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Tierhomöopathie
Tierhomöopathie oder auch Veterinärhomöopathie ist die Anwendung der Homöopathie in der Behandlung von Haus- und Nutztieren.
Die Tierhomöopathie ist weit verbreitet. Das dokumentiert nicht nur ein breites Angebot an Büchern zum Thema, denn es ist einfach naheliegend, dass überzeugte Anwender den Wunsch verspüren, auch ihre Haustiere mit Globuli selbst behandeln zu können. Tierheilpraktiker bieten in aller Regel homöopathische Behandlungen an.
Genesungen beim Tier werden von Homöopathen mitunter als Beleg für eine Überlegenheit der Globuli gegenüber Placebos benannt. Nicht selten mit der Begründung, dass sich Tiere nichts einbilden könnten oder auch gar nicht wüssten, dass sie Globuli bekommen haben.[1][B 1][2][B 2]
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 4
Mit derselben Intension wird darauf hingewiesen, dass der Einsatz der Homöopathika im Stall doch dokumentiere, dass sich die Arzneien bewähren – Landwirte seien schließlich auf Kosteneffizienz angewiesen.
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 6.2
Über weit verbreitete Kurse und Ratgeberbücher ist sie eine zusätzliche Einnahmequelle für Heilpraktiker und Tierärzte.[3]
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 6.1
Tatsächlich liefern Studien keine Argumente für den Einsatz von Homöopathika bei Tieren.[4]
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 5
Die Homöopathie wird als nebenwirkungsfreie Behandlungsalternative beschrieben, mit der man sogar dem wachsenden Problem resistenter Keime begegnen könne.[5] Nach eigener Definition behandelt die (klassische) Homöopathie aber keine Keime, sondern Symptome.
Siehe hierzu ⇒ Kapitel 7
Artikelupdate November 2021: Der im Februar 2017 erschienene Artikel wurde um Besprechungen der in diesen vier Jahren neu veröffentlichten Arbeiten erweitert. Neu hinzugekommen sind die Kapitel zur Studie von Bodey et al. (Hyperthyreose bei Katzen), zum Review von Johanna Zeise und Jürgen Fritz und zum Artikel von Petra Weiermayer et al. im Schweizer Archiv für Tierheilkunde. Um die neuen Studien ergänzt wurde außerdem der Abschnitt zur homöopathischen Behandlung von Mastitis beim Rind. Die Verweise auf die gesetzlichen Regelungen wurden aktualisiert.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Abgrenzung von Naturheilkunde und Pflanzenheilkunde (Phytotherapie)
- 2 Historische Entwicklung
- 3 Kontroversen innerhalb der Veterinärhomöopathie
- 4 Belegen Besserungen nach Globuligabe bei Tieren die Überlegenheit gegenüber Placebo?
- 5 Studienlage
- 5.1 Gesetzliche Relevanz
- 5.2 Cracknell et al.: Silvesterangst bei Hunden
- 5.3 Hyperthyreose bei Katzen – Studie von Bodey
- 5.4 Homöopathische Behandlung von Mastitis
- 5.5 Homöopathische Prophylaxe von Durchfall bei Ferkeln
- 5.6 Eugenische Prophylaxemaßnahmen
- 5.7 Systematischer Review von Mathie und Clausen
- 5.8 Systematischer Review von Sundrum und Doehring
- 5.9 Review von Zeise und Fritz
- 5.10 Artikel im Schweizer Archiv für Tierheilkunde
- 5.11 Fazit
- 6 Finanzielle Aspekte
- 7 Versprechen der Reduktion von Antibiotika in der Nutztierhaltung
- 8 Politische Aspekte
- 9 Zusammenfassung
Abgrenzung von Naturheilkunde und Pflanzenheilkunde (Phytotherapie)
Homöopathie wird oft mit Naturheilkunde und Phytotherapie gleichgesetzt. Dies ist unzutreffend. Phytopharmaka enthalten Pflanzenteile oder aufbereitete Pflanzenteile in ausreichender Menge, um eine pharmazeutische Wirkung hervorzurufen und werden nicht nach dem Ähnlichkeitsprinzip, sondern nach den bekannten Anwendungsgebieten ihrer Inhaltsstoffe in Abhängigkeit einer medizinischen Diagnose verabreicht. Wolfgang Löscher, Professor für Pharmakologie und Toxikologie, erklärt die Abgrenzung der Homöopathie von der Naturheilkunde und der Pflanzenheilkunde zusätzlich folgendermaßen:
Homöopathie ist kein Naturheilverfahren, da die Prinzipien der Homöopathie (z. B. die Wirkstoffpotenzierung) in der Natur keine Rolle spielen und eine von einem einzigen Arzt erdachte und erprobte „besondere Therapierichtung“ ebensowenig wie die Akupunktur unter den Naturheilverfahren subsummiert werden kann. Homöopathica sind nicht mit Phytotherapeutica gleichzusetzen, da bei der Herstellung von Homöopathica im Gegensatz zur Phytotherapie nicht nur Rohmaterialen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs verarbeitet werden.[6]
Umfragen des Allensbach-Instituts belegen, dass die Homöopathie sehr oft mit Naturheilkunde oder noch spezieller mit der Pflanzenheilkunde verwechselt wird. Während homöopathische Präparate zwar namentlich über 90 % der Befragten bekannt waren, konnten 2009 nur 17 % von ihnen wenigstens eines der Grundprinzipien des Verfahrens benennen. 31 % der Befragten verwechselten die Homöopathie mit der Pflanzenheilkunde, 43 % mit der Naturheilkunde.[7]
Aus diesem Grund erscheint der Hinweis wichtig, dass sich die folgenden Abschnitte ausschließlich auf die Homöopathie nach Hahnemann und die abgeleiteten Varianten der Homöopathie, nicht aber auf allgemeine Naturheilkunde oder Pflanzenheilkunde, beziehen.
Hintergrundinformation: Kompakte Beschreibung der Homöopathie |
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Homöopathie ist ein Verfahren, das vor über 200 Jahren von dem sächsischen Arzt Samuel Hahnemann erfunden wurde. Es beruht vor allem auf folgenden Prinzipien:
Während man im Zusammenhang mit homöopathischen Behandlungen oft liest, die Homöopathie behandele ursächlich, erfolgt eine homöopathische Behandlung in Wirklichkeit rein symptomorientiert und vollkommen ohne Bezugnahme auf die krankheitsbedingten, aber nicht in Symptomen erfassbaren Vorgänge im Körper. Manche Homöopathen räumen diesen Umstand durchaus ein und bezeichnen die Homöopathie als rein „phänomenologisch orientiert“ und damit als „nicht so sehr bestrebt, Krankheiten pathophysiologisch zu ergründen und zu erklären, sondern vielmehr die beobachtbaren und erkennbaren Krankheitszeichen (Symptome) des Patienten möglichst genau zu beschreiben.“[8] „Homöopathische Arznei“ bedeutet im übrigen nicht automatisch einen hohen Verdünnungsgrad oder Wirkstofffreiheit. In sehr niedrigen Potenzen sind durchaus noch pharmakologisch relevante Dosen in den Präparaten enthalten. „Homöopathisch“ werden diese Präparate durch ihre Verordnung nach dem Ähnlichkeitsprinzip. |
Historische Entwicklung
Die Geschichte der Anwendung der Homöopathie auf Haus- und Nutztiere beginnt 1815. Der Coburger Hofapotheker Christian Heinrich Donauer gilt als Autor der ersten tierhomöopathischen Schrift: „Vorschläge zur zweckmäßigen Behandlung kranker Hunde“.[9]
Samuel Hahnemann selbst hält eine Anwendung der von ihm erfundenen Methode auch bei Tieren für möglich. Er vertritt jedoch konsequent die Ansicht, dass es dafür eigener Arzneimittelprüfungen am Tier bedarf. Jacques Millemann zitiert Hahnemann hierzu aus einem Vortrag, den der 1829 in Leipzig gehalten hat:[10]
Ihm (dem erfahrenen Lehrer für die Tierarzneischulen) steht ein Versuchsstall zu Gebote mit gesunden Tieren, an welchen er die wirksamsten einfachen Arzneien unter den Augen seiner Lehrlinge auf Probe setzt, um zuerst ausfindig zu machen, welche Krankheitssymptome das gegebene Arzneimittel an mehreren dieser Tiere hervorbringt …
Mitte des 19. Jahrhunderts sind es vor allem einzelne Personen und ihre Schriften, die die Veterinärhomöopathie prägen.
Johann Carl Ludwig Genzke gibt 1837 eine „Homöopathische Arzneimittellehre für Tierärzte“ heraus. Auf 450 Seiten berichtet er über 67 Arzneimittelprüfungen an Hunden, Pferden und Rindern.[11] Der Theologe Friedrich August Günther bringt ebenfalls 1837 sein Buch „Der homöopathische Thierarzt, Teil 1-3“ heraus, allerdings ohne selbst Tierarzt zu sein. Carl Ludwig Böhm schreibt zwischen 1848 und 1878 mehrere Bücher und Aufsätze zur Tierhomöopathie.[12]
Mit der allgemeinen Verbesserung der medizinischen Kenntnisse sinkt jedoch – ähnlich wie durch die Entwicklung der Humanmedizin beim Menschen – auch beim Tier die Veterinärhomöopathie um 1900 in die relative Bedeutungslosigkeit. In Deutschland erlebt sie ab 1950 unter dem Einfluss des Tierarztes Hans Wolter einen neuen Aufschwung. Wolter gründet die „Homöopathisch-Biologische Arbeitsgemeinschaft für Tierärzte“ und bringt mehrere Bücher auf den Markt.[13]
Heute spielt sich ein großer Teil der Tierhomöopathie im Laienbereich ab, vor allem über Tierhalter und Tierheilpraktiker. Sie kommt aber auch in Tierarztpraxen zum Einsatz und findet sich im Kursangebot von Landwirtschaftskammern[14][15][16] oder in den Veröffentlichungen[17][18][19][20] tierärztlicher Hochschulen.
Kontroversen innerhalb der Veterinärhomöopathie
Gleich mehrere Punkte im Gedankengebäude der Tierhomöopathie sind unter Homöopathen seit dem 19. Jahrhundert strittig.
Ungelöstes Problem der Arzneimittelbilder: Analogiestreit
Hahnemann fordert als unabdingbare Basis einer Veterinärhomöopathie eigene Arzneimittelprüfungen am Tier, sogar gesondert für jede Tierart.[B 3] Diese Ansicht wird von mehreren Vertretern der Tierhomöopathie geteilt, was auch dazu führt, dass noch im 19. Jahrhundert einzelne Homöopathen eine Reihe von Arzneien am Tier prüfen. Genzke hinterlässt – wie erwähnt – eigene Prüfungen.[11] Der französische Tierarzt Farré prüft 90 homöopathische Arzneien an verschiedenen Tierarten.[21]
Auch Clemens von Bönninghausen wendet die Homöopathie wiederholt an Tieren an, doch sind von ihm keinerlei Arzneimittelprüfungen überliefert. Es wird deshalb angenommen, dass er einer der ersten Homöopathen ist, die die Ansicht vertreten, dass die Symptome aus am Menschen durchgeführten Arzneimittelprüfungen auf Tiere übertragen werden können.[22]
Millemann[10] betont in der von ihm herausgegebenen Materia medica,[B 4] dass die von Hahnemann gefordeten Arzneimittelprüfungen am Tier nur in wenigen Beispielfällen durchgeführt wurden oder deren Ergebnisse unbeachtet blieben. Zu demselben Ergebnis kommt auch Kerstin Röhrs, die in ihrer Dissertation die historischen Wurzeln der heute in der Veterinärhomöopathie verwendeten Arzneimittelbilder („AMB“) am Beispiel von fünf häufig eingesetzten Arzneien untersucht hat: Arsenicum album (Arsen(III)-Oxid), Belladonna (Tollkirsche), Lachesis (Buschmeister-Schlange), Nux vomica (Brechnuss) und Pulsatilla (Kuhschelle). In der Summe findet sie, dass heute nur sehr kleine Anteile der Arzneimittelbilder auf Arzneimittelprüfungen am Tier zurückzuführen sind.[23][B 5] Erheblich mehr beruhen die Behandlungen von Tieren auf den auch unter Homöopathen umstrittenen humanhomöopathischen Entsprechungen, also auf Symptomen, die aus Arzneimittelprüfungen am Menschen stammen:
Derzeit basiert die Arzneimittelwahl in der Veterinärhomöopathie auf der Grundlage von AMB, die überwiegend Symptome humanhomöopathischer Herkunft beinhalten. Obwohl einige Symptome eines AMB bei Mensch und Tier vermutlich ähnlich sind, sind die Feinheiten, welche für die Arzneimittelwahl entscheidend sind, bei Mensch und Tier unterschiedlich. Eine Übertragbarkeit von Symptomen vom Mensch auf das Tier (und zwischen den einzelnen Tierarten) wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich beurteilt.[23]
Röhrs beschreibt, dass sich in der modernen veterinärhomöopathischen Literatur viele verschiedene Sichtweisen auf die Problematik der Übertragbarkeit der Arzneimittelbilder finden:
Während auf der einen Seite die Meinung vertreten wird, dass (1) die humanen AMB ohne weiteres auf das Tier übertragbar sind (WOLFF, 1980 u. 1994; SCHMIDT, 1995 u. 2002) oder (2) eine Übertragung mit Berücksichtigung der tierart-spezifischen Eigenheiten möglich ist (KRÜGER, 1991; WESTERHUIS, 1991; ANDRESEN, 1992; KING, 1992; MILLEMANN, 1994; RAKOW, 1997), sehen andere Autoren (3) die Notwendigkeit von AMP am Tier und der Entwicklung einer eigenständigen veterinärhomöopathischen Arzneimittellehre als gegeben an (LAGONI, 1985; DAY, 1992; LÖSCHER, 1992; SCHÜTTE, 1994).[24]
Christopher Day[25] schreibt, dass es unzulässig ist, für alle Fälle zu postulieren, dass die Arzneien beim Tier ähnliche Symptome hervorrufen wie beim Menschen. Der Pharmakologe Wolfgang Löscher[26] weist darauf hin, dass dies aufgrund der bekanntermaßen unterschiedlichen Reaktion von Mensch und Tier auf pharmakologische Wirkstoffe eigentlich auch nicht zu erwarten ist.
Hans Günter Wolff schreibt,[27] dass sich die Prüfungsergebnisse am Tier nur wenig von denen des Menschen unterscheiden und man deshalb die Prüfungsergebnisse ohne weiteres übertragen könne. Dagegen schreibt Jacques Millemann, es bedürfe langjähriger Erfahrungen, um die humanen Arzneimittelbilder in brauchbare Arzneimittelbilder für die verschiedenen Tierarten umzudeuten, da das Verhalten eines Tieres von mehreren Faktoren (Vererbung, Training, gesundheitliche Störungen) abhängt und nur die letzteren auszuwerten seien.[28] Dennoch finden sich in der von Millemann herausgegebenen „Materia medica der homöopathischen Veterinärmedizin“[10] auch Symptome in den Arzneimittelbildern, die offensichtlich am Menschen erhoben wurden und beim Tier nur wenig Sinn ergeben. So soll „Achillea millefolium“ (Schafgarbe) gegeben werden, wenn sich durch Wein Besserungen einstellen oder „Antimonium crudum“ (Schwarzer Spießglanz, Antimon(III)-sulfid (Sb2S3)), wenn sich die Symptome bereits beim Denken an Essen verschlechtern.
Abweichend von Hahnemanns klarer Vorgabe, Tierhomöopathie könne nur über „…sorgfältige Erforschung der Reinen Wirkung der bekannten Arzneimittel auf die verschiedenen Arten gesunder Haustiere…“[29] erfolgen, schreibt Wolter pragmatisch und unter Missachtung der verbreitet anders lautenden Aussagen seiner Kollegen, so lange solche Prüfungen nicht in ausreichender Form vorlägen,[11]
… nehmen wir die objektiven Symptome der menschlichen Arzneimittelbilder als Grundlage, und wir fahren gut dabei. Dies ist die einhellige Meinung aller, die Homöopathie beim Tier betreiben.
Die Rechtfertigung sieht Wolter – wie in der Homöopathie üblich – in den „Kasuistiken“, also in den Beschreibungen von Einzelfällen:
Bei einem erkrankten Tier werden die vorliegenden Krankheitssymptome registriert und mit den in Frage kommenden humanen AMB verglichen. Diejenigen Symptome, welche nach Anwendung des gewählten Mittels verschwinden, werden in das AMB aufgenommen. Die Symptomauflösung muss reproduzierbar sein, also unter möglichst ähnlichen Bedingungen immer wieder erreicht werden.[8]
Die von Hahnemann (und anderen) angemahnten Arzneimittelprüfungen erspart man sich also in der Praxis aus Aufwandsgründen und fühlt sich durch jede zeitlich mit einer homöopathischen Behandlung korrelierte Besserung in diesem Vorgehen bestätigt. Andere Tierhomöopathen lehnen diese Übertragung ab,[B 6] eine einheitliche und durch aussagekräftige Daten begründete Meinung zur Notwendigkeit eigener Prüfungen am Tier existiert innerhalb der Homöopathen bis heute nicht.
Wie in der Humanhomöopathie auch, ist diese Praxis als echte Überprüfung der Arzneimittelbilder aus wissenschaftlicher Sicht ungeeignet: Das Problem dieser Vorgehensweise liegt darin, dass hier systematisch unerfasst bleibt, wie oft keine Symptomauflösung erfolgt, beziehungsweise ob diese schneller oder umfassender erfolgt als unbehandelt oder unter Placebobehandlung. Weil immer nur Erfolgsfälle registriert werden, ausbleibende Besserungen nach der Gabe eines Mittels aber entweder als „Erstverschlimmerungen“ ebenfalls als Bestätigung der Behandlung gedeutet werden oder aber vollkommen undokumentiert bleiben, muss dieses Vorgehen unvermeidbar in Bestätigungsfehler[B 7] und Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschlüsse laufen.
Mittelwahl und Komplexmittelstreit
Wie in der Humanhomöopathie kommen in der Praxis der Tierhomöopathie mehrere einander widersprechende Therapievarianten zum Einsatz.
Hahnemann nimmt in seinem Hauptwerk, dem Organon, klar Stellung: Es sollen ausschließlich Einzelmittel gegeben werden, das gleichzeitige Verabreichen von mehreren Arzneien könne die Symptomatik verschleiern, die Fallbeurteilung erschweren und sogar neue Symptome erzeugen.[30] In der Folge verwendet die klassische Homöopathie ausschließlich Einzelmittel und diese oft in Hochpotenz, auch jenseits der Avogadrogrenze. Nach Hahnemann müssen die Einzelmittel außerdem unbedingt individuell auf den jeweiligen Patienten und sein Symptombild abgestimmt sein.
Hiervon weichen Homöopathen sowohl in der Humanhomöopathie als auch in der Veterinärhomöopathie nicht selten großzügig ab. Die Anamnese am Tier gilt als erschwert, weil das Tier seine Beschwerden nicht schildern kann und somit ein großer Teil der subjektiven Symptome nicht erhebbar ist. Das Problem wird dadurch umgangen, dass man entweder in der Wahl der Mittel oder in der Verschreibungspraxis von Hahnemanns Vorgaben abweicht.
