oder Andreas Bunkahle bestreiten die Existenz des „einen“ Konstitutionsmittels gänzlich und begründen dies mit der Komplexität astrologischer Konstellationen.[81]
Die Astrologie verwendet Planeten, Tierkreiszeichen, „Häuser“ und „Aspekte“.[B 14] Diese werden für medizinische Deutungen in sogenannte „astrologische Konstellationen“ übersetzt. Befinden sich Mond und Saturn in einem Geburtshoroskop beispielsweise „im ersten Haus“, so spricht Bunkahle von der Konstellation „MA/MO/SA“, denn das erste Haus stehe für das Mars-Prinzip (MA). Diese Konstellation sei dem Homöopathikum Chamomilla (Kamille) zugeordnet.[82]
Bunkahle schreibt jedoch, dass Menschen meist mehrere „zusammenhängende Konstellationsgefüge“ im Horoskop aufweisen. Jedes einzelne davon sei mit homöopathischen Arzneimitteln assoziierbar, die letztlich alle für diesen Menschen Konstitutionsmittel darstellen. Genau deshalb könne es nicht „das eine“ Konstitutionsmittel geben, das alle Anlagen des Patienten abdecken würde. Für Autoren wie Bunkahle und Döbereiner müsse eine Therapie, die alle Anlagenbereiche des Patienten gleichzeitig behandeln soll, eine Art Komplexhomöopathie sein.[81] Dies ist eine Schlussfolgerung, die der Vorgehensweise der gesamten klassischen Homöopathie diametral widerspricht.
Döbereiner entwarf für seine Patienten sogenannte „Laufzettel“ mit einer genauen Zuordnung und zeitlichen Abfolge verschiedener Mittel entsprechend der astrologischen Konstellationen. Diese Laufzettel konnten Patienten direkt bei Wolfgang Döbereiner aus ihrem Horoskop erstellen lassen. In ihnen waren die astrologischen Konstellationen für bis zu zwei Jahre im Voraus angegeben. Döbereiner entwickelte sie nach der von ihm erfundenen Strömung der Astrologie, der „Münchner Rhythmenlehre“. Bis heute, nach seinem Tod, gibt es Apotheken, über die Patienten sich die Homöopathika entsprechend der Laufzettel nach Döbereiner zusammenstellen lassen können.[83]
Wieder andere Astrologen sehen deutliche Beziehungen zwischen dem Sternzeichen eines Patienten und seinen Konstellationstypen sowie den zu ihm passenden Homöopathika. So beschreibt die Heilpraktikerin Marion Walsdorff, welche Homöopathika welchem Sternzeichen zugeordnet werden. Diese Zuordnung träfe in der Praxis oft zu, wenn auch nicht zwingend oder eindeutig. Die von ihr angegebene Liste[84] mit beispielhaften Zuordnungen umfasst allerdings nicht alle Sternzeichen:
Homöopathikum | Sternzeichen |
Arnica (Arnika) | Steinbock |
Pulsatilla (Wiesenkuhschelle) | Krebs, Fische oder Waage |
Lycopodium (Bärlapp) | Waage oder Wassermann |
Arsenicum album (Arsen) (Graphit) | Skorpion |
Die Übereinstimmung mit anderen derartigen Listen, die Sternzeichen und dazu passende Konstitutionsmittel auflisten,[85] ist gering.
Für eine allgemeinere Beschreibung der astrologischen Homöopathie ⇒ Siehe auch Hauptartikel Astrologische Homöopathie
Wissenschaftliche Einschätzung der Astrologie
Die Annahmen und Behauptungen der Astrologie sind in vielfältiger Weise mit den naturwissenschaftlichen, vor allem der astronomischen Erkenntnissen der letzten 300 Jahre nicht mehr vereinbar.[86][87]
Die Aussagekraft, die Astrologen den Geburtshoroskopen zuschreiben, konnten sie wiederholt in Studien nicht belegen.[88][B 15] Das gilt auch für Untersuchungen an sogenannten Zeitzwillingen, also Personen, die örtlich nahe beieinander zur nahezu gleichen Zeit geboren wurden, was in großen Krankenhäusern durchaus vorkommt.[89][B 16]
Wirksamkeitsnachweise in Form speziell mit der astrologischen Homöopathie durchgeführter, stabil reproduzierter, sauber randomisierter und mehrfach verblindeter klinischer Studien gibt es nicht. Ergänzend liefern die Unplausibilität und Widersprüchlichkeit der Astrologie und die bereits allgemein bei der Homöopathie ansetzenden Punkte wissenschaftlicher Kritik[17] keinen Anlass für Zweifel am Placebocharakter des Verfahrens.
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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