So ist das Empfehlen einzelner Mittel nach sogenannten „bewährten Indikationen“ weit verbreitet. Hierbei wird im Widerspruch zur Hahnemannschen Lehre das Mittel nicht individualisiert über die Gesamtheit der Symptome eines bestimmten Patienten gewählt, sondern ein bestimmtes Beschwerdebild („Verstauchung“, „Durchfall“,...) wird ohne weitere Betrachtung anderer Symptome mit immer demselben oder einigen sehr wenigen Mitteln angegangen. Obwohl die Mittelwahl nach Indikation letztlich Basis der meisten im Handel befindlichen und gut verkauften Ratgeberbücher ist, lehnen andere Vertreter der Tierhomöopathie dieses Vorgehen strikt ab und weisen sogar auf nach Hahnemann zu erwartende Prüfsymptome hin.[31]
Ebenfalls im Widerspruch zur oft beworbenen Individualität der homöopathischen Behandlung steht die in der Tierhomöopathie verbreitete völlige Vereinheitlichung der empfohlenen Dosen. So wird dieselbe Menge Globuli für Tiere unterschiedlichster Größe verordnet.[8][3]
Auch dass nach Hahnemann stets nur ein Einzelmittel gegeben werden darf, und das in Hochpotenz, wird in der Praxis nicht eingehalten. Hans Wolter beispielsweise wendet sich gegen Hochpotenzen.[11] Er empfiehlt Komplexmittel, also indikationsbezogen verordnete Mischungen verschiedener homöopathischer Einzelmittel, da sie einen guten Einstieg darstellen, die Mittelwahl erleichtern und schnell zu Erfolgen führen würden. Klassische Homöopathen lehnen sowohl die Begründung als auch die Gabe von Komplexmitteln generell ab.[3][32]
Sowohl in der Humanhomöopathie als auch in der Tierhomöopathie ist der Streit um die Nutzung der Komplexmittel vollkommen offen. Einige Verbände wie der DZVhÄ lehnen im Sinne Hahnemanns die Gabe von Komplexmitteln als „unhomöopathisch“ ab, andere Verbände wie die Hufelandgesellschaft sehen die Komplexmittel als Teil der Homöopathie.[33] Eine Datenerhebung zur Klärung dieser Frage findet weder an Mensch noch Tier statt, beide Lager berufen sich auf „erlebte Besserungen“ nach Behandlungen.
Hintergrundinformation: Hahnemanns nie veröffentlichte Ergänzung zum Organon – § 274 b[34] |
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Zeitgenossen Hahnemanns, vor allem Karl Julius Aegidi und Clemens Maria Franz von Bönninghausen experimentierten mit zwei gleichzeitig verabreichten Arzneien in Hochpotenz. Durch die Ergebnisse überzeugt, berichtete Aegidi Hahnemann in einem Brief von seinen Versuchen. Hahnemann zeigte sich offen und antwortete, es sei durchaus mit seiner Lehre vereinbar, ein solches Doppelmittel in Hochpotenz zu geben, wenn beide Mittel gleichermaßen den Symptomen entsprächen. Er versprach, selbst Untersuchungen durchzuführen und später auch einen entsprechenden Paragraphen in die fünfte Auflage seines Organons aufzunehmen.
Der Textentwurf für diesen § 274 b ist bekannt. Darin heißt es:
Später hat sich Hahnemann dann aber doch gegen diese Ergänzung entschieden und begründete dies Bönninghausen gegenüber, von den Vorzügen der Doppelmittel nicht überzeugt gewesen zu sein. Möglicherweise fürchtete er aber bereits hier eine zu große Aufweichung seines Verfahrens. Dabei sind die von Hahnemann hier in Betracht gezogenen Doppelmittel weit von der Praxis der Komplexmittel entfernt: Komplexmittel werden stets in gleicher Zusammensetzung gegeben – nicht an die Symptome des einzelnen Patienten angepasst – enthalten meist mehr als zwei Mittel und diese oft in nicht niedrigen Potenzen. Komplexmittel wären also, selbst wenn sich Hahnemann nicht ohnehin noch gegen die Veröffentlichung des § 274 b entschieden hätte, nicht über diesen zu rechtfertigen gewesen, sondern sicher unter das gefallen, was Hahnemann als allopathische Vielmischerei bezeichnete. |
Nosodenstreit
Die Nosoden stellen neben der Anwendung der Komplexmittel eine weitere, von Hahnemanns Ausführungen abweichende, Variante der Homöopathie dar, die bis heute auch in der Tierhomöopathie weit verbreitet ist.
Definition
Eine eigene Kategorie homöopathischer Präparate wird heute unter dem Namen „Nosoden“ geführt. Als Arznei zum Einsatz kommen hier entweder direkt Bakterien oder aber Körpersekrete und Gewebe erkrankter Tiere, welche mit Viren oder Bakterien infiziert sind. Auch die Herstellung von Eigennosoden ist verbreitet,[35] dabei werden Speichel, Eiter, Schleim, Urin, Stuhl oder Gewebe des Patienten zu seiner persönlichen Nosode verarbeitet. Dieses Verfahren wird als Nosodentherapie oder leicht abgewandelt als Isopathie bezeichnet. So wie Homöopathie wörtlich „ähnliches Leiden“ bedeutet, bedeutet Isopathie wörtlich „dasselbe Leiden“: Sollen in der Homöopathie Arzneien heilen, bei denen in Arzneimittelprüfungen am Gesunden ähnliche Symptome gemeldet wurden, so verwendet die Isopathie direkt das infizierte Material.
Kritik durch Vertreter der klassischen Homöopathie
Nosoden werden bereits 1831 bei Constantin Hering, Namensgeber der Heringschen Regel, in seinem Artikel Nachträgliche Bemerkungen über das Schlangengift erwähnt. Bekannter wird die Isopathie aber erst, als der Tierarzt Johann Joseph Wilhelm Lux 1833 seine Isopathik der Contagionen[36] veröffentlicht und später in einer eigens von ihm herausgebrachten Zeitschrift, der Zooiasis auf die Isopathie aufmerksam macht.[37]
Gustav Wilhelm Groß verfasst 1835 in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung 1834 einen positiven Artikel über die Isopathie. Er selbst setzt um 1830 Krätzenosoden ein, in der Hoffnung, „alte psorische Übel“, durch eine erneute Ansteckung mit Krätze leichter mittels homöopathischer Arzneien therapierbar zu machen.[38]
Andere Autoren wie Genzke und Hilmer stören sich an den unprofessionell dargestellten Geschichten in Zooiasis, die hauptsächlich von Laien stammen. Besonders heftige Kritik kommt von Hahnemann selbst, der sich sogar im Organon gegen die Isopathie ausspricht. So schreibt er in der Einleitung der 6. Auflage des Organons:
Auf diese Beispiele aus der Hausmittel-Praxis baut Hr. M. Lux seine sogenannte Heilart durch Gleiches und Idem, von ihm Isopathie genannt, welche auch schon einige excentrische Köpfe als das non plus ultra von Heilmethode angenommen haben, ohne zu wissen, wie sie es realisiren könnten (…)
Was in jenem Buche ebenfalls als Heilung durch Isopathie angeführt wird, (…) wird doch keinen gewissenhaften Arzt zur gefährlichen Nachahmung verleiten, oder zur Aufbauung eines eben so gefährlichen, als in seiner Ausdehnung höchst unwahrscheinlichen, sogenannten isopathischen Systems, wofür es (nicht der bescheidene Verfasser des Büchleins: Die Isopathik der Contagionen, Leipz. b. Kollmann, wohl aber) die excentrischen Nachbeter ausgeben, vorzüglich Hr. Dr. Gross (s. allg. hom. Z. H. S. 72.), der diese Isopathie (aequalia aequalibus) für den einzig richtigen Grundsatz zum Heilen ausschreit und in dem similia similibus nur einen Notbehelf sehen will; undankbar genug, nachdem er doch einzig nur dem similia similibus Ruf und Vermögen zu danken hat.[39]
Einen Brief, in dem Lux ihn bittet, ihm die Zooiasis widmen zu dürfen, beantwortet Hahnemann nicht.[40]
Auch eine ausführliche Untersuchung der Methode von Lux durch die Berliner Königliche Tierarzneischule 1834 bringt keine Einigung: Durchgeführt werden vier isopathische und fünf homöopathische Behandlungen, sowie 13 Arzneimittelprüfungen. Im Ergebnis zeigt sich „kein anderes Moment als die gänzliche Nichtigkeit aller Anpreisungen des Dr. Lux“.[41] Natürlich entbrennt in der Folge ein Streit um die Qualität der Überprüfung. Während einige Zeitgenossen bestätigen, dass die Versuche sorgfältig nach den Regeln der Homöopathie erfolgten, versuchen verschiedene Homöopathen das Gutachten zu entkräften. Man streitet den beiden Tierärzten, die die Versuche leiteten, jede Sachkenntnis der Homöopathie ab oder kritisiert ganz allgemein, dass die Zooiasis von Lux Anlass oder Grundlage zur der Homöopathie sein soll. Man weist darauf hin, dass sich auch viele Homöopathen von Lux und den von ihm angewendeten Nosoden distanzieren. Lux selbst verteidigt sich damit, dass aus seiner Sicht in einigen Versuchen ein falsches Mittel oder nicht die richtige Potenz angewendet worden sei. Einige spätere Autoren bestätigen seine Einschätzung, andere widerlegen sie.[42]
Fazit
Tierhomöopathie ist von ihren Anfängen bis heute ein Gemisch aus einander widersprechenden Vorstellungen und Therapie-Maßnahmen. Es gibt unter den Homöopathen weder Einigkeit darüber, ob Einzelmittel oder Komplexmittel anzuwenden sind, ob Nosoden sinnvoll sind, welche Potenzen in welchen Situationen anzuwenden sind, oder ob man grundsätzlich eigene Arzneimittelprüfungen am Tier braucht – noch gibt es ein Bestreben, diese inneren Widersprüche durch Erhebung sauberer Daten zu klären. Man beruft sich in allen einander widersprechenden Methoden auf einzelne positive Fallbeispiele und wertet diese – obwohl naturgemäß ohne Vergleichskontrolle – als unzweifelhaften Beleg des eigenen Vorgehens.
Belegen Besserungen nach Globuligabe bei Tieren die Überlegenheit gegenüber Placebo?
Genesungen beim Tier werden von Homöopathen mitunter als Beleg benannt, dass Globuli Placebos überlegen wären. Das geschieht oft mit der auf den ersten Blick einleuchtenden Begründung, dass sich Tiere nichts einbilden können und oft nicht einmal von der Globuligabe etwas bemerkt haben können. Dies beruht indes auf falschen Annahmen darüber, was der Placebo-Effekt ist.
Diese Darstellung wird gleichwohl mehr oder weniger unverändert von Zeitgenossen Hahnemanns übernommen.
Gustav Wilhelm Groß (1794-1847), Arzt und Mitbegründer der „Allgemeinen Homöopathischen Zeitung“, veröffentlicht im Jahre 1830 im „Archiv für die homöopathische Heilkunst“ einen Aufsatz, in dem er feststellt, Tierheilungen auf homöopathischem Wege wären der beste Beweis, dass die Wirkung der Homöopathie nicht auf Suggestion beruhe.[8] Clemens von Bönninghausen argumentiert ähnlich: Er vertritt mehrfach die Ansicht, dass Genesungen von Tieren nach homöopathischer Behandlung die naturwissenschaftliche Kritik an der Anwendung von Hochpotenzen aushebeln und die Diskussion darüber unnötig machen würde. An Tierheilungen sehe man unwiderlegbar und unabhängig von der Überzeugung des Therapeuten, was die Arzneien bewirken.[43]
Der Begriff des Placebos ist um 1830 zwar schon bekannt, seine Tragweite und auch die Entstehung des Placebo-Effektes ist aber noch gänzlich unerforscht. Selbst heute ist das komplexe Phänomen des Placebo-Effektes nicht vollständig verstanden. Vorstellungen, die ihn auf reine „Suggestion“ oder „Einbildung“ reduzieren wollen, sind nach heutigen Kenntnissen der neurobiologischen Vorgänge jedoch überholt.[44]
Die Aussage, beobachtete Besserungen bei Tieren würden automatisch eine Überlegenheit von Homöopathika gegenüber Placebo belegen, ist deshalb heute aus insgesamt drei nachfolgend ausgeführten Gründen nicht mehr haltbar.
Ein Placebo zu geben bedeutet nicht, dass alles, was danach geschieht ein Placebo-Effekt ist
Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die zu Besserungen beitragen – und so den Eindruck einer Wirksamkeit einer Behandlung erwecken. Der eigentliche Placebo-Effekt ist dabei nur einer von ihnen. Sie werden mitunter als vermengte Effekte bezeichnet und liegen bei Mensch und Tier gleichermaßen vor. Zu ihnen zählen die natürlichen Krankheitsverläufe, statistische Effekte (Regression zur Mitte), Gewöhnungseffekte und andere, gleichzeitig und evtl sogar unbewusst ergriffene Maßnahmen.[45]
Allein der natürliche Verlauf von Krankheiten verursacht zeitliche Veränderungen der Beschwerden und kann deshalb Wirksamkeit vortäuschen: Die Symptome erkrankter Tiere verändern sich auch ganz ohne Behandlung mit der Zeit. Tiere haben ein funktionierendes Immunsystem, das in der Lage ist, mit einer ganzen Reihe von Infekten und anderen Erkrankungen mit der Zeit fertig zu werden. Oft wird der Besitzer Homöopathika eher bei leichteren Beschwerden anwenden – gerade aber solche heilen sehr oft auch einfach ohne Zutun aus. Tierhalter werden bei diesen selbstlimitierenden Fällen auch bei einer vollkommen wirkungslosen Therapie immer wieder die „Erfahrung“ machen, dass es dem Tier durch (objektiv gesehen nur nach) der Anwendung besser ging.
Über die natürlichen Genesungsverläufe lässt sich zudem sehr gut verstehen, warum es nach der Gabe eines Placebos auch zu Verschlechterungen kommen kann oder warum erst das zweite oder dritte Mittel zu „helfen“ scheint (nämlich immer dann, wenn der Höhepunkt der Symptome bei der ersten Mittelgabe nicht erreicht war).
Unter Regression zur Mitte versteht man eine bekannte statistische Erscheinung, die sehr eng mit dem Phänomen der natürlichen Krankheitsverläufe zusammenhängt. Sehr oft beginnt man eine Behandlung, wenn die Symptome einen extremen Wert erreicht haben. Ging man zunächst davon aus, an sich harmlose Beschwerden ganz ohne irgendwelche Medikamente überstehen zu können, so ergreift man, wenn die Beschwerden heftiger sind als erwartet, eben doch Maßnahmen. Bei den extremen Beschwerden handelt es sich aber sehr oft um kurzfristige Verschlechterungen – „Ausreißern“ in Messdaten gleich – die sich kurz- oder mittelfristig ganz von selbst wieder den durchschnittlichen Werten annähern. In Studien kennt man dieses Problem, dass zum Beispiel Häufigkeit oder Heftigkeit bestimmter Beschwerden bei Erstmessung noch eine bestimmte Tendenz aufweisen, diese Tendenz aber bei einer Zweitmessung wieder verschwindet. Dieser Rücklauf ist nicht der untersuchten Behandlung geschuldet, sondern Ausdruck eines statistischen Artefakts.[45] Als Patient erlebt man diese statistisch zu erwartende Normalisierung bereits als erste Verbesserung und führt sie auf die eingenommene Arznei zurück.
Bei chronischen Beschwerden können Schübe der Grunderkrankung zu ähnlichen Eindrücken führen. Zusätzlich treten hier sogenannte Gewöhnungseffekte auf: Der Tierhalter gewinnt Routine in der Versorgung und empfindet die durchschnittlichen Beschwerden als weniger bedrohlich. Auch kann entsprechendes Arrangieren des Alltags dazu beitragen, dass man besonders schwierige Situationen meidet und diese entsprechend seltener auftreten. So wird man einen Hund mit Arthrose deutlich langsamer ausführen und gewinnt so durchaus den Eindruck, das Tier käme nun besser zurecht. In der Massentierhaltung können veränderte Haltungsbedingungen – eine Verbesserung der allgemeinen Stallhygiene, weniger gedrängte Platzverhältnisse oder Futterumstellungen – maßgeblich dazu beitragen, dass Infekte seltener im Tierbestand um sich greifen. Wird gleichzeitig zu allen diesen Maßnahmen Placebo gegeben, so unterliegt man allzu leicht dem Eindruck, die erlebten Besserungen wären auf das Placebo zurückzuführen – und nicht auf die gleichzeitig damit erteilten Ratschläge.
Nicht selten werden Globuli auch nach(!) einer medizinischen Behandlung gegeben, besonders wenn diese nur als mäßig erfolgreich wahrgenommen wird. Jeder Fehler eines Tierarztes bei der ursprünglichen medizinischen Intervention kann danach natürlich ebenfalls zum Anschein der Wirksamkeit einer anschließenden homöopathischen Behandlung beitragen: Schätzt der Tierarzt das Gewicht eines Patienten (Pferd, Kuh,…) falsch ein oder dosiert aus anderen Gründen nicht korrekt, so kann eine pharmakotherapeutische Methode nur unzureichend wirken. Dasselbe gilt, wenn ein Präparat bei der falschen Indikation eingesetzt wird. Eine Behandlung mit Homöopathika (u. U. in Kombination mit anderen Maßnahmen wie Schonkost, einer Optimierung der Haltung,…) kann dann einer schlecht durchgeführten medizinischen Behandlung überlegen erscheinen.[6] Mitunter schätzen Patienten und Tierbesitzer auch nur die zu erwartenden Behandlungsdauern bis zur Genesung falsch ein oder übersehen, dass eine Therapie zwar die eigentliche Krankheit schon bekämpft hat, der Patient aber noch geschwächt, aber bereits auf dem Weg der Erholung ist. Auch in diesen Fällen sind dann die „Erfolge“ der zusätzlich noch gegebenen Globuli unvermeidbar.
Placebo-Effekte beim Tier sind seit vielen Jahren bekannt
Durch zahlreiche Untersuchungen ist zweifelsfrei bekannt, dass beim Tier neben den eben beschriebenen Kontexteffekten auch echte Placebo-Effekte auftreten.[46] Placebo-Effekte am Tier sind in der wissenschaftlichen Literatur für ganz verschiedene Tierarten (u. a. bei Affen, Hunden, Pferden, Katzen, Mäusen, Ratten) gut dokumentiert.[47][48][49]
Wie beim Mensch auch sind die Mechanismen des Placebo-Effektes beim Tier nicht bis ins Detail verstanden. Sicher ist aber, dass es nicht die Erwartungshaltung allein ist, die Placebo-Effekte bedingt, wenngleich sie natürlich beim Placebo-Efekt beim Menschen eine wichtige Rolle spielt. Daneben gibt es aber gute Belege, dass auch die klassische Konditionierung[50] und die unbewusste Hormonausschüttung eine Rolle spielen. Bei Tieren geht man zusätzlich von einem vierten Mechanismus aus, der die Effekte des menschlichen Kontaktes auf das Tier betrachtet.[47]
Unter klassischer Konditionierung versteht man, dass ein neutraler Reiz eine reflexartige Reaktion (also eine unbewusst gesteuerte Antwort auf den Reiz oder die Situation) auslöst, wenn der neutrale Reiz mehrfach mit dem reflexauslösenden Reiz vereinigt wurde.[51] Ein bekanntes Beispiel ist das Verschwinden der Zahnschmerzen bereits beim Betreten der Zahnarztpraxis. Tatsächlich stammt die Erkenntnis, dass die Konditionierung beim menschlichen Placebo-Effekt eine Rolle spielen könnte, ursprünglich aus Studien mit Tieren: Iwan Petrowitsch Pawlow führte Konditionierungsuntersuchungen an Hunden durch: Er verabreichte Hunden immer im selben Raum Morphium. Nach einiger Zeit zeigten die Tiere bereits typische Morphiumsymptome, sobald sie in den Raum gebracht wurden, aber bevor ihnen das Morphium gespritzt wurde.[52] Andere grundlegende Experimente wurden an Ratten durchgeführt. Herrnstein verhinderte durch Spritzen mit Scopolamin, dass Laborratten zuvor erlernte Fähigkeiten in der üblichen Weise ausführen können. Als er auf pharmakologisch wirkungslose Injektionen wechselte, blieb die Reaktion der Ratten dieselbe wie unter Scopolamin.[53] Inwiefern jedoch eine Genesung oder ein gezielter therapeutischer Effekt von der Konditionierung abhängen kann, ist beim Tier unklar.[54]
Ein wichtiger Faktor für die beim Tier beobachteten Placebo-Effekte liegt aber beim Besitzer oder auch dem betreuenden Tierarzt. Dieser Aspekt wird oft unter der Bezeichnung Placebo by Proxy-Effekt („Placebo-Effekt bei der / durch die Bezugsperson“) beschrieben und spielt in mehrfacher Weise eine Rolle: Er greift sowohl beim Tier als auch beim Besitzer an.
Auch wenn ein Haustier von der Behandlung nichts mitbekommt oder sich sogar dagegen wehrt: Es gibt eine umfangreiche Basis an Daten, die belegt, dass allein der intensive menschliche Kontakt messbare Effekte in Tieren und Tierbeständen hervorruft. So ist nachgewiesen, dass die Zuwendung durch Menschen in der Lage ist, die Herzfrequenz bei Hunden[55] und bei Pferden[56] zu reduzieren. Vertrauensbildende Zuwendung und sanfte Betreuung erhöht die Produktivität bei Milchkühen[57] und die Fruchtbarkeit von Schweinen.[58] Der Tierhalter wird sich meist vermehrt um ein erkranktes Tier kümmern, er wird ihm mehr Aufmerksamkeit und Pflege zukommen lassen, es im Falle eines geliebten Haustieres sogar etwas verwöhnen. Allein diese Zuwendung durch den Besitzer kann also Reaktionen beim Tier hervorrufen und auch bei therapeutischen Interventionen eine Wirksamkeit der eigentlichen Behandlung vortäuschen, zum Beispiel wenn sich ein Tier nach einer Placebogabe schnell beruhigt.
Der Placebo-by-Proxy-Effekt betrifft aber auch den Tierhalter selbst und sogar den Tierarzt, denn beide wissen um die Behandlung des Tieres. Entsprechend treten bei ihnen alle Behandlungseffekte auf und verändern unbewusst Wahrnehmung und Verhalten.[59] Ein Tierbesitzer fühlt sich erleichtert, aus der Verantwortung genommen oder zumindest unterstützt zu werden. Mit Durchführung der Behandlung beginnt auch ein Warten auf Besserung. Besonders gut dokumentiert ist dieser „Besitzer-Effekt“ in der Studie von Michael Conzemius.[60] Diese Arbeit untersucht, wie Halter und Tierarzt das Gangverhalten lahmer Hunde nach einer Placebo-Behandlung einschätzen, von der sie nicht wussten, dass es sich um ein Placebo handelt. Hierzu stellt die Arbeit der subjektiven Beurteilung die objektive Erfassung der Beschwerden gegenüber: der Gang aller Hunde wurde mithilfe eines Laufbandes, das den Druck des Auftritts erfasste, objektiv bewertet. Rund 40 Prozent der Besitzer und 43 Prozent der Tierärzte meinten, das Gangbild habe sich gebessert, während bei der objektiven Methode keinerlei Besserung festzustellen war.[61]
Gerade diese letzte beschriebene Studie zeigt aber, dass eine wirkungslose Behandlung des Tieres zwar dem Halter das Gefühl geben kann, die Beschwerden hätten sich gebessert, während jedoch unklar sein kann, ob sich das Tier auch tatsächlich besser fühlt. Durch diesen Umstand wird das Postulat der Wirksamkeit ohne Berücksichtigung der Beleglage hochproblematisch und ist jedenfalls nicht über Beliebtheit oder über einzelne erlebte Besserungen zu rechtfertigen. Dem Tier nur eine Behandlung mit Placebo zukommen zu lassen, missbraucht drei vertrauenswürdige Aspekte des Tierarztberufes, nämlich Experte, Autorität und Tröster zu sein.[54]
Studien dokumentieren keine eindeutige Überlegenheit von Homöopathika gegen Placebo
⇒ Siehe Kapitel Studienlage
Die vorhandenen Arbeiten zur Tierhomöopathie belegen aber in den darin enthaltenen Kontrollgruppen eindeutig, dass Besserungen beim Tier auch dann beobachtet werden, wenn das Tier „nur“ mit Placebo behandelt wurde: Unter nachweislich erfolgter Placebobehandlung machen in diesen Placebogruppen Tierbesitzer „positive“ Erfahrungen und beobachten Genesungen ihrer Tiere. Auch diese Tierhalter haben also den Eindruck einer wirksamen Behandlung ihrer Tiere oder Tierbestände.
Allein das Betrachten dieser Erfahrungen in den vorhandenen randomisierten, verblindeten und placebokontrollierten Studien zeigt also, dass aus dem Bericht einer Besserung beim Tier keineswegs zwangsweise folgt, dass das Tier mit einem gezielt wirksamen Medikament behandelt wurde. Wie beim Mensch auch, können einzelne Fallbeispiele daher nicht als Beleg dienen, sondern lediglich Basis einer Hypothesenbildung sein, die es anschließend in einer kontrollierten Beobachtungssituation wissenschaftlich zu prüfen gilt.
Im Falle der Homöopathie ergibt sich aus der gesamten Studienlage kein Argument dafür,[4] dass Homöopathika den immer mit der Zeit und durch die Gesamtheit aller äußeren Umstände erfolgenden Besserungen etwas hinzufügen können, was zu reproduzierbaren oder deutlich schnelleren Behandlungserfolgen führen würde.
Studienlage
Zur Anwendung der Homöopathie beim Tier gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen. In der Mehrzahl der Arbeiten kommt die in der Veterinärhomöopathie weit verbreitete nicht-individualisierte Homöopathie zur Anwendung. Haufig handelt es sich bei den Veröffentlichungen jedoch um Einzelfallberichte oder reine Beobachtungsstudien ohne Vergleichsgruppe.[62] Nur randomisierte, doppeltverblindete Arbeiten mit einer Placebovergleichsgruppe („Randomised Controlled Trials“ oder RCTs) sind überhaupt dazu geeignet, Schlussfolgerungen zu einer vorhandenen oder fehlenden Überlegenheit gegenüber Placebo zu treffen.
Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich detailliert mit diesem aussagekräftigsten Teil der Evidenz. Betrachtet werden neben den aktuell vorliegenden Übersichtsarbeiten zur Veterinärhomöopathie verschiedene typische Anwendungsgebiete, bei denen Homöopathika durch die Halter, durch Tierheilpraktiker und mitunter auch von Tierärzten eingesetzt werden.
Anmerkung: Eine sehr gute Übersicht über die Studienlage und die Qualität der einzelnen Arbeiten findet sich auch auf der Webseite Rational Veterinary Medicine: The Evidence (externer Link, aufgerufen am 22. Oktober 2021).
Gesetzliche Relevanz
In der Verordnung (EU) 2018/848 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen – oft kurz als „EU-Öko-Verordnung“ bezeichnet – ist im Abschnitt 1. 5. 2. „Tierärztliche Behandlung“ der Einsatz homöopathischer Präparate in der Nutztierhaltung geregelt. Dort heißt es …
… phytotherapeutische und homöopathische Präparate sind chemisch-synthetischen allopathischen Tierarzneimitteln, einschließlich Antibiotika, vorzuziehen, sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist. (Hervorhebung Homöopedia)[63]
Auch die vorige Fassung, Verordnung 889/2008 für die biologische Tierhaltung, enthielt in §24 (2) bereits exakt dieselbe Voraussetzung für den Einsatz von Homöopathika.[64][65] Hinter diesen Formulierungen steht deutlich der Gedanke des Gesetzgebers, dass die „Eignung“ der Homöopathie zur Behandlung erkrankter Tiere gekoppelt ist an spezifische therapeutische Wirkungen. Dies verfolgt den Schutz des Tieres vor unwirksamen Behandlungen. Ohne Nachweis einer gezielten Wirksamkeit der Veterinärhomöopathie sind diese gesetzlichen Voraussetzungen also nicht erfüllt.
Von Homöopathen wird aus der EU-Verordnung zwar gerne zitiert, dass Homöopathika und pflanzliche Präparate in der biologisch arbeitenden Landwirtschaft bevorzugt einzusetzen seien,[5] doch wird meist nicht erwähnt, dass dies der Gesetzgeber an einen vorher zu erbringenden Wirksamkeitsnachweis geknüpft hat. Diese Forderung bleibt entweder völlig unerwähnt oder man zitiert aus Verordnungen einzelner Mitgliedsstaaten, die bei der Umsetzung der EU-Regelungen eine weichere Formulierung gewählt haben. Ein Beispiel hierfür ist die Schweizer Verordnung über die biologische Landwirtschaft, in der es nur lapidar heißt, die Mittel müssten „erfahrungsgemäß eine therapeutische Wirkung“ haben.[66] Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Behandlungspraxis aufgrund der vielen anderen in Frage kommenden Ursachen für Besserungen während einer Behandlung über den „Post-hoc-ergo-propter-hoc“-Fehlschluss leicht zu einer Überschätzung der therapeutischen Wirksamkeit führt.[67] Diese Ursachen sind auch für die veterinärmedizinische Praxis relevant.[68] Es stellt deshalb eine deutliche Abschwächung der Forderung aus dem EU-Regelwerk dar, wenn an die Stelle einer echten Nachweispflicht ein sehr wahrscheinlich positiv verfälschter individueller Eindruck gestellt wird.
Cracknell et al.: Silvesterangst bei Hunden
Die verblindete und placebokontrollierte Studie von Nina Cracknell und Daniel Mills zur homöopathischen Behandlung von Hunden, die Angstreaktionen auf Silvesterfeuerwerk zeigen,[69] wird auch von Homöopathen als methodisch hochwertig eingestuft.[70]
In der Arbeit werden insgesamt 75 Hunde mit ausgeprägtem Angstverhalten bei Feuerwerk zufällig („randomisiert“) und verblindet auf zwei Behandlungsgruppen verteilt. In der einen Gruppe wurden die Tiere mit verschiedenen Homöopathika behandelt, in der anderen Behandlungsgruppe erfolgte ohne Wissen der Besitzer lediglich eine Placebobehandlung. Über den Studienzeitraum führten alle Besitzer Tagebuch und bewerteten die Schwere bestimmter Angstsymptome ihrer Tiere. Im Ergebnis zeigten sich signifikante Verbesserungen des Verhaltens in beiden Behandlungsgruppen, aber keine Unterschiede zwischen homöopathischer und Placebobehandlung:
In der Einschätzung der Besitzer ergaben sich signifikante Verbesserungen bei 14 von 15 Angstsignalen in der Placebogruppe und bei allen 15 Verhaltensmerkmalen in der homöopathisch behandelten Gruppe. Beide Behandlungsgruppen zeigten auch signifikante Verbesserungen in der Bewertung der Besitzer für die allgemeine Schwere der Angstreaktionen der Hunde. Allerdings gab es keine Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen.[B 8]
Die Ergebnisse belegen, dass die Homöopathika hier zu den allein durch die Behandlungssituation entstehenden unspezifischen Kontexteffekten nichts hinzufügen können. Die Besitzer der verblindet mit Placebo behandelten Tiere machen vergleichbar „positive Erfahrungen“ mit den verabreichten Präparaten und berichten im gleichen Umfang von Verbesserungen. Damit zeigt die Studie deutlich auf, wie beim Besitzer der Eindruck einer Wirksamkeit entstehen kann und dass derartige erlebte Besserungen der Situation an sich keinen Nachweis einer Wirksamkeit der verabreichten Präparate darstellen können.
Hyperthyreose bei Katzen – Studie von Bodey
Hyperthyreose ist eine Schilddrüsenüberfunktion, also der Fall, dass die Schilddrüse zu viel Schilddrüsenhormon in den Körper abgibt. Sie tritt bei Katzen über acht Jahren relativ häufig auf, aus unterschiedlichen Ursachen. Nicht selten leiden die Katzen schon einige Monate an Schilddrüsenüberfunktion, bevor der Besitzer irgendwelche Symptome bemerkt: Das im Überschuss vorhandene Schilddrüsenhormon (Thyroxin, T4) beeinflusst praktisch jedes Organ des Körpers, so dass die einzelnen Organ-Systeme verstärkt arbeiten. Erst dies führt zu sehr unterschiedlichen Symptomen wie Gewichtsverlust, Haarausfall oder gesteigerter Aktivität. Manche Katzen werden reizbar und aggressiv. Unbehandelt werden Katzen mit Schilddrüsenüberfunktion normalerweise zunehmend kränker. Langfristig können sich lebensbedrohliche Komplikationen entwickeln.[71]
Mitunter scheuen Tierhalter die notwendigen Behandlungen, im Falle der Gabe von Medikamenten wie Thiamazol oder Carbimazol aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen, im Falle einer Radiojod-Therapie wegen der nicht unerheblichen Kosten. Aus diesem Grund besteht eine Nachfrage nach einer „sanfteren“ Behandlung, die von Homöopathen nur allzu gerne angeboten wird. Entsprechend werden Katzenbesitzer im Internet leicht Webseiten mit Aussagen finden, die den Eindruck erwecken, man könne die Schilddrüsenüberfunktion bei Katzen erfolgreich homöopathisch behandeln – so erfolgreich, dass eine medizinische Behandlung unnötig sei oder allmählich abgesetzt werden könne.[72][73]
Trotz der möglichen Spätfolgen einer unzureichenden Behandlung ausschließlich mit Placebos war das Krankheitsbild in der Vergangenheit ausschließlich in kleinen und fehleranfälligen Studien untersucht worden. Bei keiner dieser Arbeiten handelte es sich um randomisierte, verblindete und placebokontrollierte Vergleichsstudien. Eine Veröffentlichung dokumentierte beispielsweise lediglich vier Fallberichte. Zudem waren entweder ausschließlich die Eindrücke der Besitzer anstatt sauberer Blutuntersuchungen ausgewertet worden, oder die Studien enthielten nur unzureichend belegte Diagnosen.[74] Diese Lücke schließt die methodisch hochwertige Studie von Bodey et al.,[74] die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie in zwei getrennten Studienphasen nach einem Nutzen der Homöopathie sowohl als Alternative zu einer konventionellen Behandlung als auch komplementär (also zusätzlich) zu wirksamen Behandlungen sucht.
Insgesamt wurden 40 Katzen rekrutiert. Einschlusskriterium war eine Konzentration des Schilddrüsenhormons T4[B 9] über 66 nmol/l. Die Tiere wurden randomisiert auf zwei Behandlungsgruppen verteilt. Doppeltverblindet erhielten in der ersten Studienphase 19 Katzen ein Placebo und 21 ein individuelles homöopathisches Mittel. Dieses war entsprechend einer nicht unüblichen Behandlungspraxis[75] eine Kombination aus der Sarkode[B 10] Thyrodinum und einem individuell gewähltem Homöopathikum. Letzteres war der Gesamtheit der Konstitution und der klinischen Symptome unter Verwendung der Informationen aus einem Fragebogen unterstützt durch die homöopathische Software Radar bestimmt worden. Die Sarkode Thyrodinum sollte generell die klinischen Anzeichen einer Schilddrüsenüberfunktion ansprechen. Die eingesetzte Potenz beider Komponenten war C30.
Nach 21 Tagen wurden die T4-Werte, das Gewicht und die Herzfrequenz mit den Werten vor der Behandlung verglichen. Es gab keine statistisch signifikanten Unterschiede in den Veränderungen zwischen den beiden Behandlungsarmen oder zwischen den Mittelwerten der einzelnen Parameter für jeden Behandlungsarm vor und nach der Placebo- oder Homöopathie-Behandlung.
In einer zweiten Phase der Studie wurden die Katzen in beiden Behandlungsarmen zusätzlich drei Wochen lang mit Methimazol[B 11] behandelt. Anschließend wurden T4-Konzentration, Körpergewicht und Herzfrequenz erneut bestimmt. Auch hier gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen Placebo- oder Homöopathie-Behandlung. Aber es gab statistisch signifikante Verringerungen von T4 und Herzfrequenz sowie eine statistisch signifikante Zunahme des Körpergewichts in beiden Gruppen im Vergleich zu den Werten vor der Methimazolbehandlung. Die Ergebnisse dieser Studie belegten eindrucksvoll den Nutzen der medizinischen Behandlung, erbrachten aber keinen Nachweis für die Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung von Hyperthyreose bei Katzen.
Obwohl dieses für die Homöopathie negative Ergebnis nun schon seit 2017 vorliegt, hat sich am Vorhandensein von Empfehlungen einer homöopathischen Behandlung nichts geändert.[72][73] Tierbesitzer sind gut beraten, sich klar zu machen, dass Formulierungen der Art „kann bei (…) gegeben werden“ nicht beinhalten, dass dies auch eine sinnvolle therapeutische Maßnahme darstellt. Man kann auch Gummibärchen bei Erkältung geben.
Homöopathische Behandlung von Mastitis
Mastitis ist eine meist durch Bakterien verursachte Entzündung der Milchdrüse. Sie gehört in der Nutztierpraxis zu den Hauptanwendungsgebieten von Homöopathika.[8][76] Die Anfälligkeit der Rinder für die Erreger wird aber durch Stallhygiene, Ernährung und weitere Haltungsbedingungen maßgeblich mitbestimmt.[77] Bei Rindern (und anderen Nutztieren der Milchproduktion) ist Prophylaxe und Behandlung von großer Bedeutung, denn Mastitis verursacht über Milchverluste und Behandlungskosten auch wirtschaftliche Schäden für einen betroffenen Betrieb.[78]
Die systematische Übersichtsarbeit von Mathie und Clausen (siehe unten) betrachtet zur Mastitis zwei klinische Vergleichsstudien, von denen aber nur die Arbeit von Hektoen et al.[79] aus dem Jahr 2004 als aussagekräftig eingestuft wird. Hektoen et al. vergleichen in einer dreiarmigen[B 12] Studie Placebobehandlung, individualisierte homöopathische Behandlung und Behandlung mit Antibiotika. Belege für eine Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung über Placebo hinaus finden sich in der Studie nicht.[B 13] Eine weitere Arbeit von C. Werner[80] wird von Mathie und Clausen[70] in ihrem Review wegen unzureichender Verblindung als nicht aussagekräftig eingestuft.
Pamela L. Ruegg fasst 2010 die Beleglage zur homöopathischen Mastitisbehandlung in einem Vortrag mit den Worten zusammen:
Belege, die eine Wirksamkeit der Veterinärhomöopathie demonstrieren würden, fehlen komplett. [81][B 14]
Im Rahmen einer nicht placebokontrollierten Felduntersuchung der Landwirtschaftskammer Hannover[82] wurden mehrere hundert klinische und subklinische Mastitisfälle in zwei Betrieben sowie ihre Behandlung (homöopathisch, keine Behandlung, Melktherapie, antibiotisch,…) dokumentiert. Zwar arbeitete der Betrieb, in dem fast 90 % des Tierbestandes im Beobachtungszeitraum von Mastitis betroffen war, rein homöopathisch, wohingegen der Betrieb, der mit gut 11 % die niedrigste Rate verzeichnete, keine Homöopathika einsetzte, doch waren die Schwankungen mehr vom Gesamtmanagement in den Betrieben abhängig – sogar mehr als von der letztlich im Krankheitsfall gewählten Therapie. Die Autoren sehen die größten Verbesserungsmöglichkeiten in der Verbesserung durch eine konsequente Bestandsbetreuung, nicht durch eine Weiterverbreitung der Homöopathie:
Wahrscheinlich hat die Therapieform keine maßgeblichen Auswirkungen auf die Heilungsrate. Vielmehr wird die Heilungsrate von den Rahmenbedingungen des Betriebsmanagements beeinflusst (Feststellungszeitpunkt der Erkrankung, vermehrte Kontrolle des Einzeltieres, Anpassung der Rahmenbedingungen an die Erkrankungssituation).
Außerdem kommt die Feldstudie zu dem Ergebnis, dass die Landwirte oft selbst homöopathisch behandeln und dies meist nicht nach den klassischen homöopathischen Therapielehren. Im Vergleich sehen die Autoren aber keine „signifikant besseren Heilungsraten“, wenn das angewendete Homöopathikum der homöopathischen Lehre entsprechend ausgewählt wurde.
Auch in der zusammenfassenden Einschätzung der Carstens-Stiftung von 2012 …
… ist die Studienlage in der Veterinärhomöopathie nicht derart, dass ein Nutzen der Homöopathie bei Prophylaxe oder Therapie der klinischen oder subklinischen Mastitis bewiesen wäre.[83]
Neuere Studien bestätigen dieses Bild:
J. H. Williamson und S. J. Lacy-Hulbert vergleichen in ihrer 2014 veröffentlichten Arbeit die Behandlungsergebnisse bei klinischer Mastitis von Antibiotika und Homöopathie. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass antibiotische Behandlung signifikant bessere Ergebnisse erzielt als eine Behandlung mit Homöopathika:[84]
Quer durch alle Erregertypen war die bakteriologische Heilungsrate an den Drüsen höher für die mit antimikrobiellen Substanzen behandelten Kühen als für die mit einem homöopathischen Präparat behandelten. Homöopathische Mittel hatten, wenn sie zur Behandlung von klinischer Mastitis nach dem Kalben eingesetzt wurden, signifikant niedrigere klinische und bakteriologische Heilungsraten im Vergleich zu antimikrobiellen Substanzen. Der Anteil der Kühe, die eine Nachbehandlung benötigten war bei den homöopathisch behandelten signifikant höher. Dies, in Kombination mit den niedrigeren bakteriologischen Heilungsraten, hat Auswirkungen auf die Dauer der Infektion, auf die somatische Zellzahl jeder einzelnen Kuh [und damit auf die Milchqualität], auf die Kosten im Zusammenhang mit der Behandlung und aus Sicht des Tierschutzes.[B 15]
In einer auf einer Dissertation beruhenden Veröffentlichung von 2015 zur homöopathischen Trockenstellprophylaxe[B 16] finden C. Notz und M. Hässig in einer Vielzahl von Untersuchungsdaten nur wenige signifikante Unterschiede zwischen den Ergebnissen der (unverblindet) mit Placebo oder Homöopathika behandelten Gruppen. Insgesamt wollen die Autoren dies dahingehend interpretieren, dass die zur Prophylaxe eingesetzte homöopathische Mittelkombination zusammen mit der antibiotischen Trockenstelltherapie „Effekte bezüglich Erregereliminierung und Schutz vor Neuinfektionen bis zum Tag 35“ gezeigt habe. Dennoch müssen sie in ihrem Fazit schreiben:
Bezüglich der prophylaktischen Wirkung der eingesetzten homöopathischen Medikation auf das Auftreten von Galtmastitiden konnte in dieser Studie kein Effekt beobachtet werden.(…) Sowohl beim Auftreten von Galtmastitiden, wie auch beim Auftreten von Mastitiden in der Folgelaktation konnte kein Unterschied zwischen den homöopathisch prophylaktisch behandelten und den Placebo-behandelten Tieren gefunden werden. Im Gegensatz zu Garbe (2003) konnte auch in der Kombination von homöopathischer und antibiotischer Prophylaxe kein protektiver Effekt gegen klinische Mastitiden im Vergleich zur Placebogruppe festgestellt werden.[85]
Eine Beobachtungsstudie zur Eutergesundheit der Kühe auf spanischen Bio-Bauernhöfen legen Ana Villar und Marta López-Alonso ebenfalls 2015 vor. Darin betrachten sie auch die langfristige Entwicklung des Gesundheitszustandes mit Homöopathika und konventionell behandelter Tiere:[86]
Signifikante Unterschiede waren zwischen Kühen von Farmen mit fast ausschließlich homöopathischer Mastitisbehandlung und Farmen zu beobachten, die Homöopathie und Antibiotika kombinieren. (…) Auf Bio-Bauernhöfen zeigten Messungen einen höheren Gehalt an somatischen Zellen[B 17] als auf konventionell behandelnden Referenzfarmen. Detailierte Analysen des Zellgehaltes (…) legen nahe (…), dass der Gesundheitszustand der Färsen zu Beginn ihres produktiven Zyklus bei beiden Arten von Bauernhöfen vergleichbar ist, sich aber im Laufe des produktiven Zyklus der Färsen auf den Bio-Bauernhöfen verschlechtert.[B 18]
Fanny Ebert et al.[87] untersuchen 2017 die homöopathische Behandlung von Mastitis in einer mehrfach verblindeten, randomisierten, placebokontrollierten Studie. Milchkühe mit akuter Mastitis erhalten in dieser Arbeit entweder Homöopathika (n = 70) oder Placebo (n = 92), insgesamt 162 Tiere. Um unnötiges Tierleid sicher auszuschließen, erfolgt zudem eine medizinische Behandlung, wenn dies auf der Grundlage der klinischen Symptome notwendig wird. Im Ergebnis zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Placebo- und Homöopathiegruppe in der klinischen Heilungsrate, der Krankheitsdauer, der Milchleistung oder der Anzahl der Keime nach Genesung. Auch die Häufigkeit, mit der dann doch noch auf Antibiotika zurückgegriffen werden muss, ist in beiden Behandlungsgruppen vergleichbar: 61 % (56/92) der Tiere der Placebogruppe und 70 % (49/70) der Tiere der Homöopathiegruppe benötigen schließlich ein Antibiotikum. Ebert et al. schreiben:
Wir fanden, dass homöopathische Behandlungen den Einsatz von allopathischen Medikamenten auf dem Studienbetrieb nicht verhindern konnten.[B 19][87]
Ähnlich ernüchternd ist auch das Ergebnis der 2018 veröffentlichten Studie zum selben Thema von Diana Keller und Albert Sundrum[88], in der 180 Milchkühe eingeschlossen sind: In den Fällen, in denen Laborproben die verantwortlichen Keime eindeutig identifizieren können, zeigt sich die Antibiotikabehandlung effektiver als die individualisierte Homöopathie. Die Behandlungseffekte in der Homöopathiegruppe und der mit Placebo behandelten Vergleichsgruppe sind praktisch gleich. Die Autoren schlussfolgern:
Die Studienergebnisse implizieren, dass die Wirksamkeit der individualisierten Homöopathie nicht über einen Placeboeffekt hinausgeht (…).[B 20][88]
Angesichts dieses Scheiterns ist besonders hervorzuheben, wie sehr sich die Autoren dieser Studie bei der Wahl des individuellen Homöopathikums bemühen, alles richtig zu machen. Insgesamt kommen 21 Homöopathika zum Einsatz. Die Repertorisierung erfolgt sowohl mittels einer homöopathischen Standardsoftware „RadarOpus“[89] als auch nach Beratung durch einen ausgebildeten Homöopathen mit „veterinärhomöopathischer Expertise“. Dies schreiben Keller et al. sehr deutlich:
Der methodische Ansatz der vorliegenden Studie folgte jedoch so weit wie möglich den Grundprinzipien der klassischen Homöopathie (individualisierte Behandlung und Repertorisation) und reduzierte mögliche persönliche Befangenheit unter Verwendung eines Software-Repertoriums.[B 21][88]
2017 verfassten Francoz et al.[90] eine detaillierte und umfassende narrative Analyse der jüngsten Ergebnisse zur alternativmedizinischen Behandlung von Mastitis. Ihr Fazit in Bezug auf die Homöopathie lautet:
Wir kamen zu dem Schluss, dass homöopathische Behandlungen für das Management der klinischen Mastitis nicht effizient sind.[90][B 22]
In Bezug auf die Studienqualität weisen Francoz et al.[90] darauf hin, dass die Aussagekraft vieler vorliegender Studien herabgesetzt ist, weil sie zu kleine Vergleichsgruppen untersucht haben. Konkrete Schlussfolgerungen über eine etwaige Vergleichbarkeit von homöopathischer und medizinischer Behandlung wären allein deshalb nicht belastbar.[B 23]
Obwohl also bei der homöopathischen Behandlung von Mastitis beim Rind keinerlei Nachweis für eine Wirksamkeit über Placebo hinaus vorgelegt werden konnte, finden sich in der homöopathischen Literatur durchaus anderslautende Darstellungen. Einerseits ergeben sich diese daraus, dass viele Untersuchungen zum Thema mehrere Messreihen erheben und man nur diejenigen Ergebnisse nennt, die nach einem Erfolg der Homöopathie klingen. Andererseits ergreifen die Autoren der meisten Arbeiten neben den Homöopathika noch weitere Maßnahmen, etwa solche, die die Stallhygiene betreffen. Dies wird in Zitaten dieser Studien durch Homöopathen jedoch oft nur unzulänglich erwähnt. Der Bericht, dass die Menge verabreichter Antibiotika über den Studienzeitraum verringert werden konnte, klingt allein dadurch so, als wäre er der Homöopathie zu verdanken und nicht den veränderten Haltungsbedingungen. Ein Beispiel für eine derartig verzerrende Berichterstattung findet sich im narrativen Review von Petra Weiermayer et al.[5] über die Studie von Merck et al. (2004).[91]
⇒ Siehe hierzu das Kapitel über die Studie von Merck im Hauptartikel zum Text von Weiermayer et al.
In ihrem Systematischen Review weisen Caroline Doehring und Albert Sundrum auf ein weiteres Problem hin, das leicht zu Berichten über angebliche Reduktionsmöglichkeiten von Antibiotikagaben durch Homöopathie bei Mastitis führt: In vielen homöopathischen Studien werden die Keime, die die Mastitis verursachen, nicht ausreichend identifiziert. So muss oft unklar bleiben, ob oder wie oft die gegebenen Antibiotika überhaupt indiziert waren. Dreiarmige Studien (Homöopathie/Antibiotika/Placebo) könnten das deswegen ungewöhnlich schlechte Abschneiden einer Antibiotikagruppe aufzeigen, doch die wenigsten Studien zur homöopathischen Mastitisbehandlung werden so durchgeführt. In den Erfolgsdarstellungen bleibt deswegen notwendig unerwähnt, wie viele der eingesparten Antibiotika von vorneherein eigentlich unnötig und damit eine Fehlbehandlung waren. Dass man nicht indizierte Antibiotika auch durch Placebos ersetzen kann, ist aber kein Argument für die Homöopathie.
Homöopathische Prophylaxe von Durchfall bei Ferkeln
Durchfall ist die häufigste Erkrankung bei neugeborenen Ferkeln und führt nicht selten zu deren Tod durch Austrocknung. Dabei können verschiedene Erreger eine Rolle spielen. Im Falle einer nachgewiesenen Infektion mit Coli-Bakterien werden die Ferkel antibiotisch behandelt, bei starken Problemen in einem Betrieb wird eine Mutterschutzimpfung der Zuchtsauen empfohlen. Auch die Stallhygiene spielt eine wesentliche Rolle.[92] Ob homöopathische Hochpotenzen Ferkel vor der Infektion mit Coli-Bakterien wirksam schützen können und somit zu einer Reduktion der Erkrankungen führen, untersucht die randomisierte und verblindete Studie von Irene Camerlink und Liesbeth Ellinger.[93] Die Arbeit erhielt von der International Academy of Classical Homeopathy (IACH) von Georgos Vithoulkas im Jahr 2011 die Auszeichnung zur besten wissenschaftlichen Veröffentlichung zur Homöopathie.[94] Auch im systematischen Review von Mathie und Clausen (siehe unten) wird diese Arbeit als eine der beiden hochwertigsten Studien eingestuft und ausgewertet.
Die Studie umfasst 52 gesunde, ungeimpfte Zuchtsauen, gleichmäßig und zufällig auf eine Placebogruppe und eine mit einer homöopathischen Nosode in Hochpotenz behandelten Gruppe verteilt. Im letzten Schwangerschaftsmonat wird den Zuchtsauen als Prophylaxemaßnahme entweder das homöopathische Präparat (Coli 30K, eine homöopathische Nosode, bestehend aus 0,05 % Milchzucker, besprüht mit der homoöpathischen 30K-Hochpotenz verschiedener E. Coli Stämme, 99,85 % destilliertem Wasser und 0,1 % Alkohol) oder Placebo in die Vulva gesprüht. Insgesamt 525 Ferkel werden im Rahmen der Studie geboren, davon 265 in der Placebogruppe und 260 in der Homöopathiegruppe. Alle Tiere werden richtlinienkonform im selben Stall gepflegt.
Die Autorinnen berichten von 63 Fällen von durch E. Coli-Bakterien verursachten Durchfällen in der Placebogruppe (23,8 % der Ferkel), in der homöopathisch behandelten Gruppe jedoch nur von 10 Fällen (3,8 % der Ferkel), was einem hochsignifikanten Ergebnis (p < 0,0001) entspräche (die Statistische Signifikanz drückt aus, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Messung Zufall ist, also nicht das Ergebnis der getesteten Behandlung).
Ungewöhnlich in der Studie ist jedoch, wie entschieden wurde, welche Fälle von Durchfall von Coli-Bakterien verursacht worden waren und somit in das Ergebnis einflossen: Dies wurde allein anhand des Aussehens des Stuhls entschieden. Nur aus 3 Boxen wurden überhaupt Stuhlproben zur Identifikation der Erreger ins Labor geschickt. Geprüft wurde auf E. Coli, E. Coli K99 und Salmonellen. Keiner dieser Erreger fand sich in den Proben. Die Autorinnen geben an, das nicht weiter verfolgt zu haben und begründen dies mit ihrer Erfahrenheit. Auf diese Weise sind insgesamt 15 Fälle von Durchfall bei der Berechnung der Ergebnisse unberücksichtigt.[B 24]
Noch schwerwiegendere Kritik an der Aussagekraft der Studie haben die niederländischen Mathematiker Pepijn van Erp und Jan Willem Nienhuys vorgebracht. Sie weisen darauf hin, dass das in der Studie gewählte Auswerteverfahren die statistische Signifikanz des Ergebnisses erheblich zu positiv darstellt.[95] Da das Ansteckungsrisiko für ein Ferkel erheblich steigt, wenn ein Fall einer Infektion innerhalb des Wurfes auftritt, darf die Ergebnisstatistik nicht wie in der Arbeit so durchgeführt werden, als ob die 525 Ferkel voneinander unabhängig wären. Die Statistik muss deshalb auf der Ebene der Zuchtsauen berechnet werden, also betrachten, bei wie vielen Muttertieren Durchfall im Wurf auftrat. Führt man die Auswertung auf diese Weise korrekt durch, so ergibt sich nur noch eine höchst knappe statistische Signifikanz: Hätte nur eine einzige weitere Muttersau einen Fall von Durchfall in ihrem Wurf gehabt, wäre das Ergebnis der Studie nicht mehr signifikant. Wird also die Statistik korrekt durchgeführt, kann von einer wirklich belastbaren Evidenz für eine Überlegenheit gegenüber Placebo nicht mehr ausgegangen werden.
Eugenische Prophylaxemaßnahmen
Die Eugenische Kur wird Züchtern von verschiedenen Tierheilpraktikern und mitunter auch Tierärzten nahegelegt. Dem Muttertier wird einmalig eine vorgegebene Abfolge homöopathischer Hochpotenzen gegeben. Dies soll dazu führen, dass das Tier nur seine besten Eigenschaften weitervererbt und so Nachkommen mit verringerter Anfälligkeit für Krankheiten und einem insgesamt stabileren Immunsystem zur Welt kommen.
Hintergrund des Verfahrens ist §284 des Organons, in dem Samuel Hahnemann beschreibt, wie laut seiner Miasmenlehre chronische Krankheiten vererbt werden:
Doch ist die Besorgung der Mütter, in ihrer (ersten) Schwangerschaft, durch eine gelinde, antipsorische Cur, vorzüglich mittels der (…) Dynamisationen des Schwefels, unentbehrlich, um die fast stets bei ihnen vorhandene, schon durch Erbschaft ihnen mitgetheilte Psora, Erzeugerin der meisten chronischen Krankheiten, in ihnen und ihrer Leibesfrucht zu vertilgen, damit ihre Nachkommenschaft im Voraus dagegen geschützt sei. Dies ist so wahr, daß die Kinder so behandelter Schwangern gemeiniglich weit gesünder und kräftiger auf die Welt kommen, so daß jedermann darüber erstaunt.[96]
Selbst unter Homöopathen sind §284 des Organons und im Besonderen die daraus abgeleitete Kur umstritten. Nach den Vorstellungen der Klassischen Homöopathie stellt die Einnahme homöopathischer Hochpotenzen durch Gesunde (Mutter, Kind) eine Homöopathische Arzneimittelprüfung dar. Mutter und Kind müssten entsprechende Symptome entwickeln. Aufgrund dieser Widersprüchlichkeit wurde vermutet, dass die Ergänzung zu §284 in der sechsten Auflage des Organons nicht auf Hahnemann selbst zurückgeht, sondern erst nachträglich von Haehl ergänzt worden war. Ein neu entdecktes Manuskript hat aber mittlerweile die Echtheit von Hahnemanns Vorschlag bestätigt.[97]
Eugenische Kuren werden wegen der mangelnden Individualität von klassischen Homöopathen als unhomöopathisch abgelehnt. So heiß es beispielsweise in einem Papier der Schriftenreihe des Europäischen Instituts für Homöopathie (InHom):
Homöopathische Primärprävention beinhaltet Lebensordnung, Diät, Mäßigkeit, (…) aber nicht eine so genannte „eugenische Kur“(…).[98]
Der Begriff der eugenischen Kur stammt mit Sicherheit erst aus dem späten 19. Jahrhundert und geht nicht auf Hahnemann selbst zurück. In diesen Begriff kommt vielmehr der Gedanke einer „Verschönerung“ des Erbgutes zum Ausdruck, wie er in der damaligen Zeit thematisiert wurde. Von diesem Begriff ausgehend wird die eugenische Kur heute mitunter mit Hinweisen auf wissenschaftliche Begriffe wie zum Beispiel die Epigenetik beworben. Züchtern gegenüber wird immer wieder als Tatsache dargestellt, man könne vor der Trächtigkeit durch Homöopathika in Hochpotenz Einfluss auf Genmaterial oder Immunanfälligkeit der Nachkommen nehmen. Diese Aussage ist jedoch, wie auch die Grundsätze der Homöopathie insgesamt, naturwissenschaftlich und medizinisch vollkommen unplausibel,[99][3] egal, ob man sie über Hahnemanns Psora oder über die Epigenetik begründet. Eine nachhaltige Verbesserung der Immunanfälligkeit der Nachkommen von mit eugenischen Kuren behandelten Muttertieren wird durch keine einzige hochwertige klinische Studie gestützt.
Systematischer Review von Mathie und Clausen
Die Durchsicht der Veröffentlichungen zur Tierhomöopathie von R. T. Mathie und J. Clausen[62] stellt die Basis für den ersten systematischen Review aller randomisierten kontrollierten Studien mit homöopathischen Maßnahmen am Tier. Für den Review haben die Autoren die Datenbanken nach Veröffentlichungen durchsucht, die folgende Einschlusskriterien erfüllen:
- Umfassender Bericht einer homöopathischen Behandlung, egal ob akute Beschwerden oder vorbeugend therapiert wurde (Prophylaxe).
- Behandlung von Tieren, egal welcher Spezies (aber keine Studien am Menschen)
- Kontrolliert (also mit Vergleichsgruppe)
- Randomisation (also zufällige Verteilung auf die Gruppen)
- Veröffentlicht in einem Journal mit Peer-Review
Insgesamt haben die Autoren bei ihrer Suche 150 Veröffentlichungen zur Tierhomöopathie entdeckt. Lediglich 38 Studien erfüllen jedoch diese Qualitätskriterien zur Aufnahme in den Review. Mathie et al. haben die Ergebnisse dieser Durchsicht in mehreren Teilen veröffentlicht.
Die Arbeit von 2014 beschränkt sich auf die placebokontrollierten Arbeiten – also diejenigen Studien, in denen es eine Vergleichsgruppe gibt, in der die Tiere mit Placebo behandelt wurden – und untersucht ihre Qualität und die Fehleranfälligkeit ihrer Methodik.[70] Nur 18 der ursprünglich 150 gefundenen Veröffentlichungen sind randomisierte, verblindete placebokontrollierte Studien und werden deshalb in diesem Teil des Reviews betrachtet. Dafür, dass nur diese Studienform in, der Lage ist, Schlussfolgerungen im Vergleich mit Placebos zu ziehen, ist das in Anbetracht des fehlenden Nachweises einer Überlegenheit gegen Placebo ein sehr geringer Prozentsatz.
Von diesen 18 Studien untersuchen 12 Arbeiten die Effekte homöopathischer Behandlung akuter Beschwerden, sechs diejenigen homöopathischer Prophylaxemaßnahmen. Auch die angewendeten Methoden (individualisierte Homöopathie oder nicht), die Beschwerden (11 verschiedene Krankheitsbilder) und die Tierarten (vier verschiedene Spezies) variieren über diese wenigen in den Review einfließenden Studien stark. Allein das macht eine gemeinsame Auswertung problematisch.
Um die aussagekräftigsten Arbeiten zu identifizieren, bewerten Mathie und Clausen jede Studie nach insgesamt sieben üblichen Qualitätskriterien:
- Mit welcher Methode wurde die Zufallsfolge zur Gruppenzuteilung erzeugt?
- Wie erfolgte die Gruppenzuteilung und war gewährleistet, dass dabei die Gruppenzugehörigkeit wirklich verborgen blieb?
- Die Verblindung des behandelnden Personals und des Tierbesitzers;
- Die Verblindung derjenigen, die die Behandlungserfolge beurteilten;
- Flossen die Daten aller behandelten Tiere in die Studie ein?
- Gibt es Hinweise im Text, dass die Ergebnisse nur teilweise in der Studie genannt werden (also zum Beispiel nur die „günstigen“)?
- Gibt es Hinweise im Text auf andere das Ergebnis verfälschende Einflüsse (wie zum Beispiel Gruppenunterschiede, die schon zu Beginn der Behandlung vorliegen)?
Zusätzlich wird beurteilt, ob eine mögliche persönliche Beeinflussung der Autoren vorliegen könnte, zum Beispiel, wenn eine Studie von Homöopathieherstellern finanziell oder mit Arzneien unterstützt worden war.
Das Ergebnis dieser Qualitätsbeurteilung ist ernüchternd. Obwohl bereits in der Vorauswahl eine überwältigende Mehrheit von Veröffentlichungen aussortiert werden musste, weil darin grundsätzlich keine aussagekräftige Methodik eingehalten wird, fällt nun auch die überwiegende Mehrheit der verbliebenen 18 Arbeiten bei der nun durchgeführten Qualitätsprüfung durch Mathie und Clausen anhand dieser Kriterien durch. Mathie und Clausen können sich lediglich auf drei Arbeiten einigen, in denen sie die sieben genannten Qualitätskriterien als ausreichend eingehalten und dokumentiert einschätzen. Eine dieser drei Arbeiten, die Studie von Cracknell et al. zur Silversterangst bei Hunden, wird zwar als methodisch einwandfrei identifiziert und damit als verlässlich eingestuft, das für die Homöopathie negative Ergebnis fließt aber nicht in die Endauswertung der hochwertigsten Studien ein, weil die Arzneien für diese Arbeit von einem Hersteller von Homöopathika bereitgestellt worden waren.[B 25] Tatsächlich berichten die Autoren die fehlende Überlegenheit gegenüber Placebo ungeachtet der Bereitstellung der verwendeten Arzneien durch einen Hersteller von Homöopathika.
Von den ursprünglich 150 in den wissenschaftlichen Datenbanken gefundenen Veröffentlichungen schätzen Mathie und Clausen also gerade zwei Arbeiten als aussagekräftig und von geringer Irrtumswahrscheinlichkeit (Risk of Bias) ein. Dabei handelt es sich um
- Die Arbeit von Camerlink et al., die bei der prophylaktischen Behandlung von Durchfall bei Ferkeln im Ergebnis einen signifikanten Effekt für die Homöopathie findet.
- Eine Studie von Hektoen et al.[79] zur individualisierten homöopathischen Behandlung von Mastitis bei Rindern, die keine signifikanten Unterschiede zwischen homöopathischer und Placebobehandlung findet.[B 26]
Die Autoren ziehen die Schlussfolgerung, dass aus nur zwei Studien mit unterschiedlichem Ergebnis sicher keine verallgemeinerbaren Schlussfolgerungen über die gezielte Wirksamkeit individualisierter homöopathischer Behandlung irgendwelcher Krankheitszustände beim Tier möglich sind, zumal unterschiedliche Beschwerden und Tierarten betrachtet werden.[B 27]
Die Veröffentlichung von Mathie und Clausen aus dem Jahr 2015 stellt dann die eigentliche Metaanalyse dar, in der untersucht wird, ob ein gemeinsamer Blick auf die Studien eine Überlegenheit der homöopathischen Behandlungen am Tier gegenüber Placebo nachweisen kann.[100] Die Autoren weisen darauf hin, dass sie dies durchführen, obwohl eigentlich von vorneherein feststeht, dass die Analyse nicht aussagekräftig sein kann:
… die niedrige Zahl und Qualität der Studien verhindert alle eindeutigen Schlussfolgerungen in dieser Metaanalyse. [B 28]
Infolge des Ergebnisses der ersten Veröffentlichung von 2014,[70] dass fast alle Arbeiten eine hohe Irrtumswahrscheinlichkeit (Risk of Bias) haben, liegen nun zu wenig hochwertige und zu wenig einheitliche Arbeiten vor, die man für einen aussagekräftigen Review eigentlich bräuchte. Dass sich dann in der Gesamtsicht rein rechnerisch ein sehr geringer Effekt zugunsten der Homöopathie ergibt (= „Hypothese 1“), bewerten sogar Mathie und Clausen selbst gleich aus mehreren Gründen vorsichtig:
Die Ergebnisse unserer Analyse, die einen statistisch signifikanten Effekt (Odds Ratio=1,69) homöopathischer Behandlung ergaben, müssen mit äußerster Vorsicht bewertet werden. (…) Darüber hinaus dürfte ein Odds Ratio von weniger als zwei als ein kleiner klinischer Effekt betrachtet werden. Keine signifikanten Effekte ergaben sich zusammenfassend für individualisierte Behandlung, für nicht individualisierte Behandlung oder für die Therapie vorliegender Erkrankungen (…), was bedeutet, dass obige zaghafte Bestätigung von Hypothese 1 dem wichtigen positiven Einfluss der Studien zur nicht individualisierten homöopathischen Prophylaxe geschuldet ist. Dieser Einfluss aus Ergebnissen klinischer Studien, deren Vorgehensweise bei der Verschreibung unter einigen Homöopathen umstritten gesehen werden könnte, untergräbt die Legitimität positiver Schlussfolgerungen unter Hypothese 1 weiter.[B 29]
Der Haupteinfluss, der die statistische Signifikanz bedingt, kommt also aus den nicht individualisierten Studien zur Prophylaxe – einer Anwendung, die klassische Homöopathen ablehnen.[B 30] Man muss hierbei bedenken, dass genau in dieser Gruppe auch die Arbeit von Camerlink et al. in das Ergebnis der Metaanalyse einfließt, in der durch ein zweifelhaftes statistisches Vorgehen die Höhe des signifikanten Ergebnisses deutlich überschätzt ist. Es gibt also keinen Grund, davon auszugehen, dass das für klassische Homöopathen ohnehin nicht befriedigende Ergebnis der Metaanalyse die Behandlungseffekte unterschätzt.
Auch die dritte Veröffentlichung von Mathie und Clausen kann das Bild für die Homöopathie nicht verbessern.[101] In dieser untersuchen sie die übrigen 20 Arbeiten, die keine Placebokontrollgruppe beinhalten. Stattdessen wird in 18 der Arbeiten mit anders behandelten Gruppen verglichen, in zwei Arbeiten blieb die Kontrollgruppe unbehandelt. Nur eine einzige dieser Arbeiten beschäftigt sich mit individualisierter Homöopathie, in den übrigen 19 kommen nicht-individualisierte Homöopathika zur Anwendung. In 14 Arbeiten werden Behandlungssituationen untersucht, in den übrigen sechs Prophylaxemaßnahmen. Das Fazit, das die beiden Autoren selbst ziehen, zeigt deutlich, dass sich aus der Datenmenge keine Belege einer Wirksamkeit der Homöopathie ziehen lassen:
Die Studien waren hochgradig unterschiedlich und repräsentierten zwölf verschiedene Krankheitsbilder bei sechs verschiedenen Tierarten. (…) Keine Studie hatte hinreichend niedrige Irrtumswahrscheinlichkeit (Risk of Bias), um als zuverlässige Evidenz eingestuft zu werden. (…) Wegen dieser mangelhaften Zuverlässigkeit der durch sie gestellten Daten können die anders als mit Placebo kontrollierten Studien keine brauchbaren Erkenntnisse über eine Wirksamkeit der Tierhomöopathie liefern. [B 31]
Selbst die der Homöopathie gewogene Carstens-Stiftung konnte in ihrer Zusammenfassung der Reviewergebnisse nur das Scheitern eines Nachweises einer Überlegenheit gegenüber Placebo und die insgesamt schlechte Studienlage konstatieren:[4]
Neben der Tatsache, dass ein Großteil der Studien von außerordentlich schlechter Qualität war, fiel auch die unausgewogene Interpretation der Ergebnisse der Studien seitens der Originalautoren ins Auge: Der WHO-Hierarchie entsprechende Hauptzielparameter lieferten in der Meta-Analyse nur in sechs der 18 Studien Ergebnisse, die einen signifikanten Unterschied zwischen Placebo und Homöopathie zugunsten der Homöopathie zeigten (33 %). Dies stand im krassen Gegensatz zu den Schlussfolgerungen der Originalautoren: In elf der analysierten Studien (63 %) haben die Originalautoren Zielparameter mit für die Homöopathie positivem Ergebnis hervorgehoben und konstatierten insgesamt einen positiven Behandlungseffekt. Aufgrund der schlechten Qualität der Originalarbeiten liefert die Meta-Analyse keine verlässlichen Daten. Es gibt keine guten Hinweise, dass eine homöopathische Behandlung bei Tieren einen besseren Behandlungserfolg liefert als eine Placebobehandlung.(…) Insgesamt liefert diese nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin durchgeführte Analyse der kontrollierten und randomisierten klinischen Studien der Veterinärhomöopathie keine schlagkräftigen Argumente zugunsten der Veterinärhomöopathie.
Systematischer Review von Sundrum und Doehring
Caroline Doehring und Albert Sundrum von der Universität Kassel legen mit ihrer Ende 2016 erschienen Übersichtsarbeit[102] den zweiten systematischen Review zur Tierhomöopathie vor. Die Motivation hinter dieser Arbeit ist vor allem die Untersuchung der Aussage, man könne in der Nutztierhaltung den Gebrauch von Antibiotika durch den Einsatz homöopathischer Arzneien einschränken.
Bei ihrer Recherchearbeit legen sie deshalb den Schwerpunkt auf Studien, deren Gegenstand Anwendungsfälle homöopathischer Arzneien in Situationen sind, in denen sie im Falle einer gezielten Wirksamkeit den Einsatz von Antibiotika verhindern würden (also infektiöse Erkrankungen). Sie beschränken die Suche außerdem auf peer-reviewte[B 32] Arbeiten und Dissertationen zur Nutztierhaltung in der Lebensmittelproduktion (Rinder, Schweine und Hühner) sowie auf Haltungsbedingungen, die dem europäischen Standard entsprechen.
Diese Einschlusskriterien erfüllen 48 Veröffentlichungen im Zeitraum von 1981 bis 2014, in denen insgesamt 52 einzelne Studien beschrieben sind. In peer-reviewten Fachjournalen sind 33 dieser Artikel erschienen, in 15 Fällen handelt es sich um Doktorarbeiten.
Zu den untersuchten Anwendungen und der Behandlungsmethode
Wie auch schon bei Mathie und Clausen ist das Hauptergebnis des Reviews die große Heterogenität der Arbeiten. Bei den drei betrachteten Nutztierarten Rinder (34 Einzelstudien), Schweine (12 Einzelstudien) und Hühner (6 Einzelstudien) werden die Homöopathika entweder zur Behandlung verschiedenster Erkrankungen (Mastitis, Atemwegserkrankungen, Durchfall, Fruchtbarkeitsstörungen, zur Verbesserung des Allgemeinbefindens und zur Wachstumsförderung) oder prophylaktisch eingesetzt. Studien werden sowohl unter konventionellen Haltungsbedingungen als auch in ökologisch arbeitenden Betrieben („Bio“) durchgeführt, wobei in über der Hälfte der Arbeiten nicht einmal angegeben wird, um welchen Produktionstyp es sich handelt. In über der Hälfte der Studien kommen nicht klassische Einzelmittel, sondern Komplexmittel zum Einsatz, um Nosoden handelt es sich in insgesamt neun Studien. Sundrum und Doehring finden nur fünf Studien, in denen eine individualisierte homöopathische Anamnese durchgeführt wird, die dann auch zur Anwendung individualisierter Homöopathika führt. In zwei dieser fünf Arbeiten ist die Auswahl anwendbarer Arzneien allerdings vorab eingeschränkt.
Der Review spiegelt hier deutlich wieder, wie unterschiedlich die Homöopathie letztlich angewendet wird und wie wenig diese in der Nutztierhaltung gelebte Praxis mit der Homöopathie Hahnemanns zu tun hat. Die Vielfalt der Vorgehensweisen bedingt dann auch eines der Ergebnisse des Reviews:
Betrachtet man all diese Studien, so findet sich keine Arbeit, die unter denselben Bedingungen reproduziert wurde.[B 33]
Sundrum und Doehring weisen darauf hin, dass das absolute Fehlen reproduzierter Studien eine Auswertung in einem systematischen Review eigentlich ausschließt. Zudem betonen sie, dass selbst positive Studienergebnisse, die unter gewissen Haltungsbedingungen beobachtet werden, nichts über zu erwartende Behandlungserfolge unter anderen Bedingungen aussagen können. Eine Verallgemeinerung einzelner positiver Ergebnisse ist also schon deshalb nicht zulässig.
Zu Studiendesign und Studienqualität
Bei einem Großteil der Studien (79 %, n = 41) handelt es sich um randomisierte Kontrollstudien („RCT“), nur elf Arbeiten sind nicht randomisiert. Von den 41 randomisierten Studien ist allerdings etwa die Hälfte (21) komplett unverblindet, weitere neun Arbeiten sind nur einfach verblindet und nur insgesamt elf Arbeiten sind doppelt verblindet. Auch die Art der Kontrolle variiert sehr stark: nur 42 % der Kontrollgruppen sind Placebogruppen, ein knappes Drittel (31 %) werden mit Antibiotika behandelt; 17 % der Kontrollgruppen sind unbehandelt. Sundrum und Doehring schreiben hierzu:
Wenn es darum geht, eine Alternative zu einer bestehenden Medizin zu finden, ist es notwendig, Versuche mit dem bisherigen Heilmittel, der vorgeschlagenen Alternative und einem Placebo durchzuführen, um aussagekräftige Ergebnisse einzuholen (European Medicines Agency 2001). So wird sichergestellt, dass Tiere die effektivste Therapie erhalten.[B 34]
Diese geforderte Dreiarmigkeit erfüllen viel zu wenige der untersuchten Arbeiten (insgesamt haben nur sechs Veröffentlichungen sowohl eine mit Placebo als auch eine mit Antibiotika behandelte Vergleichsgruppe).
Bei der Bewertung der Zuverlässigkeit der Ergebnisse der Einzelarbeiten legen Sundrum und Doehring Standardkriterien an. Eine Arbeit wird als zuverlässige Evidenz eingestuft, wenn
- sie randomisiert ist,
- mindestens eine Kontrollgruppe vorhanden ist,
- alle Personen, die an Behandlung und Beurteilung beteiligt sind, verblindet sind,
- keine Hinweise auf nur selektive Berichterstattung erkennbar sind,
- es auch keine sonstigen offensichtlichen Mängel in der Arbeit gibt und kein Interessenskonflikt durch direkte oder indirekte Finanzierung durch Arzneimittelhersteller vorliegt.
Gerade dieses letzte Kriterium betrifft zwar etliche Studien, doch zeigt sich letztlich, dass die Arbeiten mit möglichen Interessenskonflikten weniger oft eine Überlegenheit der Homöopathie gegen Placebo vermelden als die Untersuchungen, in denen keine Verbindung zu den Produzenten offengelegt ist.
Eine Schwäche des Reviews ist, dass unbetrachtet bleibt, ob die gemeldeten Ergebnisse in der Designphase der Studie als „primäre Ergebnisse“ definiert worden waren. Oft werden in Studien mehr Messdaten erhoben als das primäre Auswertekriterium und mitunter werden Ergebnisse auch dann als „positiv“ deklariert, wenn zwar das Hauptauswertekriterium keine signifikanten Gruppenunterschiede liefert, ein Zweig der zusätzlich erhobenen Daten aber schon. Hinsichtlich der Statistiken stellen derartige „posthoc-Befunde“ jedoch keine gültigen Nachweise für eine echte Wirksamkeit dar.
Letztlich bewerten Sundrum und Doehring bei insgesamt 13 Veröffentlichungen das Risiko eines Bias[B 35] als wenigstens unklar oder zuverlässig, wobei alle diese 13 Arbeiten in ihrer Übersichtstabelle als „niedriges Bias-Risiko“ geführt werden.
Da nur elf Einzelstudien in neun Veröffentlichungen doppelt verblindet sind, bedeutet die Einschätzung von insgesamt 13 Veröffentlichungen als „niedriges Bias-Risiko“, dass Sundrum und Doehring auch nur einfach verblindete Arbeiten als „zuverlässige Evidenz“ einstufen.[B 36] Da zudem von den neun doppelt verblindeten Veröffentlichungen vier aufgrund anderer Punkte als nicht zuverlässig eingestuft werden, sind letztlich immerhin acht der 13 als zuverlässig eingestuften Veröffentlichungen nur einfach verblindet, darunter auch eine Arbeit von Kayne von 1994, die zudem auch noch als weiteren Mangel eine extrem kleine Stichprobe (nur 20 Tiere in der Studie) untersucht.
Damit beurteilen Sundrum und Doehring die Studienqualität erheblich wohlwollender als Mathie und Clausen, die nur zwei der von ihnen untersuchten Arbeiten ein niedriges Bias-Risiko zugestehen. Von den insgesamt zehn Studien, die in beiden Reviews betrachtet werden, wird die Zuverlässigkeit nur bei vier Veröffentlichungen gleich eingeschätzt, darunter die auch von Mathie und Clausen als zuverlässig eingestuften Arbeiten von Camerlink et al. und von Hektoen et al. In sechs Fällen wird die Aussagekraft der Veröffentlichung durch Sundrum und Doehring höher eingeschätzt.
Ergebnisse und Schlussfolgerung der Autoren
Von den Studien mit Vergleichsgruppe ergeben 26 Arbeiten signifikante Effekte zugunsten der Homöopathie, während 22 Arbeiten keine Hinweise auf medizinische Effekte finden. Hierbei zeigt sich allerdings ein deutlicher Zusammenhang mit dem Studiendesign:
Die randomisierten und doppeltverblindeten Vergleichsstudien vermelden fast genauso oft eine Wirksamkeit (n = 5) der homöopathischen Behandlung wie eine mangelnde Wirksamkeit (n = 6). In einfach verblindeten und überhaupt nicht verblindeten randomisierten Vergleichsstudien hatte die Homöopathie die Tendenz wirksam zu sein. In reinen Beobachtungsstudien oder solchen ohne Randomisierung der Gruppen, war die Wahrscheinlichkeit im Ergebnis Belege einer Wirksamkeit zu liefern, am höchsten.[B 37]
Dieser Rückgang der positiven Effekte bei steigender Aussagekraft der Arbeiten ist übereinstimmendes Ergebnis mehrerer systematischer Reviews zur Homöopathie (u. a. Shang/Egger 2005,[103] Linde 1998[104] oder Linde 1999[105]). Sundrum und Doehring weisen darauf hin, dass dieser Rückgang der Effekte zugunsten der Homöopathie bei steigender Qualität des Studiendesigns andeutet, dass zumindest ein Teil der positiven Ergebnisse durch einen Bias aufgrund bewusster oder unbewusster Vorlieben zustande kommt.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Existenz einzelner, niemals reproduzierter Studien mit signifikanten Effekten zugunsten der Homöopathie keinen ausreichenden Beleg einer Wirksamkeit darstellen kann, da selbst Studien mit hochwertigem Design eine gewisse Fehleranfälligkeit haben: Einzelne Arbeiten anstatt der Ergebnisse systematischer Übersichtsarbeiten als Entscheidungsgrundlage herzunehmen, geht ein höheres Risiko ein, fehlerbehaftete Schlussfolgerungen zu betrachten und von einer Wirksamkeit auszugehen, wo tatsächlich keine vorliegt. Selbst bei einem überzufälligen Unterschied ist nicht gesichert, dass es sich nicht dennoch um ein Zufallsergebnis handelt bzw. dass der Unterschied tatsächlich vom Eingriff verursacht wurde (siehe hierzu Hauptartikel Statistische Signifikanz). Zudem ist eine Verallgemeinerung auf andere Haltungsbedingungen unzulässig.
Sundrum und Doehring äußern als zusätzliche Bedenken bezüglich der Aussagekraft einzelner positiver Ergebnisse homöopathischer Behandlungen im Vergleich zu mit Antibiotika behandelten Vergleichsgruppen. Denn bei der Einschätzung dieser Ergebnisse ...
... muss berücksichtigt werden, dass in den meisten Studien keine Empfindlichkeitstests auf die Resistenzmuster der jeweiligen Bakterien durchgeführt wurden, bevor das Antibiotikum für die Behandlung ausgewählt wurde.[B 38]
Ohne Test, ob das Antibiotikum für die Behandlung der Vergleichsgruppe überhaupt geeignet ist, ist nicht auszuschließen, dass es das zumindest in einigen Fällen nicht ist, was wiederum die Behandlungseffekte in den Antibiotikagruppen im Durchschnitt herabsetzt.
Beide Autoren sehen den Tierschutzgedanken als erste Priorität bei der medizinischen Behandlung von Tieren. Sie vertreten deshalb die Ansicht, es müsse immer die wirksamste Behandlung oder das wirksamste Heilmittel angewendet werden, um unnötiges Leiden des Tieres zu verhindern.
Folglich kann die Homöopathie derzeit nicht behaupten, eine ausreichende prognostische Gültigkeit bei der Wirksamkeit zu haben. (…) Aufgrund fehlender prognostischer Validität kann das Ersetzen oder Reduzieren von Antibiotika mit Homöopathie derzeit nicht empfohlen werden, es sei denn, der Nachweis der Wirksamkeit wird durch RCT reproduziert und in verschiedenen landwirtschaftlichen Praxisbedingungen nachgewiesen.[B 39]
Da die EU-Verordnung 2018/848 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen im Abschnitt 1. 5. 2. „Tierärztliche Behandlung“[63] explizit eine Anwendung der Homöopathie nur dann bevorzugt sehen will, „sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist“, bedeutet dieses Ergebnis, dass diese gesetzliche Voraussetzung durch die Datenlage nicht erfüllt ist.
Presseecho
Mehrere Pressemitteilungen greifen den Review von Sundrum und Doehring auf. Während wissenschaftliche Fachpresse und einige Wissenschaftsredaktionen die Methodik und Schlussfolgerungen der Arbeit in der Sache kritisch und korrekt zusammenfassen,[106][107][108] enthalten Stellungnahmen homöopathischer Verbände teilweise schwerwiegende Falschdarstellungen. So gibt die „Ergänzung“ der ÖGVH (Österreichische Gesellschaft für Veterinärmedizinische Homöopathie) und IAVH (International Association for Veterinary Homeopathy) beispielsweise die Intention der europäischen Gesetzeslage vollkommen falsch wieder, indem die gesetzlich verankerte Forderung, Homöopathika nur dann zu bevorzugen, sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist, unerwähnt bleibt und die Einhaltung dieser sowohl tierschutzrelevanten als gesetzlichen Notwendigkeit als alleiniges Bedürfnis von „Skeptikern“ dargestellt wird.[109]
Review von Zeise und Fritz
Ein Review von Johanna Zeise und Jürgen Fritz[110] aus dem Jahr 2019 konzentrierte sich auf die Ergebnisse der homöopathischen Behandlung von Euterentzündungen (Mastitis) bei Milchkühen. Anders als alle anderen Reviews zum selben Thema kommt diese Übersichtsarbeit zu einem sehr erfreulichen Ergebnis für die Homöopathie:
Die ausgewählten Studien zeigten ein positives Behandlungsergebnis der Homöopathie. Aufgrund der homöopathischen Wirkung und der in den ausgewählten Studien am häufigsten verwendeten Mittel sollte die Medikation entsprechend dem homöopathischen Arzneimittelbild gewählt werden. Mit homöopathischen Arzneimitteln konnte der Einsatz von Antibiotika um bis zu 75 % reduziert werden.[110][B 40]
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass diese von den anderen Reviews so deutlich abweichende Schlussfolgerung nur über eine Vorgehensweise zustande kommt, die in keiner Weise den Kriterien einer rigorosen wissenschaftlichen Untersuchung genügt: Eine Literatursuche hatte zunächst 67 deutsch- und englischsprachige Veröffentlichungen und Dissertationen identifiziert. Duplikate wurden anschließend genauso wie Fallberichte mit einzelnen Tieren ausgemustert. Ebenfalls nicht weiter berücksichtigt wurden „Studien mit wenig Informationen über das Studiendesign oder das homöopathische Mittel“ oder solche, die für die Autoren nicht zugänglich waren. Die genauen Kriterien hierbei werden im Text von Zeise und Fritz nicht angegeben. Insgesamt reduzierte sich die Zahl der Studien, die die Literatursuche ergeben hatte, so auf nunmehr 32.
Welche 32 Arbeiten dies waren, erfährt der Leser des Reviews aber nirgends. Tatsächlich werden nur zwölf Studien auf Basis weiterer Kriterien ausgewählt und weiter betrachtet. Die restlichen 20 werden nicht einmal genannt. Man erfährt über diese Arbeiten gar nichts: keine Methodik, keine Studiengröße, keine Statistik und erst recht keine Ergebnisse. Man kann dies noch nicht einmal selbst nachschlagen, weil die identifizierten Arbeiten ja nicht benannt werden. Es ist also vollkommen unmöglich, dass sich der Leser des Reviews von Zeise und Fritz ein Gesamtbild der Literatur zur Anwendung der Homöopathie bei Mastitis macht. Dies ist bereits ein erster schwerwiegender Mangel des Reviews.
Interessant ist weiter, nach welchen Kriterien Zeise und Fritz diese zwölf Arbeiten bestimmten. Die Studien wurden mit einem Punktesystem bewertet. Die einzelnen Kriterien, bei denen die Studien Punkte sammeln konnten, listen Zeise und Fritz in zwei Tabellen. Tabelle 1 enthält Standardkriterien zur Studienqualität, wie zum Beispiel Verblindung und Randomisierung. Zeise und Fritz ergänzen diese aber um weitere Bewertungskriterien wie die Information zur eingesetzten Homöopathie oder die Anzahl der Erfolgskriterien in den jeweiligen Studien. Dieses Vorgehen gewährleistet nicht mehr, dass die Einzelstudien mit der wissenschaftlich rigorosesten Vorgehensweise bzw. einem niedrigen Biasrisiko die beste Punktezahl erhalten: Zeise und Fritz machen in ihrer Bewertung keinen Unterschied, welche Kriterien von einer Studie erfüllt werden. Demzufolge erhält beispielsweise eine dreifach verblindete Studie (5 Punkte), in der keine Angaben zu den gewählten Mitteln und deren Potenz enthalten sind (0 Punkte) genauso viele Punkte wie eine unverblindete Studie (0 Punkte), in der alle Angaben zu den gewählten Mitteln und deren Potenz enthalten sind (5 Punkte). Auf diese Weise werden methodisch minderwertige Studien gleichwertig wie hochwertige und aussagekräftige Arbeiten bewertet, wenn sie nur mehr Angaben zu den Homöopathika enthalten. Dieses Vorgehen ist wissenschaftlich deswegen alles andere als sinnvoll.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass dieses Vorgehen auch aus Sicht der Homöopathie keinen Sinn ergibt: Zwar gilt es in Studien als Qualitätskriterium, wenn diese Angaben zu den eingesetzten Medikamenten enthalten. Erst eine Dokumentation des Vorgehens macht es Kollegen möglich, die vorgestellte Therapie selbst durchzuführen. Ohne eine saubere Dokumentation ist also weder eine Replikation der Studie noch eine Anwendung in der Praxis möglich. Doch darf hierbei nicht vergessen werden, dass dies gerade im Falle individuell nach dem Arzneimittelbild ausgewählter Homöopathika genau dafür eigentlich überhaupt nicht ausreicht: Zur Handlungsempfehlung bei der Mittelwahl im homöopathischen Sinne hätten eigentlich auch die jeweils individuellen Symptome, die zu dieser Wahl führten, dokumentiert werden müssen. Dies war allerdings kein Bewertungskriterium, was die Bewertung eines für sich allein genommenen eigentlich nutzlosen Teils der notwendigen Information ad absurdum führt: Die Angabe der eingesetzten Homöopathika allein ist gerade unter Beachtung der in der homöopathischen Lehre postulierten Individualität keine ausreichende Dokumentation der Vorgehensweise und daher ein sinnfreies Bewertungskriterium.
Ein aus wissenschaftlicher Sicht schwerwiegender Mangel des Reviews ist, dass selbst diese verzerrenden Qualitätskriterien bei der eigentlichen Auswahl der zwölf Studien durch Zeise und Fritz kaum eine Rolle spielten. Sie sollten lediglich den Ausschlag geben, wenn mehrere Arbeiten bei dem eigentlichen Auswahlsystem die gleiche Bewertung erhalten hatten. Dieses erfolgte über die Punkte, die die Studien in den Kriterien der Tabelle 2 von Zeise und Fritz sammelten. In dieser Tabelle wurden der „Heilungs- und der Präventionserfolg“ der Homöopathie in den Studien bewertet – also wie deutlich der Erfolg der Homöopathie in den jeweiligen Studien war. Hier bestimmte also ganz offen das Ergebnis der Studien als zentrales Kriterium die Auswahl der von Zeise und Fritz überhaupt namentlich genannten Studien:
Die acht besten Studien des Qualitätsrankings der Tabelle 2 mit einem Mittelwert ≥ 2,5 wurden einer differenzierten Bewertung im Detail unterzogen (...). Hatten mehrere Studien den gleichen Mittelwert, war der höhere Mittelwert aller Bewertungskriterien (Tabelle 1 und 2) entscheidend.[110][B 41]
Mit anderen Worten: die wissenschaftlich üblichen Bewertungskriterien (wie die Frage nach Verblindung oder Randomisierung) lieferten nur einen Teil des Gesamtwertes, den eine Studie in Tabelle 1 erreichen konnte. Selbst dieser aus wissenschaftlicher Sicht bereits verzerrende Gesamtwert aus Tabelle 1 wurde nur dann überhaupt berücksichtigt, wenn die Studie mit einer oder mehreren anderen nach den Bewertungskriterien für den Erfolg der Homöopathie in Tabelle 2 gleichauf lag. Mit einer Studienselektion nach wissenschaftlich rigorosen Kriterien hat dies nichts mehr zu tun. Vielmehr handelt es sich um ein Lehrstück, wie man über verwirrendes Aufstellen zweier Tabellen voller Bewertungskriterien intransparent macht, wie wenig bei dieser Studienauswahl noch wissenschaftliche Gesichtspunkte wie Randomisierung oder Mehrfachverblindung eine Rolle spielen. Nur vorteilhafte Ergebnisse zu betrachten und unliebsame Ergebnisse zu ignorieren, liefert keine wissenschaftlich zuverlässige Einschätzung eines Verfahrens, sondern muss ein Verfahren fast unvermeidlich überbewerten. Dieser Fehler ist im Englischen als „Selection bias“ bekannt.[111][112]
Selbst dabei bleibt es jedoch nicht, denn ein Drittel der 12 im Detail ausgewerteten Studien selektieren Zeise und Fritz nachträglich hinzu. Sie geben an, dass die Liste der zwölf „besten“ Studien auf folgende Weise zustande kam:
- die acht besten Studien nach Tabelle 2, also diejenigen, die den größten „Heilungserfolg“ bzw. die „erfolgreichste Vorbeugung“ zeigten
- eine weitere Studie, die zwar insgesamt nicht zu den Top-Studien der Tabelle 2 zählte, aber eine extrem hohe Heilungsrate in der Homöopathiegruppe ergab
- drei weitere Studien, weil dort die Vergleichsgruppe Antibiotika erhielt. Von den Studien mit einer Antibiotikagruppe hatten über den homöopathischen Heilungserfolg zu wenige ausreichend Punkte sammeln können, um sich direkt für die Liste zu qualifizieren.
An einem einfachen Beispiel sei veranschaulicht, wie sehr man mit einer solchen Vorgehensweise das Ergebnis in jede gewünschte Richtung verzerren kann: Schalke 04 stieg 2021 mit nur 16 Punkten nach 34 Spieltagen aus der Bundesliga ab. Wählen wir jedoch die besten zehn Ergebnisse des Vereins (drei Siege, sieben Unentschieden) und nominieren manuell zwei weitere Ergebnisse (notgedrungen Niederlagen) hinzu, so kommt Schalke in dieser Auswahl von 12 Spieltagen auf nur zwei Niederlagen – nur halb so viele, wie der Deutsche Meister, FC Bayern, im Laufe der Saison hinnehmen musste. Es kann also bei Betrachtung (nur) dieser Fakten niemand sagen, Schalke habe nicht mindestens ebenso wirkungsvoll aufgespielt.[113]
An dieser Stelle muss man natürlich die Frage aufwerfen, inwiefern die unwissenschaftliche Vorgehensweise bei der Auswahl der Einzelstudien denn nun tatsächlich zu einer Einordnung vieler Arbeiten mit einem hohen Biasrisiko in die Liste der zwölf „besten“ Studien geführt hat. Diese zwölf Arbeiten seien deshalb hier kurz genannt:
Studie | Kurzbeschreibung |
Day (1986)[114] | In der Veröffentlichung werden insgesamt drei Studien beschrieben, von denen zwei die vorbeugende Behandlung der Mastitis betrachten. In einem Falle wurde mit Placebo verglichen (einfach verblindet), im anderen Fall war die Vergleichsgruppe unbehandelt und die Studie deswegen unverblindet. Bei beiden Untersuchungen gingen während der betrachteten Zeiträume die Mastitisraten zurück. Ein Vergleich mit Antibiotika fand nicht statt. Der Autor räumt selbst ein, dass er nur einen Bericht über selbst durchgeführte „Pilotstudien“ mit statistisch geringer Aussagekraft vorlegt.[B 42] Sundrum und Doehring[102] listen die Arbeit in ihrem Review ebenfalls als zwei getrennte Untersuchungen auf und weisen neben der unzureichenden Verblindung auf eine ungleichmäßige Verteilung der Tiere in den Gruppen hin. Mathie und Clausen[70] werten die Arbeit nicht aus. |
Searcy (1995)[115] | Die Studie war unverblindet und mit nur je 13 Tieren in Homöopathie- und Placebogruppe zudem sehr klein. Auf der Ebene der Euterviertel[B 43] traten in der Homöopathiegruppe signifikant weniger Mastitisfälle auf als in der Placebogruppe, während die Milchproduktion vergeichbar war. Ein Vergleich mit Antibiotika fand nicht statt. Sowohl Mathie und Clausen[70] wie auch Sundrum und Doehring[102] ordnen der Arbeit ein hohes Biasrisiko zu. |
Merck (2004)[91] | An einer etwa 300 Tiere umfassenden Herde wurde die homöopathische Mastitisbehandlung im Rahmen einer placebo-kontrollierten Doppelblindstudie untersucht. In einem ersten Versuchsabschnitt versuchte man auf dem Hof nahezu vollständig auf Antibiotika verzichten. Diese Phase musste wegen unbefriedigender Ergebnisse abgebrochen werden. In einem zweiten Versuchsabschnitt verpflichtete man den „Tierhalter zur Durchführung und Sicherung dringend erforderlicher Präventivmaßnahmen“ und setzte auf einen begrenzten Einsatz von Antibiotika. Über beide Versuchsabschnitte unterschieden sich für Homöopathie und Placebo „die ermittelten Behandlungsergebnisse nur unwesentlich voneinander“. Nur einzelne Werte erreichten Signifikanz. Die Autoren sahen insgesamt keinen erfolgreichen Wirksamkeitsnachweis der eingesetzten Kombination homöopathischer Präparate bei der Behandlung klinischer Mastitiden in ihren Ergebnissen.[B 44] Ein Vergleich mit Antibiotika fand nicht statt. Die deutschsprachige Untersuchung der Freien Universität Berlin ist weder in den Review von Sundrum und Doehring noch in den von Mathie und Clausen eingeflossen. |
Varshney und Naresh (2005)[116] | Die Studie vergleicht die Ergebnisse eines homöopathischen Kombinationspräparates mit denen einer Antibiotikabehandlung. Die Gruppen bestehen aus jeweils 96 erkrankten Eutervierteln. Die Autoren berichten, dass sich von den homöopathisch behandelten Eutervierteln 86,6 % nach im Schnitt 7,7 Tagen erholten, während dies unter Antibiotika 59,2 % nach durchschnittlich 4,5 Tagen waren.
Pamela Ruegg[117] stuft diese Studie aus gleich mehreren Gründen als kritisch ein: Es fehlte eine unbehandelte Kontrollgruppe, was deshalb problematisch ist, weil die ursächlichen Keime nicht bestimmt wurden. Zudem habe die Vergleichsgruppe aus historischen Antibiotikabehandlungen bestanden, sei also nicht direkt parallel erfolgt. Dieses Vorgehen wird allgemein als problematisch angesehen, weil es leicht zu Verfälschungen zugunsten des getesteten Präparates führen kann.[118] Einen weiteren Biasfaktor erwähnen auch Francoz et al.[90] in ihrem Review von 2017: Die Ergebnisse dieser Arbeit dürften stark verzerrt gewesen sein, weil die Daten der Tiere, die nicht sehr zeitnah (innerhalb von 5 Tagen) Besserungen unter homöopathischer Behandlung zeigten, aus der Studie entfernt wurden.[B 45] |
Werner (2006)[119] | Es handelt sich um eine Dissertation an der Universität Leipzig. Insgesamt 136 Milchkühe aus vier Herden wurden randomisiert und nur einfach verblindet auf drei Behandlungsgruppen (Homöopathie, Antibiotikum, unbehandelte Kontrolle) verteilt. Die Kühe wurden mehrmals nach der Erstinfektion untersucht (an den Tagen 0 (also dem Tag der Erstinfektion selbst), 1, 2, 7, 14, 28 und 56), wobei jeweils sowohl die Symptome als auch bakteriologische Befunde erhoben wurden, um die Genesungsraten entsprechend verschiedener Definitionen zu bestimmen. In einzelnen, aber nicht allen dieser vielen Ergebnisse war die homöopathischen Behandlung vergleichbar mit der mit Antibiotika und besser als Placebogabe.[B 46] Über alle Behandlungsgruppen und unabhängig von dem bakteriologischen Status lag die Gesamtheilungsrate jedoch auf einem niedrigen Niveau. Die zugehörige englischsprachige Veröffentlichung derselben Untersuchung von 2010[80] wurde von Mathie und Clausen[70] wegen unzureichender (Einfach-)Verblindung als nicht aussagekräftig eingestuft. Sundrum und Doehring[102] bewerten die Arbeit dagegen besser. Dem Volltext der Arbeit[119] ist zu entnehmen, dass die bei dieser Vorgehensweise eigentlich erforderliche Korrektur für Probleme durch multiples Testen nicht durchgeführt wurde.[B 47] Auch das Procedere beim Gruppenwechsel bei Nichterfolg der jeweiligen Behandlung kann zu einer Verfälschung der Ergebnisse geführt haben.[B 48] |
Klocke (2007)[120] | 124 Tiere wurden auf fünf Gruppen verteilt, von denen eine unbehandelt blieb. Zwei Gruppen erhielten verschiedende homöopathische Behandlungen (feste Kombination bestimmter Mittel einerseits, eine Nosode andererseits), denen randomisiert und doppeltverblindet jeweils eine Placebogruppe zugeordnet war. Ein Vergleich mit Antibiotika fand nicht statt. Die Autoren fanden keinen signifikanten Unterschied zwischen Homöopathie und Placebo.[B 49] |
Klocke (2010)[121] | 102 Tiere wurden auf drei Gruppen randomisiert. 34 Tiere bildeten eine unbehandelte Kontrollgruppe. 36 Tiere erhielten ein als „antibiotikafreier Euterschutz“ angebotenes Präparat der Firma Pfizer, das den Zitzenkanal beim Trockenstellen schnell verschließen soll.[122] Die verbliebenen 32 Tiere wurden mit einer festen Kombination zweier Homöopathika in D6 behandelt. In den ersten 100 Tagen lag die Inzidenzrate für Mastitis in der unbehandelten Gruppe mit 3 % niedriger als in der Gruppe mit Zitzenversiegelung (11 %) und der Homöopathiegruppe (9 %). Es gab keine signifikanten Unterschiede in der somatischen Zellzahl unter 100.000/ml. Lediglich bei den Eutern, die Keimzahlen von bis zu 200.000/ml aufwiesen, zeigte sich ein signifikanter Vorteil in der Homöopathiegruppe. Ein Vergleich mit Antibiotika fand nicht statt. Die dreiarmige Studie war unverblindet. Sundrum und Doehring[102] weisen ihr deswegen ein hohes Biasrisiko zu. |
Ebert (2016)[123] | Die mehrfach verblindete, randomisierte und placebokontrollierte Studie zur homöopathischen Behandlung von Mastitis umfasste 162 Tiere (Homöopathika: n = 70, Placebo: n = 92). In beiden Behandlungsgruppen wurde auf Antibiotikagabe gewechselt, wenn dies aufgrund der Symptome notwendig wurde. Die Autoren fanden keine signifikanten Unterschiede zwischen Placebo- und Homöopathiegruppe in der klinischen Heilungsrate, der Krankheitsdauer, der Milchleistung, der Anzahl der Keime nach Genesung oder der Häufigkeit, mit der dann doch noch auf Antibiotika zurückgegriffen werden musste.[B 50] Ein Vergleich mit Antibiotika fand nicht statt. Da die Studie erst 2017 veröffentlicht wurde, ist sie weder in den Review von Sundrum und Doehring, noch in den von Mathie und Clausen eingeflossen. |
Otto (1982)[124] | Die 40 Jahre alte Studie wurde von Zeise und Fritz gezielt in die Studienauswahl aufgenommen, weil sie einen besonders positiven Einzelwert zugunsten der Homöopathie enthielt.[B 51] Wegen des hohen Alters findet sich online nicht einmal eine Ergebniszusammenfassung („Abstract“). Die Studie ist weder im Review von Mathie und Clausen noch im Review von Sundrum und Doehring in der jeweiligen Literatursuche als peer-reviewt veröffentlichte klinische Studie („RCT“) identifiziert worden, obwohl beide Reviews den Zeitraum bis zurück ins Jahr 1982 abdeckten. Zu ihrer Aussagekraft kann daher nichts gesagt werden. |
Garbe (2003)[125] | Die Studie wurde von Zeise und Fritz gezielt zusätzlich ausgewählt, um weitere Studien mit Antibiotikabehandlung in ihrer Liste zu haben. Die Dissertation an der Freien Universität Berlin besteht aus zwei getrennten Untersuchungsabschnitten, die in einem anthroposophisch bewirtschafteten Hof mit etwa 300 Kühen durchgeführt wurden. Zum Einsatz kamen vier verschiedene homöopathische Kombinationspräparate. Placebokontrolliert war hierbei nur der erste Versuchsabschnitt, in dem die Prophylaxewirkung getestet wurde. Bei der Mastitistherapie wurde mit den Ergebnissen der am Hof üblichen Antibiotikabehandlung verglichen. Die Ergebnisse waren durchwachsen.[B 52] Auch Sundrum und Doehring[102] weisen in ihrem Review darauf hin, dass viele Ergebnisse dieser Arbeit keinen Nutzen der Homöopathie aufzeigen. Zudem sprechen sie dem nicht placebokontrollierten Vergleich zwischen Homöopathie und Antibiose ein hohes Biasrisiko zu.[102] |
Mueller (2003)[126] | Die Studie wurde von Zeise und Fritz gezielt zusätzlich ausgewählt, um weitere Studien mit Antibiotikabehandlung in ihrer Liste zu haben. Eine kurze Beschreibung der Dissertation findet sich im Protokoll der British Mastitis Conference (2004).[127] 80 Milchkühe mit klinischer Mastitis erhielten randomisiert und verblindet entweder eine antibiotische oder eine homöopathische Behandlung. Es wurde keine individuelle Mittelwahl im Sinne der klassischen Homöopathie eingesetzt, sondern eine standardisierte Kombination mehrerer Hochpotenzen, die bereits vorher in der Literatur beschrieben worden war. Die Ergebnisse waren durchwachsen: Nach 14 Melkungen gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Behandlungen in Bezug auf die klinische Heilung. Bei der Homöopathie war aber die Wahrscheinlichkeit, eine bakteriologische Heilung zu erreichen, deutlich geringer im Vergleich zur Antibiose. Die Studie war nicht placebokontrolliert. Im Text wird daraufhingewiesen, dass ohne Placebogruppe der Beitrag der natürlicher Ausheilung zu den beobachteten Genesungsraten nicht beurteilt werden kann. |
Hektoen et al. (2004)[79] | Die Studie wurde von Zeise und Fritz gezielt zusätzlich ausgewählt, um weitere Studien mit Antibiotikabehandlung in ihrer Liste zu haben. Es handelt sich um eine dreiarmige Studie (Homöopathie, Placebo, Antibiotika), der von Mathie und Clausen[70] als einzige ein niedriges Biasrisiko zuerkannt wurde. Auch Sundrum und Doehring sprechen ihr ein niedriges Biasrisiko zu.[102] In der Arbeit zeigten sich keine signifikanten Effekte zugunsten der Homöopathie. |
Unter den acht Studien, die sich über den „Heilerfolg der Homöopathie“ in die Bestenliste von Zeise und Fritz qualifizieren, findet sich keine, die, wenn sie in Systematische Reviews eingeflossen ist, von allen Autoren dieser Reviews mit einem niedrigen Biasrisiko bewertet wurde. Den meisten (fünf Einzelstudien) wurden von den Autoren eines oder mehrerer Systematischer Reviews begründet ein hohes Biasrisiko zugeordnet. Zwei Arbeiten – eine deutschsprachige Dissertation und ein Kongressbeitrag – wurden in keinem Review näher betrachtet. Die letzte Studie ist zu neu, um in einen der Reviews eingeflossen zu sein. Diese fand allerdings auch keine für die Homöopathie positiven Ergebnisse.
Bezeichnend ist, dass die einzige Studie zur homöopathischen Behandlung von Mastitis, die übereinstimmend von allen Vorgängerreviews als hochwertig und mit niedrigem Biasrisiko bewertet worden war (die Arbeit von Hektoen), sich nicht unter den Studien befindet, die sich über die Kriterien von Zeise und Fritz in die Liste der „besten Studien“ qualifizieren konnten. Hektoen et al. (2004) war eine der nachnomminierten Arbeiten, die man zu den acht direkt ermittelten hinzufügte, um mehr Studien mit einer Antibiotikagruppe untersuchen zu können. Wenn man bedenkt, dass es in Tabelle 2 jeweils fünf Punkte als Bewertung gab für Kriterien wie „Homöopathie besser als Antibiotika“ oder „Homöopathie erreichte 60 % Heilungsrate“, dann sagt es allein schon sehr viel über die tatsächlichen Sachverhalte aus, wenn einzelne Studien mit Antibiotikavergleich nachträglich handverlesen in die „Bestenliste“ aufgenommen werden mussten, weil sie über diese Kriterien zu wenig Punkte gesammelt hatten. Wie sehr bei dieser willkürlichen Ergänzung von vier weiteren Studien Rosinenpickerei betrieben wurde, zeigt sich deutlich an der 1982 erschienenen Studie von Otto. Diese wurde explizit …
… wegen ihrer sehr guten homöopathischen Heilungsrate von mehr als 80 % als weitere Referenz zum Vergleich herangezogen.[110][B 53]
Es müsste eigentlich für Homöopathen ernüchternd sein, dass sich trotz der verzerrenden Auswahlkriterien nicht einmal durchgehend Studien mit signifikanten Gesamtergebnissen zugunsten der Homöopathie in der Liste von Zeise und Fritz befinden. So enthält beispielsweise die Arbeit von Merck (2004)[91] zwar auch positive Einzelwerte, insgesamt sehen die Autoren aber „keinen Wirksamkeitsnachweis in der Behandlung klinischer Mastitiden der eingesetzten Homöopathika“. Auch die Studien von Klocke (2007)[120] und Ebert (2016)[87] finden keine signifikanten Unterschiede zwischen Homöopathie und Placebo: Wenn schon solch für die Homöopathie unbefriedigende Ergebnisse zu den besten „Heilerfolgen“ zählen, ist nicht davon auszugehen, dass sich in den ungefähr 20 komplett ungenannten Arbeiten bessere gefunden hätten.
Der scheinbare Widerspruch, wie es sein kann, dass eine über die „homöopathischen Heilerfolge“ zusammengestellte Liste Arbeiten enthalten kann, die im Gesamtergebnis gar keine Wirksamkeitsnachweise vermelden, löst sich dadurch auf, dass die Studienliste von Zeise und Fritz etliche Dissertationen enthält. Diese stellen oft eine Zusammenfassung vieler unterschiedlicher Untersuchungen über den gesamten Promotionszeitraum dar. Nicht wenige listen entsprechende Ergebnistabellen über viele Seiten. Unter einer solchen Fülle von erhobenen Vergleichen finden sich dann oft auch einzelne für die Homöopathie positive Ergebnisse. Genau diese Werte finden sich dann im Review von Zeise und Fritz zitiert, während andere Werte – oder sogar das Gesamtfazit der Originalautoren – ignoriert werden. Man hat also nicht nur bei der Wahl der Studien zusammensortiert, was ins gewünschte Bild passte. Dasselbe passierte zusätzlich noch bei der Auswahl der genannten Ergebnisse innerhalb dieser Arbeiten.
Als ein besonders deutliches Beispiel für diese gezielte Selektion gewünschter Ergebnisse sei die Erwähnung der Studie von Merck et al. von 2004[91] durch Zeise und Fritz genannt:
Bei der kombinierten Anwendung von Homöopathie und Antibiotika konnte der Antibiotikaeinsatz um bis zu 75 % reduziert werden (Merck 2004). Dies wurde durch den Einsatz von Homöopathie oder einer Kombination aus Homöopathie und Antibiotika bei Bedarf erreicht.[110][B 54]
Dies liest sich in der Originalveröffentlichung von Merck et al. ganz anders. Im Versuchsabschnitt, auf den sich das Zitat von Zeise und Fritz bezieht, behandelte man eine aufgetretene Mastitis zunächst mit einer festen Kombination von Homöopathika oder (randomisiert und verblindet) mit Placebo. Merck et al. setzten jedoch auf Antibiotika, falls nach bis zu drei Tagen unter homöopathischer Behandlung keine Besserung eintrat „und/oder wenn ein spezifischer bakterieller Befund“ vorlag: Man setzte also auf …
… ein modifiziertes Therapiekonzept, das einen zusätzlichen, jedoch begrenzten Einsatz von Antibiotika vorsah und gleichzeitig den Tierhalter zur Durchführung und Sicherung dringend erforderlicher Präventivmaßnahmen verpflichtete.
Es wird in der Originalarbeit deutlich gemacht, dass man diese Maßnahmen für unverzichtbar hielt, um die mastitisbegünstigenden und abwehrschwächenden Faktoren im Umfeld der Tiere schrittweise nachhaltig zu eliminieren. Man hatte den Versuchsabschnitt sogar nur begonnen, nachdem die Betriebsleitung die Einhaltung der geforderten Maßnahmen zugesagt hatte:
Die Zusage bezieht sich u. a. auf nachfolgend aufgeführte investive Maßnahmen:
- Neugestaltung des Abkalbebereiches
- Investitionen im Bereich der Melkanlage
- Verbesserung und Sicherung des qualitativen und quantitativen Futterangebotes
- Sicherung einer ausreichenden Einstreu
- Maßnahmen zur Verbesserung des Stallklimas
- Schaffung schattenspendender Möglichkeiten auf der Weide[91]
Und:
Die Untersuchungen (…) bestätigen die immer noch zu wenig ernst genommene Erkenntnis, dass ein Therapieerfolg immer in Abhängigkeit zur Eutergesundheit einer Herde und seinem Umfeld steht. (…) Deshalb steht in der Bekämpfung des Mastitisgeschehens nicht die Therapie, sondern die Prophylaxe an erster Stelle.[91]
Bezüglich des Vergleichs der Ergebnisse von Homöopathika und Placebogruppe schreiben Merck et al. jedoch:
Die Auswertung der Ergebnisse hinsichtlich der Wirksamkeit der eingesetzten Homöopathika in der Behandlung klinischer Mastitiden ergab für beide Versuchsabschnitte bei einem Vergleich aller in beiden Versuchsgruppen ermittelten Heilungsraten keinen Wirksamkeitsnachweis in der Behandlung klinischer Mastitiden der eingesetzten Homöopathika.[91]
An dieser Stelle zeigt sich die Gefährlichkeit einer solch verzerrenden Berichterstattung wie im Review von Zeise und Fritz für das Tierwohl: Während es völlig korrekt ist, dass sich die Menge der auf dem Hof eingesetzten Antibiotika im Verlauf der Untersuchung von Merck um 75 % verringerte, erfährt der Leser von Zeise und Fritz nichts von den Präventivmaßnahmen, die von den Originalautoren als wesentlich dafür eingestuft wurden. Die Erfolge werden in irreführender Weise der Homöopathie zugeschrieben. Dass sich die Ergebnisse bei Merck et al. zwischen Placebo und Homöopathika meist „nur unwesentlich voneinander unterscheiden“[91] und ein Nachweis einer spezifischen Wirksamkeit daher in dieser Arbeit nicht erbracht wurde, lassen Zeise und Fritz ebenfalls in ihrem Review weg. Das Augenmerk des Lesers wird durch den Review also sogar von den als wichtig beurteilten Präventivmaßnahmen weggelenkt.
Abschließend sei noch ein weiterer Punkt analysiert, den Zeise und Fritz als Ergebnis ihres Reviews angeben: Sowohl in ihrer Diskussion als auch in der oben zitierten Zusammenfassung betonen die beiden Autoren, wie gut es doch das Ähnlichkeitsprinzip von Hahnemann belege, dass in acht der namentlich genannten Studien dieselben Homöopathika verwendet worden wären, deren Arzneimittelbild zur Mastitis passe.[B 55] Tatsächlich setzten mehrere Studien die Homöopathika in keiner Weise individuell gewählt ein, sondern gaben allen Tieren dieselbe oder wenige verschiedene Kombinationen mehrerer Homöopathika gleichzeitig. Gegen eine solche Vorgehensweise hätte Hahnemann heftig gewettert. Das gilt auch für die ebenfalls in mehreren Studien eingesetzte Nosode, die Zeise und Fritz hier aber nicht erwähnen. Die zwei Monate nach dem Ende des Zeitraums für die Literatursuche von Zeise und Fritz veröffentlichte Studie von Keller[88] setzte dagegen wirklich auf individuelle Mittelwahl. Alle vier Mittel, die Zeise und Fritz im Zusammenhang mit der angeblichen Bestätigung des Ähnlichkeitsprinzips anführen (Belladonna, Bryonia, Lachesis und Phytolacca) kamen auch in dieser Studie zum Einsatz – und man fand keine Unterschiede zu Placebo.
Darüberhinaus ist es grundsätzlich ein Fehlschluss, allein der Einsatz derselben Mittel in mehreren Studien könne eine Bestätigung des Ähnlichkeitsprinzips sein: In keiner der Studien fand eine Untersuchung statt, welchen Einfluss es auf die Ergebnisse hat, wenn man ganz andere Homöopathika einsetzt. Ein Beleg für das Ähnlichkeitsprinzip hätte sich nur dann ergeben, wenn Homöopathika – individuell und einzeln verordnet – reproduzierbar dieselben signifikanten Ergebnisse geliefert hätten, während randomisiert und verblindet andere Homöopathika dies nicht erzielt hätten. Weder führte wenigstens eine der von Zeise und Fritz betrachteten Arbeiten diesen Test überhaupt aus, noch waren die Ergebnisse durchgehend positiv für die Homöopathie. Die Schlussfolgerung von Zeise und Fritz ist deshalb ungerechtfertigt und nicht durch die Daten abgedeckt.
Fazit: Es kann nicht erstaunen, dass man mit einer handverlesenen Studienauswahl, die man über das Kriterium zusammenstellt, dass die Homöopathie in den Arbeiten gut abgeschnitten hat, recht positiv klingende Ergebnisse nennen kann. Besonders, wenn man selbst in diesen Arbeiten nur Ergebnisse anführt, die ins gewünschte Bild passen, während man alles andere einfach unter den Tisch fallen lässt. Mit einer wissenschaftlichen, rigorosen Untersuchung aller Ergebnisse hat ein solches Vorgehen jedoch nichts mehr zu tun.
Es sei am Rande erwähnt, dass der Co-Autor Dr. Jürgen Fritz am ursprünglich durch Stiftungen von anthroposophischen Firmen eingerichteten anthroposophischen Lehrstuhl der Universität Kassel Lehrveranstaltungen zur Landwirtschaft gemäß dieser esoterischen Lehre[128][129][130][131] nach Rudolf Steiner hält, meist als „biologisch-dynamische Landwirtschaft“ bezeichnet.[B 56] Das Eindringen esoterischen Gedankenguts in den Hochschulbetrieb durch diesen Lehrstuhl war wiederholt Gegenstand heftiger Kritik, beispielsweise durch den Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.[132][B 57] Kritische Artikel erschienen über die Jahre hinweg auch in Der Spiegel[133] und anderen Medien.[134] Es ist also durchaus möglich, dass die Mängel in der Vorgehensweise im vorliegenden Review der allgemein fehlenden Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie geschuldet sind,[130][128] so dass den Autoren hier gar kein persönlicher Interessenskonflikt unterstellt werden soll. Dennoch profitiert die Anthroposophie als zweite „besondere Therapierichtung“ von denselben gesetzlichen Sonderregelungen im Arzneimittelgesetz wie die Homöopathie. Ein Streichen dieser Bevorzugungen könnte für die anthroposophische Medizin entsprechend einen Ansehensverlust verursachen, den Anthroposophen, die ihre Lehre außerdem in Landwirtschaft (biologisch-dynamische Landwirtschaft) und Pädagogik (Waldorfschulen) zu etablieren suchen, gerne vermeiden würden. Aus anthroposophischer Sicht kann es daher nur von Vorteil sein, wenn sich die Diskussion um die gesetzlichen Sonderregelungen auf die Homöopathie konzentriert. Eine grundsätzliche Motivation für Vertreter der Anthroposophie, der Homöopathie mit erfreulich klingenden Ergebnissen eine Art „Schützenhilfe“ gegen die wissenschaftliche Evidenz für den Placebocharakter der Homöopathika zur Hand zu geben, ist daher bei dieser Konstellation nicht von der Hand zu weisen.
Artikel im Schweizer Archiv für Tierheilkunde
Im Oktober 2020 erschien im Schweizer Archiv für Tierheilkunde (SAT), einer Fachzeitschrift für Tierärztinnen und Tierärzte, der Artikel Evidenzbasierte Veterinär-/Homöopathie und ihre mögliche Bedeutung für die Bekämpfung der Antibiotikaresistenzproblematik – ein Überblick,[5] den Homöopathen als narrativen Review einstufen. In ihrem Text kommen die vier als Autoren zeichnenden Homöopathen zu dem Ergebnis, dass sowohl bei Human- als auch Veterinärhomöopathie gute Evidenz für eine Wirksamkeit vorläge; besonders bei individualisierter Homöopathie sei dies „auf allen Qualitätsstufen nach Cochrane-Kriterien erkennbar“. Anderslautende Ergebnisse und Stellungnahmen zur Homöopathie seien nicht durch „wissenschaftliche Redlichkeit, sondern eine (…) grundsätzliche Ablehnung der Homöopathie“ zustande gekommen. Sie sehen entsprechend ein Potential der Homöopathie bei der Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung.
Zu diesem Ergebnis führt jedoch nur eine ganze Reihe von Auslassungen und Falschdarstellungen. Dies zeigt ein umfassender Vergleich der Aussagen im Schweizer Archiv für Tierheilkunde (SAT) mit den Texten der Originalstudien, auf die sich die vier Autoren beziehen. Die Vielzahl der notwendigen Kritikpunkte sprengt den Rahmen des vorliegenden Artikels.
⇒ Siehe hierzu die ausführliche Analyse im Hauptartikel Evidenzbasierte Homöopathie nach Weiermayer et al.
Fazit
Placebokontrollierte Studien liefern keine Belege, dass homöopathische Behandlungen bei Tieren einen besseren Behandlungserfolg erzielen als Placebobehandlungen.
Insgesamt bedeutet dieses Ergebnis, dass die Forderung der EU-Verordnung 2018/848, Abschnitt 1. 5. 2. „Tierärztliche Behandlung“,[63] dass homöopathische Erzeugnisse nur dann einer medizinischen Behandlung vorzuziehen sind, sofern sie tatsächlich eine therapeutische Wirksamkeit auf die betreffende Tierart und die zu behandelnde Krankheit haben, für kein Krankheitsbild und keine Tierart erfüllt ist.
Finanzielle Aspekte
Tierhomöopathie als Einnahmequelle: Buchmarkt und Schulungsveranstaltungen
Die Tierhomöopathie hat sich als Themenkreis etabliert, der einen lukrativen Markt für Ratgeberliteratur und Schulungsangebote erschließt.
Literatur
Da Tierhomöopathie sehr häufig von medizinischen Laien betrieben wird, besteht eine große Nachfrage nach Praxisleitfäden. Der Markt kommt dem mit vielfältigen Buchtiteln nach. Im Angebot sind sowohl allgemein gehaltene „Heilfibeln“ oder „Praxisbücher“ als auch tierartspezifische Ratgeber, zum Beispiel für Hunde, Katzen, Pferde, Kühe oder Schafe. Dabei deckt die Palette alles ab, was der Leser anwenden möchte: Es finden sich zahlreiche Bücher, die mit „bewährten Indikationen“ arbeiten[135] – bei denen von der oft zitierten „Individualität der homöopathischen Behandlung“ nichts mehr geblieben ist. Andere Bücher erläutern bereitwillig Miasmenlehre[136] und „Konstitutionsmittel“[137] oder „Homöopathie zum Aufmalen“.[138]
Selbst innerhalb einer Homöopathievariante sind die Angaben in den diversen Büchern widersprüchlich. So sind auch die der „klassischen Homöopathie“ zugrunde liegenden Arzneimittelbilder in der Materia medica keineswegs einheitlich, wenn man bei verschiedenen Autoren nachschlägt. Selbst bei Unterschieden nur im Detail wird man doch wiederholt zu ganz anderer Mittelwahl kommen, je nachdem in welchem Buch man nachschlägt – wie Beispiele zeigen:
Millemann[10] schreibt in seiner „Materia medica der homöopathischen Veterinärmedizin“ bei Achillea millefolium in den Modalitäten:[B 58]
Besserung: durch Ruhe
Dagagen gibt die „Homöopathische Materia Medica für Veterinärmediziner“[139] von Hans Martin Steingassner dazu an:
Modalitäten: Verschlimmerung: Abends, in der Ruhe
Beim Aconitum, dem Blauen Eisenhut, heißt es zu den Modalitäten bei Millemann
Besserungen: Durch Kühle, im Freien; Durch Hinlegen
Steingassner schreibt dagegen:
Modalitäten:
Verschlimmerung: Kälte, beim Liegen
Besserung: Wärme
Dass sich die Inhalte der Ratgeber diametral widersprechen, stört die Kunden wenig, die Kundenrezensionen bei den Anbietern sind nahezu ausnahmslos positiv. Als „funktionierend“ wird empfunden, was das Gefühl gibt, dem Tier im Krankheitsfalle „unterstützend“ zur Seite stehen zu können oder einen Tierarztbesuch erst einmal aufschieben zu können. Erlebte Besserungen werden als Bestätigung gedeutet. Der Buchmarkt deckt bereitwillig alle Vorstellungen ab.
Die Tierhomöopathie wird so zu einem Thema, auf dem sich jeder Tierarzt und jeder Tierheilpraktiker als Autor etablieren kann, denn keiner der einander widersprechenden Ratgeber wird von den Lesern dafür kritisiert, etwas Falsches zu schreiben: Die Veterinärhomöopathie ist weder ein methodisch einheitliches Verfahren, noch ergänzen sich die verschiedenen parktizierten Varianten widerspruchsfrei. Es gibt keine konvergente Entwicklung zu einem durch belastbare, wissenschaftliche Daten gesichertem Grundwissen (siehe oben im Kapitel Kontroversen innerhalb der Veterinärhomöopathie) Das macht die Tierhomöopathie für Tierärzte und Tierheilpraktiker zu einem idealen Feld für die Weitergabe der persönlichen Erfahrungen als zusätzliche Einnahmequelle zu den eigentlichen Behandlungen am Tier, nicht nur über die Fülle an Ratgeberbüchern, sondern vor allem auch durch das Anbieten von Kursen oder Schulungen zur von der eigenen Person durchgeführten Praxis.
Schulungen
Gerade diese Schulungen können eine lukrative Einnahmequelle darstellen. Das Angebot reicht von eintägigen Veranstaltungen (für um 100 Euro) bis zu „Ausbildungen zum Tierhomöopath“ für mehrere Tausend Euro.[3][140] Viele „Vortragende“ oder „Dozenten“ weisen keine andere Qualifikation für die Lehrtätigkeit auf als entweder die Tätigkeit als Tierheilpraktiker – eine Bezeichnung, die in Deutschland keine Ausbildung oder Zulassungsprüfung voraussetzt[141] – oder Autor eines oder mehrerer Ratgeberbücher zu sein.
Damit steht die Möglichkeit, teure Schulungsveranstaltungen anzubieten, praktisch jedem offen. Diese florierende und auch von landwirschaftlichen Vereinen, Organisationen und Landwirtschaftkammern mitgetragene Markt an „Fortbildungen“ schafft schnell seine eigenen Experten: Kurse, die aus einer überschaubaren Anzahl von Präsenzstunden und Wochenendseminaren bestehen, vegeben an ihrem Ende das Zertifikat zum „Tierhomöopathen“. In der Folge ist für den einzelnen Tierbesitzer oft nicht erkennbar, dass ein „diplomierter“ oder „zertifizierter“ Homöopath eben kein auf saubere Evidenz in Studien gestütztes und von einer ganzen Fachwelt anerkanntes gesichertes Wissen anwendet.[3]
Vereine und teils auch Landwirtschaftskammern beschreiben die Homöopathie völlig unkritisch als Naturheilverfahren,[142][143] (das sie im medizinischen Sinne nicht ist)[6] dies oft vollkommen ohne Hinweise auf dieses Fehlen von Belegen für eine Überlegenheit der Homöopathika im Vergleich zu Placebos und oft in Kombination mit Bildern und Berichten zufriedener einzelner Landwirte.[144] Erfahrungsberichte und Schulungen kombinieren die Veterinärhomöopathie auch mit anderen „alternativmedizinischen“ Verfahren (zum Beispiel Kinesiologie) oder parawissenschaftlichen Praktiken (Pendeln, Radiästhesie, Wasserbelebung,…). So beschreibt beispielsweise die Landwirtschaftskammer Niedersachsen, dass man Diagnose und Mittelwahl auch durch „Pendeln“ treffen zuverlässig treffen kann.[142] Tatsächlich dokumentiert diese Vielfalt an einander widersprüchlichen Praktiken aber auch gerade den Mangel an Erfolg und die Nichtexistenz der einen „erfolgreichen Methode“.[82][B 59]
Einsparungsmöglichkeiten durch Unterlassung veterinärmedizinischer Behandlungen
Oft wird als Argument für die Tierhomöopathie ins Feld geführt, dass sich Landwirte gar nicht leisten könnten, ein unwirksames Verfahren anzuwenden. Tatsächlich ergeben sich zunächst einmal durch das Weglassen veterinärmedizinischer Interventionen direkte Einsparungsmöglichkeiten für den Landwirt: Er wird unabhängiger vom Tierarzt, trifft eigenständiger und damit zügiger Entscheidungen und spart Tierarztkosten, wenn er statt einer tierärztlichen Untersuchung und Behandlung die Beschwerden der Kühe auspendelt und eigenmächtig in Selbsttherapie mit Globuli „behandelt“. Für die abgegebene Milch ist – und auf diesen „Vorteil“ weist zum Beispiel auch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen explizit hin – keine Wartezeit einzuhalten,[6] wenn das Tier nicht medizinisch, sondern homöopathisch behandelt wurde:
Zusätzlich liegt der Vorteil der Wartezeitfreiheit homöopathischer Mittel auf der Hand. Bei der antibiotischen Behandlung entstehen durch Sperrmilch schnell Verluste von über 90 €. 35 Liter Sperrmilch pro Tag über sieben Tage multipliziert mit einem Milcherlös von 0,38 €/l bedeuten 93,10 € fehlende Einnahmen.[145]
Untersuchungen[82] bestätigen im Ergebnis, dass die Therapieform oft nur unwesentliche Auswirkungen auf die Heilungsrate hat. Erheblich maßgebender wird die Tiergesundheit von den Rahmenbedingungen des landwirtschftlichen Betriebsmanagements beeinflusst (Feststellungszeitpunkt der Erkrankung, vermehrte Kontrolle des Einzeltieres, Anpassung der Rahmenbedingungen an die Erkrankungssituation,…). Der Eindruck einer Wirksamkeit der homöopathischen Mittel entsteht deswegen in der Praxis sowohl beim privaten Tierhalter als auch beim Landwirt, da rund 80 Prozent aller Krankheiten, wegen derer ein Tierarzt üblicherweise hinzugezogen wird, selbstlimitierend sind, also früher oder später ohne weiteres Zutun ausheilen.[146] Zudem wird der Landwirt bei der Umstellung seines Betriebes angehalten, seine Tiere sehr genau zu beobachten und auf optimale Haltungsbedingungen zu achten. Allein diese beiden sehr sinnvollen Maßnahmen führen zu einer Reduktion notwendiger Behandlungen der Tiere und täuschen somit ebenfalls einen „Erfolg“ der Homöopathie vor. Tatsächlich ist diese genaue Beobachtung des Tierbestandes unabhängig von der Therapie zielführend und daher wünschenswert und nicht an die Homöopathie gebunden.
Da Studien[84] belegen, dass beispielsweise Mastitis beim Rind länger dauert, wenn sie statt medizinisch nur mit Homöopathika behandelt wird, ist ein Homöopathikaeinsatz im Stall aus tierschutzrechtlichen Überlegungen nicht zu rechtfertigen, selbst wenn der Landwirt in der Summe über die Einsparung der fachmännischen und nachweislich wirksamen Behandlung vergleichbare oder sogar marginal geringere Ausgaben hat: Colin Goldner beschreibt die Problematik der aus der Veterinärhomöopathie resultierenden Praxis prägnant:[3]
Ausgestattet mit oberflächlichstem Wissen und ungeachtet der Frage, ob die Diagnosen beziehungsweise therapeutischen Maßgaben richtig sind oder nicht, kann nun jedermann über den einschlägigen Internetversand, vielfach auch über die Apotheke, die entsprechenden Präparate erwerben und – außerhalb jeder Kontrolle – jedes Tier mit jeder Erkrankung damit behandeln.
Versprechen der Reduktion von Antibiotika in der Nutztierhaltung
Problematisch ist die wiederholt zu findende Behauptung, Homöopathika könnten dazu beitragen, im Stall den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Oft liest man sogar, dass deshalb der Globulieinsatz aus Sicht der Tier- oder der Verbrauchergesundheit sinnvoll wäre.[147][148][149][150][5]
Oft werden Antibiotika in der Tiermast nur aufgrund unzureichender Haltungsbedingungen und überfüllter Ställe notwendig: Antibiotikabedarf ist nicht der Grund für kränkliche Tiere, sondern beides ist eine Folge der Haltung.[151][B 60]
Mangelnde Aufzuchtbedingungen mit Antibiotikaeinsatz zu kaschieren, ist allein aus tierschutzrechtlichen Gründen bedenklich; wachsende Antibiotikaresistenzen sind ein weiterer Grund für bessere Standard (siehe dazu den Artikel Antibiotika und die weiterführende Literatur dort). Ohne eine Veränderung der Haltungsbedingungen wird es aber mit einem Verfahren, das keine Wirksamkeit über Placebo hinaus nachweisen kann, nicht gelingen, den Einsatz der Antibiotika zu verringern; in tierschutzgerechter Aufzucht gelingt dies ohne Placebos. Notwendig sind hier Maßnahmen, wie sie in Deutschland bereits durch das Arzneimittelgesetz seit einigen Jahren erfolgreich zum Einsatz kommen: die Verbesserung der Tierhaltungsbedingungen und die Verschärfung der Regelungen im Tierarzneimittelrecht. Ein Einsatz von Antibiotika zur Wachstumsförderung und als leistungsfördernde Futterzusatzstoffe ist zumindest EU-weit verboten und strafbar. Auch die strenge Überwachung, wieviele Antibiotika im einzelnen Betrieb zum Einsatz kommen, gehört zum Maßnahmenkatalog. Betriebe, die die durchschnittlichen Werte überschreiten, fallen aufgrund dieser Überwachung auf und müssen Maßnahmen zur Reduktion der Antibiotika einleiten. Sicher gehört auch die Forschung nach wirksamen Behandlungsalternativen zu den sinnvollen Maßnahmen, der Einsatz von Produkten, die keine Überlegenheit gegenüber Placebo nachweisen können, sowie das Fördern des unfachmännischen „Behandelns“ damit in Eigenregie gehört jedoch nicht dazu.[152]
Auch der in Zusammenhang mit der homöopathischen Behandlung immer wieder geäußerte Rat, man müsse die Tiere dann eben gut beobachten, um Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, sollte immer, auch bei medizinischer Betreuung, für jeden Landwirt Standard sein. Antibiotikarückstände erreichen den Endverbraucher mit der Milch ohnehin nicht, denn Molkereien achten im eigenen Interesse mit flächendeckenden „Snap-Tests“ auf Rückstände, so dass sie in handelsüblicher Milch nicht zu finden sind.[153][154][155]
Da wie oben dargelegt ein Systematischer Review das Ersetzen von Antibiotika durch Homöopathika aufgrund des Fehlens sauberer Belege einer prognostischen Gleichweitigkeit nicht empfehlen kann, und da praxisnahe Studien[84] sogar Hinweise liefern, dass beispielsweise Mastitis beim Rind länger dauert, wenn statt medizinischer Behandlung nur mit Homöopathika reagiert wird, ist ein Homöopathikaeinsatz im Stall auch aus tierschutzrechtlichen Überlegungen nicht zu rechtfertigen.
Politische Aspekte
Während manche Landwirtschaftskammern noch immer völlig unkritisch Weiterbildungskurse zur Homöopathie anbieten, zeigt die Studienlage eindeutig, dass Homöopathika die EU-Verordnung 2018/848, Abschnitt 1. 5. 2. „Tierärztliche Behandlung“,[63] für kein Krankheitsbild und keine Tierart erfüllen. Auf diesen Zwiespalt reagierte die Bundesregierung 2016 mit einem Antrag auf Erleichterung der gesetzlichen EU-Vorschriften zugunsten der Homöopathie.[156] Der Bayerische Landtag beschloss 2019 auf Antrag von CSU und Freien Wählern eine fünfstellige Summe für eine erneute Studie auszugeben, um ein weiteres Mal zu untersuchen, ob die homöopathischen Zuckerkügelchen eine spezifisch wirksame Waffe zur Eindämmung multiresistenter Keime sein könnten. Dem Antrag lagen drei aus wissenschaftlicher Sicht bekannterweise nicht aussagekräftige Studien zugrunde.[157] Medizinethiker sprachen sich deutlich gegen eine solche Verschwendung von Steuergeldern aus und wiesen zudem auf die falsche Signalwirkung einer solchen Entscheidung hin.[158] Insgesamt muss das Fazit gezogen werden, dass es Vertretern der Homöopathie immer wieder gelingt, sich auf politischer und juristischer Ebene Rückhalt einzuholen. Die notwendigen Konsequenzen aus der wissenschaftlichen Evidenz finden gerade auf dem veterinärmedizinischen Bereich bislang nicht statt. (Stand 2021)
Zusammenfassung
Die Anwendung der Homöopathie auf das Tier wurde schon von Hahnemann und seinen Zeitgenossen für möglich gehalten. Dennoch gibt es bis heute keine Einigung unter Homöopathen, wie die Homöopathie auf Tiere anzuwenden sei. Strittig ist die Übertragbarkeit der am Menschen gewonnenen Arzneimittelbilder auf unterschiedlichste Tierarten, sowie die Anwendung von homöopathischen Komplexmitteln oder Nosoden. Eine von allen Homöopathen anerkannte „Tierhomöopathie“ gibt es auf dem Markt nicht.
Entgegen der Darstellung vieler Homöopathen sind Placebo- und andere Kontexteffekte beim Tier durchaus bekannt. Genesungen von Tieren nach Globuligabe belegen die Wirksamkeit der Homöopathika ebensowenig, wie dies bei menschlichen Patienten der Fall ist.
Studien liefern keine Argumente für die Behauptung einer Überlegenheit der Tierhomöopathie gegenüber Placebo.
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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